Ich stand an einem Morgen

[47] Hundert und funfzehn neue Lieder. Nürnberg 1544. Johann Ott Buchdrucker Seite 75.


Ich stand an einem Morgen

Heimlich an einem Ort,

Da hätt ich mich verborgen,

Ich hört klägliche Wort,

Von einem Fräulein hübsch und fein,

Sie sprach zu ihrem Buhler,

Es muß geschieden seyn.[47]


Herzlieb, ich hab vernommen,

Du wilt von hinnen schier,

Wann wilt du wieder kommen,

Das sollst du sagen mir,

Merk mein Feinslieb, was ich dir sag,

Mein Zukunft thust du fragen,

Ich weiß weder Stund noch Tag.


Das Fräulein weinet sehre,

Ihr Herz war Trauren voll:

»So gieb mir Weis und Lehre

Wie ich mich halten soll,

Für dich sez ich mein Hab und Gut,

Und willst du hier nun bleiben,

Ich verehr dich in Jahr und Tag.«


Der Knab der sprach aus Muthe,

Dein Willen ich wohl spür,

Verzehr ich dir dein Gute,

Ein Jahr ist bald dahin,

Dennoch muß es geschieden seyn,

Ich will dich zärtlich bitten,

Setz du dein Willen drein.


Das Fräulein das schreit Morde!

Mord über alles Leid:

»Mich kränken deine Worte,

Herzlieb nicht von mir scheid;

Für dich setz ich mein Gut und Ehr,

Und sollt ich mit dir ziehen,

Kein Weg ist mir zu fern.«[48]


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 3, Stuttgart u.a. 1979, S. 47-49.
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