Sechstes Bild

[696] Der Graf, von der Würde des Königs in seinem leichtsinnigen Herzen frisch erschüttert, meinte sich ernstlich ihm anschließen zu müssen, er schilderte ihm die Verwirrung, die Bedrückung des Landes, den Trotz der meisten Grafen, die sich gewiß der Rückgabe aller Gewalt in seine Hände widersetzen würden. Er wolle deswegen den Saal mit bewaffneten Dienern besetzen, daß die Grafen nicht zu ihren Waffen kommen könnten und sich in die Notwendigkeit seiner Anerkennung ohne gewaltsamen Widerstand ergäben. Für diesen Rat ernannte ihn der König zum Nachfolger in der Regierung, wenn er, der letzte des altschwäbischen Hauses, ohne eigne Kinder sterben sollte. Diese Gnade befeuerte den Grafen, er bewaffnete schnell die besten Leute; der Saal, wo die Ritter bankettierten, ward von ihnen besetzt, als der König, die Krone auf dem Haupte, das Schwert in der Hand, von vielen bewaffneten Fackelträgern umgeben, an seiner Seite der Graf in den Saal trat. Da war großes Erstaunen, insbesondere als der König nicht freundlich, sondern mit harter Belehrung ihnen ihre Fehler verwies, sie bedrohete, alle enthaupten zu lassen, wenn sie nicht in Reue und Demut ihren Übermut büßten. Sie sahen den Grafen und dessen Leute auf der Seite des Königs, sie fühlten sich verloren, wenn sie widerstehen wollten, sie knieten nieder, gaben die Regierung[696] in seine Hand zurück und ließen sich an ihren alten Rechten genügen und huldigten ihm von neuem. Und als nun dies große Werk für das Land geendet war, da befahl der König zu neuer Überraschung des Grafen, die geraubte Jungfrau in den Saal zu führen. Und bald trat sie mit dem Morgenstern in den Saal, der die Decke der wunderbaren Nacht lüftete, und alle waren erstaunt über ihren Glanz, vor allen der König, der sie jenem liebreichen Knaben ähnlich fand, der ihn aus dem Walde zurückgeführt hatte und der noch immer wie ein wunderbarer Engel in seinem Andenken erschien. Der König kündigte ihr Freiheit an, zugleich bat er, Im ihren Namen und ihr Geschick zu vertrauen, daß er für ihre Sicherheit sorgen könne. Da nannte sie sich die Tochter des unglücklichen Herzogs David, aus Ungerland, der im Kampfe gegen Attila seiner zwölf Söhne, seines Landes und Verstandes beraubt, ich unter dem Namen eines Meistersängers in dieses Königreich Schwaben geflüchtet und sie einem Nonnenkloster in Schutz gegeben habe; sie bat um Freiheit, ihn aufzusuchen, für ihn zu sorgen, er König fragte zagend, ob sie ihr Gelübde im Kloster schon abgelegt habe. – Sie antwortete mit niedergeschlagnen Augen, aß sie noch kein Gelübde abgelegt habe und auch keines ablegen werde, seit sie erfahren müssen, daß nicht die Klostermauern, sondern ritterlicher Mut sie gegen Gewalt geschützt habe. Darauf kniete der König vor ihr nieder, ergriff ihre Hand und zeigte ihr einen Goldring. Und sie steckte ihren Finger hinein, denn ihre Augen verstanden sich und nannte ihn ihren lieben Ritter, denn sie wußte nicht, daß es der König sei. Als aber jetzt die Grafen ihr mit gebeugtem Knie die Hand küßten und das Heil ihrer neuen Königin ausriefen, da erkannte sie die hohe Würde ihres Verlobten, wie sie sein hohes Herz erkannt hatte, sie verbarg ihr Antlitz auf einer Brust und segnete alles Unglück, in welchem der Himmel geprüft, ob sie dieses Glück ertragen könne, wobei sie ihres Vaters gedachte, wie er sich dieser Rückkehr zum alten Ansehen eines Hauses freuen werde. Das Bild zeigt, wie sie den Finger in den Ring steckt, die alten Reime sagen:


Seht der neue Tag zieht prächtig

In die Herzen, in die Welt,

Alle Sorge dunkel nächtig

Hat zum Grafen sich gestellt.[697]


Wer verlor auch mehr als der Graf, außer der Herrschaft, auch die Geliebte und nicht durch Gewalt, sondern durch ihre Neigung zum Könige.

Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Romane und Erzählungen. Bde. 1–3, Band 1, München 1962–1965, S. 696-698.
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