Siebenzehntes Kapitel.

[142] An der nächsten Kirchweih war Brosi's fünfzigjähriger Hochzeitttag. Man redete ihm viel zu, daß er seine goldene Hochzeit feiere, aber besonders Moni hatte eine Scheu und einen Aberglauben davor, und ängstliche Freundinnen vermehrten dieß noch mit der Erwähnung, daß man nach einem solchen Fest gewöhnlich nicht mehr lange lebe und Brosi, dem eigentlich doch das Herz daran hing, wollte ihr nicht zureden.

So kam der Frühling des vorletzten Jahres heran, die beiden alten Leute hielten immer fester zusammen und Moni war oft ganze Tage bei ihrem Mann und kochte im Walde. Einst sagte Brosi zu ihr:

»Wenn unser Severin käm', sag, thätest du da die goldene Hochzeit feiern?«

»Ja, wenn mein Severin käm', ja, da thu ich's, da hab' ich genug gelebt.«

»Ich mein' auch,« sagte Brosi wieder, »ich mein' ich hab's einmal in einem Lied gehört: mit dem Blumenstrauß auf der Brust darf das Herz zu schlagen aufhören. So geht mir's auch. Ich möcht' lustig sterben.«

Und als er das sagte, war's ihm, als hörte er die Stimme seines Severin.

Moni ging heim, er schaute ihr lange unwillkürlich nach. Da kam ein Landjäger durch den Wald.[142] Oft, wenn der Schultheiß und kein anderer Gemeinderath zu Hause war, kamen die Landjäger, die das Dorf passirten, zu Brosi, um sich die Stunde ihrer Anwesenheit in ihrem Dienstbuche bescheinigen zu lassen. Brosi war an ihren Anblick gewöhnt, und doch erschrack er heute als er den Landjäger von fern sah. Als er näher kam, erkannte er den Stationscommandanten, der ihn freundlich grüßte. Brosi schrieb ihm mit Bleistift die gewünschte Bescheinigung ein und sprach noch über Allerlei, da sagte der Landjäger:

»Habt Ihr nicht einen Sohn gehabt, der Wilhelm Severin heißt?«

»Ja, ja, warum? was ist?«

»Im Verordnungsblatt, das ich wegen der Steckbriefe halten muß –«

»Was? was? Was steht da?«

»Nichts Böses, da ist ein Wilhelm Severin Heller von Haldenbrunn zum Oberbaurath ernannt.«

»Ihr habt mich zum Narren, das ist nicht recht. Wenn Ihr einen Narren wollt, lasset Euch einen drechseln.«

»Thut mir leid, daß ich das Verordnungsblatt nicht bei mir hab', es steht deutlich darin.«

»Aber er wird nicht von Haldenbrunn sein, es giebt viele mit Namen Heller und es kann noch ein anderer Wilhelm Severin heißen.«

»Auf mein Wort, es steht deutlich: von Haldenbrunn. Ich bin nicht der Mann, der Spaß macht,« sagte der Stationscommandant etwas bitter.

Brosi stand da und hielt die leeren Hände vor sich[143] hingestreckt, als ob er noch ein Scheit holte; er starrte wie verloren drein und als ihm der Landjäger die Hand auf die Schulter legte, zuckte er zusammen und fuhr sich in die weißen Haare, die sich emporsträubten. Der Landjäger wollte weggehen, aber Brosi bat ihn, bei ihm zu bleiben und ihn nach Haus zu geleiten. Als sie gegen das Dorf kamen, hörten sie ein lautes Schreien und Brosi sah, wie seine Moni ihm entgegensprang, aber ihr vorauf eilte ein großer Mann und warf sich Brosi an den Hals, küßte ihn und weinte; Brosi küßte ihn wieder und weinte mit ihm – es war sein Severin.

Brosi mußte sich auf einen Steinhaufen am Wege setzen, die Knie wollten ihm brechen, Moni kam langsam des Weges, geführt von einer Dame mit wehendem Schleier:

»Agy, that is my father,« sagte Severin, und die Dame warf sich Brosi an den Hals, und es war ihm, als ob ein Engel ihn in die Arme nehme, der ihn selig aus der Welt mit fortnehmen wolle. Es kam wirklich eine leichte Ohnmacht über ihn, aber bald erholte er sich wieder, und er faßte seine Moni, und so breit als die Straße war, gingen Moni und Brosi und Severin und seine Agnes Hand in Hand das Dorf hinein. Brosi schaute immer wie verwirrt umher, wenn die schöne Frau ihm und seiner Moni die rauhen Hände küßte.

»Gott hat es doch gut gemeint zu mir, daß ich euch noch im Leben finde, wie often habe ich daran gedacht,« sagte Severin und übersetzte das seiner Frau[144] in's Englische, seine Eltern bedeutend, daß seine Frau fast gar kein Deutsch verstehe.

»Wo hast denn du ihn zuerst gesehen?« fragte Brosi seine Frau.

»O lieber Gott, denk' nur, wie ich heimkomm', ist die Hausthür offen, ich geh' in die Stub', da sitzt er mit dem goldigen Engel da auf der Bank; ich hab nicht gewußt, wo ich bin, ob noch auf dem Boden oder im Himmel, da ruft er: Mutter! Und weiter kann ich dir nichts berichten.«

»Der Severin hätt' uns doch vorher Nachricht geben sollen,« sagte Brosi halb zu seiner Frau, halb zu seinem Sohne; »so ein Ueberfall kann ja Einen auf dem Platz tödten.«

Severin erklärte, daß er schon vor mehreren Tagen geschrieben habe, sich aber, wie er sehe, im deutschen Postgang verrechnet hätte.

Als man am elterlichen Hause angelangt war, sagte die junge Frau auf das Gäßchen deutend:

»Gässle not go.«

»Hast ihr das schon gesagt?« schmunzelte Brosi und rief mit starker Stimme zu seiner Schwiegertochter: »Ist recht, ist brav,« er meinte, wenn er recht schreie, müsse sie ihn gewiß verstehen.

Um das Haus versammelte sich Alles, was im Dorfe war, und selbst in die Stube und in die Hausflur drangen sie, und die draußen standen, schauten zu den Fenstern herein und theilten sich ihre Bemerkungen über Severin und seine Frau mit. Das Rösle, das mit seinen Kindern laut schreiend und weinend daher kam,[145] hatte Mühe, sich zu dem Bruder hindurch zu arbeiten, um ihm an den Hals zu fallen. Es schickte sogleich seinen ältesten Sohn zu dem Vater, der draußen auf der Bömleswiese mähte, und Moni bat die Versammelten um einen Boten nach Endringen, um die Mariann' und den Petersepp zu holen. Drei Boten stellten einen Wettlauf an. Die junge Engländerin äußerte gegen ihren Mann ihre Freude, daß das ganze Dorf so umherstehe und Alles die Freude des Einen Hauses theile. Severin schien aber nicht dieser Meinung, er bat die Leute zuerst in freundlichem Ton, sich zu entfernen und als dieß nicht geschah, drückte er die Thüre zu und schob einige Widerwillige nicht eben sanft hinaus.

»Mit welcher Gelegenheit seid ihr ankommen?« fragte Brosi, als ob das das Wichtigste wäre.

»Mit einem Hauderer,« antwortete Severin kurz.

»Du bist nicht versteckt, sie ist sauber,« sagte Brosi auf die junge Frau winkend, die die Hand der Mutter nicht losließ, »ihre Haare glänzen ja wie Gold, und was sie ein paar Augen im Kopf hat und das helle Gesicht, die ist gewiß gut. Hat sie auch brav Batzen?«

»Nicht viel, ich bin überhaupt nicht reich, hab' aber mein gutes Auskommen.«

»Wieso hast die Anstellung kriegt? Du bist doch der im Blättle?«

»Freilich. Ich hab' einen besondern Vortheil im Brückenbau erfunden, habe ein Modell in die große Ausstellung in London gegeben; der anwesende Landescommissär erkundigte sich nach mir, und darauf bin ich angestellt worden.«[146]

Im Reden mit seinem Vater im Dialekte sprach Severin ganz geläufig, während er im Hochdeutschen, in dem er seine ersten Worte anbrachte, etwas Anfremdendes hatte und aus dem Englischen übertrug.

Moni holte sich ihre Sonntagsjacke und mahnte auch ihren Mann, doch einen ordentlichen Rock anzuziehen; als aber Agy das merkte, bat sie ihren Mann, solches zu verhindern; es muthe sie so sehr an, daß die Eltern in Hemdermeln seien. Severin dolmetschte das lächelnd, und Brosi willfahrte zu bleiben wie er war. Wir dürfen überhaupt nicht verschweigen, daß er sich seiner vornehmen Schwiegertochter recht freute, aber minder befangen war und weniger Umstände machte, seitdem er erfahren hatte, daß sie nicht reich sei.

»Wie lang bleibet ihr bei uns?« fragte Brosi.

»Bis nächsten Montag. Ich habe viel zu thun. Ich komme aber zum Herbst wieder.«

Die Mutter jammerte über diese kurze Zeit, aber Brosi sagte: »Geschäft geht vor Allem.«

»Du logirst mit deiner Frau im Auerhahn bei deinem Gevatter.«

»Nicht gern. Er hat mir den bösen Brief von Euch geschrieben.«

»Von mir? Ich hab' nichts davon gewußt, kein Sterbenswörtle.«

Und nun stellte sich heraus, daß der Auerhahnwirth die Antwort so gestellt hatte, als ob der Vater dem Severin die harten Worte sagen ließ, und das Verhältniß zwischen Vater und Sohn, das trotz aller Freude des Wiedersehns ein unausgeglichenes war, ebnete sich[147] erst jetzt, denn Severin erkannte die Unschuld seines Vaters, und trotzdem Severin noch mehr als sonst etwas Gehaltenes und Herbes hatte, ließ er sich doch herbei, seinen Vater förmlich um Verzeihung zu bitten, und reichte ihm zuletzt eine silberne Dose, darauf die Worte eingegraben waren: »Mein Mann ischt koanr.«

Anfangs stutzig, freute sich Brosi dann kindisch mit dieser Dose und sagte immer: »In England drüben haben sie mein' Red in Silber gegraben.«

Nun wendete sich der Zorn von Vater und Sohn gegen den hinterhaltigen Auerhahnwirth. Severin wollte ihm gar nicht mehr über die Schwelle gehen; aber Brosi sagte:

»Laß aus sein. Ein Mann wie du, was kann Dem am Auerhahnwirth liegen? Aber man kann sich nicht mit ihm verfeinden, er hat das einzige Wirthshaus im Ort.«

Bald kam auch des Jörgtoni's Kaspar, die Mariann' und der Petersepp. Moni wollte einen Boten an Kilian und Franz schicken, die sechs Stunden von Haldenbrunn arbeiteten und erst Sonntags heimkamen, aber Severin verhinderte dieß, man könne nun schon warten, da es einmal so lange gedauert habe und der Vater habe es ja auch gesagt, Geschäft geht vor Allem. Moni drückte es auf der Brust, ihr Severin hatte sich doch sehr verändert seit den vierzehn Jahren seiner Wanderschaft, er war freundlich und gut, aber er hatte doch etwas Schroffes, und als sie mit ihrem Manne allein war, sagte sie:

»Ich mein', der Severin hat sich doch ganz ausgeartet[148] (sich verändert), er ist doch nie Soldat gewesen, und er hat doch so was von einem alten Soldaten, weißt? so kurz angebunden. Er ist so steif wie sein Hemdkragen, der ihm fast das Ohrläpple absägt.«

»Das macht sein großer Titel und du wirst's nicht übel nehmen, das Stück Apothekerrösle, was in ihm ist, ich hab's ja immer gesagt,« bedeutete Brosi.

»Aber ein gar prächtig Weible hat er, die ist ja wie aus einem Büchsle 'raus. Wenn sie nur auch recht mit Einem reden könnt'!«

»Ja das Weible ist nicht unrecht, 's ist ein gattigs (passendes) Weible, sie ist gewiß viel bräver weder. Die Kinder von seinen Schwestern hat er ja fast gar nicht angesehen. Nun es ist mir ein Trost, daß ich ihn gut versorgt und in Ehren weiß, und weiter brauchen wir einander nicht.«

Eine Verfremdung und Bitterkeit, die viele Jahre lang sich im Gemüth eingewurzelt hat, scheint nicht mit Einemmal und plötzlich ausgestockt werden zu können; wenigstens war dieß bei Brosi und Severin der Fall.[149]

Quelle:
Berthold Auerbach: Gesammelte Schriften, 2. Gesammtausgabe, Band 6, Stuttgart 1863, S. 142-150.
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