41. Nachtwächter Thomas.

[104] Nachtwächter Thomas, als er Alters halber seinen Dienst aufgeben mußte, erbat sich's vom Bürgermeister als eine besondere Gnade aus, daß er fortan wenigstens die Stadtuhr aufziehen dürfe. Es sei, sagte er, ein ganz eigenes Verdienst, den Leuten zu zeigen, woran sie sind. Das wurde ihm denn gestattet, und er zog auch fleißig alle Tage nach dem Kirchgang die Uhr auf und richtete sie. Es dauerte aber nicht volle vier Wochen, als Thomas den Bürgermeister bat, er möchte ihm den Dienst, den verdrießlichen, wieder abnehmen. Man könne es, sagte er, den Leuten nimmermehr recht machen. Wenn ich auch, fuhr er fort, die Stadtuhr genau auf Gottes Weltuhr richte, so sagen doch die Einen, sie gehe zu spät, die Andern, sie gehe zu früh; zu spät, z.B., sagen die faulen Schüler; zu früh die kargen Gewerbsmeister. Und so, schloß er, mag's ihnen der Teufel recht machen, ich nicht. Hierauf versetzte der Bürgermeister: Ich will Euch einen guten Rath geben, wie Ihr alle Theile zufrieden stellen möget. Beklagen sich die Gewerbsmeister, daß die Uhr zu früh gehe, so saget nur recht freundlich: Ich will mir alle Mühe geben und dafür sorgen, daß die Uhr ganz richtig zeigt. Und beklagen sich[104] die Schüler, so saget desgleichen: Liebe Kinder, ich will allen Fleiß anwenden, die Uhr so zu richten, daß sie ganz genau zeigt. Lasset aber, fuhr der Bürgermeister fort, bei dem allem die Uhr ruhig ihren Gang gehen; nur gebet den Leuten gute und freundliche Worte, und alle werden zufrieden sein und Euch in Ruhe lassen.

Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 1, Leipzig [um 1878/79], S. 104-105.
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