Ein hohes Lied

[154] In des Schillers Ton. 1450-1500.


Mein Herz das schwebt in Freudenspur,

Gedenk ich, wie die Kreatur

In Zweiheit ist gebildet;

Des sey gelobt der Schöpfer weis',

Der uns erschuf im Paradeis,

Erschuf jungfräulichs Bilde,

Die er da einem Jüngling gab,

Den er gemacht aus Erden;

Darum dien jezt ich junger Knab

Wohl einer Jungfrau werthe.

Ihr hohes Lob, das will ich ihr verkünden,

Ob ich es möcht durchgründen,

Nach meines Herzens Gier,

Ob ich gefiel auch ihr.


Gott grüß die schönste Jungfrau fein,

Die gänzlich hat das Herze mein,

Mit ihrer Lieb besessen;

Darum hab ich sie auserwählt,

Ein Jungfrau, die mir wohl gefällt,

Ich kann ihr nicht vergessen.

Wohl Tag und Nacht, wohl früh und spät

Liegt sie mir in dem Sinne;

All meine Hoffnung auf ihr steht,

Möcht ihre Huld gewinnen.

Mir liebt ihr Zucht, ihr jungfräuliche Güte,

Sie führt ein frei Gemüthe;

Sie lebt mit Ehren ganz,

Mit Recht trägt sie den Kranz.[154]


Das Kränzlein, das sie tragen soll

In Wort und Sitte trägt sie's wohl

So ganz ohn allen Wandel;

Hutsam behält sie ihr Gesicht,

Kein Aergerniß giebt's keinem nicht,

In Ihrem Gang und Wandel.

Sie geht so schnelle auf der Straß,

Wer sie darauf thät grüßen,

Schließts Mündlein auf in sanfter Maas,

Und dankt mit Worten süße.

Ihre Wort sind wahr und nicht erlogen,

Sie hat mich nie betrogen;

Mich nie geführt am Seil,

Sie biet sich selbst nicht feil.


Drum hab ich sie auserkorn,

Sie ist von gutem Stamm geborn,

Zu Ehren schön erzogen;

Darum will ich ihr Diener seyn,

Sie hat erleucht das Herze mein,

Ist wahr und nicht erlogen.

Sie trägt ein ehrentlich Gewand,

Gar adelich gesticket,

Mit ihr zarten Kunstes Hand,

Und wer sie anerblicket,

Dem möcht sein Herz in lauter Freude lachen;

Auf Reinheit thut sie wachen,

Darum bin ich ihr hold

Vor Silber und vor Gold.


Gott grüß die Jungfrau wohl gethan,

Gar schwer ich gnugsam loben kann,

Wohl ihren werthen Leibe;[155]

Ihr Haar ist lang, goldfarb und gelb,

Ihr Oehrlein sind gar fein gewölbt,

Kein Spott ich damit treibe.

Sie hat zwei hübsche Aeuglein klar,

Lieblich als ein Demante;

Darin das Weisse ist nicht gespart,

Ihr Bräulein stehn ohn Schande.

Ihr Näßlein scharf, wie schwer kann ich sie loben,

Ihr Kinn ist sanft erhoben,

Ihr Mund geschwungen fein,

Brennt recht als ein Rubein.


Die Zähnlein sind ihr ganz und weiß,

Die Wänglein roth nach allem Fleiß,

Darin zwei Grüblein kleine;

Ihr Angesicht, das scheint sogar

Gleich als der recht Kristall so klar,

Polieret also reine.

Ihr Kehle, die ist grad und schön,

Ihr Hälslein lilienweisse;

Auf ihrem Haupt ein Kron sollt stehn,

Gezieret recht mit Fleiße.

Ihr Händ sind lind, gleich wie ein Hermeleine,

Und weis wie Helfenbeine,

Darin die Adern blau,

Gott grüß dich o Jungfrau.


All Ebenmaaß in ihrer Brust,

Ihr Herz geziert in aller Lust,

Daran zwei Brüstlein kleine,

Sind nicht zu klein, und nicht zu groß,

In Züchten trägt sie auch nicht blos,

Sie hat zwei grade Beine.[156]

Ihr zarter Leib ist wohl gestalt,

Nach aller Freud und Ziere.

Ihr Schönheit hab ich nun gemahlt,

Jungfrau erhör mich schiere,

Und sprecht zu mir ein liebreich freundlich Worte,

Und wo ich das erhörte,

Mein Weh wär gar vorbei,

Also erquickt ein Leu.


Erquickt mit seiner Stimm die Wölf (Jungen)

Also mir ihre Tugend helf,

Mit einem lieben Grüßen;

Dann thät sie mir groß Freundschaft kund,

Aus ihrem rosenfarben Mund,

Sogar ohn alles Verdrießen.

Dein Angesicht mich so erquickt,

Gleich als der Strauß sein Junge;

Du bist mein Freud, mein Trost, mein Glück,

Mich lockt dein süße Zunge.

Wie auch der Jungfrau klares Singen,

Das Einhorn kömmt mit Springen;

Legt ihr das Haupt in Schoos,

Und schläft ganz kummerlos.


Also bezwingt mich deine Stimm,

Und wo ich dich Herzlieb vernimm,

Besänftet sich mein Grimme;

Du machest mich so tugendsam,

Demüthiglich gleich einem Lamm,

Das macht dein milde Stimme.

Daß mich hat deine Lieb und Güt

So kräftiglich bezwungen;

Daran gedenk du treu Gemüth,[157]

Acht nicht der falschen Zungen.

Und wolle meinen Worten treulich glauben,

Ich will dich nie berauben;

Dein Ehr ist allen kund,

Ich führ sie nie im Mund.


Dies glaube meiner Stätigkeit,

Es wär mir für dich selber leid,

Misläng dir deine Ehre;

Deß lasse mich genießen schier,

Nach Gott ist niemand lieber mir,

Dein Dienst ich stets begehre.

Wenn ich dir wohlgefällig wär,

Und wäre nicht dein Spotte;

Vergangen wär mir all Beschwer,

Darum fleh ich zu Gotte.

Wie große große Lieb ich zu dir trage,

Getrau ich nicht zu sagen;

Ach sieh mein Herze an!

Gott grüß dich wohlgethan!


O Jungfrau, adeliches Blut,

Womit der Pelikanus gut

Die Jungen mag ernähren,

Das nimmt er aus dem Herzen sein,

Und kömmt darum in schwere Pein,

Er thut sein Blut verzehren.

Also verzehr ich Leib und Blut,

Nach dir Sinn, Lieb und Witze;

Du bist mir über Phönix gut,

Der in der Glut thut sitzen.

Darin verjüngt er sich mit Feuers Brennen,

Wo ich dich, Lieb, hör nennen;[158]

Da thut mein Herz ein Sprung,

Und wird vor Freuden jung.


Von dir mein Herz empfänget Kraft,

Recht nach des Panthers Eigenschaft,

Wenns gehet in den Mayen;

Dann steigt er auf ein Berg hinan,

Viel andre Thiere folgen dann,

Stehn um ihn an den Reihen.

Jungfrau, könnt ich dich loben bas,

Das thät ich allzeit gerne;

Du gehst mir über Laub und Gras,

Wie der Mond über die Sterne.

Ach feins mein Lieb, laß mich der Treu genießen,

Thu mir dein Herz erschließen;

Vernimm den Willen mein,

Zart edles Jungfräulein.


Jungfrau vernimmst du den Gesang,

Und hab ich dir gedienet lang,

Das magst du wohl vergelten;

Ich diene allezeit dir gern,

Du bist mein lichter Morgenstern,

Doch seh ich dich so selten.

Das schafft, o Lieb, der Schwätzer Mund,

Mit ihrem falschen Sagen;

Glaub ihnen nicht zu aller Stund,

Vernimm meins Herzens Klagen.

In rechter Treu sollst du nicht von mir wenken,

Dies Lied thu ich dir schenken;

Aus rechtem Sinn erdacht,

Gott gebe dir viel guter Nacht![159]


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 3, Stuttgart u.a. 1979, S. 154-160.
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