Elfte Vorlesung

[252] Hannover und das Göttinger Siebengestirn. Gutachten der Central-Untersuchungs-Commission von 1838. Gründung des Zollvereins. Anastasius Grün. Börne, Heine. Das junge Deutschland. Wienbarg. Mundt. Kühne. Laube. Gutzkow.


Dem düsteren Bilde der deutschen Zustände in den Jahren 1830–40 fehlt zu seiner Vervollständigung leider noch ein letzter Zug. Jener nördliche Staat, welcher nach einer hundertjährigen Abtrennung vom Vaterlande wieder vollständig deutsch wurde, Hannover, sollte allsogleich durch seine neue Regierung in einen noch feindlicheren Gegensatz zu jeder liberalen Entwickelung treten, als die übrigen deutschen Länder. Im Jahre 1837 hatte sich in Hannover durch den Tod Wilhelm's IV. die Personalunion mit England aufgelöst. Den Thron Großbrittaniens bestieg jetzt eine Frau, die noch regierende König Viktoria, aber sie konnte nicht gleichzeitig die hannöversche Krone tragen, weil in Deutschland das noch zu Recht bestehende Gesetz der alten Salier, das salische genannt, eine weibliche Thronfolge ausschloß. Somit fiel der Besitz Hannovers an den nächsten männlichen Agnaten, den Herzog von Cumberland. Ich erinnere an dieser Stelle daran, wie das einzige Beispiel einer weiblichen Regierung in Deutschland die der Maria Theresia gewesen, welche nur durch die Hülfe einer besonderen Vereinbarung, der sogenannten pragmatischen Sanction, möglich geworden war, welche ihrerzeit dem deutschen Reichslande wie den östreichischen Staaten schwere Opfer gekostet hat, und unendliches Blut fließen machte.

Wir sehen also seit 1837 in Hannover, den Herzog von [252] Cumberland, als neuen König im Besitz der erledigten Krone, nachdem der sehr beliebte Herzog von Cambridge sein bisheriges Amt als Statthalter niedergelegt hatte. Der neue Regent war ein entschiedener Hochtory und so verweigerte er es von vornherein, das Staatsgrundgesetz von 1833, wodurch Hannover in die Reihe der verfassungsmäßigen Staaten eingetreten war, anzuerkennen. Kaum sah er sich in den Besitz der Herrschaft gelangt, als er durch ein königliches Patent den Umsturz jenes Gesetzes aussprach und die alte ständische Verfassung von 1819 wieder herzustellen befahl. Diesem offenen Gewaltstreich antwortete ein Schrei der Entrüstung aller rechtlich gesinnten Männer, während sich lauter Jubel in den Reihen der Metternich'schen Parthei erhob. Aber der gewaltsame Eingriff in das klarste Recht war so unbestritten, daß nur ein einziger Mann sich in Hannover fand, der niedrig genug dachte und bereit war, mit Umgehung seines Eides, den er auf das Staatsgrundgesetz geleistet hatte, dieses Patent als Minister zu unterzeichnen. Der Obersteuerrath von Scheele machte auf diese Weise schnelle Carrière, aber wie dachte auch die ganze Welt von ihm!

In dieser Umgehung eines feierlich geleisteten Eides lag die größte sittliche Gefahr, lag die Bedeutung des jetzt ausbrechenden Confliktes. Jeder hannöver'sche Beamte war auf die neue Verfassung verpflichtet worden. Der König hatte, als er die Krone annahm, sie mit übernommen – durfte man jetzt dergestalt mit Schwüren und Eiden ein hohnvolles Spiel treiben, dieselben nach Gutdünken bestätigen oder brechen?

Die städtischen Korporationen traten zuerst ganz entschieden gegen solche Vergewaltigung auf; Osnabrück mit seinem wackern Bürgermeister Stüve an der Spitze eröffnete den Reigen und verlangte in diesem Falle die Schiedsrichterschaft des Bundes. Am größten jedoch zeigte sich bald[253] die Aufregung in Göttingen innerhalb der Universität; dort erklärten die Lehrer der Jugend, daß sie nicht wüßten, wie sie ihren Schülern eine solche Umgehung des Gewissens und des Rechtes als annehmbar und gerechtfertigt darstellen sollten, daß sie bei einem solchen Bemühen in den schwersten Conflict mit allen ihren bisherigen und sonstigen Lehren kommen müßten. Sieben der muthigsten Professoren, als das Göttinger Siebengestirn in der deutschen Geschichte bekannt: die beiden Brüder Grimm, Gervinus, Dahlmann, Ewald, Albrecht und Weber erließen öffentlich eine berühmte Protestation gegen die Regierung, die weit über Deutschland's Grenzen hinaus, die in ganz Europa den lautesten Widerhall fand und diesen Männern den ehrenvollsten Platz in den Annalen unseres Vaterlandes sichert. Ernst August hatte freilich kein Gefühl für ihren Mannesmuth und ihre ehrenwerthen Worte; er nannte im vertraulichen Gespräch die unbequemen Professoren »die sieben Teufel« und die ganze Universität bezeichnete er als das »Göttinger Federvieh!« – Den Mahnungen des Rechtes setzte man brutale Gewalt entgegen und es erfolgte die sofortige Austreibung der sieben Professoren von der Universität, welches Verfahren in folgender Weise motivirt wurde: »Sie hätten durch ihre Erklärung verkannt, daß der König ihr alleiniger Dienstherr sei, daß dadurch die Grundlagen der Staaten untergraben und »die künftige Dienerschaft« nicht nur in Hannover, auch in den übrigen Staaten, eine für Staat und Kirche gefährliche Bildung erhielten.« – Den Lehrer- und Beamtenstand als Dienerschaft zu bezeichnen, sie mit den königlichen Lakaien auf eine Stufe zu stellen, dies hatte denn doch bis jetzt noch Keiner gewagt und Ernst August von Hannover sollte sich dadurch eine traurige Berühmtheit erringen.

Diese Göttinger Geschichte war denn auch selbst dem[254] gutmüthigsten Deutschen zu stark; man protestirte öffentlich dagegen, indem sich Vereine bildeten, um die Ausgetriebenen, deren Lage eine sehr trübe war, zu unterstützen, bis ihnen von anderen Hochschulen aus ehrenvolle Rufe zu Theil wurden.

Ewald, der jetzt freilich ganz welfisch Gesinnte, kam nach Tübingen, Dahlmann nach Bonn, die Grimm's, die man noch obendrein aus Kassel, wo sie Heimathsrecht hatten, auswies, zufolge der Seelenverwandtschaft, die zwischen hier und Hannover herrschte, folgten bald einem Rufe des Königs von Preußen nach Berlin. – Trotz aller dieser reactionären und rohen Maßregeln konnten die leitenden Staatsmänner doch die Ruhe des Gemüthes immer noch nicht finden. Einen merkwürdigen Beleg dafür bildet ein Gutachten, welches die Centraluntersuchungs-Commission in Frankfurt im Jahre 1838, über den Stand der Ruhe und Ordnung in Deutschland abgab. Es wird darin offen anerkannt, daß die innere Beunruhigung im beständigen Wachsen begriffen sei, daß eine sich stets mehrende Parthei fort und fort, erstens nach Begründung eines ungetheilten und untheilbaren Deutschlands, mit mehr oder minder demokratischen Institutionen strebe und ebenso nach Aufhebung aller Standes-Privilegien, nach Preßfreiheit, Oeffentlichkeit der Rechtsverhandlungen, Schwurgerichten u.s.w. Es ist in diesen Worten thatsächlich das vollständige Programm dessen gegeben, was die Revolution von 1848 überall auf ihre Fahne schrieb; man kann also gewiß nicht sagen, daß diese Forderungen den deutschen Regierungen 10 Jahre später überraschend gekommen wären, es beweist aber auch zugleich wie wenig guten Willen man hatte, den gerechtfertigten immer dringenderen Wünschen der Nation in kluger Weise entgegen zu kommen. – Nach einer weiteren Erwägung der ganzen Lage räth darum der genannte Bericht dringend an, die Untersuchungen[255] mit Ernst und Nachdruck fortzusetzen, damit man endlich die Koryphäen der Fortschrittspartei in die Hände bekomme, zugleich müsse man durch eine gutgesinnte Presse die öffentliche Meinung bearbeiten. –

Nach dieser Vorschrift wurde denn auch fortgearbeitet und wurden als Abschreckungsmittel die seitherigen Ergebnisse der politischen Untersuchungen nicht allein veröffentlicht, dieselben auch auf Rath der Centralbehörde Seitens der einzelnen Regierungen immer weiter fortgeführt. Wir blicken also ganz offen in ein geradezu scheußliches Gewebe von jesuitischer und bureaukratischer Polizeiregierung; diese Leute betrachteten den Staat nur als eine Mausefalle, als ein großes Gefängniß für Alle die nicht dachten wie sie und mit Recht mochte Heinrich Heine einige Jahre später in seinem Wintermährchen die bittern Worte ausrufen: »Wir brauchen ein Nationalzuchthaus und eine gemeinsame Peitsche!«

Der Eindruck, den dies Alles machte, war natürlich dem Gewünschten ganz entgegengesetzt; der größte und beste Theil der Nation betrauerte im Gegentheil im Herzen die Gefangnen und Verbannten als Unglückliche, als Märtyrer einer guten Sache, und ganz im Stillen aber unaufhaltsam wuchs jetzt, ohne Verschwörungen und ohne geheime Verbindungen der Haß und der Abscheu gegen das Bestehende, der Wunsch zum Widerstand immer mächtiger heran. – Der einzige Lichtblick in dieser trüben Zeit war die Begründung des deutschen Zollvereins, der endlich die unnatürlichen Absperrungen aufhob und den ersten Grund zu einem wirklichen Einheitsbande in Deutschland legte. Der Bund hatte es, wie wir früher schon gehört, consequent abgelehnt, irgend etwas für die nächsten materiellen Interessen des Vaterlandes zu thun, um so glänzender ist das Verdienst der wenigen Männer, die sich trotzdem ohne Rast dafür bemühten und der unermüdlichsten Einer unter ihnen war Friedrich List, ein Mann,[256] der zu den unglücklichsten und verdienstvollsten zählt, die Deutschland in diesem Jahrhundert besessen. Er kam zu früh für seine Zeit und als endlich der Same aufging, den er ausgestreut, und für den er zu wenig Verständniß fand, war er selbst bereits einem finstern Schicksal verfallen. List's Gesichtspunkt war nicht allein ein kaufmännischer, sondern ebensosehr ein politischer; er fühlte sich tief von der Ueberzeugung durchdrungen, daß der materiellen auch die politische Zusammengehörigkeit Deutschland's folgen müsse. – Nun hatte unläugbar Preußen des Verdienst, zuerst auf eine Vereinigung einzugehen, die den Zweck hatte, die Zollschranken innerhalb unserer Länder fallen zu machen, es that dafür die ersten erfolgreichen Schritte und unter seinem Vorangehen trat nach unendlicher Mühe denn auch wirklich am 10. Januar 1834 der deutsche Zollverein für eine Dauer von 12 Monaten in's Leben. Er umschloß schon gleich zu Anfang 231/2 Million Deutscher und zwar die Staaten Würtemberg, Baiern, Sachsen, die thüringischen Ländchen und die beiden Hessen, es war namentlich Hessen-Darmstadt, wo man dem Bündniß mit besonderer Wärme entgegen kam und es mit größtem Eifer, unter der Leitung des um den Verein hochverdienten Staatsrath Eckhard, förderte. Zwei Jahre später schlossen sich auch noch Baden, Nassau und Frankfurt an. Die Mauthplackereien hörten in den genannten Ländern jetzt auf und noch gesteigert wurde die Möglichkeit eines angemessenen Verkehrs, durch die süddeutsche Münz-Convention, die man nun in Angriff nahm und wobei sich wiederum der Staatsrath Eckhard besonders thätig zeigte; so sehen wir wenigstens auch damit einen Anfang gemacht und in den südwest-deutschen Staaten ein allgemeines Münzsystem, auf den Guldenfuß gegründet, in's Leben treten.

Im Jahre 1841 war der Zollverein schon so weit befestigt, daß man ihn wiederum auf 12 Jahre erneuerte, und[257] bei diesem Anlaß traten dann noch Braunschweig, Lippe und Luxemburg hinzu. Als Grundlage des Vereins hatte man das Zollsystem angenommen, durch welches Preußen im Jahre 1818 seine eignen Landschaften geeinigt und welches sich als zweckmäßig bewiesen hatte. Dem Lande Oesterreich war der Zollverein ein Dorn im Auge, und es nahm die feindseligste Stellung gegen denselben ein, auch Hannover folgte zu seinem eignen größten Schaden dem schlimmen Beispiel. So schadete Oesterreich lieber sich selbst, während ihm doch seine schlechten Finanzen ganz andere Maßregeln geboten hätten, aber höher als jeder materielle Vortheil galt ihm die Befürchtung, es könnten mit dem freien Eingang der Waaren auch liberale Ideen über seine Gränzen einziehen.

Ausgezeichnet hat Graf Auersperg (A. Grün) Oesterreich's hochbegabter Dichter, der in seine Poesieen rücksichtslos die Zustände des Tages verflocht, diese Furchtgedanken in seinem Gedichte, der Mauthcordon ausgesprochen:


»Unser Land, wohl ist's ein Garten, doch der Gärtner bang und scheu,

Zog ein starres Eisengitter, daß er rings verschlossen sey –«


es reiht sich daran die lebendige Schilderung wie der Schmuggler hinter Büschen scheu versteckt, seine Päcke fortschleppt, während rings die Wächter ihn umspähen, bis endlich die Nacht tiefer hinabsinkt, und dann auch sie ermattet, ihr häßliches Handwerk nur noch lässig betreiben und nach der Schenke ziehen, um sich zu erquicken.


»Sieh', da tauchen aus den Büschen, aus den Nebeln rings der Nacht,

Männer, schwere Last am Rücken, Karren schwer von reicher Fracht

Leise, wie die Nebel, schleichen sie die fahlen Steg' entlang,

Sieh' da wallt auch der Gedanke seiner Sendung heil'gen Gang. –

Mit den Schmugglern muß er reisen, er versteckt und hehlt doch nichts![258]

Mit den dunklen Nebeln schleichen – er, der Sohn des Tags und Lichts!

O, heraus ihr durst'gen Zecher! Müde Wächter, flink herbei!

Stellt Euch auf in blanken Waffen, schnurgerad in Glied und Reih!

Präsentiret die Gewehre, senkt die Fahne feierlich!

Laßt die Trommeln fröhlich wirbeln, und die Schranken öffnen sich!

Daß mit grünen Palmen siegreich, stolz und frei im Lichtgewand,

Leuchtend der Gedanke wandle in das gastlich offne Land!« –


Mit glänzenden Augen las und hörte man in Oesterreich solche Worte, aber die Regierung blieb taub dafür, und constatiren wir darum noch einmal nachdrücklich, welches große Verdienst sich Preußen durch die Gründung des Zollvereins um das nationale Leben Deutschland's erworben hat. Er wurde bald eine ebenbürtige Handelsmacht auf der Weltbühne, man sprach jetzt wieder von einer deutschen Industrie, von deutschem Handel und von deutschem Kapital. Weiterblickende Männer wie Friedrich List fühlten jetzt Boden unter ihren Füßen, wenn sie für ein nationales System politischer Oekonomie weiter agitirten, und in des Genannten Kopfe hatte damals schon der Gedanke sich Bahn gebrochen, ein ganzes Eisenbahnsystem über Deutschland auszubreiten, das auch seinerseits mit tausend Armen das Getrennte in ein Ganzes zusammenfassen werde; ebenso sollten deutsche Consulate im Auslande auch in der Ferne den Deutschen beschützen und die Nation vertreten. –

So tagte denn endlich über uns die Stunde, da man anfing sich auf materiellem, practischen Boden als der Sohn einer Mutter zu empfinden, und auch im Reiche wußten patriotisch gesinnte Dichter solche Ergebnisse und Fortschritte ihrem Volke an's Herz zu legen.[259]

In seiner humoristisch volksthümlichen Weise besang damals Hoffmann von Fallersleben den Zollverein:


»Schwefelhölzer, Fenchel, Bricken,

Kühe, Käse, Krapp, Papier,

Schinken, Scheeren, Stiefel, Wicken,

Wolle, Seife, Garn und Bier;

Pfefferkuchen, Lumpen, Trichter,

Nüsse, Taback, Gläser, Flachs,

Leder, Salz, Schmalz, Puppen, Lichter

Rettig, Rips, Raps, Schnaps, Lachs, Wachs!

Und ihr andern deutschen Sachen,

Tausend Dank sei Euch gebracht!

Was kein Geist je konnte machen,

Ei, das habet ihr gemacht!

Denn ihr habt ein Band gewunden

Um das deutsche Vaterland,

Und die Herzen hat verbunden

Mehr als unser Bund, dies Band! –«


Sie sehen, unsere Dichter schliefen nicht, sie benutzten jeden Anlaß ihr Volk aufzurütteln, welches in jenen vorher geschilderten, trüben Tagen auch jetzt wieder, wie so oft seine Zuflucht zu dem Reiche der Gedanken nehmen mußte.

Mit neuer Kraft wendete man sich wieder der Wissenschaft, namentlich dem Studium der Philosophie, der Geschichte und den exacten Wissenschaften zu, mit dem gewaltigen Unterschiede jedoch, daß man mehr und mehr begann, deren Resultate auf das Leben der Gegenwart anzuwenden. Den Gelehrten voraus plänkelte die leichte Schaar der Dichter; was man nicht frei und unumwunden äußern durfte, das nahm die durchsichtige Hülle der Dichtkunst an, um unter dieser Form, bald mit der Geißel der Satyre die Feinde anzugreifen und lächerlich zu machen, bald mit schmerzlicher Wehmuth, oder in zornmüthigem Pathos seinem innersten Gefühle Luft zu schaffen.[260]

Eine Probe der letzteren Art habe ich vorhin in der Dichtung von Anastasius Grün gegeben, dessen Poesieen, reich an Anspielungen auf die Tagesgeschichte, zu jener Zeit in und außerhalb Oesterreich's mit gleicher Begierde gelesen wurden.

Sie fielen wie kühlende Thautropfen in die Seele unseres dürstenden Volkes, und hoch stellte man einen Dichter, der den höchsten Adelskreisen Wien's angehörend, in freimüthiger und glühender Sprache den österreichischen Staatsmännern in's Angesicht sagte, was der noch nicht ganz geknechtete Mensch empfand.

Die Spaziergänge eines Wiener Poeten, welche die Zustände Oesterreich's in rücksichtsloser Weise geißelten, machten überall das größte Aufsehen, und wurden wahrhaft verschlungen. Selbst an Metternich, den Gefürchteten wagte sich des Grafen Feder; unübertrefflich wußte er ihn zu schildern, in der Salonscene, wo er uns den alternden Staatsmann vorführt, wie er kokettirt, intriguirt, und wie Alles nur an seinen Blicken und Bewegungen hängt; dann fährt der Dichter ernster fort:


»Mann des Staates, Mann des Rathes, da Du just bei Laune bist,

Du Du gegen Alle gnädig überaus zu dieser Frist!

Sieh', vor Deiner Thüre draußen harrt ein dürftiger Client

Der durch Winke Deiner Gnade hochbeglückt zu werden, brennt!

Brauchst Dich nicht vor ihm zu fürchten, er ist artig und gescheidt,

Trägt auch keinen Dolch verborgen unter seinem schlichten Kleid,

Oestreichs Volk ist's, ehrlich, offen, wohlerzogen auch und fein,

Sieh' es fleht ganz artig: Dürft' ich wohl so frei sein, frei zu sein?«[261]


Man würdigt heute solche Gedichte natürlich nur dann noch ganz, wenn man die Zustände genauer kennt, auf die sie sich beziehen, aber man wird dann auch begreifen, daß in solcher Zeit der Dichter eine Macht repräsentirt. Da Keiner laut klagen durfte über die vielen Gefangenen, die in Deutschland und Italien in den Kerkern schmachteten, da ließ Grün in seinem Schutt, seiner bedeutendsten, größeren Dichtung einen gefangenen Dichter ausrufen:


»Zum Unglück reimt ich einmal auf: Tyrannen,

In einem Klinggedicht das Wort: von Dannen!

Ein andermal fiel mir auf Senatoren,

Kein andrer Reim just ein, als: Midasohren.

Die Reime traun sind reine, regeltreue,

Ich brauchte gleich sie wieder ohne Reue;

Doch meinten drauf die Herrn: auf mein Sonnette,

Gäb's keinen bess'ren Reim mehr, als: die Kette


Es möchte nach diesem Hinblick auf einen der bedeutendsten östreichischen Dichter wohl geeignet sein, einen Augenblick die historische Darstellung zu unterbrechen, um unsere Betrachtung der zeitgenössischen Literatur im Allgemeinen zuzuwenden. Diese war, namentlich in dem letzten Jahrzehnt vor Ausbruch der Märzrevolution, in vieler Hinsicht der Brennpunkt des öffentlichen Lebens. Je ärmer die Tagesgeschichte sich an bedeutenden Ereignissen zeigte, je weniger man es wagte ein lautes, offenes Wort zu reden, mit um so größerem Interesse verfolgte man die Preßprozesse, welche unsere Autoren trotz der Censur beständig durchzumachen hatten, heimlich gingen die angeschuldigten oft verbotenen Werke von Hand zu Hand, und bei andern, die in gar unschuldiger Form erschienen, bemühte man sich mit geheimer Schadenfreude, die versteckten Anspielungen auf gekrönte Häupter und mißliebige Regierungen heraus zu finden. Die Literatur war eine Großmacht, die langsam aber sicher den Boden des Bestehenden[262] unterhöhlte und oft unversehens Blitze schleuderte, welche grell den Abgrund erhellten, dem Deutschland zueilte.

Zwei Männer sind es nun vornehmlich, welche seit der Mitte der Zwanziger Jahre die deutsche Literatur eben so sehr vom Boden des unfruchtbaren Klassicismus verdrängten, wie sie dieselbe den Nebeln des Romantismus entrissen und ihr neue Bahnen eröffneten. Beide waren Juden und sie mußten als Solche noch tiefer und bitterer, als die Andern, den unleidlichen Rückschritt zum Alten und Veralteten empfinden.

Aber gerade darum, weil man den Juden hartnäckig von jeder Theilnahme an den Obliegenheiten des Staates ausschloß, gab man ihm zugleich dem Staate gegenüber eine unabhängige Stellung, die ihn ganz vorzüglich dazu eignete, im Verein mit der Bildung, die er sich ungehindert erringen mochte, zum Sauerteige des öffentlichen Lebens zu machen. Man konnte den Juden nicht absetzen, nicht belästigen und verfolgen, wie es als Strafmittel bei Denen geschah, die in dem vielfachen Getriebe des Staats- oder Gemeindelebens ihren Erwerb, ihre Versorgung fanden, und die man sich nach Kräften bemühte, aus Staatsdienern zu Staatsbedienten herabzusetzen. War der Jude somit unabhängiger, so hatte er doch auch daneben das nagende und erbitternde Gefühl, von jeder lebendigen Theilnahme am Staatswesen, jeder Stellung in der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein, wenn er sich nicht einem Religionswechsel unterzog, und selbst dann noch blieb er immer der getaufte Jude. Fast das einzige Gebiet, auf dem sich der Gebildete, außer auf dem des Handels oder der Arzneikunde frei bewegen konnte, war das der Presse, der Schriftstellerei, und dahin drängten sich denn die talentvollen Köpfe in Menge. Von dort konnte sie Keiner verjagen noch verfolgen, insofern sie die schwierigen Preß- und Censurgesetze zu umgehen wußten, und dazu half ihnen trefflich ihr jüdischer esprit, der zwischen den Zeilen Alles lesen ließ, was man[263] eigentlich sagen wollte, ohne daß der Urheber eine zu große Gefahr dabei lief. Unter diesen Verhältnissen erlangten jetzt die beiden jüdischen Schriftsteller, L. Börne und H. Heine einen Einfluß auf die öffentliche Meinung und die jüngere Schriftstellergeneration, der wahrhaft enorm genannt werden muß. –

Levy Baruch, der spätere Ludwig Börne (er trat als erwachsen zum Christenthume über), wurde 1786 in der Frankfurter Judengasse geboren. Seine Erziehung war eine durchaus sorgfältige; er studirte Medicin in Halle und Berlin, gab aber dieses Studium bald für das der Staatswissenschaften auf und erhielt, als er nach Frankfurt zurückkehrte, die Stelle eines Polizeiactuar's in dem damaligen Großherzogthum Frankfurt, welches unter der Herrschaft Dalberg's, des Fürsten Primas, stand. Als die Reichsstadt nach Napoleon's Fall wieder in die alten Verhältnisse eintrat, konnte man keinen Juden als Beamten dulden, Börne verlor seine Stelle und widmete sich von da an ganz der Publicistik und Journalistik.

Karl Gutzkow sagt in seinem schönen und warm empfundenen Buche über Börne, dieses Ereigniß berührend: »Das war der Sonnenblick, an dem sich seine politischen Begriffe aufhellten; der Zusammenhang, in dem sein eigenes Ergebniß mit dem stand, was sich mit dem Jahre 1815 rings um ihn her zu offenbaren begann.« – Von da an hat dann auch Börne bis zu seinem Tode 1837, den Kampf gegen die Gewalthaber bis zum letzten Athemzuge mit allen Waffen seines scharfen und erfinderischen Geistes, mit der vollen Wärme seines großen und edlen Herzens fortgeführt. Anfänglich für sein Stammvolk eintretend, erkannte er bald, wie innig dessen Geschick mit dem des ganzen übrigen Vaterlandes verbunden war, und Beides gehörte ihm nun unzertrennlich zu einander. Auch er wurde öfter seines Freimuths[264] halber angeklagt, verhaftet, dann wieder freigelassen, bis er, Dank seiner unabhängigen Stellung, sich zeitweise ein Asyl in der Schweiz oder in Frankreich suchen, endlich nach der Revolution von 1830 ganz nach Paris übersiedeln konnte. Dort fand sein Geist die rechte Nahrung und die Bedürfnisse seines liebevollen Gemüthes befriedigte das zarte und innige Freundschaftsverhältniß, das ihn bis zu seinem Tode mit einer Frankfurterin, der geistvollen Frau Wohl, verband, die mit ihrem Manne in Paris lebte. – Börne's Geist ist dem französischen vielfach verwandt durch die Klarheit und Schärfe seiner Ausdrucksweise, wie auch durch den sprühenden esprit, der ihn auszeichnet; damit verband er ein echtes deutsches Herz und eine Eigenschaft, die nur der Germane in solcher Weise besitzt, einen Humor, der ganz unwiderstehlich mit sich fortriß und der vorzugsweise seine geistige Verwandtschaft mit Jean Paul begründete. Wer kann heute noch die kleinen humoristischen Schriften Börnes: den Janustempel, den Eßkünstler, die Postschnecke und wie sie Alle heißen, lesen, ohne sich auszuschütten vor Lachen. Als Herausgeber verschiedener Zeitschriften für Wissenschaft und Kunst, die letzte und berühmteste derselben war die Wage – wußte er in die harmlosesten Begriffe, wie die Obengenanten, Alle seine politischen Geißelhiebe und Urtheile zu verflechten, und er schrieb nichts, keine Recension, keinen noch so kleinen Aufsatz, der nicht seine besonderen politischen Nebenbeziehungen gehabt hätte. Niemand verstand dafür die Sprache so zu handhaben, die Ausdrucksweise so zu wählen wie er, mit einem Worte konnte er vernichten, mit einem Worte das Höchste und Zarteste ausdrücken und mit Recht hat ihn ein bekannter Literaturhistoriker das scharfe Messer der öffentlichen Meinung genannt. Ganz unvergleichlich sind auch Börne's Kritiken des damaligen Frankfurter Theaters; wie zermalmte er die in jener Zeit so beliebten Schicksalstragödien, die[265] Müllner, Houwald u.s.w., wie wußte er die Shakespeare'schen Dramen auszudeuten, wie verherrlichte er die Sonntag, wie bezeichnete er mit einem kurzem Bilde das Wesen der berühmten Maria Taglioni, wenn er von ihrem Tanze sagte: »Sie umgaukelte sich selbst, sie war Blume und Schmetterling zugleich!« –

Weiter und weiter breitete der Ruhm und der Ein fluß des jungen Schriftstellers sich aus, aber ein wahres Entzücken erregte überall seine berühmte Denkrede auf Jean Paul, die 1826 erschien, und in der es zum ersten Male voll und ganz ausgesprochen wurde, wie tief dieser große Dichter für sein eignes Volk empfunden, wie er sich nicht vor ihm in olympische Höhen zurückgezogen, sondern wie er mit ihm geduldet, wie er mit den Armen, den Beladenen und Unterdrückten gelitten und gefühlt habe. Dies war es, was Börne bei Jean Paul Richter so mächtig anzog, was ihn von Goethe abstieß, dem er dessen klassische Ruhe bei den Leiden seiner Nation ja bekanntlich viel zu herbe und bis zur Ungerechtigkeit vorgeworfen hat.

Es gibt wenig Prosaschriften in unserer reichen Literatur, in welchen der Glanz, das hinreißende, tiefe Pathos unserer deutschen Sprache so meisterhaft benutzt und angewendet worden ist, als in dieser Denkrede auf Jean Paul, die man immer und immer wieder lesen mag, und die es so vollkommen ausspricht, was Jean Paul, trotz der Ungenießbarkeit seiner dichterischen Form, für die ganze innere Entwicklung unserer Nation gewesen ist. Mag es die heutige Generation auch kaum noch nachempfinden, dennoch bleibt es ewig wahr, was Börne damals am Schlusse seiner Rede ausrief: Fragt Ihr, wo er geboren, wo er gelebt, wo seine Asche ruht? Vom Himmel ist er gekommen, auf der Erde hat er gelebt, unser Herz ist sein Grab! –

Am bedeutungsvollsten aber für die damalige Zeit wurden[266] Börne's »Pariser Briefe«, die in vielen Bänden erschienen sind, und mit athemloser Spannung und Begeisterung in Deutschland aufgenommen wurden, wie sehr sie auch von oben her verpönt und verboten waren. Die volle, mächtige Liebe, die Börne für Deutschland hegte, und all der bittere Groll, der ihn erfüllte, weil sein geliebtes Volk noch immer in den Kinderschuhen stehen blieb, ist in diesen Briefen ausgesprochen; man hat seine Bitterkeit vielfach mißdeutet und geschmäht, man hat ihm vorgeworfen, er sei ein Franzosenfreund geworden, und ist dies namentlich durch den bekannten Wolfgang Menzel geschehen, aber Niemanden that man damit größeres Unrecht als Börne. Wie einst Tacitus den entarteten Römern, als Spiegelbild die Germanen entgegenhielt, so übertrieb auch Börne mitunter die Vorzüge und die politische Reife der Franzosen, um die Deutschen dadurch anzustacheln sich endlich ihres Gleichmuths, ihrer Thatlosigkeit zu entschlagen. Er züchtigte uns mit Worten, nicht um uns zu verachten, sondern uns zu erziehen, gleich einem strengen, aber liebevollen Vater, und er hat wahrlich sein ehrlich Theil dazu beigetragen, daß der Deutsche sich endlich seiner eignen Kraft bewußt geworden. Hören wir eine kleine Probe dieses stachelnden Witzes, dieser Geißelhiebe durch die er die Träumenden zu erwecken trachtete. Börne schreibt einen Brief aus einer kleinen französischen Provinzstadt, wo bekanntlich die Langeweile zu Hause ist, und indem er schildert, was er darunter leidet, ruft er aus: »O, theures Vaterland, wie einfältig verkannte ich deinen Werth! Dort fand ich in jedem Nachtquartiere eine kleine Residenz, oder den Sitz einer hohen Regierung, oder eine Garnison, oder eine Universität, und in jedem Gasthofe eine Weinstube mit scharf geprägten Gästen, die meinem Geiste Stoff gaben bis zum Einschlafen! Aber hier in diesem vermaledeiten rathlosen Lande! Seit acht Tagen sitze ich Abends allein auf meinem[267] Zimmer und verschmachte! Ach, wie gerne hätte ich für jeden Lieutenant einen Schoppen bezahlt, für jeden Hofrath eine Flasche, für jeden Professor zwei Flaschen, für einen Studenten drei, und hätte ich gar einen Schöngeist, einen Kritiker an's Herz drücken können, wäre mir der ganze Keller nicht zu viel gewesen! – Hofräthe, Hofräthe, wenn ich je wieder Eurer spotte, dann schlagt mir auf den Mund und erinnert mich an Dormans!« Nach diesem Erguß richtet Börne ein Gebet an die größte Göttin der Deutschen, an die Geduld, das mit den Worten endet: »deutsche mich gute Göttin, von dem Scheitel bis zur Sohle, und lasse mich dann friedlich ruhen in einem Naturalienkabinet, unter seltenen Versteinerungen. Ich will dir von nun an auch treuer und gehorsamer dienen: die Didaskalia will ich lesen, und das Dresdner Abendblatt und den Hegel, bis ich ihn verstehe. Ich will bei jedem Regenwetter ohne Schirm vor dem deutschen Bundes-Palast stehen und warten, bis sie herauskommen und die Preßfreiheit verkündigen. Ich will in den Ländern das Treiben des Adels beachten und nicht des Teufels werden, und nicht eher komme Wein über meine Lippen, bis dich die guten Deutschen aus dem Tempel jagen und dein Reich endiget!« –

Börne sollte dies Ende nicht erleben, er starb zur Zeit von Deutschlands tiefster Misere, von allen Freigesinnten tief betrauert. Auf dem Père la Chaise ruht seine Asche in fremde Erde und der Franzose Raspail sprach an seinem Grabe.

Weit entfernt von Börne's sittlicher Hoheit und Reinheit steht neben ihm sein Glaubensgenosse Heinrich Heine, ihm jedoch vollständig ebenbürtig an Geist, schlagendem Witz und steter Kampfbereitschaft. Als lyrischer Dichter steht er unerreicht über ihm, indessen haben wir uns hier mit dieser Seite seines Schaffens nicht zu beschäftigen, nicht näher[268] darzulegen, in wie weit Heine noch mit der romantischen Schule zusammenhing, und wie er gewissermaßen den Uebergang von dieser zu dem lebendigen Leben der Gegenwart bildete. Heine als Dichter mit dem Schmelz seiner Sprache, seiner tiefen, ursprünglichen Poesie, so wie auch mit seiner Frivolität und seinen Unarten, ist Jedermann genügend bekannt; weniger ist er dies in seiner Einwirkung auf die politischen Ansichten der Zeitgenossen.

Er war auch Patriot, nicht allein Dichter und in seiner Art ein Freiheitsheld, der mit scharfen Keulenschlägen bis an sein Ende gegen die geistige und freiheitliche Unterdrückung in Deutschland ankämpfte. Gleich Börne fand er ein zweites Vaterland in Paris, von wo er mit unermüdlicher Theilnahme die Vorgänge daheim verfolgte, kritisirte, angriff und verhöhnte. Auch er wurde darin vielfach mißverstanden, und er hielt es hie und da für angebracht, sich dagegen zur Wehre zu setzen. So sagt er in einer seiner Schriften: »Du lügst Brutus, Du lügst Cassius, und auch Du lügst Asinius, wenn Ihr behauptet, mein Spott träfe jene Ideen, die eine kostbare Errungenschaft der Menschheit sind und für die ich selbst so viel gestritten und gelitten habe!« –

Seine eigene Doctrin hat er in ein paar niedlichen Versen ausgesprochen:


»Schlage die Trommel und fürchte dich nicht!

– – – – – – – –

Trommle die Leute aus dem Schlaf,

Trommle Reveille mit Jugendkraft,

Marschire trommelnd immer voran,

Das ist die ganze Wissenschaft! –

Das ist die Hegel'sche Philosophie,

Das ist der Bücher tiefster Sinn;

Ich hab' sie begriffen, weil ich gescheidt,

Und weil ich ein guter Tambour bin!«[269]


Heine hat denn auch in seiner genialen Weise wacker getrommelt und Viele aus dem Schlafe gerüttelt – er hat getrommelt mit Enthusiasmus – wir verweisen nur an seinen Appell an das deutsche Volk für die Polen – mit Satyre, mit Weltschmerz und mit schlagenden Worten voll tiefen Ernstes! Berühmt sind neben seinen Gedichten die Reisebriefe und Bilder, in denen die Zustände der Gegenwart, sowohl die politischen, wie die künstlerischen, wissenschaftlichen und religiösen, ebenso rücksichtslos gegeißelt sind, wie sich eine oft nicht zu entschuldigende Frivolität hineinmischt. Diese Reisebriefe waren von so mächtiger Einwirkung, daß von Bundes wegen im Jahre 1835 nicht allein Heine's schon geschriebene, sondern auch seine noch zu schreibenden Schriften in Deutschland verboten wurden, was natürlich deren größerer Verbreitung nur förderlich war.

Ein außerordentliches Aufsehen machte dann später in den 40ger Jahren sein erzählendes Gedicht: Deutschland, ein Wintermährchen, das 1846 erschien. Der Dichter berichtet darin über eine Reise, die er durch Deutschland gemacht, und was er dabei Alles gesehen; mit herber Satyre verhöhnt er die Zustände in den verschiedenen Staaten und Stäätchen, aber durch allen Spott hindurch leuchtet doch wieder so viel Liebe und Trauer für und um das Vaterland, für das er kaum noch etwas Besseres hoffte, heraus, daß in dieser interessanten Dichtung Heine wieder vollkommen beweist, wie er neben seiner Schärfe tief und ideell empfinden konnte. Dieses Wintermährchen machte denn auch das außerordentlichste Aufsehen, und Viele söhnten sich wieder mit dem Dichter aus, der in einer Anrede an die Teutoburger Wölfe, worunter die Deutschthümler zu verstehen sind, mit tiefem Ernste das Gerücht zurückweist, als sei er selber »unter die Hunde gegangen«, – oder mit andern Worten, seinen früheren Ansichten untreu geworden. –[270]

Glücklicher als Börne erlebte er die Revolution von 1848, aber auch noch die darauf folgende Reaction, da er erst 1856 von seinen langen und schweren Leiden erlöst wurde. –

Mit Heine und Börne beginnt nun, wie gesagt, ein neuer Abschnitt in der Geschichte unserer Nationalliteratur; das ganze jüngere Dichtergeschlecht stand fortan unter deren Einfluß, zunächst jene Gruppe junger Männer, die unter der Bezeichnung des: »Jungen Deutschland« klassificirt werden. Diese Gruppe von Schriftstellern war es jetzt, welche mehr und mehr die Literatur in die neuen Bahnen weiter drängte und bei Denen gleichfalls der Schwerpunkt ihrer früheren Bedeutung, in dem Verhältniß zu der Geschichte ihrer Gegenwart liegt. Es waren fünf junge Männer, die man unter der obigen Benennung zusammen faßte: Ludolph Wienbarg, Heinrich Laube, Gustav Kühne, Theodor Mundt und Karl Gutzkow. Die Bezeichnung war eine ganz zufällige und beruhte niemals auf einer wirklich festen Verbindung zwischen ihnen, mit gegenseitig vereinbarten Principien. Diese Fünf schwammen nur unter dem Einfluß ihrer Zeit einen Augenblick auf der gleichen Welle, um sich dann schon im nächsten Augenblick wieder nach den verschiedensten Richtungen hin zu zerstreuen. Ludolph Wienbarg hatte den Anstoß zu der Benennung in seinen Aesthetischen Feldzügen, die 1834 erschienen, gegeben, indem er die Vorrede zu denselben mit den Worten begonnen: »Dir, junges Deutschland, widme ich diese Reden, nicht dem alten« u.s.w. –

Der hohe Bundestag war es nun, der diese Redewendung benutzend, zuerst das geflügelte Wort: Junges Deutschland, aussprach, und unter dieser Benennung die oben genannten fünf jungen Schriftsteller begriff, die ihm durch den[271] damals allmächtigen Kritiker Wolfgang Menzel waren förmlich denuncirt worden.

Im höchsten Grade eitel und leicht gereizt, konnte es Menzel nicht ertragen, daß jene jungen Leute, die er theilweise zuerst protegirt hatte, ihm den Kritikerstab, den er über Deutschland schwang, zu entreißen trachteten, und in keckem Muthe sich ihm gegenüber ein selbstständiges Urtheil bildeten Ueberdem hatten ihm seine Gehässigkeiten, die er gegen Börne an den Tag legte, indem er ihn des Treubruchs an Deutschland beschuldigte, die härtesten Angriffe von Seiten der jungen Literaten zugezogen, und in Börne's Schrift: Menzel, der Franzosenfresser, wurde er wegen seiner Schmähungen gegen Frankreich derb gezüchtigt. Voll Wuth darüber hatte er dem Bundestag erklärt, die Schriften der genannten jungen Leute seien gefährlich, für Kirche, Staat und Sittlichkeit, und es erfolgte darauf dieselbe Maßregel wie gegen Heine; nicht allein ihre gegenwärtigen, auch ihre künftigen Werke wurden im Voraus verboten. – Es kennzeichnet die damalige Lage der deutschen Machthaber, daß sie vor fünf jungen noch fast unbekannten Schriftstellern erzitterten und dieselben mit den härtesten Maßnahmen verfolgen zu müssen glaubten, jedoch ohne den geringsten Erfolg dadurch zu erzielen. Das Wort: Junges Deutschland wurde bald eine Ehrenbezeichnung, und die fünf Namen flogen von Mund zu Munde. Auch deren Träger erwarteten, tief beeinflußt durch Heine und namentlich durch Börne, in der That mit ihnen wie so viele Andere, in den Jahren ihres ersten Auftretens, alles Heil von Frankreich; sie entliehen dort ihre Ideen, und dies darf uns kaum Wunder nehmen, denn wir entsinnen uns, welch ein ungewöhnlich reges geistiges und öffentliches Leben sich damals noch in Frankreich entfaltete. Was man da drüben träumte und hoffte von Volks- und Menschenbeglückung, das trug sich über den Rhein herüber, erfüllte[272] die Köpfe mit guten und neuen Gedanken, aber auch mit den Doctrinen von Fourier, St. Simon und der Emancipation der Frauen. Paris wurde das Mekka, nach dem alle jungen deutschen Schriftsteller zu wallfahrten begehrten Fast vergessen von ihnen sehen wir die poetische Form, es brach die Zeit heran, wo die Journalistik einen ganz ungewöhnlichen und bis dahin in Deutschland unbekannten Aufschwung nahm, und die geistbegabtesten Köpfe drängten sich heran, auf diesem Gebiete ihre Gedanken und Stimmungen zum Ausdruck zu bringen. Unbarmherzig fuhr dann das Messer der Censur darüber hin, und so blieb den jungen Geisteskämpfern nichts anderes übrig, als in Börne's Manier unter den oft wunderlichsten Verkleidungen und Verpuppungen ihre Gedanken an das Licht zu bringen. Keinem gelang dies besser als dem ohne Zweifel genialsten Kämpen des jungen Deutschland, Karl Gutzkow, der auch noch später Jahre lang, fast ganz allein mit der alten Fahne in der Hand, weiter kämpfte. Sein Jugendgenosse, Ludolph Wienbarg, der das junge Deutschland aus der Taufe hob, hat sich überhaupt nur auf dem publicistischen, ästhetischen und kritischen Felde bewegt. Von Geburt Schleswig-Holsteiner, bewahrte er sich bis zuletzt den kräftigen und unabhängigen Sinn seines Stammes, nahm Theil an den Kämpfen der Herzogthümer um 1848 und 49, und starb in Altona 1868, nachdem er die Ereignisse von 1866 noch mit lebhaftem Antheil begrüßt hatte.

Weniger scharf als dessen Feder war die von Theodor Mundt, der vorzugsweise in der Form des Romans die damaligen unreifen Emancipationsideen vertrat; unklar wie diese überhaupt erschienen, war auch seine Sprache unklar und verschwommen, und er ließ sich zuweilen zu Ausschmückungen fortreißen, welche die Censur-Angriffe gegen ihn öfters als gerechtfertigt erscheinen ließen. Nur muß man[273] nicht vergessen, daß er sowohl, wie die Andern, an einer freien Entwicklung seines Talentes, an einem Ausleben seiner selbst, gehindert war. Mundt schrieb auch Kritisches wie Aesthetisches und starb schon bereits um das Jahr 1861; seine nun auch verstorbene Gattin war die bekannte, vielgefeierte und vielgeschmähte Louise Mühlbach, die ihre Geschichtsromane wie einen Strickstrumpf behandelte, und von der man nur tief beklagen muß, daß sie ihr bedeutendes Talent nicht mehr vertieft und durch sittlichen Ernst und Studium geläutert hat.

Von milderem Sinn und Geist war der Dritte im Bunde, Gustav Kühne, dessen Schwerpunkt auch hauptsächlich auf seiner langjährigen journalistischen Thätigkeit, weniger auf seinen poetischen Produktionen beruht. Zwanzig Jahre lang redigirte er die Zeitung für die elegante Welt, später übernahm er die »Europa«, die er gleichfalls lange Zeit leitete, und dergestalt mehr ästhetisch und kritisch thätig, vergleicht sich sein Leben nicht an Unruhe und Kampf mit den zwei noch zu nennenden Genossen. Kühne lebt noch in der Nähe von Dresden, auf seinem Gute bei Loschwitz. –

Gutzkow zunächst an dichterischer Kraft steht Heinrich Laube, doch weniger an Gesinnungstüchtigkeit, denn diese wollte man manchmal an ihm vermissen. In hohem Grade eitel und sich selbst überschätzend, liebte es Laube bald mehr den vornehmen Herrn zu spielen und vornehm zu thun, als die Vornehmen noch ferner anzugreifen. Am meisten Aufsehen erregten seine Reisenovellen, die er nach dem Vorbild Heine's verfaßte, die Zustände des Tages geißelnd, und von denen er im letzten Bande selbst sagte, er habe sie nur geschrieben, um bei dem Publikum Posto zu fassen und darum auch dessem Geschmack gehuldigt, sie aber nicht so geschrieben, wie er schreiben möchte und könnte.

Eine Reihe von Romanen, die er später herausgab, gehören[274] den besten Produktionen dieser Gattung aus jener Zeit an, und später, wiederum in Gutzkow's Fußtapfen tretend, widmete er sich mit großem Erfolg dem Drama; ich nenne hier als besonders hervorragend seine Karlsschüler und Graf Essex. Ein großes, unschätzbares Verdienst aber erwarb sich der geistvolle und durch und durch gebildete Mann um die Hebung und Leitung der deutschen Bühne, indem er an verschiedenen großen und einflußreichen Theatern wirkte und hoffentlich noch lange wirken wird.

So kommen wir denn zu dem Bedeutendsten des jungen Deutschland, zu Karl Gutzkow, der in Berlin um 1811 als der Sohn eines kleinen Bürgers geboren wurde. Aus dem Volk hervorgegangen, war er doch von Allen mit dem größten, dem vielseitigsten Talente, dem ächtesten Dichtergemüthe begabt und so blieb er auch zeitlebens der Sache des Volkes am treuesten ergeben. Auf allen Gebieten der schönen Literatur hat er unerschüttert stets für das eine Ziel, ein verjüngtes Deutschland, gefochten, und damit in alle Schichten der Gesellschaft zündende Funken geworfen. Man darf wohl sagen, daß so unermüdlich wie er kaum ein Anderer ein ganzes Leben lang stets auf der Bresche gestanden, und mit immer gleicher Gesinnung für den Fortschritt, die geistige Entwicklung, die nationale Größe seines Vaterlandes fortgestritten hat, und riesig wie der Fleiß und die Schöpferkraft des Mannes, war die Gewandtheit des Jünglings im Auffinden von Formen und Stoffen, in die er die modernen Gedanken, die Wünsche der Gegenwart einhüllen konnte. Frühe schon verließ Gutzkow das Studium der Theologie, und mit 21 Jahren war der Name des kühnen, jugendlichen Fechters bereits in ganz Deutschland bekannt. Rasch folgten seine Schriften aufeinander: Briefe eines Narren an eine Närrin, Maha Guru, das Leben eines Gottes, Nero, ein Lesedrama, Wally oder die Zweiflerin und Andere. In[275] Allen kämpfte er entweder gegen die bestehenden Zustände, oder gegen die philosophischen und theologischen Auffassungen seiner Gegenwart an. In Maha-Guru führt er uns nach dem entlegenen Tibet, wo der zum Gott erhobene Mensch als Dalai-Lama verehrt, sich verzehrt im Bewußtsein seiner Ungöttlichkeit, und so dem Dichter den Anlaß giebt, die Macht der Hierarchie und die Niedrigkeit des Beamten- und Mandarinenthum's weidlich zu verhöhnen. – In seinem Nero versuchte er den König Ludwig von Bayern, mit seinem Gemisch von künstlerischem Streben und tyrannischen Gelüsten, zu kennzeichnen und in Wally, die Zweiflerin, griff er schonungslos den Offenbarungsglauben an. Diese letzte Schrift brachte ihn in harten Conflict mit den Behörden. In Mannheim, wo das Buch erschienen war, wurde er vor Gericht gestellt und zu einer sechswöchentlichen Gefängnißstrafe verurtheilt, die er zu neuer schriftstellerischer Thätigkeit benutzte.

Nach einer achtjährigen fast riesenhaften Rührigkeit, verließ Gutzkow das Feld der Tagespolemik, auf dem er, sich stets einer Unzahl von Feinden erwehrend, unermüdlich fortgekämpft hatte, innerhalb der Politik, der Literatur und der Philosophie. Er wendete sich von da an rein künstlerischen Produktionen zu und wurde der Schöpfer des modernen Tendenzdrama, um jetzt auch von der Bühne herab die Interessen seiner Nation ganz ebenso lebhaft zu vertheidigen, wie er dies an anderer Stelle gethan. Auch hier wußte er sich dafür überall die passenden Stoffe zu entlehnen und nachdem er sein Ziel, die Bühne wieder zu einer höheren Bedeutung, zu einer Schule für das Volk zu erheben erreicht hatte, wandte seine Feder sich nach 1848 wieder dem Romane zu. Sein Streben ging jetzt dahin, dem verjüngten Deutschland ein Gemälde seiner Gegenwart zu entwerfen, in welcher noch so Vieles unklar durch einander wogte. So entstanden die Ritter vom Geiste und es war eine hochpoetische Idee[276] des Dichters, das ideale Streben dieser Ritter, der Auserwählten der Nation, die sie einem höheren Ziele entgegen führen sollten, an die mittelalterlichen Missionen der Deutsch-Ritterschaft anzuknüpfen. Wie Jene mit dem Schwerte, so kämpfen diese modernen Ritter mit Waffen des Geistes für eine neue Größe, einen neuen Fortschritt des Vaterland's und dessen Schwerpunkt mußte unvermeidlich in jenem Preußen liegen, das die Deutsch-Ritter einst erstritten und das jetzt den größten deutschen und protestantischen Staat darstellt. – Diesem Zeitgemälde, welches also hauptsächlich den protestantischen Norden umschließt, stellte er, um das Gesammtbild Deutschlands zu vervollständigen, ein Zweites zur Seite: Der Zauberer von Rom, dessen Schauplatz im Süden und Westen unseres Vaterlandes liegt und der die Anschauungen und Triebfedern der katholischen Welt, die ja doch auch zu uns gehört, darlegt. Mit prophetischem Geiste hat er in diesem Werke auf eine Verjüngung des Papstthums hingedeutet, die sich wohl auch ohne Zweifel vollziehen muß, wenn dasselbe noch weiter fortbestehen soll.

Auch seinen späteren Romanen hat Gutzkow stets einen historischen Hintergrund gegeben, der in irgend einer Beziehung an unsere Gegenwart anknüpft; hochinteressant ist Hohenschwangau, das uns in lebendigster Weise in das Zeitalter der Reformation einführt. Pestalozzi und seine Söhne, ruft der Erinnerung eine der düstersten und noch unaufgehelltesten Geschichten des 19. Jahrhunderts, die von Kaspar Hauser, zurück und Fritz Ellrodt giebt uns ein tragikomisches Bild von den Zuständen tiefster Erbärmlichkeit, wie sie die Kleinstaaterei des 18. Jahrhunderts in Deutschland erschaffen hat.

Gutzkow ist kein leicht zu lesender Schriftsteller; Styl und Form lassen Manches zu wünschen übrig und man muß,[277] um ihn ganz zu genießen und zu würdigen, historisches Verständniß besitzen. Wer sich aber dieses zu eigen gemacht, wird, namentlich im Hinblick auf unsere Zeit, sich durch seine Worte stets belehrt und zu einem lebhafteren Vaterlandsgefühl angeregt finden.[278]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 252-279.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Geschichte von 1815-1870
Deutsche Geschichte von 1815-1870

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon