[298] Virginia. Albina. Die Vorigen.
VIRGINIA.
Ah Römer! wer ihr immer seyd! entdeckt ...
ICILIUS.
Virginia!
VIRGINIA.
Ha mein Icil! – ists wahr,
wahr das entsetzlichste Gerücht, es sey
mein Vater, der verehrungswürdigste
der Väter, auf der Straß' ermordet worden?
– Du schweigest – Götter!
Sie sinkt Albinen in die Arme.
ICILIUS.
Hilf o Himmel! hilf
der edelsten und tugendhaftstes Seele,
womit die Schöpfung je geprangt! – O Freunde!
Seht hier, wohin in Rom die Tugend führt!
Seht am Decemvir, was das Laster gilt!
RUFFUS.
Unglücklichs Paar! wie jammert mich dein Loos!
ICILIUS.
Virginia! – – blick auf geliebte Braut!
Icil, dein zärtlicher Icil, fleht dich darum!
VIRGINIA.
Icil? – – Mein Vater todt – gemordet todt?
O Himmel! lohnest du der Tugend so? – –
Wer? Wer hat ihn gemordet?
Zum Ruffus.
Du? doch nein![299]
du bist der edle Mann, der gestern mich
ergrimmten Löwen aus den Klauen riß,
– Du hast nicht wohl gethan, zu güt'ger Freund!
Ohn deinen Beystand wär' ich schon erblaßt,
und Er, mein lieber Vater, lebte noch!
– Doch – habe Dank! du dachtest gut für mich. –
Nur hilf itzt, edelmüthger Mann, mir auch
den Vater rächen! Sieh! sein Schatten schwebt
um mich! ruft laut mir Rache zu! hilf mir
ihn rächen! hilf mir! ich beschwöre dich! –
Komm!
ICILIUS.
Ach Virginia! erhohle dich!
VIRGINIA.
Erhohlen? – Sollt' ich das bedürfen? – Ha!
du glaubst, ich schwärme? – nein Icil! – Ist denn
der Trieb, des Vaters Mord zu rächen, nicht
der Tochter Pflicht? – Doch mein Geliebter! sprich:
was brachte dich hieher? Vergaßt du denn
daß Mich zu sehn, dir nicht verstattet ist?
Fleuch mein Icil! dein Gegner Appius
ist mächtig; mit dem Felsen droht er dir:
Er kann im Grabe Mütter noch entehren,
und Väter morden, um die Töchter dann
zu schänden. Schrecklich! – Doch beym Jupiter!
das Letzte wird er nicht! das schwache Mädchen
weiß noch ein Mittel, unentehrt zu sterben.
Zur Rache nur, zur Rach' ist sie zu schwach –
denn Thränen rächen nicht solch Blut. – Zu schwach?
– O Nein! brauch ich denn mehr als einen Dolch
und Muth? Besitz' ich Beydes nicht schon itzt?
Ja Vater, heiligster der Schatten! ja!
Schon eil' ich hin zu deinem Mörder, ihm[300]
den Dolch ins Herz zu stoßen! stärke Du
nur meinen Arm, mein Muth ist stark genug!
Sie will fort.
ICILIUS indem er sie zurückhält.
Virginia! bey allen Göttern! bleib!
Willst du dem Bösewicht, der auf dich lauert
selbst in die Schlinge gehn? –
VIRGINIA sich besinnend.
Nein! – – nein Icil! –
Das wäre schrecklich! – Doch – – Ah mein Verstand! –
ICILIUS.
O Römer! rührt euch Alles dieses nichts?
QUINTUS.
Ganz werde der zu Stein! den es nicht rührt!
ICILIUS.
Wohlan! helft mir sie retten, edle Freunde!
das Mittel sagt' ich euch.
VIRGINIA.
Mich retten? Sie?
Könnt ihr es Römer? O so rettet mich!
für Ihn, für den Geliebten, rettet mich!
Nur Römer! Laßt den ersten Schritt zur Rettung
des Vaters Rache seyn: Versühnen wir
nicht seinen Geist, so bleibt kein Heil für mich.
ICILIUS.
Mein Vorschlag führt zu Beydem uns zugleich.
VIRGINIA.
O dann ihr Römer, rettet mich! Entreißt
dem Unthier mich, das mich verschlingen will![301]
Euch lohnen kann ich nicht; ich habe nichts
als Thränen und ein dankbars Herz. Allein
ich weiß, ihr liebtet meinen Vater, liebt
Icilen, und bewahret Herzen in der Brust,
die fühlbar für das Leid der Unschuld sind.
O seht mich knieend euch um Hülfe flehn!
Nicht nur für Mich, für alle Töchter Roms,
für eure Töchter und Gemahlinnen,
beschwör' ich euch um Schutz: denn aller Ehre
wird gleich der meinigen bedroht. Verschmäht
des Unglücks Thränen nicht, ihr edlen Seelen!
und laßt mich nicht des Lasters Beute werden!
RUFFUS indem er sie aufhebt.
Halt ein Virginia! du folterst mich,
durchbohrst mit jedem Worte mir das Herz!
Ich kann nicht widerstehn. Icilius!
ich folge deinem Rath.
QUINTUS.
Auch Ich, Icil!
und hießest du mich nach dem Orkus zieh'n
ICILIUS.
An meine Brust ihr Freunde.
Er umarmet beyde.
Zum Volke.
Ganz gewiß
regt, Brüder, sich in euch ein gleich Gefühl?
EINIGE VOM VOLK.
Ja!
ALLE.
Ja!
RUFFUS.
Wohlan! in größter Eile nun
zu Werk! Auf Wiedersehn am Anio!
Indem sie eben auseinander gehen, kommt Virginius.
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Ohnerachtet Schande und Laster an ihnen selber verächtlich / findet man doch sehr viel Menschen von so gar ungebundener Unarth / daß sie denenselben offenbar obliegen / und sich deren als einer sonderbahre Tugend rühmen: Wer seinem Nächsten durch List etwas abzwacken kan / den preisen sie / als einen listig-klugen Menschen / und dahero ist der unverschämte Diebstahl / überlistige und lose Räncke / ja gar Meuchelmord und andere grobe Laster im solchem Uberfluß eingerissen / daß man nicht Gefängnüsse genug vor solche Leute haben mag.
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