10.

Auß dem Hohen-Lied Cap. 1. v. 5.

Ich bin schwartz und zierlich, o ihr töchter Jerusalem, wie die (einwohner der) hütten Kedar.

[317] Ihr Salems-töchter, hört, die ihr an stein und mauren

Bindt Gottes dienst und lieb und nur auffs äußre gafft,

Aus irdisch-grobem sinn: Ihr dürfft mich wol bedauren,

Als hätt mir diese schwärtz die einsamkeit verschafft.

Ihr seht hier keine pracht, nicht kirchen-pomp noch schreyen,

Kein opffer noch altar, kein bild, kein schatten werck.

Wir sind einfältig schlecht, und heissen arme layen,

Die nicht zum Priesterthum von andern gunst und stärck

Zu holen sind gewohnt. Je schwärtzer dir von ferne

Scheint Christi braut zu seyn, o blinde unvernunfft[317]

Je mehr erblickt der Geist an diesem himmel sterne,

Wie wol noch gantz verdeckt. Wer diese Jesus zunfft,

Und ihre Glori weiß, der sucht sie nicht im schwätzen

Und in gelehrsamkeit, so die verführerin

Die schlang hat bey den baum des wissens wollen setzen,

Das der gehorsam nicht den lebens-baum gewinn.

Nein, hier gilt keine schminck der falsch-berühmten künste

Und keine deuteley, ob mans auch predigt nennt,

Auch nicht der hohe ruhm der falschen weißheits-dünste:

Was reich und weiß will seyn, wird nicht allhier erkennt.

Drum wißt, daß ich so schwartz und dürr und traurig sey

Ob eurer frechheit stoltz und groben heucheley,

Sonst könt ich wol so weiß von auß- als innen scheinen,

Wo nicht die trauer-zeit mich zwüng, euch zu beweinen.

Doch ärgert euch nicht mehr an meiner kleinigkeit,

Ihr sollt mich schön genug sehn bey der hochzeit-freud.

Quelle:
Gottfried Arnold, München 1934, S. 317-318.
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