122.

Bericht von einer nacht-begebenheit.

[309] Woher kommt mir das, daß die mutter meines Herrn zu mir kommt?


Die trübe nacht hatt' all's mit dunckelheit bezogen,

Und mein gemüthe hatt' betrübnis, hoffnung, lieb,

Verlangen, sorg und furcht, zu diesem wunsch bewogen:

Daß Jesus doch in mir gewurtzelt ewig blieb.

Da trat im augenblick vor meines Geistes augen,

Die Weißheit, Gottes braut, nicht zwar in hohem glantz,

(Den sie sonst offtermal bey menschen pflegt zu brauchen)

Doch größer als ein mensch, von schönheit funcklend gantz,

Ehrwürdig anzusehn, liebreitzend, hold und munter,

So daß die lieb und freud mit ehrerbietung sich

Bey mir vermengt befand. Doch war bey diesem wunder

Die liebe nicht so groß, daß ich sie brünstiglich

Umfaßt hätt und geküßt. Mein elend, das mich beugte,

Und ihre Majestät die machten mich so scheu,

Daß ich mich tieff zur erd vor ihren füssen neigte,

Im zweiffel, ob ein mensch zu reden würdig sey

Mit unbeschnittnem mund. Nur dieses kont ich sagen:

O fürstin, wer du bist, sey gnädig diesem staub,

Der dir vor augen liegt. Was hat dich her getragen?

Wer ist, der meine klag vor dir zu thun erlaub?

Zur antwort ward mir nichts, als dieses: sey zu frieden?

Und damit neigte sie sich süßiglich zu mir,

Legt ihren lincken arm an meiner rechten nieder,

Und druckte mich an sich (so freundlich war sie hier)

Und gab mir einen kuß. Ich schau die rosen-wangen,

Noch immerzu vor mir, den lichten purpur-mund,

Dran tausend lieblichkeit als perlen-tropffen hangen,

Der stirnen heiterkeit, der augen helles rund.

Mir bleibt noch allezeit die ehrfurcht eingedrücket,

Die ich vor ihr vermengt mit süsser lieb empfand:

Wie, wenn ein könig sein gemahl zum bettler schicket,

So war mir, als mein Gott die weißheit zu mir sandt.

Und woher kommt mir das, war mein verwundrend fragen,[310]

Daß meines Herrn braut und mutter zu mir kommt:

Drauff hört ich selbst in mir diß nacheinander sagen:

Diß ist das zeichen, so der glaube nur vernimmt,

Und die vernunfft nicht kennt. Der held wird neugebohren,

Gewinnt in dir nunmehr die nimt die niedre knechts-gestalt,

Eh als er ferner kan zum könig seyn erkohren,

Drum bleibe vor dem Herrn, und was du hast, das halt,

Biß daß er völlig kommt. Die mutter ist gebrochen.

Nun gilt es kampff, gebet und wachen tag und nacht.

Der feind, der sich an ihm mit fersenstich gerochen,

Wird deiner schonen nicht, Er geht herum und wacht!

Doch dazu ist der Herr in dir, o seel, erschienen,

Sein werck zustören gantz. Sophia stellt sich hier

Deßwegen freundlich dar, sie will das kind bedienen,

Die perl des lebens-worts (das du nun sollst in dir

Betasten, hören, sehn) zu wärmen, schützen, hegen,

Und in dem mutter-schoos durch täglich-neue krafft

Des himmlisch reinen Geists zum leben zubewegen,

Biß daß der Vater ihm den gantzen licht-leib schafft.

Die himmel treuffeln schon, die wolcken regnen oben,

Gerechtigkeit und fried, das neue Paradis

Thut seinen schoos nun auff, will diß gewächs erhoben,

Die ruthe grünend, die wurtzel Isais.

Nur leiden sey dein thun! nur still seyn dein bewegen.

Warum? du trägst in dir des größten königs schatz.

Drum gilts behutsamkeit: wil selbst des Geistes regen

Dir regeln geben wird. Verschließ den hertzens platz

Vor deinen feinden wol, halt sinnen und gedancken

Im zaum und ordnung recht, wie dich die weißheit lehrt,

Und laß der flattrenden begierden stetes wancken

Im still-seyn sterben hin im Nichts seyn ausgezehrt.

Diß leben ist zu zart, das leicht ein gifftig hauchen

Des neidisch-argen feinds dem wachsthum schaden thut:

Ein wehen frembder lufft, ein blick von argen augen

Hemmt bald des fortgangs lauff. Drum ist die stille gut!

O wesendliche lieb! heg selbst was du gegeben,

Und was so in gefahr bey tausend nöthen ist.[311]

Ach gib mir erst nur krafft mein eigen falsches leben

Zu hassen auff den todt, was sich noch immer frist't,

Und nicht gantz sterben will. So kan ich dich erst haben

Und deiner würdig seyn. Schau wie die schlange sich

(Luc. XIV. 26.)

In alles mischet noch, und selbst die besten gaben

Durch ihren gifft befleckt: Ja wie der drache mich

Mit strömen überschwemmt, mit fluthen der gedancken

Das kind zu tödten sucht. Ach rette deinen wurm.

Der nichts als schreyen kan, wol aber aus den schrancken

Des kampffes schreiten möcht, wo du nicht in dem sturm

Compaß und ancker bist. Ach! zeuch mich in die wüsten

Der Abgeschiedenheit von aller Creatur

Und von mir selber meist: Verbirg vors feindes listen

Dem samen, der nun sproßt zur Göttlichen natur.

O druck mich tieff hinab von allen falschen höhen

Im staub, im koth, ins Nichts bey Jesu krippen hin,

Durch armuth, schmach, verlust, entsagung schmertz und wehen:

Nur daß ich doch einmal erfahre Christi sinn,

Und nicht mehr Lucifers. O schneide, stich und brenne

Und rein'ge wie du wilt. Laß feuertauff und Geist

Beständig schmeltzen fort: feg deine liebe tenne,

Und lasse spreu und stroh, seyn in die glust verweist;

Dann wird das lautre gold nach siebenfachen proben

Im feuer wol bestehn. Der held aus Davids stamm,

Wird selbst mit seinem Geist in mir den Vater loben,

Als Sohn, als jüngling und als mann und bräutigam

Wirst dus nicht alles thun, o Quellbrunn aller liebe?

Ach ja, du bist bereit, mehr als man bitten kan.

Woher auch käm mir sonst, daß sich die lieb erhübe

Die mutter meines Herrn, und macht dem selber bahn,

Der sanffte fährt einher? Aus liebe kömmts geflossen,

Was sein wahrhaffter Geist mit starckem ja ausspricht.

So will ich auch nicht ruhn, biß ich die frucht genossen;

Was gilts, ich singe noch von der geburts-geschicht!


Folgen einige bißher unbekannte auch meist von andern auffgesetzte Lieder.


Quelle:
Gottfried Arnold, München 1934, S. 309-312.
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