92.

Liebes-Geschichte.

[270] Als meine Kindheit noch konnt wenig Jahre zehlen/

Und noch aus Sicherheit nicht dacht ans düstre Grab/

Da wolt Sophia mich zu ihren Liebsten wehlen/

Ich solte nur der Welt auff ewig sagen ab.

Die Fordrung schien zu groß. Zwar must die Braut gefallen

Dem sonst fast ecklen Sinn. Sie war von schöner Art/

Von holder Liebligkeit/ von Reichthum und von allen/

Was durch den Eigensinn an ihr verlanget ward.

Sie both mir sehnlich an ein unvergänglich Wesen/

Ich solt auff ihrem Schooß unendlich seyn vergnügt.

Die Klugheit kont ich ihr schon aus den Augen lesen/

Bevor ich selber wust/ worinn die Klugheit liegt.

Kein Zancken/ kein Geschrey/ kein ungeschickte Reden/

Kein Hochmuth/ noch was sonst der Lieb verdrießlich ist/

Und einen freyen Muth kan unter Füße treten/

War zu besorgen hier. So offt sie mich geküst/

Könt ich die Himmels-Krafft in höchster Lust empfinden.

Nur wolt mein Unverstand mir noch entgegen stehn/

Der meint/ ich solt mich nicht an diese Braut so binden/

Und nur bißweilen noch zu ihrer Wohnung gehn.[270]

Man könte doch nicht stets nach ihrem Willen leben/

Ihr Leben sey zu eng in Schrancken eingespannt.

Halb könt ich mich der Welt/ halb ihrer Lieb ergeben/

Damit ich dennoch blieb mit ihrem Thun bekannt.

So könt ich bleiben frey. Was war mir da zu machen?

Ein gantz verborgner Trieb zog mein Verlangen hin

Zu ihrer Trefflichkeit. Die Welt mit ihren Sachen

Stund mir zwar nie recht an. Doch brachte mich der Sinn/

Die Mittelbahn zu gehn/ und Wollust zwar zu meiden/

Der schnöden Geld-Begier nicht zu ergeben sich:

Doch nicht die Sklaverey des eitlen Ruhms zu meiden/

Durch falsch berühmte Kunst empor zu schwingen mich.

Sophiam schmertzte diß: Ihr treu gesinnt Gemüthe.

Ließ doch nicht ändern sich durch meinen falschen Sinn;

Biß daß ich meine Zeit sammt ihrer besten Blüthe

In eitler Wissenschaft vergebens brachte hin.

Da zog sie mich zurück mit starcken Liebes-Seilen

Halt! sprach sie/ kennstu nicht die unverrückte Treu?

Denck nicht/ du könnst noch wol in Eitelkeit verweilen/

Und meiner vollen Gunst geniessen doch darbey.

Ach eil geschwind zurück/ laß diese Hure fahren/

Die Larven/ Schminck/ Betrug zum besten Mahlschatz hat:

Ihr Kram ist Puppen-Werck/ wurmstichig sind die Waaren/

Kein Segen keine Ruh sind bey der Thorheit statt.

Komm/ laß dein armes Hertz in meinem Schose hegen/

Nachdem es lang genug bestürmet und geplagt/

Und hin und her geweht die Winde/ die sich legen/

Wenn du der Buhlerin den Kauff hast auffgesagt.

Furcht/ Hoffnung/ Ehrsucht/ Angst/

Reu/ Schmertzen und Verlangen/

Verdruß/ Müh/ Sorgen/ Quaal war vor dein täglich Brod;

Mich sollstu ohne Noth in süsser Ruh umbfangen/

Zu leben fangen an nach so elenden Todt.

Kaum hört ich das/ so fieng die Seele an zu wallen/

Es griff mir Reu und Freud zugleich das Hertze an/

Ich mußt ihr um den Halß mit heissen Thränen fallen.

Und sagte: was hab ich Unseliger gethan?

Ich bin der Treu nicht werth/ die du auff dich genommen/

O allzu frommes Hertz! Doch laß vergessen seyn

Der Narrheit falschen Sinn. Und darff ich wieder kommen/[271]

So zieh mich gantz und gar in deine Lieb hinein.

Du sollst mein Leit-Stern seyn/ mein Leben/ mein Ergetzen/

Mein Lieb/ mein Hertz/ mein Schatz/ mein Engel/ Spiel und Ruh:

Ich will zum Siegel dich auff Arm und Hertze setzen/

Du sollst mein Alles seyn/ du liebste Schwester du!

Drauff ward ich außgesöhnt/ sie druckt ihr Liebes-Zeichen

Auff Augen/ Brust und Mund/ und ich umbfaßte sie/

Bath/ daß sie nimmer möcht von meiner Seiten weichen/

Und sie verband sich mein zu bleiben je und je.

Nun leb ich recht mit ihr in ungestörter Stille/

Ihr sanfftes Wesen macht mich ewiglich vergnügt;

Ihr Vorrath ist sehr reich/ sie gibt mir Hüll und Fülle/

Und macht/ daß unsre Eh viel 1000. Kinder kriegt/

Die vor dem Herrn stehn/ und seine Weißheit preisen.

Sophigen weiß es wohl/ wie Gottes Rath sich hält/

Wie sie sich gegen Mann und Vater soll erweisen/

Was jenem nützlich ist/ und diesem wohlgefällt.

In Summa/ nun hab ich ein reiches Weib bekommen/

Ein hold und zartes Bild. Ihr Ehrenstand ist gros/

Der Ruhm von Klugheit kan ihr niemals seyn benommen.

Es ist auffs lieblichste gefallen mir das Los.

Sie ißt und trinckt mit mir/ sie geht mit mir zu Bette/

Steht mit mir wieder auff/ schreibt/ lißt und redt mit mir/

Sie lacht und schertzet offt anmuthig in die Wette;

O selig! Wer also geneußt den Himmel hier!

Quelle:
Gottfried Arnold, München 1934, S. 270-272.
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