Fünftes Bild

[694] Die Besonnenheit des Königs beschwichtigte diese Aufwallung, er gedachte der Zahl jener Räuber und beschloß, der armen Geraubten, deren Schönheit ihn tief gerührt hatte, mit sicherer Klugheit zu helfen, oder selbst der Strafe für die lange Vergessenheit seiner Pflicht zu unterliegen. Sein Schwert wieder im Mantel versteckt, wie seine Krone, trat er ins Schloß und vertraute einem Diener des Grafen, er habe seinem Herrn willkommne Botschaft von einer schönen Frau zu überbringen. Der Diener, solcher Verhältnisse des Grafen kundig, wies ihn nicht ab, wie der König wohl gefürchtet hatte, aber er brachte ihn auch nicht zum Grafen, wie er gehofft hatte, sondern nach einem abgelegnen, unerleuchteten Zimmer des Schlosses und verließ ihn, um seine Anwesenheit dem Grafen zu melden. Der König war nicht lange mit sich allein, als Seufzer aus dem Nebenzimmer ihm hörbar wurden; gleich dachte er, es sei die unglückliche Jungfrau, die den Untergang ihres Lebens, zum Schutz ihrer Ehre, beschließe, und sang zu ihrer Vertröstung:


Liebeszauber, Unschuldtränen,

Ihr erweckt mein totes Schwert,[694]

Wie der Blitz, der durch die Mähnen

Eines müden Rosses fährt,

Und es bäumt sich kühn zum Himmel,

Wo der Donnerwagen rollt,

Möcht ihn lenken durchs Getümmel,

Daß er nicht der Erde grollt.


Dieser Gesang schien die Seufzer zu stillen, bald hörte der König von der andern Seite Menschentritte und der Graf trat mit einer Kerze ein, erhitzt vom Traume der Freude, sehnsüchtig der Verheißenen. – »Bist du es selbst, liebe Freundin«, sagte er eintretend, »ich schwor darauf, als mir ein Unbekannter im Mantel verhüllt gemeldet wurde, der mir frohe Botschaft bringe.« – Aber statt des Kusses, den der Graf erwartete, als jetzt der König den Mantel abwarf, sah er ein Schwert in seiner Hand blitzen, er wollte zurück springen und Verrat rufen, da erkannte er den König und war wie von einer Erscheinung erschüttert und verwirrt. »Gnädiger Herr«, stammelte er, »Ihr beehrt dies Fest mit Eurer Gegenwart, möchte es Eurer würdig sein, Euch erheitern.« – Der König sagte darauf mit Ruhe: »Das Fest ist meiner nicht würdig, es betrübt mich tief, die Klage der Unschuld ist Eure Musik und das Brot der Armen drückt Eure Tische nieder, Ihr habt mein Zutrauen getäuscht, ich habe Euch meine königliche Gewalt übergeben, mir bleibt nur mein ritterliches Herz, einer von uns beiden ist der Erde überzählig, zieht lieber Graf, daß Gott zwischen uns blutig richte, wer hier herrschen soll.« – Der Graf zog zwar seinen Degen, aber von dem früher gewohnten Gefühle übernommen, dies sei sein Herr, legte er den Degen zu dessen Füßen, kniete nieder und sprach: »Ich habe Euch nicht kränken wollen, gnädiger Herr, verzeihet meiner Jugend und der Freiheit, der Ihr uns überlassen hattet, wo ich in Leidenschaft irrte.« – Der König setzte ihm einen Fuß in den Nacken, erhob sein Schwert und sagte: »Der Übermut deiner Diener hat mir heißes Pech auf den Nacken geschüttet, als ich ruhig dem Freudenfeuer zuschaute, an dir will ich mich rächen, dein Tod ist in diesem Augenblick ein Schwung meines Arms! Ich will nicht deinen Tod, doch gedenke dieses Augenblicks künftig und schwöre mir ritterliche Treue!« – Der Graf hob die Hand auf und schwor ihm einen Eid der Treue, da gab ihm der König seinen Degen zurück und befahl, ihn als Herrn in die Mitte der[695] Grafen zu führen, die in dem Schlosse versammelt wären. Das Bild stellt dar, wie der König ihm den Fuß in den Nacken setzt und sein Schwert erhebt:


Der vor allen hochgestanden,

Ist am tiefsten nun gebeugt,

Also geht der Stolz zu Schanden

Und vor Gottes Macht sich neigt.

Wer mit Mut dem Rechte dienet,

Ist erfüllt von Gottes Macht,

Was er schafft, auf Erden grünet,

Was er störet, sinkt in Nacht!

Und woran er zu erkennen,

Ist die sichre Mäßigung,

Rache will er sich nicht gönnen,

Ihm genügt die Besserung.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Romane und Erzählungen. Bde. 1–3, Band 1, München 1962–1965, S. 694-696.
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