34. König Bauer.

[93] Ein König, der keine Leibeserben hatte, verordnete in seinem Testamente, daß derjenige sein Nachfolger im Reiche sein sollte, welcher nach seinem erfolgten Hinscheiden am ersten zum Thore herein käme. Der Zufall traf, daß dies ein schlichter Landmann war, der seines Gewerbes wegen die Stadt besuchte. Alsogleich umringte und ergriff ihn das Volk, und führte ihn im Jubel zum Palast. Und der Mann wußte nicht, wie ihm geschah. Dort angekommen, wurde er in ein Prunkzimmer geführt und mit kostbaren Kleidern angethan, und mit dem Schwert umgürtet, und mit Scepter und Krone geschmückt. Das war ihm recht. Darauf geleitete man ihn, unter Trompeten- und Paukenschall, in einen reich verzierten großen Saal, und man setzte ihn auf den Thron, und alle die, welche ihn umstanden, huldigten ihm in Ehrfurcht als ihrem König und Herrn. Das war ihm noch lieber. Endlich brachte man ihn in den Speisesaal, wo die Tafel mit dem Kostbarsten gedeckt war, was man nur finden konnte, an schmackhaften Speisen und Getränken aller Art. Das war ihm am allerliebsten.[93] Und so hielt er denn Hof wie ein König, und aß und trank wie ein König, und schlief zuletzt in einem schönen großen Gemache wie ein König. – Des andern Tages aber bekam die Sache eine andere Gestalt; er sollte nun auch amtiren wie ein König. Und es standen auch schon früh Morgens, ehe er noch aufgewacht, des Reiches Beamten im Vorzimmer, und ließen sich melden: es möge Seine Majestät geruhen, ihre An- und Vorträge allergnädigst zu vernehmen. Da deckte denn der Eine viele Mängel in der Verwaltung des Staates auf, und legte weitläuftige Pläne vor zur Verbesserung derselben in den verschiedenen Zweigen; der Andere schilderte den schlechten Zustand der Finanzen, und zeigte die Nothwendigkeit, die Staatseinnahmen zu vermehren, ohne den Unterthanen neue Lasten aufzulegen; der Dritte brachte Beschwerden und Bitten und Klagen und nichts als Klagen vor von Unterthanen, die sich durch Lasten bedrückt, in ihren Rechten gekränkt, in ihrem Fortkommen gehindert hielten. Und so kam Einer nach dem Andern, mit dem und jenem, und jeder wollte von Seiner Majestät Entscheidung und Unterschrift haben. König Bauer that sein Möglichstes, wie er denn von gutem Verstande und noch besserem Willen war; aber was er da alles hören und thun mußte, war ihm einmal zu viel, und er wünschte sich in sein enges Stüblein zurück, wo ihm niemand zur Last gefallen. Mittags schmeckte ihm das Essen nicht mehr recht, trotz allem Gesottenen und Gebratenen, zumal auch, da er vor und nach Tisch die Aufwartung vornehmer Herren und anderer Höflinge an nehmen mußte, deren Gesellschaft ihm zwar sehr glänzend däuchte, aber auch sehr langweilig. Und er sehnte sich abermals zurück an seinen ärmlichen Tisch, zum schwarzen Brode, das er mindestens in Ruhe und Frieden zu verzehren gewohnt war. Nachmittags sollte große Heerschau sein, derer, die sogleich in den Krieg ziehen mußten gegen einen trotzigen und mächtigen Nachbar; und König[94] Bauer, indem er die Reihen der Krieger durchritt, bedachte bei sich den Tod und Verlust so vieler junger, kräftiger Männer, und das Elend, das über Tausende hereinzubrechen drohte, und daß er, der König, die Verantwortlichkeit auf sich lade für das Blut, das vergossen, und für all den Jammer, der verbreitet werden sollte. Und Abends legte er sich mit kummervollem Herzen nieder, und wälzte sich in peinlicher Unruhe auf dem Lager umher, und er konnte nicht schlafen. O, wie wünschte er sich da zurück in sein stilles Kämmerlein, wo es ihm vergönnt war, obgleich auf hartem Lager, in erquicklicher Ruhe die Nächte zu verschlummern! – Da war sein Entschluß gefaßt. Des andern Morgens in aller Frühe ließ er sich seine Bauernkleidung vor sein Bett bringen, die er sogleich anzog; und als die Beamten sich melden ließen, trat er unter sie, und sprach: Sei König, wer da will; ich einmal will es nicht sein. Als Landmann habe ich blos meine Lasten zu tragen; als König sollte ich des ganzen Volkes Lasten tragen. Drum sei König, wer da will! Mit diesen Worten verließ er den Palast, und ließ sich seit der Zeit nicht mehr in der Stadt sehen. – – Das ist in fernen Landen und vor undenklichen Zeiten geschehen. In unsern Landen aber und zu unserer Zeit ist es freilich anders; da will fast jeder regieren und keiner gehorchen.

Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 1, Leipzig [um 1878/79], S. 93-95.
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