44. Die guten Tage.

[107] Eine Wittwe hatte einen Sohn, der war dumm und faul zugleich. Oft, wenn er noch im Bette lag, trat sie zu ihm hin, und sagte: Hans, steh auf! Nur wer früh aufsteht, bekommt einen guten Tag. Aber Hans dachte sich dabei: Mir ist der Tag so gut genug, und blieb liegen. Endlich nach oftmaligem Bitten und Mahnen, ließ er sich einstmals bewegen, und stand früh auf, und ging hinaus vor das Thor, wie ihm die Mutter geheißen hatte. Vor dem Thor aber legte er sich sogleich wieder nieder, so daß er seine Beine über den Weg hinaus streckte, den die Aus- und Eingehenden passiren mußten. Nun hat es sich in jener Nacht ereignet, daß drei Räuber eines Reichen Haus geplündert hatten, und sie wollten nun ihre Beute vor das Thor ins Sichere bringen. Wie nun der erste Räuber des Weges ging, stolperte er über des Schlafenden Beine, und, um nicht verrathen zu werden, grüßte er den Hans, den er sogleich erkannte, und sagte: Guten Tag, Hans. Hans, ohne sich zu rühren, sprach für sich, aber laut, daß es jener hören mochte: Das wäre der erste. Er meinte, der gute Tag, den er bekommen. Gleich darauf kam der zweite Räuber, wohl beladen, und er stolperte ebenfalls, und sagte wie der erste: Guten Tag, Hans! Und Hans sprach: Das wäre der zweite. Endlich kam der dritte, und fiel über die ausgereckten Beine, und, als er aufgestanden[107] und die Waare wieder aufgeladen, sprach er gar freundlich: Guten Tag, Hans! Worauf Hans sagte: Gott Lob, das wäre der dritte. Und er wollte nun aufstehen und davon gehen. Die Räuber aber, welche glaubten, daß er sie vermeint und ihren Raub entdeckt habe, gingen auf ihn zu, und verhandelten in Güte mit ihm, und sagten: er solle Theil haben an ihrer Beute, wenn er sie nicht verrathen würde. Das ließ sich Hans gefallen; und er ging mit dem eroberten Schatze heim, und warf ihn auf den Tisch, und sagte zur Mutter: Nun hab' ich einen guten Tag bekommen. Drauf legte er sich wieder ins Bett, und schlief fort bis auf den Abend, wo er aufwachte, um wieder einschlafen zu können.

Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 1, Leipzig [um 1878/79], S. 107-108.
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