Zum Leben Luthers

[1052] Am Tag, als Doktor Luthers Hand

Das Kirchenrecht im Feuer verbrannt

Vor Wittenberg am Elstertor,

Als es gar heftig auf Erden fror,

War Nachts sein Herz so wach und gequält,

Ob auch das Feuer nicht heimlich noch schwelt,

Das ihm dazu vor dem Elstertor

Entzündet hatte der Studentenchor,

Es kann der Wind wohl gar zur Stadt

Noch tragen des Feuers schreckliche Saat.

Er wirft den neuen Mantel sich um,

Die Sterne golden ihn anschaun so stumm,[1052]

Er tritt hinaus ganz einsam und sieht,

Wie mancher Funke in der Asche noch glüht,

Das Tor steht offen, weil niemand wacht,

Denn jeder schwärmt in dieser Nacht

Und Kinder spielen und schreien daher,

Ihm wird das Herz im Busen so schwer:

»Was seht ihr den Funken so eifrig nach, –

Die in den Papieren noch blieben wach?« –

»Ach«, sagte zum Doktor da einer der Knaben,

»Die größte Freude wir daran haben,

Wenn hier die Funken in der Asche laufen;

Fast sieht es aus wie der volle Haufen,

Der aus der Kirche geht, wenn's vorbei,

Sehn wir, wer der letzte in der Kirche sei.«

»Ihr lieben Kinder«, sagt der Doktor gerührt,

»Seht oben die Funken, die der Himmel regiert,

Sie gehen wohl unter, sie gehen nicht aus,

Sie strahlen ewig im himmlischen Haus.

In jener Kirche ist kein Vergängnis,

In dieser herrschet ein wechselnd Verhängnis.«

Der Knabe sieht ihn verwundert an

Und spricht in sich: »Was will denn der Mann,

Wie sollen wir mit den Sternen spielen,

Wer sich denn finden unter die vielen,

Wer kann sie im Auge deutlich bewahren,

Bald kommen die Wolken, bald sind sie im Klaren,

Wir bleiben bei unseren Freuden auf Erden,

Sie werden auch einst wohl Sternlein noch werden.«

»Hast recht mein Sohn«, spricht Doktor Luther,

»Ein jegliches Alter braucht eignes Futter,

Mit leichter Milch ernähren sich Kinder,

Der Wein ist erwachsnen Männern gesünder,

Und für die Kinder soll stehen bleiben,

Womit sie die goldne Zeit sich vertreiben,

Am Morgen glaubt ich ein Großes zu leisten,

Am Abend, da lern ich von Kindern am meisten,

O wie so viele Blinde sind große Kinder

Und auch die Ernsten spielen nicht minder,

Wenn ihre Stunde geschlagen hat,

Daß sie vom Ernste sind steif und matt;

Wir auch müssen lernen lieblich zu träumen,

Wer würde die Hälfte des Lebens versäumen.«[1053]

Und seit dem Tage, da hemmt er den Zorn

Gegen Äußerlichkeit, auch wenn sie verworrn,

Nur falsche Lehre bedroht er mit Eifer.

Gegen die sündigen Ablaßverkäufer,

Die in den Tempel des Herrn gedrungen,

Da hat er die Geißel mächtig geschwungen,

Was bleiben konnte von äußeren Zeichen,

Das brauchte nicht vor ihm auszuweichen,

So blieben die Bilder alle bestehen,

Die überall sonst im Feuer aufgehen,

Sie sind die Freuden auf niedrer Erde,

Die einst zu Sternen des Himmels noch werden,

Und ruhig duldet er allen Hohn,

Daß er der äußeren Pracht verschon,

Die Nachwelt gibt einst ihm dafür den Lohn

Und bei den Kindern hat er ihn schon.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Romane und Erzählungen. Bde. 1–3, Band 1, München 1962–1965, S. 1052-1054.
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