Fünfter Auftritt.

[278] Marcus mit einem Römer, einem Sklaven und einer Sklavinn. Die Vorigen.


Herr! seh' ich gleich hier

durch List und Eile meiner Gegner, mich

schon angeklagt, so komm ich dennoch als

ein Kläger vor dein heiliges Gericht –

nicht von erbethnem Volk und Günstlingen,

von meinem Rechte nur und meinen Zeugen

begleitet – nicht mit Schreyn und kühnem Trotz –

mit Ehrfurcht, dem Gefühl des guten Bürgers.

APPIUS.

Verdienst du deßhalb Lob, so bringet doch

der Schritt, den diesen Morgen du gewagt,

nicht mindern Tadel dir. Mit welchem Rechte

fielst du Virginien auf offnem Platze

ja! räuberisch beynah, mit Knechten an?

MARCUS.

Vergib! den Herren ists von dem Gesetz

erlaubt, entwichne Sklaven, wo sie sind

zu greiffen. Daß ich Herr des Mädchens bin,

werd' ich beweisen. Das, was mich bewog,

durch Überfall mich ihrer zu bemeistern,

war ihre Freundschaft mit Icilen, Ihm,

dem mehr als jedes Recht, sein Vortheil gilt,

wär auch Gewalt und Mord der Weg dazu.[278]

Dem auszubeugen faßt' ich den Entschluß,

sie still und unvermuthet einzuziehn.

Und doch war meiner Vorsicht Nutzen klein.

Vermuthlich schon belehrt von meinem Recht'

auf seine – Freundinn, sprang bewaffnet er

sogleich herbey, entflammte gegen mich

des Volkes Zorn, und raubte mir, das Schwert

in kühner Faust, bey tausend Lästrungen

mein Eigenthum.

APPIUS.

Du hast dein Schwert gezückt?

ICILIUS.

Dem Bösewicht das Herz, ständ' er nicht ab

von seinem Frevel, zu durchbohren.

APPIUS.

– Gnug!

Die ganze Schuld des sträflichen Tumults,

und aller Folgen, trifft nur Den von euch,

Deß Anspruch auf das Mädchen ungegründt.

Erweise nun den deinen, Marcus! sonst

verdammt mein Urtheil Dich.

MARCUS.

Virginia –

aus Irrthum so bis diesen Tag genannt –

ist Dieser, meiner strafbarn Sklavinn Kind.

Ihr both vor der Geburt für ihre Frucht

die Gattinn des Centurio Virgin

sechs tausend Stück Sesterzien. Treulos schlug

die Sklavinn ein – und treulos brachte gleich

nach der Geburt – Der hier, der Sklavinn Mann,

der Käuferinn das Kind; und ward bezahlt.

Und Dieser hier, ein freyer Mann, bezeugt,[279]

daß dazumal sein Weib ein ganzes Jahr

im Hause Numitors, dem Nahmen nach

als Wärterinn des Kinds, doch insgeheim

als dessen Amme war. Zwölf Tage sinds,

daß mir der Mutter Reue den Betrug

entdeckte – den sodann auch diese beyden

bekannten und beschworen. Gab ihr Eid

mir nicht das Recht zu nehmen, was Gesetz

und Schicksal mir als Eigenthum verliehn? –

So war die Sache Herr! vernimm nun selbst

durch einen neuen Eid, und vor ganz Rom,

die Zeugen! – Mir hingegen, den der Himmel

mit Gütern segnet, bleibt nichts mehr zu thun,

als folgsam einem warmen Trieb des Herzens,

die Summe Geldes, die Virginius

durch diesen Kauf verlor, dem Ehrenmanne

verdoppelt zu ersetzen.


Er reicht dem Appius einen Beutel mit Geld.


Laß es Herr!

indeß für ihn verwahren.

APPIUS indem er den Beutel nimmt, und einem Officier gibt.

Diese That

ist deines Nahmens werth. – Man nehme gleich

den Eid der Zeugen auf! hier öffentlich!

Nicht nur die Rechtenden, ganz Rom hör' ihn! –

Nun Numitor! was wendest du noch ein? –

Leg' in die Waag' Asträens ein Gewicht,

das dem Gewichte deines Gegners gleicht! –

Begehrst du noch Bestrafung seiner That?

NUMITORIUS.

– Herr! Alles was ich noch begehren muß,

ist Zeitverlängerung, Verschub des Eides.

Virgin, den dieser Eid unglücklich macht.[280]

ist wenig Meilen nur von Rom entfernt,

Sein Werth ist, wie ganz, Rom auch Dir bekannt.

Er blutet jetzt vielleicht für Rom und Dich.

Kann man in dieser Zeit ihm, unverhört,

ein Urtheil, ein so schmerzlich Urtheil, sprechen?

APPIUS.

Nützt' im geringsten nur der Aufschub ihm,

ich spräche: ja! Doch, was vermag er hier?

Er weiß nicht mehr als Du von dem Betruge

der Gattinn; und sein Schmerz wird noch ...

ICILIUS.

Sein Schmerz?

dich rührt sein Schmerz? Dich? – Wohl, ich glaube dir:

nur zeig' in Thaten erst uns dieß Gefühl!

Was Numitor begehrt, ist Billigkeit,

ist Pflicht. Vernimm den Vater erst, eh du

sein einzig Kind auf Anklag – eines Marcus,

ihm absprichst, und im Schattenreiche noch

die Gattinn ihm entehrst! Wer weiß, ist Ihm,

ist ihm allein, nicht irgend eine That

bekannt, ein Umstand, vortheilhaft für ihn,

ein Fall, der seiner Gegner Ungrund zeigt,

der ihren Meineid hemmt, und der Dich selbst

vor einem schrecklichen Vergehn bewahrt.


Es entsteht Bewegung und Geräusch unter dem Volk.


APPIUS.

Schweig Kühner! – Däuchst du dich vielleicht gleich Mir

als Richter hier zu seyn? – Selbst im Olymp

ist Einer nur!

ICILIUS.

Der aber niemals irrt!

In Rom dünkt Niemand noch sich unfehlbar.[281]

Du nennst mich kühn? ich bins! bin strafbar auch,

Wenn nicht der größte Theil der Edlen hier


Auf das Volk zeigend.


Mit Mir gleich denkt und fühlt. In ihren Blicken

erkenn' ich dieß Gefühl Auf Römer! sprecht!

sagt mit dem freyen Muth, der Römern ziemet,

ob ihr nicht Eines Sinnes mit mir seyd!

RUFFUS.

Ich bins!

QUINTUS.

Ich bins!

ALLE.

Wir Alle sind's!

ICILIUS.

Denk nun,

Decemvir, wie ...

APPIUS.

Genug! Ich hörte dich.

Dein Frevlermund, der Lästerungen Sitz,

hat nie für mich der Überredung Kraft.

Allein das Volk verlangt die Gegenwart

Virgins; was Dieß verlangt, beacht' ich stets.

Ich friste noch bis Morgen Meinen Spruch.

Fünf Stunden nur bedarf Virginius

zur Reise. Vibulan soll ihn sogleich

uns senden! Bis dahin bleib' Jedermann

in Ruh – versichert meiner untäuschbaren

und strengen Billigkeit!


Er will aufstehen.


MARCUS.

Herr! deinen Willen

– zwar höchst ungünstig mir – bestreit ich nicht.

Doch Herr! mein Recht, das als erwiesen, Kraft

schon vor dem Spruche hat, erlaubt, erheischt,[282]

daß ich das Mädchen jetzt in Meine Hut,

aus dem Besitze meiner Gegner bringe.

Ich nehme sie mit mir.

ICILIUS.

Nein Claudier!

bey allen Göttern schwör' ich, Nein!

MARCUS.

Willst Du

vielleicht der Schönen Hüter seyn?

ICILIUS.

Nicht Ich!

ihr Oheim, der den Vater noch vertritt.

MARCUS.

Wo freyer Zugang dir verstattet ist? –

Nein Herr! das geht zu weit! Ihm und ganz Rom

um Hohngelächter dienen will ich nicht.

APPIUS.

Das sollst du nicht. Nach altem Brauche wach'

indeß das Auge des Gerichtes über sie!


Zum Lucius.


Nimm in Verwahrung sie!

ICILIUS indem er sie bey der Hand ergreifft.

Nein! Niemand soll

nur einen Augenblick sie mir entziehn!

APPIUS.

Ha Frevler!

ICILIUS.

Schein ich gleich das itzt zu seyn,

so bist doch Du Tyrann es mehr als Ich![283]

Hört Römer, einen Plan des Frevels, nie

gehört! so wichtig für ganz Rom, als Mich!

Nicht unsre Freyheit nur ist in Gefahr,

auch eure Ehr' ihr Väter! eure Tugend

ihr Töchter! eure Ruh ihr Gatten! ists.

Der Bösewicht ...

APPIUS.

Lictoren! reißt ihn fort!

ein Sturz vom Felsen lähm' auf ewig ihm

die Lästerzunge! Fort!


Die Wachen ergreiffen ihn.


VIRGINIA.

O Himmel! Schon'

ihn Herr! bey Allem was dir heilig ist!

ICILIUS.

Könnt ihr das sehn ihr Römer? gebt ihr zu,

daß man mich tödtet, eh ihr mich gehört?


Die Wache will ihn abführen.


QUINTUS.

Laß uns ihn hören Appius! er will

von seinem Recht und unsrer Freyheit sprechen.

RUFFUS.

Wer das ihm wehret, ist ein Feind des Volks!

APPIUS.

Euch täuschen, Mich verleumden will er nur.

RUFFUS.

Dann stürz' er vom Tarpejer Fels, eh nicht!

APPIUS.

Auch Du Verwegner, willst gebieten hier?[284]

QUINTUS.

Er fodert Billigkeit; es sprech' Icil!

ALLE.

Es sprech' Icil!

ICILIUS.

Vernehmt ihr Bürger Roms!

Der kühne Wüthrich, der Virginien

dem Oheim rauben und Mich tödten will,

strebt lange Zeit schon ihrer Ehre nach.

Nie hat die Höll' ein Mittel der Verführung

ersonnen, das nicht dieser Wollüstling

versucht. Umsonst bemüht, durch Ränke sie

in sein verfluchtes Netz zu ziehn, entwarf

mit seinem Freund und Kuppler er den Plan,

für dessen Sklavinn sie, durch Miethlinge

des Meineids zu erklären. Nun erwägt

ihr Römer! ob nicht Ehr und Freyheit Roms ...

APPIUS.

Genug ist! – Kein Rednerblumen – wie

du täglich, als des Aufruhrs Saamen, streu'st!

die Klag' ist angebracht! Beweise nun!

und Appius verdammt sich selbst – wo nicht –

den kühnsten der Verleumder, zu dem Tode. –

Kannst du durch sichtbare Beweise, Rom,

daß deine Klage wahr ist, überführen?

ICILIUS.

Dem Auge zeigbare, besitz ich nicht.

APPIUS.

Sahst Du, sah sonst Ein Römer jemals mich

mit Dieser sprechen? mich nur nähern ihr?[285]

ICILIUS.

– Du sprachst durch Unterhändler.

APPIUS.

Nenne sie!

Ich will die Frevler sehn, die meinen Nahmen

mißbrauchten. Zeige sie! daß Ich – entlarvt

als Lügner sie, den Römern zeigen kann!

und ihr Verbrechen wird Entschuldigung

des deinigen.

ICILIUS.

– Sie sind nur Dir bekannt.

APPIUS.

– Verwegener! du hast den Tod verdient:

und sollst ihm nicht entgehn!

VIRGINIA.

Ach Appius!

verzeih! Ich bin es, Ich, die sterben muß!

Ich sag' ihm, daß man oft Auffodrungen

zur Lieb' in deinem Nahmen mir gebracht.

APPIUS.

Wer brachte sie?

VIRGINIA.

Mir Unbekannte, die ...

APPIUS.

Betrüger! – Doch ich merke deinen Zweck.

Du nimmst vergebens Theil an seiner Schuld.

Nur Er hat mich beschimpft: – nichts rettet ihn! –

Nun Römer! sagt' ich es euch nicht vorher,

Euch täuschen, Mich verleumden würd' er nur? –

Und doch begehrtet ihr mit Ungestüm[286]

von mir, den Lästerer zu hören? Ihn,

der nie den Mund eröffnet, als um Gift

auf mich und meine Handlungen zu hauchen?

Ihn, der mich hassen muß, weil aufmerksam

auf jeden seiner Schritt', ich glücklich schon

so manch Geweb des Aufruhrs ihm zerstörte? –

Doch – eure Neugier, Römer nützet mir:

sie schafft mir Licht, sein Herz euch zu beleuchten.

Fehlt es ihm an Beweisen wider Mich,

Mir fehlt es nicht daran, wie schamlos er

mir Liebe für dieß Mädchen angedichtet,

euch darzuthun. Nur muß erst Marcus Sache,

die listig er zu unterbrechen sucht,

entschieden seyn!

MARCUS.

Verzeih, o Herr! Warum

ließ' Appius aus Eifer sich herab,

was schon erwiesen ist – die Lüg' Icils –

noch Einmal zu beweisen? Wäre sie

selbst Wahrheit – brächte sie wohl Vortheil ihm?

Hätt' er auf meine Sklavinn denn mehr Recht,

wenn deiner Liebe du sie würdigtest?

und daß sie Sklavinn ist, hab ich gezeigt.

APPIUS.

Auch würd' ich, angeklagt von Jemand andern,

mit diesem Siege mich begnügen, und

gehüllt in meine Unschuld – ihm verzeih'n.

Bey Diesem Gegner ist das nicht das Ziel,

wo Roms und meine Rache ruhen darf.

Sein Tod nur ists – die lang verschobne Strafe

des Meuterers, der Zwist und Unheil schon

so vielmal unter uns gebrütet hat;

dem Rathschlüss' und Gesetze Spielwerk sind;[287]

der täglich Rom in seinen Häuptern schmäht

und Spott auf unsre Staatsverfassung wirft;

der – um ein Mädchen – heut vielleicht den Staat

in Aufruhr, Rom in Brand zu setzen waget.

Zwar könnt' ich – trotz dem Anhang, der dich stützt,

sogleich, Verleumder, dich zur Strafe ziehn;

Doch bis zum Ausgang Seiner Sache


Des Marcus.


sollst

du leben! frey, selbst Augenzeuge seyn!

Noch mehr! bis morgen kann Virginia

in ihres Oheims Haus – doch ohne Dich


Den Icil.


zu sehn, verbleiben.

MARCUS.

Herr! soll ich nun sie,

die jetzt vom höchsten Werthe für mich ist,

dem Oheim, der nicht Oheim ist, vertrau'n?

Wer leistet Bürgschaft mir?

NUMITORIUS.

Ich selbst!

MARCUS.

Bist Du

mir Mann?

ICILIUS.

Ich bürge mit!

RUFFUS indem er den Arm empor strecket.

Auch ich!

DAS VOLK eben so.

Wir alle!

APPIUS indem er aufsteht.

Genug ihr Bürger Roms! verlasset nun

ohn' Aufenthalt das Forum; ich will selbst

der Letzte hier verbleiben! meidet es

bis morgen zu der Stunde des Gerichts,

damit Roms Ruh indeß kein Zufall störe!


Alle gehen auf verschiednen Orten ab.


Quelle:
Cornelius von Ayrenhoff: Sämmtliche Werke. Band 2, Wien 1802, S. 278-288.
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