Ein hübsch Lied, genannt der Striegel, gar lustig zu singen und zu lesen in des Lindenschmids Ton

[101] Fliegendes Blat, gedruckt zu Zürich, bei Augustin Fries.


Zu Constanz saß ein Kaufmann reich,

Der hat ein Fräulein war wonnigleich,

Denn sie war hübsch und kluge,

Sie hatt' ein Doktor gar zu lieb,

Groß Lieb sie zammen trugen.


Die Liebe, die war offenbar,

Und währt gar noch wohl sieben Jahr,

Der Kaufmann ward ihr innen;

Erfahr ich dann die rechte Mähr,

Du magst mir nit entrinnen.


O Fräulein, mir ist Botschaft kommen,

Ich darf mich auch nit länger säumen,

Muß reiten in fremde Lande;

Nun halt dich wohl, und halt dich recht,

Daß wir nicht kommen zu Schande.


Nun halt dich wohl und halt dich recht,

Gedenk an unser beider Geschlecht,

Wir haben fromm Vater und Mutter,

Dazu ein kleines Schwesterlein,

Halt mirs in guter Hute.


Er reit zum obern Thor hinaus,

Zum untern reit er wieder hinein zu Haus,[101]

Des Abends also spate;

Er reit vor seiner Freunde Haus:

Gebt mir ein guten Rathe.


Ein guten Rath, den geben wir,

Bleib hier, bis an den Morgen früh,

Du hast ein eigen Hause;

Drinn hast du ein Badstüblein warm,

Da lebt der Doktor im Schmause.


Der Kaufmann trat fürs Schlossers Haus,

Und bist du drinn, so tritt heraus,

Ein Striegel gut ich möchte;

Er bracht daher wohl zehen Paar,

Es war ihm keiner rechte.


Mach mir ein Striegel in einer Stund,

Ich geb dir drum ein baares Pfund,

Mach mir ihn scharf und härte;

Mach Zähn dran eines Fingers lang,

Ich hab zwei freche Pferde.


Der Schlosser dacht in seinem Muth,

Was meint er mit dem Striegel gut,

Er hub ihn an zu machen;

Manch Bürger vor sein Laden trat,

Und thät des Striegels lachen.


Der Kaufmann war ein weiser Mann,

Sein Sachen griff er weislich an,

Ging ins Badstüblein warme,

Sein ehlich Fräulein fand er da,

Dem Doktor in seim Arme.[102]


Da er schritt in das Badstüblein,

War da bereit gut Brod und Wein,

Mit andern guten Dingen;

Die zwei, die sassen im Wasserbad,

Das Fräulein thät entrinnen.


Er striegelt den Doktor also hart,

Von unten an bis auf den Bart,

Das Blut thät ihm abfließen;

Hör auf mein lieber Kaufmann gut,

Laß mich mein Sünd hie büßen.


Es währt wohl auf ein halben Tag,

Man legt den Doktor in das Grab,

Das Rauchfaß thät man ihm bieten;

Ein Fräulein zu dem andern sprach,

Vor dem Striegel wolln wir uns hüten.


Dieß Lied ist gemacht mit hohem Fleiß,

Vorm Striegel hüt dich, bist du weiß!

Daß dir nicht misselinge;

Es sangs ein freier Schreiber gut,

Vor Freud thät er aufspringen.


Ein Striegel für den Kritikus,

Der diesem Buch giebt falschen Kuß,

Der liegt bei meinem Zimmer;

Er ist gemacht mit hohem Fleiß,

Vorm Striegel hüt dich, bist du weis.[103]


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 3, Stuttgart u.a. 1979, S. 101-104.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Des Knaben Wunderhorn
Ludwig Achim's von Arnim sämtliche Werke: Band XVII. Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesammelt von L. A. v. Arnim und Clemens Brentano. Band 3
Sämmtliche Werke, Neue Ausgabe. Herausgegeben von Bettina von Arnim und Wilhelm Grimm. Band 06: Des Knaben Wunderhorn I und II. - Reprint der Ausgabe von 1857
Des Knaben Wunderhorn Band 2
Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesammelt von L.A.v. Arnim und Cl. Brentano. Neu bearbeitet von Anton Birlinger und Wilhelm Crecelius; ... in Holz geschnitten von C.G. Specht: Band. 1
Ludwig Achim's Von Arnim Sämmtliche Werke: Des Knaben Wunderhorn. T. 3 (German Edition)

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon