Zweyter Auftritt.

[292] Icilius mit zwey Fackelträgern, einem am Kopfe verwundeten Sklaven, und einigem Volke. Die Vorigen.


ICILIUS.

Dank euch, ihr Freunde! Dank, daß euer Ohr

auch dießmal meinen Ruf so willig hörte!

Ich wünsch' in Dingen, wichtig für ganz Rom,

mir euern Rath.

RUFFUS.

Die Meinung nur Icil!

das Rathen bleibe stets Dir vorbehalten!

Doch – deinen überlauten Ruf, Icil,

wird Appius ihn nicht mißbilligen?[292]

ICILIUS.

Gewiß mißbilligt ihr den Anlaß, den

er selbst dazu mir gab, nicht weniger.

Ihr Römer kennt ihr diesen Blutenden?

QUINTUS.

– Wer ist er?

ICILIUS.

Ein getreuer Knecht Virgins.

RUFFUS.

Virgins?

ICILIUS.

Virgins! das heißt wahrscheinlich jetzt:

Knecht eines todten Herrn.

RUFFUS.

Todt? todt Virgin?

ICILIUS.

So todt, unfehlbar, als mein Bruder, mein

geliebter Bruder, der zugleich mit ihm

gemordet ward, und diesen Augenblick

in meinen Armen starb.

RUFFUS.

Dein Bruder todt?

QUINTUS.

O schreckenvolle Nachricht!

ICILIUS.

Hört den Gräul,

desgleichen man in Rom noch nie gehört! –

Gleich gestern nach des Marcus Angriff auf

Virginien, schickt ich den besten Bruder

mit dieser Nachricht zum Virginius.

Sein Kind zu retten, brach der zärtlichste[293]

der Väter unverweilt mit meinem Bruder

und dem getreuen Knecht von Algid auf.

Kaum tausend Schrittte noch von Rom entfernt,

bemerken sie, dicht an der Straße, sechs

Bewaffnete. Sie zücken nun ihr Schwert.

Sogleich fragt Einer: Ist nicht unter euch

Virginius? – Wer seyd ihr? spricht Virgin.

Er ists! ruft Einer – als ein Andrer schon

den tapfern Mann durchbohren will. Doch Er

lenkt ab den Stoß, indem des Mörders Haupt

mein Bruder spaltet. Aber ach! Den stößt

ein Andrer mit der Lanze von dem Pferd',

und bringt ihm liegend noch vier Wunden bey.

Beynah zugleich stürzt man den Diener auch

durch einen Schwertstreich auf den Kopf, vom Roß.

Man glaubet Beyde todt. Virginius

bleibt itzt allein im Kampf mit Fünfen. Schließt

auf sein Geschick – das jetzt noch unbekannt! –

Nach einer Weil' erhohlet sich der todt

geglaubte Diener: denn sein Zustand war

Betäubung nur von einem harten Streiche,

der doch zum Glück, nicht eindrang. Er sieht nun

nicht seinen Herrn, und nicht die Mörder mehr.

Mein Bruder nur liegt sterbend da. Den nimmt

der edle, treue Sklav' auf seine Schultern,

und trägt, selbst blutend, ihn bis in die Stadt.

Doch ach! er ist nicht mehr! Von meiner Brust

rafft' ihn, ihr Römer, mir der Tod hinweg.

Kaum hatt' er Kräfte, mich Unglücklichen,

mich Mitursach' an seinem frühen Tode,

noch seiner Liebe zu versichern, und

um Rache seines Bluts, die Höllengötter

noch anzuflehn![294]

RUFFUS.

O Gräul!

QUINTUS.

Beym Jupiter!

wie du gesagt, in Rom noch nie gehört!

ICILIUS.

Und Wo gehört? – Nun Römer, euern Rath!

Mein Bruder und Virgin sind euch bekannt:

däucht dieser Edlen Mord nicht sträflich euch?

RUFFUS.

Ward ein so sträflicher noch je verübt?

QUINTUS.

Gewiß nicht!

ICILIUS.

Doch an Wem soll man ihn strafen?

Wer scheinet wohl der Thäter euch zu seyn?

RUFFUS.

Der Schein sagt, Marcus!

ICILIUS.

Nein! sagt, Appius!

sagt, der Tyrann, deß Kuppler Marcus ist –

der ohne nur den Vater eh zu hören,

die Tochter in des Kupplers Hand zu spielen

getrachtet, bis mit Ernst Ihr es verwehret.

QUINTUS.

Für wahr! den Appius trifft mehr Verdacht,

als deinen Gegner selbst. – O schwarze That

vom mächtigsten der zehn Beherrscher Roms![295]

ICILIUS.

Nur leider! nicht die letzte dieser Art,

sind wir noch länger feig genug, das Joch

der zehn verbündeten Tyrannen Roms

zu tragen, feig genug den Wüthrichen

Roms Freyheit, Glück und Ehre preis zu geben.

Und Wer ist seines Glückes sicher – Wer

des Lebens nur, da nicht Virgin es war?

Wer kann noch für ein Gut sein Daseyn schätzen?

Wer wünschen, Kinder für den Staat zu zeugen,

darf ungestraft ein mächt'ger Wüthrich ihm

die Söhne morden, und zur geilen Lust

die Töchter rauben? – Sagt, ihr Bürger Roms!

Zu welchem Zweck habt ihr die Könige

verjagt? War's ihre Laster einst von andern

Tyrannen höher noch getrieben, Euch

noch tiefer unters Joch gebeugt zu sehn?

War nicht Ein Wüthrich euch erträglicher

als Zehn – als tausend denn, empfindet ihr

den Druck all ihrer Anverwandten nicht,

der unersättlichen Patrizier,

die eure Güter euch aus Habsucht rauben,

und euch aus Stolz verachten? Beydes dürfen,

seitdem euch Appius, in den Tribunen,

den Zaum aristokratscher Macht entriß. –

Und Was denn, welch Verdienst hebt über Euch

die stolzen Wüthriche so hoch empor?

Ists Tapferkeit? O zählt den feigen Schwarm

der ihrer Pflicht vergeßnen Optimaten,

die sich dem Krieg entziehn und Schamlos, Rom

und sich, von uns Plebejern schützen lassen.

Ists Liebe für das Vaterland? Weht wohl

ihr Geist in denen, die dem Vaterlande

bald Sicciuse, bald Virgine morden?[296]

Die Haufen Golds zu sammeln, Nebenbürger

zu Bettlern wuchern; die wie Marcius,1

Roms Feinden wider Rom als Führer dienen? –

Sinds andere Tugenden? O Tugend! kennt

die zügellose Brut, so lange schon

in Rom der Sitten Pest, und jeder Art

Lasters Beyspiel, deinen Werth? –

Doch warum sprech' ich noch von Dingen euch,

die Jedem so bekannt sind als mir selbst?

Wer fühlt den Unwerth der Tyrannen Roms

nicht eben so, wie ihre Tyranney?

Sie zu vernichten sey jetzt unser Zweck!

und dazu beuth sich uns Gelegenheit.

Hört Freunde! dieser Mord kann in ganz Rom

nur Ein Gefühl, nur Einen Trieb erregen:

Tyrannenhaß und Rache! Jetzt schon denkt

Roms größter Theil wie wir. Der Tod Virgins

ist Zunder für ein allgemeines Feur

im ganzen Staat. Nur Einen muth'gen Streich

zum Zeichen der Entschlossenheit! so stürzet

der zehenköpfige Koloß, die Schmach

und Geißel Roms, noch heut zu euern Füssen.

Auf Brüder! Laßt uns aus der Knechtschaft Schoos

entfliehn, und heute noch die heil'ge Höh',

schon unsern Vätern einst der Freyhet Wall,

besteigen – laßt alldort uns standhaft harren,

bis von dem Joch der Zehner wir befreyt,

wir wieder Römer sind – und im Triumph

zurücke kehren, Dank für unser Glück

den großen Göttern zu entrichten! kommt!

Laßt uns vertheilt, nach unsern Wohnungen

hineilen, stets mit lautem Ruf den Mord

Virgins, und unsern Zweck verkündigend![297]

Laßt uns die beste Hab' und Gattinnen

und Kinder, so behend den sieben Hügeln

entführen, daß wir eh den Anio

erreichen, als Gewalt uns hindern kann;

daß Roms Tyrann schon bey dem heutigen

Gericht, nicht Einen echten Römer sehe! –

Kommt! – – Doch – ihr regt euch nicht? ihr schweigt? – Erklärt

mir Freunde dieß! Mißfällt mein Vorschlag euch?

– Sprich edler Ruffus!

RUFFUS.

Mir, Icil, mißfällt

kein Vorschlag, zweckend auf Tyrannensturz.

Doch Dieser Vorschlag – ist er nicht bedenklich?

Zu wahr nur leider! ist die Schilderung,

die du von unserm Zustand uns gemacht:

auch wahr, daß jedes Römers Pflicht es ist,

sich von der Knechtschaft Ketten los zu reiffen.

Doch ists nicht Übereilung, um den Tod

Virgins, aus Rom zu fliehn, eh man mit Grund

ein Werk des Appius ihn nennen kann? –

Gesetzt, der Schein betrög', und Appius

erwiese schuldlos sich: wie wenig blieb'

uns dann zu hoffen von des Heeres Beystand!

Wir wären nicht, beym grösten Muth und Glück,

vermögend uns vor des Decemvirs Macht ...

ICILIUS.

So zweifelst du, daß Er der Mörder ist?

RUFFUS.

Ich glaub' es, – doch, kann bloßer Glaube da,

wo selbst der leuchtendste Beweis noch kaum ...


Quelle:
Cornelius von Ayrenhoff: Sämmtliche Werke. Band 2, Wien 1802, S. 292-298.
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