Viertes Kapitel

Ankunft bei der Herzogin von A ... Neue Lebensweise. Dolores, die gute Mutter

[326] Ungeduldig wandle ich mit ihnen über Berg und Tal, selbst Rom, bei dessen bloßem Namen sonst schon meine Gedanken weilen, genügt mir nicht; ich möchte sie sicher in den Armen der herrlichen Schwester wissen, sie einführen in den neuen Kreis ihres neuen Lebens. Wie ein Feenschloß von Demanten winkte Palermo entgegen, das von dem Feste der heiligen Rosalie jauchzte. Es war später Abend als sie landeten, aber die himmelhohe Statue der Heiligen, die ihnen schon im Meer entgegen spiegelte, empfing[326] noch ihr Gebet um Glück und beruhigte sie. Jetzt fahren sie vor den Palast der Herzogin, auf dem größten ihrer Landgüter, drei Meilen von Palermo, die Herzogin weiß nichts von ihrer Ankunft; sie sind ihren eignen Briefen vorgeeilt; sie eilen die prachtvollen marmornen Säulentreppen hinauf, durch reich bekleidete Bedienten hindurch, die sie anstaunen und fragen; aber sie eilen ungeduldig weiter in ein Zimmer, wo die Herzogin sie empfängt. Welche Überraschung! einfach traurend steht die Herzogin da unter einer Zahl schöner Kinder, die ihre Schreibebücher vorzeigen; aber wie hat sich Klelia entwickelt, sie, die sonst von niemand bemerkt wurde, steht in ihrer Mitte mit einer sanften Würde, die im ersten Augenblick selbst ihren alten Freund, selbst ihre Schwester zurückschreckt. Aber wie selig überrascht umfaßt sie beide, und die Kinder lächeln froh bei ihrem Anblick, als wenn ein Engel im Schlafe mit ihnen spielte. Wir sind alle gerührt, es geht nun alles recht gut; wie leicht wird es der Gräfin, ihr alles zu beichten; schmerzlich ist es der Herzogin, das Andenken des Herzogs, das ihr so teuer war, so ganz in sich auslöschen zu müssen; aber die Wahrheit ist ihr Leben und die Kinder füllen ihre Gedanken nun wahrhafter und schöner. Alle gewinnen bald einen festen Lebenskreis und Bestimmung; vor allen findet der Graf in der ökonomischen Verwaltung, die der Herzogin bisher am lästigsten gewesen, ein schönes Feld, seinen wohltätigen Geist über Tausende auszubreiten, der sich bis dahin in der Anordnung weniger Menschen begnügen mußte; er findet ein dankbares Volk, unter dem ein verständiges Wohlwollen von oben her noch so selten gewirkt, daß beinahe noch alles zu tun übrig war. In dem Rausche des Wiedersehens ist der alte Bediente nicht übersehen worden; die Herzogin hat ihn wie einen Vater geküßt; er hatte auch wahrlich mehr für sie getan, als ihr leiblicher Vater. Ohne in seinem Wirkungskreise steigen zu wollen, blieb er wie immer der Oberaufseher des Hauses; nur die Kinder muß ihm die Gräfin Dolores von Zeit zu Zeit anvertrauen, sonst ist er böse; sorglich führt er sie in den Gärten umher, sucht ihnen die reifsten Früchte und neckt sich mit ihnen, und wird mit ihnen zum Kinde; auch wissen sie mit keinem so gut zu spielen, wie mit ihm; keiner weiß sie so leicht zu beschwichtigen, wenn sie weinen, schreien; sie treten oft auf ihm herum und tun ihm wehe, aber er beklagt sich nicht; er sieht auf ihre blonde Locken,[327] wie in einen glodnen Kelch, in ihre blauen Augen, wie in den Himmel.

So hätten wir es denn mit den übrigen abgetan und wir könnten nun ruhig über einige Jahre hinblicken, um Dolores, die uns so viel Schmerzen, und Klelien, die uns so viel Freude gemacht, in der Dauer ihrer Verhältnisse zu prüfen. Klelie hatte anfangs alle Mühe, einzelne störende Rückfälle ihrer Schwester in eine zerknirschende Reue zum Guten zu lenken; doch gelang es ihrem klugen Bemühen, indem sie ihr eine Beschäftigung gab, die ihrer Sinnesart angenehm, aber aus Gewohnheit zu lange von ihr vernachlässigt worden war. Sonst sah sie ihre Kinder nur, wenn sie wachten, reinlich angezogen waren und der Kinderstube entlassen wurden; höchstens trat sie zuweilen herein, sich an ihrem Schlaf zu ergötzen. Klelie machte es ihr so eindringlich, daß eine Frau nie etwas Größeres tun könne, als wenn sie mit liebevoller geduldiger Sorge die ersten hülflosen Zeiten ihrer Kinder bewache, wenigstens nichts Erfreulicheres, Segenvolleres. »Wie gern«, rief sie, »gäbe ich alle meine Beschäftigungen, so lieb sie mir sein mögen, darum hin, eigne Kinder versorgen zu können; denn das ist von der Natur eingeboren, nur eigne Kinder verstehen wir ganz, was ihnen fehlt, was sie wollen, und dieses Verständnis kann kein guter Wille, keine reichliche Bezahlung in der Dienerschaft erzeugen. Darum ist jeder Mensch zu beklagen, den seine Mutter nicht großgezogen, denn ihm fehlte sehr viel Liebe«. – Kaum hatte Dolores den ersten Widerwillen überwunden, den die Unreinlichkeit und das Geschwätz der Kinderstuben häufig gibt, so fand sie erst wie vielem sie ihre Kinder unbesorgt ausgesetzt, was sie selbst für widrig hielt; sie besserte alles mit Ernst und Einsicht, schaffte sich bessere Mägde an, die sie jetzt erst kennen lernte, so wie die Kinder, die schon früh manche Eigentümlichkeit zeigten. Die Kinder lohnten ihr durch Gedeihen und jeder Kreis des heiligen Jahres mehrte ihre Zahl; was Kindisches in ihr uns töricht gewesen, das wurde in den Kindern ausgeboren, deren Sinnesart sie aus der Tiefe ihrer eignen Brust verstand, und besser zu lenken wußte, als ihr von der eignen nachsichtigen Mutter geschehen. Es war eine schöne Buße, diese Mutterliebe.[328]

Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Romane und Erzählungen. Bde. 1–3, Band 1, München 1962–1965, S. 326-329.
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