Achtes Bild

[699] Nachdem der Bau angeordnet und die Arbeiter bestellt waren, zog der König heim, indem er überall den Weg zu dieser Wallfahrtskirche eröffnen ließ. Acht Tage nach seinem Auszuge traf er zum Schlosse des Grafen ein. Da trat seiner freudigen Ungeduld die liebliche Braut weinend entgegen und klagte, sie habe ihren Vater nur wieder gefunden, um sein Ableben zu betrauern. Die Vorsteherin des Klosters habe sie zu ihm geführt, aber er habe, einem Toten ähnlich, wenn gleich noch atmend, in seiner Hütte geruht. Zwar hätten die Nachbarn, welche ihm gern aufwarteten, weil er ihnen zum Lohn schöne Geschichten erzählte, behauptet, er sei nicht tot, sondern schon oft in solche Entzückung verfallen, aber sie könne nicht mehr an diesen Trost glauben, diese Störung[699] seines Lebens dauere zu lange. Hierauf führte sie den bestürzten König nach dem Saale, wo der Vater unter einer Purpurdecke auf weichen Kissen ruhte. Wie sie nun die Decke mit abgewendetem Gesichte aufhob, rief der König: »Frommer Sänger, du hast mich ins Leben zurückgeführt und bist selbst zu den Toten gegangen, warum sahest du nicht die Freude deines Werkes, ehe deine Augen sich schlossen.« – So war es nun heraus, der Vater seiner Braut, der alte Herzog war eben der Meistersänger, dessen Schauspiele und Gesänge die Stadt erfreuten, eben der, welcher den König aus seiner Trägheit erweckt hatte. Das Seltsame aber war, wie er nach der Wildnis gekommen, da die Nachbarn versicherten, er habe an jenem Tage schon in der Verzückung auf seinem Bette gelegen. Wie nun der König jener Ähnlichkeit der zwölf Knaben mit seiner Braut gedachte, da fiel ihm ein, ob es wohl die zwölf Söhne gewesen sein möchten, welche die Hunnen umgebracht hatten? Es schauderte ihm, als ob er im Schwarzwalde schon über die Grenzen des Lebens hinüber gestiegen gewesen, aber durch Warnung in dessen Mitte wieder zurück getreten sei. Da traten die beiden treuen Begleiter seiner Jagd, die beiden Ritter, welche erkrankt gewesen, in abgetragenen Wämsern, wie es sich an Höfen wohl nicht ziemte, in den Saal, begrüßten den König mit Freudentränen, erzählten, wie sie ihn so lange vergeblich gesucht hätten, bis sie ihn endlich durch den Fang zweier Vögel, unter denen auch der, welchem der König so lange nachgeschlichen, zur Heimkehr veranlaßt worden wären. Dieser Fang, der ihnen so leicht geworden, da die Vögel mit einander gespielt und sie nicht wahr genommen hätten, sei ihnen als ein gutes Zeichen erschienen und dies gute Zeichen sei nun erfüllt. Bei diesen Worten zog der eine einen Gitterkasten unter dem Mantel hervor, in welchem die beiden Vögel, in der Gestalt wie Spechte, der eine golden, der andre silbern, eingesperrt saßen. Mit Gnade sagte der König den Freunden willkommen, aber nicht ohne Widerwillen fühlte er in sich die alte, böse Jagdlust beim Anblicke der Vögel wieder erwachen. Er kämpfte mit sich, endlich reifte sein Entschluß, er ließ den goldnen Vogel aus dem Kasten fliegen, daß er durch das Fenster ins freie Blau der Luft entflöge; er wollte auch den silbernen entfliegen lassen, aber da überwand ihn seine Jagdlust, daß er die Gittertüre wieder schloß. Der goldne Vogel nutzte aber nicht das Geschenk[700] der Freiheit, er flog zwar fort, aber blieb auf dem Munde des halbtoten Sängers sitzen, dieser öffnete den Mund, der Vogel schlüpfte hinein und der Alte öffnete die Augen wie ein gesund Erwachter. Der Saal war ihm fremd, er fragte, wo er sei, fragte die Tochter, wer sie sei. Dann aber erkannte er sie beim ersten Kusse, auch der König erschien ihm bekannt, und als ihn dieser an die Lehre erinnerte, die er von ihm in der Rosenhütte empfangen, da rieb sich der Alte die Stirn und meinte, daß ihm von dem allem auch geträumt habe, daß er auch seine zwölf Söhne wieder gesehen, die ihm vielen guten Rat zu dem Fastnachtsspiele gegeben hätten. Dann sei ihm aber auf dem Heimwege seine geliebte, selige Frau begegnet, die habe ihn so ernstlich an den Himmel gemahnt und daß er der irdischen Spiele vergessen solle, darüber hätten sie sich so im Gespräche vertieft, daß sie beide gefangen worden. Jetzt erkannte er in dem eingesperrten silbernen Vogel die geliebte Seele seiner Frau, er beschwor sie, ihn noch nicht zum Himmel zu entlocken, bis er sein tiefsinniges Spiel beendet habe, und der Vogel schien mit sanftem Tone ihm darin nachzugeben. Das Bild stellt euch dar, wie der Vogel in den Mund des Alten schlüpft.

Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Romane und Erzählungen. Bde. 1–3, Band 1, München 1962–1965, S. 699-701.
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