An den rauschenden Wellen.

[176] »Glaub' nicht, daß ich kein rechter Mann bin, ich kann nicht anders, ich muß weinen, du glaubst nicht wie viel tausend Thränen mir in's Herz gesunken sind. Es wird mir so leichter. Laß nur.« So beruhigte Bläsi, da Erdmuthe seine in's Unfaßliche gehende Erregung beschwichtigen wollte, »ich freu' mich nur, daß[176] ich dich gleich erkannt habe, du hast dich ganz verändert, aber deine Augen, die sind's noch. Jetzt sag, wie ist's denn möglich? Ist's denn wahr, daß du da bist? Wie hat's denn nur sein können? Sind's denn schon drei Jahr, seit du fort bist oder ist's erst seit gestern?«

So oft auch Erdmuthe beginnen wollte, ihre Geschichte zu erzählen, sie wurde immer wieder unterbrochen von Ausrufungen der Liebe und Verwunderung. Endlich verbot sie jede Zwischenrede und begann:

»Da an dem Platz wo wir jetzt sind, da hat mein großes Unglück angefangen, da hat sich mein Vater in's Wasser stürzen wollen, wenn ich nicht mit ihm geh', und wahr bleibt's, wie's auch kommen ist, ich bin doch seine einzige Freud' auf der Welt und unterwegs hat er mir all' Stund gedankt, daß ich ihn nicht verlassen habe. O Bläsi, glaub' mir und thu' mir die Liebe und zweifle nicht daran, ich will dir's zeitlebens vergelten, er ist an dem was mir geschehen ist, so unschuldig wie du; nur das ist sein Unrecht: er hat mir die Höll' vorgestellt wenn ich zu euch komm' und wie dein Vater dich zu todt plagt, und dir zulieb und ich kann's jetzt selber nimmer begreifen, wie mir's gewesen ist, und ich hab' auch gedenkt, du nimmst's vielleicht doch leichter und mein Vater hat sonst Niemand, der ihm ein gutes Wort gönnt, die Großen und die Kleinen fahren Alle auf ihn hinein, wenn er ein Wort sagt, und da bin ich halt fort und es ist mir immer gewesen, wie wenn das doch nicht Ernst wär' und ich käm' morgen wieder heim und doch sind[177] wir immer weiter gefahren, hundert und hundert Meilen Wegs, bis wir an dem großmächtigen Meer Halt gemacht haben, man heißt den Ort Antwerpen. Wir haben lang da bleiben müssen, bis die Anderen nachkommen sind und mein Vater hat mir jeden Kreuzer verrechnet, den er ausgeben hat, und ich hab' unser Geld immer bei mir tragen müssen, der Vater hat's nicht zugeben, daß ich's in einen Schrank verschließ' und er selber hat's auch nicht genommen; da bin ich dir immer herumgelaufen, so geplagt und ich hab' fast gar nicht gehen können und mein Herz ist mir noch viel tausendmal schwerer gewesen und ich hab' mich oft fast hintersinnt und ich hab' herausbringen wollen, warum gerad ich das Alles durchmachen muß und hab's doch nicht gefunden. Unter dem Durcheinander von den Schiffen und den Menschen ist mir so sterbensbang gewesen und wenn's kein' Sünd' gewesen wär', ich wär' in's Wasser gesprungen und wenn ich alles Geld von der Welt hätt' mit mir nehmen und in's Meer versenken können, ich wär' doch und noch viel lieber hineingesprungen. Das Geld ist doch an allem Unglück in der Welt schuld.«

Bläsi schüttelte nur abwehrend den Kopf und Erdmuthe fuhr fort:

»Wie die Frau mit den Geschwistern kommen ist, da hab' ich mein Geld in meine Truhe thun dürfen und es ist immer Eines als Wache dabei blieben. Einmal komm' ich dazu, wie der Vater mit der Frau fürchterliche Händel hat, wie ich dazu komm', sind sie plötzlich still und der Vater hat mich nachher, wie wir[178] allein gewesen sind, gewiß eine Stunde bei der Hand gehalten und mir alles Liebe und Gute gesagt und geweint. Damals ist mir das nicht besonders aufgefallen, aber nachher hab' ich dran denken müssen, was das Alles zu bedeuten gehabt hat. Am Morgen vor der Abfahrt, wie wir Alle auf dem Schiff sind, schickt mich mein' ... mein Mutter noch einmal in die Stadt, ich soll einen Sack Erbsen holen, den wir im Wirthshaus haben liegen lassen; mein Vater will gehen, aber sie leidet's nicht und er ist leider Gottes auch nicht ganz bei sich gewesen; auf das Schiff zu gehen ist ihm doch gar hart geworden und er hat sich durch den Wein den Jammer vertreiben wollen. Wie ich vom Schiff absteig', welscht Einer mit mir, aber ich versteh' ihn nicht. Ich geh' in die Stadt, ich find' den Sack nicht, es will Niemand was davon wissen, daß er liegen blieben sei; ich geh' wieder in's Schiff – Bläsi, ich hab' in's Wasser springen wollen, das Schiff ist fort und ich bin allein da, allein, ausgesetzt, verlassen und verstoßen. Bläsi, kannst dir denken wie mir's da gewesen ist ... Die Leute haben gemerkt, was mit mir geschehen ist und sie haben mich vom Boden aufgerichtet wo ich hingefallen bin und da war auch ein Deutscher und der hat mich getröstet und hat mir versprochen, er will mir helfen, daß ich den Meinigen nachreisen kann. Da bin ich gesessen am Boden und hab' nicht reden können und nicht gehen und die Leute haben mir Silber- und Kupfermünzen in den Schooß geworfen. Noch einmal Geld und immer Geld! Was will denn ich noch davon? Ich will sterben. Sie haben mich in die Stadt geführt;[179] wie ich erwacht bin, haben sie mir gesagt, daß ich lang geschlafen hätt'. Das Traudle hat mir oft Geschichten erzählt von Kindern, die von ihren harten Eltern im wilden Wald im tiefen Schnee ausgesetzt worden sind; aber schwerer als mir ist's gewiß Keinem geworden, und ich bin dir so verlassen und unbeholfen gewesen wie ein kleines Kind, das kaum sagen kann, wie sein Vater heißt. Der Deutsche, ist es ein Jud' gewesen, der selber Auswanderer hinüberschickt, hat mich umsonst über's Meer bringen wollen, ich hab' aber nicht gewollt, ich hab' bei ihm im Haus ein Jahr gedient und er und die Frau, sie ist auch eine Schwäbin, sind gut gegen mich gewesen, aber ich bin doch fort und bei Köln bin ich krank worden, und da bin ich wieder in Dienst gangen zu einem Bauer und jetzt bin ich da. Ich hab' geglaubt, du bist schon lang verheirathet, Bläsi, und ich hab' bei dir dienen wollen, und da bin ich zuerst zum Traudle, das hat auch Trauer, sein' Tochter ist ihm gestorben und wir haben einander getröstet, so gut wir haben können und sie hat gesagt: du hättest dir mein Weggehen so arg zu Herzen genommen, daß du hintersinnt seist und da hab ich dir helfen wollen –«

»Und du hast mir geholfen und ich weiß gewiß, ich wär' gestorben, wenn du nicht kommen wärst –«

»Jetzt sag' aber, Bläsi, was soll ich jetzt anfangen?«

»Du gehst mit in mein Elternhaus.«

»Nein, so nicht, das geht nicht.«

»Hast auch Recht, ich weiß schon einen Ausweg,[180] ja, das ist gescheiter. Du hast ja im Feld schaffen können. Kannst's noch ordentlich?«

»Freilich, ich hab' mich ja mit dem Traudle über die Sommerzeit verdingen wollen. Ach! ich hab' nicht glaubt, daß ich mit dir wieder zusammen komm', und doch, wenn ich sagen soll –«

»Was? Was thätest du sagen?«

»Daß das Traudle Recht gehabt hat. Ich bin wieder heimezu und hab' doch kein' Heimat, und da bin ich zum Traudle und bin grad recht kommen, ihm in seiner Noth beizustehen, seine Tochter ist ihm gestorben und da haben wir Eines über das Andere weinen können. Aber davon hat man nicht gessen, im Gegentheil, mich macht das Weinen viel hungriger –«

»Hast denn heut schon was gessen?«

»Jawohl, schau, da hab' ich noch Brod im Sack. Du hast doch ein gutes, gutes Herz, das hab' ich immer gewußt und ich hab' denkt du wärst schon lang verheirathet; am selben Abend, wo ich von dir geschieden bin, hab' ich gehört, daß du mit des Heiligenpflegers Tochter von Seebronn dich versprechen wirst –«

»Und warum bist denn doch wieder kommen?«

»Hundertmal hab' ich mir das auch auf Wege gesagt: du kannst euch Beide noch unglücklicher machen. Und doch bin ich mit dem Gedanken immer weiter gangen und ich hätt' gern dir Gutes gethan und dir gedient und deinem Vater auch, er hat es doch auch gut mit mir gemeint –«

»Ja, das hat er und er hat Trauerflor um dich angelegt und hat gesagt: du seist gestorben, und man[181] darf nicht anders von dir reden als von einer Verstorbenen.«

Erdmuthe weinte laut als sie dies hörte, Traudle aber trat herzu und schalt Bläsi, daß er der Verlassenen das Herz noch schwerer mache, das Reden solle jetzt einmal ein Ende haben, er solle sich als Mann zeigen und fest auftreten.

Mit einer Heiterkeit des Antlitzes, die gar nicht zu seinem Vorschlage paßte, die ihm aber die Freude über seinen Einfall aufprägte, erklärte nun Bläsi:

»Ich glaub' nicht, daß dich Jemand im Ort kennt, Erdmuthe, und so mit dem Tuch nun gar nicht und du mußt dich nicht kennen lassen, von Keinem. Traudle, wie hat dein' Tochter geheißen.«

»Regele« (Regina), antwortete die Gefragte mit einem tiefen Seufzer.

»Gut. Kennt man dein' Tochter in Hollmaringen?«

»Nein, sie ist nie in Hollmaringen gewesen, mein' Schwester hat sie angenommen gehabt, weil sie selber kein Kind hat. Wenn ich die Erdmuthe anseh', mein' ich noch immer mein Regele lebt und sie haben's in Lichtenhardt auch gesagt, daß sie sich gleich sehen. Warum sollen sie auch nicht? Sie sind ja Bruderskinder.«

»Um so besser,« sagte Bläsi, »Erdmuthe, du heißt jetzt Regele und bist des Traudle's Tochter.«

»Ja, ich hab' sie so lieb wie mein Kind und sie ist's auch mehr als mein eigenes gewesen,« sagte Traudle sich die Augen reibend, und Bläsi fuhr fort:

»Schon recht. Ich nehm' euch also als Taglöhner und du Regele machst, daß sich mein Vater an dich[182] gewöhnt. Nehmet euch ja in Acht, daß ihr euch in Nichts verrathet, bis es Zeit ist, bis Ich's euch sag', es wird sich schon finden.«

»Ja, beim Auskehren findet sich Alles wieder,« scherzte Erdmuthe, und wehmüthig lächelnd sagte Traudle:

»So ist's recht. Wenn du mein Regele sein willst, mußt du lustig sein, lustiger ist kein Geschöpf auf der Welt gewesen.«

»Ich glaub', daß ich die Kunst auch kann,« bestätigte Erdmuthe. Bläsi trug den beiden Frauen noch auf, zu Fuß nach Hollmaringen zu gehen, er könne sie nicht mit auf den Wagen nehmen, weil er sich zu verrathen fürchte. Leise in's Ohr sagte er Erdmuthe:

»Grab' ein bisle am Apfelbaum beim Wegweiser auf der Ackerseit', du wirst was finden, nimm es zu dir.«

Ein eigener schelmischer Zug schwebte auf seinem Antlitz als er dann laut »Regele« bat, ihn nicht zu verkennen, wenn er auch manchmal barsch und grob gegen sie sei und als eben ein Hollmaringer vorüber ging, übte er das sogleich und wiederholte in polterndem Ton die Bedingungen unter denen er die beiden Taglöhnerinnen in Dienst nahm, und ging davon.

Quelle:
Berthold Auerbach: Gesammelte Schriften, 2. Gesammtausgabe, Band 8, Stuttgart 1863, S. 176-183.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Schwarzwälder Dorfgeschichten
Schwarzwälder Dorfgeschichten
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Dritter Band
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Zehnter Band
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Rainer Moritz
Schwarzwälder Dorfgeschichten. Neue Volksausgabe.

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Noch in der Berufungsphase zum Schulrat veröffentlicht Stifter 1853 seine Sammlung von sechs Erzählungen »Bunte Steine«. In der berühmten Vorrede bekennt er, Dichtung sei für ihn nach der Religion das Höchste auf Erden. Das sanfte Gesetz des natürlichen Lebens schwebt über der idyllischen Welt seiner Erzählungen, in denen überraschende Gefahren und ausweglose Situationen lauern, denen nur durch das sittlich Notwendige zu entkommen ist.

230 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon