Zweyter Auftritt.

[323] Virginius mit einem Soldaten. Valerius.


VALERIUS.

Virgin! du siehst in Mir den Ungenannten,

der dich, mit dir zu sprechen, hieher bat.

Doch – kennst du mich Virgin?

VIRGINIUS.

Wie sollt' ich einen

der ersten unserer Patrizier

nicht kennen?

VALERIUS.

Immer noch könnt' ich als Der

der letzten Menschen einer seyn. Kennst du

nicht näher mich?

VIRGINIUS.

Du bist Valerius,

das Haupt der Kriegesschaar im Capitol,

ein edler, tapfrer Mann, deß Heldenmuth

ich in so mancher Schlacht bewunderte.

VALERIUS.

Dorther kenn' ich auch Dich – und bin dein Freund.

VIRGINIUS.

Mir Lohn genug für mein gering Verdienst!

VALERIUS.

Traf keine Nachricht dir vom Lager ein

sei deinem Abbruch?

VIRGINIUS.

Nein.

VALERIUS.

Wohl aber Mir.

Du hast getreue, thät'ge Freunde dort.

Sie nehmen eifrig Theil an deinem Schicksal;

bezweifeln laut, nicht nur des Marcus Recht,

selbst des Decemvirs Unpartheylichkeit,[324]

und zeugen Regungen im ganzen Heere,

die Vibulan nicht ohne Kummer sieht.

Es scheint, man harre nur noch auf Bericht,

wie bey dem Vorfall sich Roms Volk bezeige.

VIRGINIUS.

Roms Volk bezeiget sich


Auf die Soldaten zeigend.


wie Jene wollen.

VALERIUS.

Zu Jenen rechne Mich! – Wir wollen bloß

Gerechtigkeit, und Jedes Untergang

der anders will. Doch, wie bekannt, gelobten

wir den Decemvirn Treu, Gehorsam, Schutz.

Nur Mißbrauch ihrer Macht zur Tyranney,

lös't unsern Eid. Zu hören von dir selbst,

ob du bey deinem Streit nicht Unrecht ahndest,

bat ich dich her. Du kannst in diesem Fall

auf Jener Beystand und auf meinen hoffen. –

Man zeiht des Marcus Zeugen Meineids, und

Icil schilt öffentlich ein Werkzeug ihn

der Leidenschaft des Appius. – Die That,

erwiesen, wär' ein unverzeihliches

Verbrechen, gegen Dich, das Heer und Rom.

Du Freund, sollst mir den Flor vom Auge ziehn,

der mir die Wahrheit noch mit Nacht bedeckt!

VIRGINIUS.

Mit allem Zutraun Herr, wozu mein Herz

durch deine Großmuth sich verpflichtet fühlt,

vermag ichs nicht, für deine Zweifel dir

ein heller Licht zu schaffen, als du hast.

Ganz einem Blinden gleich, den man erwürgt,

empfind' ich nur mein Weh, und seh' es nicht.

Was nützt mir's, zuverlässiger als Du

belehrt zu seyn, daß des Decemvirs Herz

für meine Tochter brennt? Selbst der Beweis,

wär' unnütz mir und meiner armen Tochter.[325]

Die Zeugnisse des Marcus sind die Last,

die rettungslos mein Kind und mich erdrückt!

VALERIUS.

Doch, es behauptet ein – vielzüngiges

Gerücht, des Marcus Zeugen seyn erkauft: –

Ist denn nichts Gründlichs dir davon bekannt?

VIRGINIUS.

Nicht reich genug, die Wahrheit seinen Zeugen

so theu'r, als Er die Lüge, zu bezahlen,

wie wär' ich fähig ein, mit so viel Kunst

verborgnes Werk der Nacht, ans Licht zu ziehn?


Während der vorstehenden Rede kommt ein Abgeordneter des Appius, und sagt dem Valerius einige Worte ins Ohr. Dieser winket rückwärts, und man gibt vom Capitol durch Trompetenschall das Zeichen zur Versammlung, worauf sich sogleich – doch nach und nach – das Volk einfindet.


VALERIUS.

Verehrungswürd'ger Mann! ich schwör' es dir!

Nie klang die Tuba mir so fürchterlich.

VIRGINIUS.

Ach! ihre Wirkung auf mein Vaterherz

ist schrecklicher. Sonst froh bey diesem Schalle,

wann in der Schlacht er Angriff mir geboth,

beb' ich jetzt als ein Kind!

VALERIUS.

– So bleibst du denn

ganz ohne Hoffnung, ganz des Zufalls Ball?

VIRGINIUS.

Kömmt nicht von Oben her mir Hülfe zu;

erweichet ein mir günst'ger Gott das Herz

des Richters nicht – wo hofft' ich Rettung noch!

VALERIUS.

Des Richters Herz?

VIRGINIUS.

Vielleicht erschüttert' ichs[326]

durch ein Gespräch von Ernst und Wahrheit voll!

Vielleicht erweichten es der Tochter Thränen,

da heut zum erstenmal sie mit ihm sprach!

Es scheint unmöglich mir, daß, zum Besitz

Der die man liebet zu gelangen, man

derselben Schmach zum Mittel wählen könne!

VALERIUS.

Hier naht sie sich, bedrängter Vater dir!


Quelle:
Cornelius von Ayrenhoff: Sämmtliche Werke. Band 2, Wien 1802, S. 323-327.
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