[302] Es wird Tag.
Virginius mit einem Bürger. Die Vorigen.
VIRGINIUS.
Weilt Römer! weilet noch!
RUFFUS.
Virginius!
ALBINA, ICILIUS, QUINTUS zugleich.
Virginius?
VIRGINIA.
Mein Vater!
Sie eilet ihn zu umarmen.
VIRGINIUS.
O mein Kind!
Dich seh ich wieder! seh trotz den Entwürfen
der Hölle, dich noch frey! – noch unbefleckt?
VIRGINIA.
Ja liebster Vater, ganz noch Deiner werth,
sonst hättest du nicht lebend mich gefunden.
VIRGINIUS.
Dank Himmel! ich erkenn' an diesen Worten
die Tochter – spräche sie ganz Rom mir ab!
Noch Einmal, liebes Kind, an meine Brust! –
Und Du Freund, ohne den schon tochterlos
ich wäre, Du mein Sohn! laß dich umarmen.
Sie umarmen einander.
Doch sprich Icil – ich zittre bey der Frage! –
weißt du vom Schicksal deines Bruders nichts?
ICILIUS.
Ach Alles, Herr – bis an sein Ende![303]
VIRGINIUS.
Götter!
ICILIUS.
– Dein guter Diener
Er zeigt auf ihn.
bracht' ihn – sterbend mir.
VIRGINIUS.
O Himmel! – um sein Blut floß Meinetwegen!
ICILIUS.
Floß aller Römer, und der Freyheit wegen.
Und deßhalb gibt ihm Rom – sie hier! – auch Rächer.
Doch Herr! durch welches Gottes Hülf' entgingst
Du selbst dem dir gelegten Todes Netze?
VIRGINIUS.
Gewiß, mich retten konnte nur ein Gott! –
Furcht schreckte mir die Mörder in die Flucht,
nachdem ich zween davon erleget hatte.
Aus Vorsicht wand ich dann mich ab vom Weg',
und traf durch Nävia hier glücklich ein.
VIRGINIA.
Am glücklichsten für Mich, die nun die Hand
noch küsset, die man schon erstarrt geglaubt!
VIRGINIUS.
Befried'ge nun Icil, auch meine Neugier!
Von den Ereignissen des gestrigen
Gerichts bin ich durch diesen Freund belehrt:
Entdecke Du mir, was seinem geschah!
ICILIUS.
Nebst dem begangnen Mord, ist vom Bemühn
der Gegner mir nur dieß bekannt! daß heut[304]
zum erstenmale während des Gerichts
die ganze Krieger-Schaar des Capitols
das Forum wird besetzen. Ihren Zweck
errieth man leicht. Doch desto schwerer wars,
eh die so nahe Donnerwolke bricht,
ein Schutzdach, stark genug zum Widerstand,
zu finden. Alle meine Sinneskraft
entdeckte nur Ein Rettungsmittel noch,
und dieß ist: schnelle Flucht.
VIRGINIUS.
Flucht?
ICILIUS.
Flucht!
VIRGINIUS.
Wohin?
ICILIUS.
Nach der beglückten Höh', auf welcher Rom
schon Einmal Rettung, Glück und Freyheit fand.
Die Edlen alle hier, entflammt wie mich
ein heißer Trieb, den Schimpf, den dieser Frevel
auf Alle wirft, an der tyrannschen Macht,
die solche Frevel wagen darf, zu rächen,
und das Panier der Freyheit aufzustecken.
Der Augenblick, da wir dich wiederfahn,
war eben der, da wir uns trennten, um
das große Werk in Eile zu beginnen.
Und dein vermeinter Tod, der Rache schrie,
war nicht das schwächste Triebwerk des Entschlusses.
Doch Himmel! habe Dank! du schenkst ihn uns,
den weisen, tapfern Mann! du schenkst ihn uns,
des großen Werkes Seel' und Arm zu seyn!
VIRGINIUS.
Ich bin entzückt, ihr großmuthvollen Freunde,
daß ihr mein Blut der Rache werth geachtet.[305]
Begehrt! ich bin bereit für euer Wohl
es hinzugeben – Doch Icil! den Zweck
aus Rom zu fliehn – kann ich nicht billigen.
Ich kenne ganz dein edles, zärtlichs Herz:
Virginiens Gefahr hat es empört.
Doch Sohn! soll sie zu retten, denn kein Mittel
als dieß gewaltsame, mehr übrig seyn?
Muß man vor eines Wollüstlings Versuchen
die Tugend eines Weibs bewahrt zu sehn,
ganz Rom erschüttern? Wunden gar vielleicht
dem Vaterlande schlagen?
ICILIUS.
Vaterland? –
Hat ein im Staube lechzend, an den Ketten
unmenschlicher Tyrannen kriechend Volk
ein Vaterland? O dieß uns Römern einst
so heil'ge Wort wird kaum von Zungen noch
genennt, von Hrrzen nicht gefühlt. Nur dort,
Virginius, wohin Roms bester Theil
mit uns sich flüchtet, kann von neuem uns
ein Vaterland entstehn – unmöglich hier
im Sitz der Sklaverey, der Furcht und Schande.
Man seh, wie tief herab das schwere Joch
der Zehner, jede Seelenkraft in Rom
schon drückte! Was nicht schon durch Sie geschah,
vollführt der Optimaten Übermuth.
Des Staats Umkehrung nur kann auf die Höh',
wo jetzt das Laster steht, die Tugend bringen.
Ist diese wichtige Veränderung
nicht des Versuches werth? und kann dazu
ein Zeitpunkt günstiger als Dieser seyn?
VIRGINIUS.
Du irrst, mein Sohn. Der Zeitpunkt des in Rom
so tief gesunknen Muths begünstigt nicht[306]
Versuche, die des höchsten Muths bedürfen.
Ein Schritt, so wichtig Tausenden, so kühn
wie dieser ist, sey nie der Hitze Werk! –
O wüßtest du, wie groß, im Heere selbst,
Gewalt und Ansehn der Decemvirn ist!
Wie muth'ge Krieger dort – die Augen ganz
für der Tyrannen Unwerth offen – sie
verachtend – doch auf ihre Winke sterben!
ICILIUS.
Wie? die Mißhandlung des gepriesensten
Centuriers, sollt' unsre Krieger nicht
zur Rach' entflammen? sollt' ...
VIRGINIUS.
Ich wag es nicht,
in dieser Hoffnung dich zu stärken. Zwar
verließ ich nicht die Legion, ohn' erst
den Mitcenturiern und besten Freunden
mein Leid zu klagen: und ich zweifle nicht,
daß sie mit Nachdruck es dem Heere schildern.
Allein wer weiß, ist unfruchtbares Mitleid
nicht Alles, was ihr Eifer mir bewirkt! –
Wär' es nicht kühn, dem Appius zu trotzen,
eh dort für uns ein Stern der Hoffnung strahlt? –
O nein! kein Römer geb um Meinetwillen
sein Glück, nur seine Ruh, dem Zufall preis!
Der Schritt, den ihr zu wagen euch entschloßt,
setzt Aller Glück und Leben in Gefahr.
ICILIUS.
Wer achtet es dieß Leben voller Schmach?
Nur Sklaven können das; und Sklavenleben
hat keinen Werth. Wer römisch fühlt, der zieht
den schreckenvollsten Tod der Knechtschaft vor.
VIRGINIUS.
Ja mein Icil! und Niemand mehr als Du.[307]
Auch schätz' ich dich vor Tausenden. Ich gab,
als meine Wahl zum Eidam dich erkohr,
Beweis davon. Doch diesmal entbrannte
dein Muth zu schnell. Hätt' Übereilung nie
Gefahr und Reu gezeugt; hier würde sie's.
Der kluge Schiffer sticht beym Gegenwinde
nicht in die See; er harrt auf günstigen:
Laß ihn dein Beyspiel seyn! Es kömmt die Zeit,
da Rom mit weniger Gefahr als itzt
sein Joch zertrümmern und uns rächen wird.
Vom Stolz getrieben, schreitet Herrschbegier
so hastig stets und unbedachtsam fort,
daß endlich sie zum Abgrund kommen muß,
der ihren Sturz vollendet. Roms Tyrannen
gelangen sicher bald an dieses Ziel.
Und hielt' im frechen Lauf – Zevs wolle dieß! –
ein edles Reugefühl sie noch zurück;
O desto besser! Glaubt, ihr Freunde, Ruh'
im Staat' ist jedes Bürgers Erstes Glück,
und muß der Erste seiner Wünsche seyn.
Von hundert Staatsverändrungen – auf Bergen
von Bürger-Leichen oft errichtet – frommt
kaum Eine der erschlagnen Väter Kindern.
Zwar ists – ich fühle das! – ein hartes Loos,
sein Leben unterm Druck unwürdiger
Tyrannen zu verseufzen: doch, Geduld
und Hoffnung sind ein Balsam kranker Seelen,
der gegen jedes Leid sie mächtig stärkt.
Auch strafen Götter oft an einem Volke
Verbrechen durch den Arm der Staatsbeherrscher.
Das lehrt uns Nachsicht gegen diese brauchen,
und lehrt, das Böse, das an uns sie thun,
als Fügung höhrer Macht, nach Möglichkeit
erdulden.[308]
ICILIUS.
Ja Virgin! Doch bleibe uns jetzt
noch diese Möglichkeit? Erwägst du nicht
daß sich die Stunde des Gerichtes nähert?
Unglückliche Geliebte! nur auf Dich
vergißt dein Vater bey den Gründen, die ...
VIRGINIA ihrem Vater die Hand küssend.
O Nein Icil! Dieß kann der gütigste,
der beste Vater nicht! du irrest ...
VIRGINIUS.
Ach!
Was läge, nebst dem Vaterlande, mir
so nah am Herzen wie mein liebes Kind?
Sey doch aus Zärtlichkeit nicht ungerecht
mein Sohn! Noch ward nicht Alles für ihr Heil
versucht – von Mir noch Nichts! Ich sah noch nicht
den Appius; hab' es doch nicht versucht,
ihm Edelmuth und Tugend in das Herz
zu sprechen, nichts versucht, die Leidenschaft,
von der man seine Brust entflammet glaubt,
zu mäßigen. Erinnrungen des Vaters,
für dessen Tochter er von Liebe glüht,
sind wirksamer für ihn, als Drohungen
des Nebenbuhlers, den er stets gehaßt.
Und wäre seine Brust von Erz, mein Flehn,
gestützet durch die Kraft so starker Gründe,
wie meine sind, durchdringet sie gewiß.
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