Siebentes Kapitel.

[24] So hatte denn Doctor Faustus wiederum so manches Jahr zugebracht in leichtfertiger Gesellschaft, deren er aber nun auch ganz überdrüssig worden. Das verhub er dem Mephistopheles, seinem dienstbaren Geiste; dieser aber sprach: »Wohlan! gefällt's dir nimmermehr unter gemeinem Volke, so suche das vornehme auf, und zieh gen Hof. Du bist von so einnehmenden Sitten und von so schöner Gestalt, dabei wohlerfahren in jeglicher Kunst und Wissenschaft, daß du dort überall ein willkommener Gast sein wirst.« Um der tödtenden Langeweile und dem innern Mißmuthe zu entrinnen, nahm Doctor Faustus den Vorschlag an, verhoffend, der Glanz und das Geräusch des Hofes werde mindestens seinen Geist betäuben, daß er unfähig sich fühle, in sich selbst und seinen eigenen Gräuel hinein zu schauen, und drob zu verzweifeln. Er begab sich zuerst an den Hof des Fürsten von Anhalt, der ihn auch gar gnädig aufnahm als einen Mann, den der Ruf als geschickten Heilkünstler und als einen Wohlerfahrenen in der schwarzen Kunst bezeichnet hat. Hier lebte er lange Zeit, im Kreise gebildeter Frauen und in lebhaftem Verkehr mit den Männern, die er an Curtesie überbot. Anfangs hatte er auch großes Wohlbehagen an den süßen Worten und den geschmeidigen Gebärden; aber je länger er davon kostete, desto mehr Widerwillen empfand er; denn er hatte gar bald gemerkt, daß alle die Höflichkeit nur feine Verstellung sei und eitles Gepränge. Um das täuschende Schauspiel, das sie ihm bei Hofe gegeben, dienstfreundlich zu erwiedern, beschloß Doctor Faustus, ehe er Abschied nahm, dem Herzog und allem Hofgesinde noch ein Fest zu bereiten. Er ließ während der Nacht durch seinen Diener Mephistopheles ein schönes Schloß erbauen auf dem Berge gegenüber, und dasselbe mit aller nur möglichen Pracht ausstatten und mit kostbaren Speisen und Getränken bestellen. Dahin lud er[25] des andern Tages den Fürsten ein mit sammt seinem Gefolge, und Alle gestanden, daß sie noch nie ein so schönes Schloß gesehen, noch Köstlicheres genossen hätten. Als sie aber des Abends zurückkehrten, war es ihnen freilich im Magen so eitel und öde, wie früh Morgens; und das Schloß selbst ging in Feuer und Rauch auf. Dessen ungeachtet wurde Doctor Faustus höflich bedankt. – Von dem Hofe zu Anhalt aus wandte sich Doctor Faustus nach Innsbruck, wo so eben Kaiser Carolus der Fünfte Hof hielt, von zahlreicher und vornehmer Ritterschaft umgeben. Der Kaiser nahm ihn in allen Hulden und Gnaden auf, und erlaubte ihm, daß er, so lange es ihm beliebte, an seinem Hofe verweilen dürfte und Theil nehmen an allen Feierlichkeiten und Ergötzlichkeiten. Es war aber seit langer Zeit kein so prächtiger Hof mehr gehalten worden in der ganzen Christenheit; Turniere, Festgelage, Jagden und andere ritterliche Spiele wechselten Tag für Tag ab, und Alle, die Theil daran nahmen, verblieben in einem fortwährenden Rausche von Vergnügungen. Nur Doctor Faustus lebte in peinlicher Nüchternheit; es däuchte ihm, als sitze er vor einer Schaubühne, wo Puppen unter bunten Verwandlungen ein mannichfaltiges Spiel aufführen, und wo inmitten die lustige Person, das Schicksal, Hohn und Spott treibt. Eines Tages ließ ihn der Kaiser in sein Gemach rufen, und sprach dann zu ihm: »Es däucht mich, daß Euch die Herrlichkeit meines Hofes so wenig genug thue, als mir selbst. Wer des Großen und Prächtigen so viel erlebt und genossen hat, wie ich, dem erscheint selbst der Raum zweier Welten nur wie eine Spanne, und die Zeit, obgleich fruchtbar an Thaten und Ereignissen, nur wie ein Augenblick. Drum so thut mir den Gefallen, und hebt mich, als ein weiser Mann, eine Weile hinweg über die Gegenwart, und laßt mich einen Blick thun in die Vergangenheit und in die Zukunft! Besonders wünschte ich, den großen Kaiser Alexander zu sehen, und jenen noch[26] größern Kaiser, von dem die Prophezeiung geht, auf daß ich mich an ihrer beiden Größe messen könne.« Doctor Faustus erwiderte: »Die Geister der Vergangenheit vermöge er nicht herbei zu zaubern, sondern nur ihre Schemen, und eben so stehe es nicht in seiner Macht, die Zukunft anders vor Augen zu stellen, als nur in Zeichen und Symbolen.« Auch damit war der Kaiser zufrieden, und sie begaben sich hierauf in das entlegenste Gemach der Burg, wo sie die ganze Nacht hindurch verblieben. Was sie jedoch dort vorgenommen, geschaut und gedeutet haben, das ist zu keines Menschen Ohren gekommen. Wol aber hat man bemerkt, daß mit dem Kaiser eine gänzliche Umwandlung des Innern vorgegangen; denn seit der Zeit an zeigte er sich still und düster und in sich gekehrt, bis er endlich von der Welt Abschied nahm, und im fernen Hispanien in ein Kloster ging, wo er starb.

Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 2, Leipzig [um 1878/79], S. 24-27.
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