[325] 1.
Ihr Sions-töchter, die ihr nicht
In Babylon mehr steht,
Und ohne falsches secten-licht
Dem einem lamm nachgeht:
2.
Geht aus des alten Adams hauß,
Folgt jener mutter nicht,
Die ihre lieb vom bräutgam aus
Zur hurerey gericht!
3.
Kehrt eures glaubens munterkeit
Zum Salems-König hin
Ihr wißt, wie sich sein hertz erfreut
An einem treuem sinn.[325]
4.
Was welt und feind dem fleisch vorlegt,
Das haltet nur vor koth:
Der kirch, die sich mit götzen trägt,
Seyd feind und gäntzlich todt.
5.
Laßt euren leib gantz lichte seyn
Die lampen brennend stehn:
Das öl muß seyn bereit und rein,
Wollt ihr den bräutgam sehn.
6.
Denn ist nicht hoch und wunderbahr
Die crone seiner pracht,
Die der erhöhten menschheit war
Zur herrlichkeit gemacht?
7.
Wie schmückt ihn seine mutter nicht
Auff seinem hochzeit-tag?
Daran ihm keine freud gebricht,
Noch leiden, todt und schmach.
8.
Wie trefflich war der grosse bund
Als ihm des Geistes krafft,
Nach dem er aus dem grab erstund,
Viel tausend segen schafft?
9.
Der über seine glieder floß:
Wie frölich war sein sinn,
Als dieses öl den leib durchgoß
Und zog zum Vater hin?
10.
Jerusalem, du mutter-stadt,
Daraus der Geist uns zeugt,[326]
Und die uns aufferzogen hat,
Gepfleget und gesäugt!
11.
Mehr immer deiner kinder zahl,
Und cröne Gottes sohn
Mit tausend cronen überal
Zu der erlösung lohn.
12.
Wir freuen uns mit ihm zugleich,
So offt ein edelstein
Durch wahre buß ins liebe-reich
Zur cron gesetzt wird seyn.
13.
Wir gehn heraus, und wollen nun,
Biß auff den hochzeit-tag,
In lieb, geduld und glauben ruhn,
Der uns vollenden mag.
Buchempfehlung
Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro