Dreizehnte Vorlesung

[306] Geistiges Leben in Deutschland. Strauß. Feuerbach. Bruno Bauer. Die politische Dichtung. Uhland. Sallet. Prutz. Hoffmann von Fallersleben. Dingelstedt. Herwegh. Freiligrath. Deutschkatholische Unruhen in Leipzig. Liberales Auftreten der badischen Kammer. Begründung der deutschen Zeitung. Versammlung der deutschen Germanisten. Offener Brief des Königs von Dänemark. Begeisterung für Schleswig-Holstein. Vereinigter Landtag in Berlin. Lola Montez


Wenn wir im Verlaufe der 20ger Jahre beobachtet haben, welch ein reiches, geistiges Leben sich in Frankreich in der letzten Zeit der Bourbonenherrschaft entwickelte und wie die wachsende Opposition daraus zumeist ihre Waffen schmiedete und ihre Nahrung schöpfte, so begegnen wir jetzt einem ähnlichen Verhältnisse in Deutschland. Trotz des politischen Druckes und der kirchlichen Reaction gab sich eine ungewöhnliche Regsamkeit auf wissenschaftlichen Gebieten und innerhalb der gelehrten Kreise kund.

Als besonders einflußreich auf diese erhöhte Thätigkeit zeigten sich die Lehren des berühmten Philosophen Ludwig Hegel, der seit einer Reihe von Jahren an der Berliner Universität wirkte und den 1831 die Cholera dahin gerafft hatte. Die Begriffe, welche er über die Auffassung von Staat und Christenthum philosophisch begründet hatte, wurden weniger durch ihn selbst als durch die Jünger seiner Schule, die sogenannten Junghegelianer, zur Anwendung auf die bestehenden Zustände gebracht und so erzeugte deren zersetzende Kraft einen gewissen revolutionären Geist, sogar innerhalb der gelehrten Welt.

Die Humanitätsidee, wie sie Herder zuerst in seinen »Ideen zur Geschichte der Menschheit« durchgeführt und dadurch das »Menschliche« wieder zur Geltung gebracht[306] hatte, wurde nun weiter entwickelt und bezüglich der Geschichte vornehmlich an dem Prinzip einer inneren fortschreitenden Entwickelung festgehalten. Im zusammenhange damit wollte man denn auch, wie Herder es bereits angedeutet, in der Erscheinung des Christenthums nicht den Beginn einer vollständig neuen Zeit, einer besonderen Offenbarung, sondern nur eine der Phasen des allgemeinen menschlichen Fortschrittes erkennen. Hand in Hand mit solch einfacheren und naturgemäßeren Ansichten gingen die Resultate der neueren Naturforschung; indem dieselbe sich mehr und mehr auf ergründete Thatsachen stützen konnte, begann sie der dunklen und romantischen Naturphilosophie, wie sie Schelling, ohne sich um das wirkliche Wesen der natur zu bekümmern, in ein System gebracht hatte, den Krieg zu erklären.

Obgleich nun alle diese Dinge vorerst nur in streng gelehrten Kreisen verhandelt und auch nur in solchen verstanden wurden, sah man sie dennoch von Seiten eines Ministerium's Eichhorn und des ihm geistesverwandten Ministerium's Abel in München, sowie aller ihnen gleichdenkenden Geister, als höchst staatsgefährlich und kirchenfeindlich an, und die Polemik, die von oben her dagegen erhoben wurde, erweckte eigentlich zuerst das Interesse des gebildeten Publikums dafür, und zwar um so mehr, als die mittelalterlich-reactionären Zustände, wie ich sie vorhin geschildert, schon ohnehin den natürlichen Gegensatz eines freien Denkens hervorrufen mußten.

Mit Begierde verschlang man jetzt die von Arnold Ruge und Echtermeyer herausgegebenen Halle'schen Jahrbücher, welche mit schlagenden Worten die politische und religiöse Reaction bekämpften, und das Vorrecht der freien Forschung und Kritik für alle Erzeugnisse der politischen, theologischen und literarischen Wissenschaften in Anspruch[307] nahmen. Dieses Organ war seinerzeit von außerordentlichstem Einfluß und verbreitete in weiteren gebildeten Kreisen den Hauptinhalt der gelehrten Schriften, die sich in jener Epoche vorzugsweise mit der freieren theologischen Forschung beschäftigten.

Es waren hauptsächlich zwei Männer, die auf diesem Gebiete eine breite Bahn des Fortschritts brechen sollten, ein Philosoph und ein Theologe, Ludwig Feuerbach und David Strauß. Ludwig Feuerbach, 1872 in Nürnberg verstorben, war ein Sohn des berühmten Rechtsgelehrten Amselm Feuerbach; er ließ ein philosophisches Werk: »Ueber das Wesen des Christenthums«, erscheinen, durch welches er allen damals herrschenden Ansichten auf's Schroffste entgegentrat. Er behauptete und führte seine Ansicht mit logischer Consequenz durch, daß die Dogmen, die Glaubenssätze, erst nach und nach, zufällig und willkührlich entstanden, und häufig mit dem eigentlichen Geiste des Christenthums ganz unvereinbar seien. Bei der damaligen Strömung der Zeit mußte dies Bekenntniß dem kühnen Philosophen seinen Lehrstuhl zu Erlangen kosten; es war um so anstößiger, als er bereits in einem früheren Werke über Unsterblichkeit nachzuweisen versuchte, daß Körper und Geist unzertrennlich aneinander gebunden seien und Eins mit dem Andern entstehe und zerfalle.

Feuerbach ging in seinen Auffassungen schon einen Schritt weiter, als seine hauptsächlichen Mitstreiter und Mitgenossen, die sich mehr vom theologischen und historischen als philosophischen Standpunkte aus mit der Kritik der Schriften des neuen Testamentes, den Evangelien und dem Leben Jesu beschäftigten. Zu Jenen, welche besonders thätig dafür waren, um darzuthun, wie die Evangelien nachweislich erst mehrere Jahrhunderte später entstanden seien, als ihre sogenannten Urheber gelebt, daß dieselben wohl theilweise auf[308] älteren Handschriften beruhen mochten, aber zu noch größerem Theile frei erfundene, schriftstellerische Compositionen zu sein schienen, gehörte der bekannte Bruno Bauer, der denn auch in Folge seiner Kühnheit von Bonn, wo er sich als Docent habilitirt hatte, weggewiesen wurde und später als Schriftsteller in Berlin lebte. Bruno Bauer aber stand mit seinen Schriften schon auf den Schultern eines Größeren als er, des berühmten David Strauß, des Verfassers des »Leben Jesu«.

Auch Strauß war Theologe und hatte seine Ausbildung als Zögling des Maulbronner Stiftes, einer Pflanzschule künftiger Theologen, empfangen. Diese Stifte oder Convicte sind eine Art von protestantischen Klöstern, wie sie sich in Würtemberg, wo man bekanntlich zur Zeit der Reformation die Formen und Benennungen der katholischen Kirche in den Protestantismus hinübernahm, mehrfach erhalten haben. Der orthodoxe Zuschnitt dieser Stifte, die indessen ihren Schülern eine gründliche wissenschaftliche Bildung vermitteln, mochte dazu beitragen, daß gerade sich in Würtemberg im Gegensatz dazu eine Schule aufgeklärter und freisinniger Theologen bildete, nach ihrem verehrten Haupte, die Bauer'sche Schule genannt, aus der eine Reihe berühmter und aufgeklärter Theologen hervorgegangen ist.

Friedrich David Strauß war in Ludwigsburg am 27. Januar 1808 geboren und der junge Mann zog schnell aller Blicke auf sich, als 1835 sein Werk das »Leben Jesu« erschien. Es war bei seinem ersten Erscheinen ein streng gelehrtes Buch, in welchem der Verfasser mit unerschrockenem Muthe, und getragen von einem unerbittlichen, kritischen Scharfsinn, Allen den Fehdehandschuh hinwarf, welche sich immer noch bestrebten, die Gestalt von Jesus Christus trotz besserer Erkenntniß, wissenschaftlich in die Wolken einer Mystik einzuhüllen, die vor dem Geiste des Jahrhunderts[309] keinen Bestand mehr haben konnte. Strauß bemühte sich darum Jesus wissenschaftlich so darzustellen, wie er nach seiner Annahme als Mensch unter den Menschen gewandelt und gelebt. Den frommen Glauben der Menge hatte er damit nicht angetastet; er sprach als Gelehrter zu den Gelehrten, denen er vorhielt, wie sie wissentlich Falsches für Wahres, durch unwahre Mittel und Beweisgründe auszugeben trachteten. Sein Freimuth brachte ihn selbstverständlich wenig äußeren Gewinn, dagegen Schaden genug; man entfernte den jungen, gefährlichen Repetenten eiligst von dem Tübinger Stifte, an dem er lehrte und entzog ihm somit seine liebste Thätigkeit, bis ihm dieselbe durch die mächtig aufstrebende Universität zu Zürich sollte, wie es schien zurückgegeben werden, indem man Strauß um 1839 als Professor der Dogmatik und Kirchengeschichte dorthin berief.

Wir erinnern uns der Veränderungen, die in der Schweiz nach der Julirevolution stattgefunden hatten, und wie von da an die protestantischen Cantone ihr Hauptaugenmerk auf die Erziehung und Bildung des Volkes gerichtet hielten, damit es eine ersprießliche Theilnahme an dem öffentlichen Leben zu nehmen vermöge.

In gleichem Sinne wurde die Ernennung von Strauß von der radicalen Regierung beschlossen, aber dieselbe rief jetzt alle unterdrückten und reactionären Elemente des Canton's Zürich, auf's Neue unter die Waffen. Die Geistlichkeit schürte und hetzte die Bauern und das geringe Volk gegen die Radikalen und Aufgeklärten auf; die Conservativen klagten laut die »Strußen«, so nannte man die Anhänger des Berufenen, und die liberale Regierung des Atheismus, der Gottlosigkeit, des Abfalls vom Christenthume an. Die Bewegung wurde endlich so stark, daß es das Klügste war, nachzugeben; die freisinnige Regierung trat zurück, um einer conservativen das Feld zu räumen, und Strauß wurde, ehe[310] er nur noch seinen Lehrstuhl eingenommen hatte, pensionirt. Wenn auch erschüttert und verletzt durch diese offene Feindseligkeit, setzte er doch unerschrockenen Geistes seine Arbeiten fort und 1843 erschien ein zweites Buch von ihm: die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwickelung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft, und bald sah er sich jetzt durch dieses und sein früheres Werk nach allen Richtungen hin in die heftigsten Streitigkeiten verwickelt, denen er durch haarscharfe Schriften und Entgegnungen tapfer die Stirne zu bieten verstand, dabei freilich immer mehr einsehend, daß es ihm schwerlich jemals mehr vergönnt sein werde, zu der Jugend seines Volkes vom Lehrstuhle herab reden zu dürfen. In jener Zeit war es auch, wo er sich mit der vielgefeierten Sängerin Agnese Schebest verheirathete, doch ohne dadurch einen Ersatz für das Verlorene zu finden.

Alle diese Vorgänge warfen so trübe Schatten in sein Gemüth, daß dies auf seine Ehe nicht ohne Einfluß bleiben konnte, sie entwickelte sich für beide Theile so wenig befriedigend, daß sie schon nach mehreren Jahren wieder getrennt wurde, weil beide Gatten einander in ihren verschiedenen Geistesrichtungen durchaus nicht verstanden. Mit Ehren aber hat Agnese Strauß den Namen ihres berühmten Mannes bis an ihr Ende getragen, geachtet und geliebt von Allen, die ihrem arbeitsamen Leben, welches sich wieder der künstlerischen Wirksamkeit, doch außerhalb der Bühne zuwandte, nahe standen, die ihren Fleiß und ihre Thätigkeit kannten. – Auch Strauß unablässig weiter arbeitend, wendete sich jetzt mehr und mehr von der Theologie hinweg, um Werke von mehr allgemeinem Interesse zu schaffen. Vom feinsten Schönheitsgefühle beseelt, Aesthetiker durch und durch, bezeigte er jetzt eine wahre Meisterschaft in den biographischen Darstellungen von solchen Männern, denen er sich selbst innerlich verwandt fühlte. Er wählte für seine Gestalten, die er[311] mit der Feder ausmeißelte, wie es der Bildhauer mit seinen Marmorsculpturen thut, meistens solche Geisteskämpfer, die einestheils seinen theologischen Studien nahe standen oder sich anderntheils mit der Dummheit ihrer Zeit und der Willkühr ihrer Fürsten im grellen Widerspruch und Kampf befunden hatten. Um die Hauptgestalt gruppirte er dann die Zeitverhältnisse, die Denkungsart der Mitlebenden, so getreu und plastisch, daß man mit nie erlahmendem Interesse das Bild betrachtet, welches er vor unseren Augen erschafft. – So hat er uns Julian den Apostaten geschildert, so den unglücklichen Dichter Schubert, seinen genialen Landsmann, der an Fürstentyranney erbarmungslos zu Grunde ging. In der Biographie seines Freundes Christian Märklin schuf er ein Charakterbild aus der Gegenwart, an dem er entwickelte, welche inneren Seelenkämpfe der neuere und denkende Theologe durchzumachen hat. Sein Nikodemus Frischlin führte darnach den Leser in die Zeitverhältnisse am Ende des 16. Jahrhunderts zurück und zeigte ihm, wie deren Kümmernisse einen hochbegabten Mann geistig und sittlich zu Grunde richten konnten.

Am höchsten jedoch von Allem, was Strauß in dieser Hinsicht geleistet, steht sein Ulrich v. Hutten, ein zweibändiges Werk, welches eine solche Fülle des interessantesten, lebensvollsten Materials enthält, daß man es immer und immer wieder lesen und in sich aufnehmen möchte. Dieses Werk ist historisch wie literarisch gleich interessant, ganz abgesehen von der herrlichen Gestalt Hutten's, die uns da so lebendig entgegentritt als ob wir ihn persönlich gekannt denn mit diesem Manne ganz besonders, mit dessen heller, lichter Geistesklarheit, die ohne Menschenfurcht und ohne Scheu ihre Consequenzen zog, wo es der Wahrheit galt, verband Strauß die tiefste Sympathie.

Noch erwähne ich seine Biographie des Hamburger Senators [312] Reimarus, jenes merkwürdigen Mannes, der erst auf dem Todtenbette seinen Kindern das Werk seines Lebens zu übergeben wagte, worin er seine eigenen Ansichten über das Wesen Christi und dessen Lehre, ganz in derselben rationellen Weise ausgesprochen hatte, wie es Strauß ein Jahrhundert nach ihm öffentlich that. Bruchstücke, aber auch nur Bruchstücke dieses Werkes von Reimarus hat ja dann Lessing später unter dem bekannten Titel der Wolfenbüttler Fragmente veröffentlicht, und Sie werden sich aus der Literaturgeschichte erinnern, welchen Sturm und welches Aufsehen jene Fragmente damals erregten, wie sie Lessing zur Genüge Haß und Verfolgung zuzogen. Nicht weniger ausgezeichnet als jene größeren Werke sind die kleinen Schriften von Strauß, meist literarischen und kunstgeschichtlichen Inhalts. – So vergingen ihm Jahre stillen, angestrengten Fleißes, als er sich in den 60ger Jahren, durch den Geist der Zeiten wieder auf den theologischen Kampfplatz gerufen sah. Kurz nachdem das bekannte Buch von Renan: »La vie de Jésus,« erschienen war, welches in populärster Weise ein Thema behandelt, das bis dahin nur unter den Gelehrten debattirt wurde, gab Strauß sein eigenes: »Leben Jesu« 1864 in zweiter Auflage heraus, jetzt aber für das deutsche Volk gleichfalls in Jedermann zugänglicher Weise bearbeitet. Es erregte jetzt in den weitesten Kreisen die gleiche Sensation, wie bei seinem ersten Erscheinen, und von diesem Zeitpunkte an schloß sich Strauß immer mehr jener populären Darstellungsweise wissenschaftlicher Dinge an, die als ein dringendes Erforderniß unserer Zeit erkannt wurde und die auch allein im Stande ist, die Resultate des Wissens und des Forschens zum Gemeingut zu machen. Er entging freilich dadurch nicht den Vorwürfen der zünftigen Gelehrten, die ihm schon bei dem Erscheinen seines: Leben Voltaire's vorwarfen, er schreibe nicht mehr wissenschaftlich genug. Mit noch größerer Erhitzung[313] und Erbitterung wurde ihm dies entgegengeschleudert, als sein letztes und höchst bedeutungsvolles Werk: Der alte und der neue Glaube, erschien. – Tief ergriffen von den eminenten Resultaten der Naturforschung und der sich daraus ergebenden Schlüsse, hat Strauß in diesem Werke jeden Rest theologischen Bedenkens von sich geworfen, indem er seine letzten, innersten Gedanken aussprach und sich ohne Scheu auf die Seite der philosophisch-materialistischen Anschauung stellte. Ueber den literarischen Werth des Buches mögen sich Zweifel erheben, der politische Theil desselben mag Vielen schwach und beschränkt erscheinen – gleichviel, für den unerschrockenen Geistesmuth von Strauß, von seiner Wahrheitsliebe, legt es wiederum ein glänzendes Zeugniß ab. Es ist mehr als ein Buch mit seinen Mängeln oder Vorzügen, es ist eine That – und die Zukunft unserer geistigen Entwicklung wird darüber zu entscheiden haben, ob Strauß am Ende seiner Tage ein wahrer oder ein falscher Prophet gewesen. Mit reger Theilnahme blickte ganz Deutschland auf das Ende seines vielgeprüften Lebens, das ihn nach schweren körperlichen Leiden im Frühjahr 1874 dem Tode und, nach seiner Anschauung, der Vernichtung entgegenführte, der er heiter und mit sokratischer Ruhe in's Angesicht schaute, überzeugt davon, daß sein Denken und Wirken für die Aufklärung der Menschheit ein segensvolles gewesen.

Wenn ich mich etwas lange bei dem Lebensbilde dieses Mannes aufgehalten habe, so geschah es darum, weil sein eigener Geisteskampf auch zugleich ein Abbild der geistigen Kämpfe ist, die seit dreißig Jahren unsere Zeit bewegen und in deren Strömungen wir noch mitten inne stehen. – An die genannten Männer schließt sich dann noch eine lange Reihe von Solchen an, die im gleichen Sinne der Aufklärung wirkten, und deren Koryphäen ich nur zu nennen brauche, um daran zu erinnern, was sie Großes geleistet oder wozu[314] sie den Anstoß gegeben. Alexander v. Humboldt, der noch in seinen letzten Lebensjahren das Interesse der Gebildeten an den inneren Vorgängen des gesammten Naturlebens so mächtig förderte, Justus Liebig, der die Gesetze der organischen Chemie entdeckte und damit der Wissenschaft Bahnen eröffnete, von denen sie nie zuvor geträumt hatte. Zu ihnen gesellten sich die Geschichtsschreiber und Forscher: Schlosser, Dahlmann, Ranke, Häusser und Andere, die nach der gleichen Methode des Untersuchens und Abwägens ihr Feld bebauten, wie Jene, aber erst um 1848 ihre volle Bedeutsamkeit erhielten. Auch sie rückten jetzt durch eine veränderte Darstellungsweise das Studium der Geschichte dem Verständnisse des Gebildeten so viel näher und belebten die trockene Erzählung durch eine lichtvolle Entwicklung der Begebenheiten, nach deren eigenen inneren Gesetzen.

Diese gemeinsame Regsamkeit auf allen Gebieten des Wissens erhob den Muth, und begeisternd durchzuckten ihre Blitze die dumpfe Schwüle, die sich ahnungsvoll mehr und mehr über ganz Deutschland auszubreiten begann, während keck und kecker die leichte Reiterei der politischen Dichter nebenher plänkelte und oft mit einer einzigen Strophe, einem hingeworfenen Reim, die Geister tiefer ergriff und fortriß, als es die langsamere Ueberlegung zu thun vermochte.

Die deutsche Lyrik, längst von dem wesenlosen Scheine der Romantik befreit, nahm einen neuen Aufschwung, eine neue Richtung durch den Einfluß der schwäbischen Dichterschule und deren unvergeßlichen Heerführer – Ludwig Uhland. Es war klarer, lichter Morgen, der mit ihm hereinbrach; eine einfache, schlichte, verständige Auffassung der Natur sprach wieder aus diesen Poesien, ein kräftiges Bild des Mittelalters, so wie es wirklich gewesen, trat dem Leser daraus entgegen, verbunden mit einem patriotischen ächt deutschen Wesen. Wie hatte aber auch noch der alte Goethe[315] seine große Freude an Uhland und an dessen dichtenden Freunden, und gerne mochte er manchmal, seiner eigenen Thätigkeit und der des Freundes gedenkend, ausrufen: »Ja, hätten wir, der Schiller und ich, eine solche Sprache vorgefunden, wie wir sie diesen hinterlassen, was wären wir dann erst für Kerle geworden!«

Wie nun aber Uhland uns zuerst durch seine Dichtungen und Schriften die eigentliche Literatur des Mittelalters erschloß, uns auf's Neue die Minne- und Meistersänger kennen lehrte, so muß man ihn auch als den ersten politischen Dichter Deutschlands aus der neuen Zeit bezeichnen, und Proben davon haben wir schon gehört. Ganz ähnlich wie sein Liebling, Walter v. d. Vogelweide, so ließ er die Klagen, Wünsche und Hoffnungen einer düsteren Gegenwart aus seinen Liedern erklingen, und in gleich patriotischem Sinne dichteten seine Freunde, Gustad Pfitzer, Karl Mayer, Eduard Möricke und Gustav Schwab, der sich namentlich durch die Herausgabe der Volksbücher: des hörnenen Siegfried, der schönen Magellone, des Dr. Faust u.s.f. ein hohes Verdienst erwarb. Rechnen wir dazu unsern unvergleichlichen Hebel, der die ganze Treuherzigkeit der früheren Sprachweise durch seine allemannischen Lieder neu belebte, und einen ächt deutschen innigen Volkston in sie zu legen wußte, so mochte man hoffen, daß Deutschland nicht verloren gehen könne, so lange es noch solche und ähnliche Dichter besaß, und je heißer der politische Kampf wurde, je schärfer die Gegensätze aufeinander platzten, desto entschiedener und kräftiger griffen sie in die Saiten. An den ernstesten Gegenständen selbst versuchte sich diese moderne, kampfesmuthige Lyrik; einen Pendant gewissermaßen zu dem »Leben Jesu« bildete das um 1842 herausgegebene Laien-Evangelium von F. v. Sallet, einem der edelsten und reinsten Dichter, den Deutschland je besessen. Nichts in der[316] Welt galt ihm so hoch, als Freiheit und Wahrheit, und im idealsten Sinne haben seine poetische Productionen dafür gekämpft, bald mit hohem Schwunge, bald mit Spott und Erbitterung Auch er hat mehr als einmal sein Volk herbe gezüchtigt, aber ähnlich wie Börne, aus Liebe, nicht aus Gleichgültigkeit, wie er denn überhaupt mit diesem eine große geistige Verwandtschaft zeigte. Sein größtes Werk, das Laien-Evangelium ist seiner Zeit Vielen eine Art von Bibel, ein Erbauungsbuch gewesen, namentlich in den Tagen des Deutschkatholicismus, und es mag dies auch heute noch der Fall sein. Sallet bemühte sich in diesem neuen Evangelium, im Anschluß an die Worte der alten Evangelien, dieselben im Sinne eines geläuterten, veredelten Christenthums zu deuten, ihren Geist vom Buchstaben zu befreien und denselben in freier Auffassung auf die jetzigen Zeit- und Lebensverhältnisse anzuwenden. Was dort frommer Glaube und Wunder wirkten, das soll jetzt durch vernünftiges und bewußtes Wollen des wahren Christen erstrebt und erreicht werden, ohne überirdische Zuthaten. Sallet hat auch das Frauenleben, in dem schönen Gleich nisse von Maria und Martha, in den Kreis seiner Betrachtungen gezogen und ihnen damals schon das bedeutsame Wort zugerufen:


»Wollt ihr uns ebenbürtig, Menschen heißen,

Müßt, Geister ihr, mit uns im Geiste leben!« –


Würdig neben Sallet, als ein Mann, in dem ein bedeutendes Dichtertalent sich mit dem festen Muthe des Charakters verbunden zeigte, steht Robert Prutz. Mitarbeiter an den Halle'schen Jahrbüchern und schon frühe wegen seiner liberalen Gesinnungen und Schriften verfolgt, trat er zum ersten Male als politischer Dichter im Jahre 1840 auf, durch eine an Niklas Becker gerichtete, poetische Antwort, voll dichterischem Schwung, in der er hervorhob, daß der Rhein nur dann wahrhaft frei sein, und keine Eroberer zu[317] fürchten haben werde, wenn die innere Freiheit sich an seinen Ufern auferbaut habe. Er ruft unter Anderm:


»Wer hat ein Recht zu sagen und zu singen,

Vom freien Rhein, dem freien deutschen Sohn?

O, diese Lieder, die so muthig klingen,

Bei'm ew'gen Gott, sie dünken mich wie Hohn!

Ja, wolltet Ihr erwägen und bedenken,

Welch' stolzes Wort von Euren Lippen kam,

Ihr müßtet ja die Augen niedersenken,

Mit bitt'ren Thränen voller Zorn und Scham!«


Dann wendet er sich an die deutschen Fürsten, sie daran erinnernd, daß es einen andern Genossen gibt, der ihre Länder besser zu beschützen vermag als die Felsen des Stromes:


»D'rum frisch gewagt und Euch mit ihm verbündet:

Es ist der deutsche, ist der freie Geist!

Gebt frei das Wort, ihr Herrn, auf euren Thronen,

So wird das Andre sich von selbst befrei'n;

Wagt's und vertraut! in allen Euren Kronen,

Wo gibt's ein helleres, edleres Gestein?

Die Presse frei! Uns selber macht zum Richter!

Das Volk ist reif, ich wag's und sag' es laut;

Auf Eure Weisen baut, auf Eure Dichter,

Sie, denen Gott noch Größ'res auch vertraut!« u.s.w.


In ähnlicher Weise hat später Prutz noch oft das Wort ergriffen, und was er sonst geleistet als Lyriker, Kritiker und Literarhistoriker ist unserer Zeit genügend bekannt.

Ein derberer, doch nicht weniger gesinnungstüchtiger Sänger war Hoffmann von Fallersleben, der, als Philologe, sich auch vorzugsweise mit der Literatur und den Sprachformen des deutschen Mittelalters beschäftigte, und in die ersten Reihen Jener gehört, die die halb vergessenen und doch so reichen Schätze der damaligen Lyrik wieder an's Licht zogen. Auf seine Dichtweise hatte die Vertrautheit mit den alten Dichtformen, namentlich mit dem Minnelied, großen[318] Einfluß, und wir Alle kennen und lieben ja seine prächtigen Kinderlieder, seine Liebes- und Heimathlieder, die namentlich durch ihre Sangbarkeit zur Composition geeignet, in Jedermanns Munde sind. Weniger weiß man heute noch von seinen: »Unpolitischen Liedern!« so von ihm genannt, weil sie, nur Politik enthaltend, für ihn selbst sehr »unpolitisch« waren. Ihr Spott traf denn auch tief genug, um ihm seine Professur in Breslau zu kosten, indem ihm die preußische Regierung dieselbe entzog. Dagegen wuchs seine Popularität um so mehr und Jedmänniglich freute sich der derben Geißel, die er geschwungen, wenn er auch dabei seine lieben Deutschen oft wenig schonte. Nicht ganz mit Unrecht warf er ihnen vor, wie sie fortwährend thatlos blieben, während sie doch gar tapfer mit der Zunge politisiren könnten, auf der Bierbank:


»Deutschland ist noch nicht verloren!

Deutschland strotzt von Kraft und Geist!

Auf der Bierbank –

Allem sei der Tod geschworen,

Was nur wälsch und undeutsch heißt!

Auf der Bierbank!« –


An Hoffmann schloß sich ein junger Kurhessischer Dichter an, Franz Dingelstedt, den man bereits als gern gelesenen Lyriker kannte, als sein: »Kosmopolitischer Nachtwächter« erschien, der bald auch wieder in Jedermanns Händen war. Mit der Laterne durchstreift der Wächter der deutschen Nacht das deutsche Land, und singt auf allen Straßen und an allen Thüren, wo es bedeutungsvoll erklingen konnte, vor Königsschlössern, Ministerhotels, Bankier pallästen und auf der Eschenheimergasse, sein Lied, bald in herbem Spotte, bald mit tiefer, süßer Innigkeit.

Unendlich zündender jedoch, als die Genannten, wirkte Georg Herwegh auf seine Zeitgenossen mit seinen »Gedichten[319] eines Lebendigen.« Man kann sagen, daß er eine Weile gefeiert und vergöttert wurde, wie es selten einem deutschen Dichter geschieht, denn er traf die innerste Gemüthsseite des deutschen Wesens; nicht mit Spott und Satyre focht er für die gute Sache, sondern mit einem erhabenen Pathos, einem fortreißenden Schwung, der geradezu begeisternd wirkte. Mochte auch Manches in seinen Gedichten unklar sein – gleichviel, man fühlte nur darin den Pulsschlag der Zeit in einem Tempo, der jedes Herz erschütterte. Herwegh nannte seine Gedichte die »des Lebendigen«, im Gegensatze zu dem fürstlichen Schriftsteller Pückler-Muskau, der seine Reisen und Erlebnisse in »Briefen eines Verstorbenen«, mittheilte, weil es doch gar bürgerlich für einen Fürsten gewesen wäre, mit seinem hohen Titel unter die Literaten zu gehen. Der parfümirte, aristokratische Ton dieser Briefe, durchsetzt mit französischen und englischen Redensarten, ärgerte die junge Schriftstellerschaar, und wie sittlich durchfressen in der That dieses fürstliche Leben gewesen, davon legen seine nachgelassenen Briefe und Tagebücher Zeugniß ab, die gerade jetzt, von der unermüdlichen Ludmilla Assing herausgegeben, erschienen sind.

Herwegh gehörte zu der Zahl Derjenigen, die viel oder Alles von Preußens König hofften, und wir haben bereits gehört, in welcher Weise er den König besungen und wie unbefriedigend für den Dichter die Berührung endigte, in die er sich dadurch zu Friedrich Wilhelm gebracht sah.

In andern seiner Gedichte predigte er offen Krieg oder Revolution:


»Reißt die Kreuze aus der Erden!

Alle sollen Schwerter werden,

Gott im Himmel wird's verzeih'n!

Gen Tyrannen und Philister!

Auch das Schwert hat seine Priester,

Und wir wollen Priester sein!«[320]


Herwegh war, wie bald auch sein Mund wieder verstummte, ein ächter Dichter von »Gottes Gnaden«; von unendlichem Wohlklang sind seine Sonette und sie drücken den Gedanken, der sie beseelt, fast immer voll und ganz aus. Für die Stimmung der Zeit aber am bezeichnendsten und darum auch für unseren Zweck, kann ich es kaum umgehen, sein Gedicht: »An das deutsche Volk!« hier ganz mitzutheilen:


»Deutschland, o zerrissen Herz,

Das zu Ende bald geschlagen,

Nur um Dich noch will ich klagen,

Und in einer Brust von Erz

Will ich meinen kleinen Schmerz,

Meinen kleinen Jammer tragen.

Vaterland! um Dich nur klagen!

Lustig grünt Dein Nadelholz,

Lustig rauschen Deine Eichen;

In den sechsunddreißig Reichen

Fehlt ein einzig Körnchen Gold's;

Freier Bürger hoher Stolz,

Fehlt im Lande sonder Gleichen,

In den sechsunddreißig Reichen!

Wenn ein Sänger für Dich focht,

Wenn ein Mann ein Schwert geschwungen,

Hast Du scheu nur mit gesungen,

Hast Du schüchtern mit gepocht,

Und man hat Dich unterjocht,

Hat Dich in den Staub gezwungen,

Weil Du gar so still gesungen!

Ihr beweinet's und bereut's –

Und das nennt Ihr deutsche Treue?

Laßt die Thränen, laßt die Reue,

Soll nicht einst der Enkel Teut's,

Sterben an der Zwietracht Kreuz,

Kämpf' und handle, Volk, auf's Neue,

Denn der Teufel ist die Reue![321]

Tritt in Deiner Fürsten Reih'n,

Sprich: Die sechsunddreißig Lappen

Sollen wieder besser klappen

Und ein Heldenpurpur sein!

Ein Reich, wie ein Sonnenschein!

Ein Herz, ein Volk und ein Wappen,

Helf' uns Gott – so soll es klappen!«


Herwegh war nach seiner Ausweisung aus Preußen nach der Schweiz zurückgekehrt. Trotz aller Erregung, die seine Poesien hervorgerufen, konnten sie ja doch an den bestehenden Zuständen nichts ändern; noch war die Zeit nicht reif, noch mußten immer neue Anstrengungen gemacht werden, das deutsche Volk emporzurütteln und nun greift nach Herwegh wieder ein Sänger in die Harfe, den man schon seit lange kannte und verehrte, der aber jetzt seine Weisen in eine andere Tonart umsetzte, es war Ferdinand Freiligrath. Seine Muse hatte ihn bis dahin in den Orient und an die weit entlegenen Küsten Amerika's oder Afrika's getragen, nun kehrte sein Geist zurück zur Heimath und er benutzte die Kraft seiner Sprache, den Bilderreichthum, der ihm zu Gebote stand, jetzt dazu, seinem Volke gleichfalls einen Spiegel vorzuhalten, ihm nach seiner Art zu sagen, was es werden solle und müsse, wenn es sich endlich aufzuraffen und von den Fesseln der Tyrannei zu befreien, begehre. Im Jahre 1844 schickte er die jährliche Pension von 300 Thalern, die er von dem König von Preußen hatte, zurück, um als freier Mann seine: »Neuen Gedichte«, die 1845 erschienen, heraus zu geben und seitdem hat Freiligrath's Sang alle Geschicke seines Volkes begleitet in Lust und in Leid, bis zum heutigen Tage, und kaum Einen wird es geben, den man mit so vollem Rechte als den Sänger seiner Nation bezeichnen darf, wie ihn. Wie athmete man wieder hoch auf bei dem Erscheinen dieser »Neuen Gedichte«, die wahre Perlen der Poesie enthielten.[322] Wie ergreifend klang uns jenes Lied entgegen: »Am Baum der Menschheit drängt sich Blüthe an Blüthe«, mit der End-Strophe:


»Der Du die Blumen auseinander faltest,

O, Hauch des Lenzes, weh' auch uns heran!

Der Du der Völker heil'ge Knospen spaltest,

O, Hauch der Freiheit, weh' auch diese an!

In ihrem tiefsten, stillsten Heiligthume,

O, küß' sie auf zu Duft und Glanz und Schein –,

Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume,

Wird einst vor Allem dieses Deutschland sein!« –


Aber er konnte auch ernst und strafend mit seinem Volke reden, und wie ich Ihnen das bezeichnendste Gedicht Herwegh's an Deutschland mitgetheilt, so möchte ich auch Jenes von Freiligrath nicht übergehen, worin er Deutschland mit Hamlet vergleicht und sein Vaterland anfleht, die Tragödie in einer anderen Weise zu enden, als mit dem eigenen Untergang, wie Jener.


Hamlet.


Deutschland ist Hamlet – ernst und stumm,

In seinen Thoren jede Nacht,

Geht die begrabne Freiheit um,

Und winkt den Männern auf der Wacht.

Da steht die Hohe, blankbewehrt,

Und sagt dem Zauderer, der noch zweifelt:

»Sei mir ein Rächer, zieh' Dein Schwert!

»Man hat mir Gift in's Ohr geträufelt!«

Er horcht mit zitterndem Gebein,

Bis ihm die Wahrheit schrecklich tagt;

Von Stund' an will er Rächer sein –

Ob er es wirklich endlich wagt?

Er sinnt und träumt, und weiß nicht Rath;

Kein Mittel, das die Brust ihm stähle!

Zu einer frischen, muth'gen That

Fehlt ihm die frische, muth'ge Seele![323]

Das macht, er hat zu viel gehockt,

Er lag und las zu viel im Bett,

Er wurde, weil das Blut ihm stockt,

Zu träg' von Athem und zu fett.

Er spann zu viel gelehrten Werg,

Sein bestes Thun ist eben Denken,

Er stack zu lang in Wittenberg.

Im Hörsaal, oder in den Schenken! –

Drum fehlt ihm die Entschlossenheit –

Kommt Zeit, kommt Rath, er stellt sich toll,

Hält Monologe lang und breit,

Und bringt in Verse seinen Groll!

Stutzt ihn zur Pantomine zu,

Und fällt's ihm einmal ein zu fechten,

Dann muß Polonius-Kotzebue,

Den Stich empfangen, statt des Rechten. –


so geht die Parallele des Gedichtes zwischen Deutschland und Hamlet weiter fort, bis der Dichter am Ende ausruft:


Gottlob, noch sind wir nicht so weit,

Vier Acte sah'n wir spielen erst!

Hab' Acht, Held, daß die Aehnlichkeit,

Nicht auch im fünften Du bewährst! –

Mach' den Moment zu Nutze Dir,

Noch ist es Zeit, drein mit dem Schwert,

Eh' mit französischem Rappier,

Dich schnöd vergiftet ein Laert!

Eh rasselnd naht ein nordisch Heer,

Daß es für sich die Erbschaft nehme!

O, sieh' Dich vor, ich zweifle sehr,

Ob dies Mal es von Norweg' käme!

Nur, ein Entschluß, auf steht die Bahn,

Tritt in die Schranken, kühn und dreist!

Denk' an den Schwur, den Du gethan,

Und räche Deines Vaters Geist![324]

Wozu dies Grübeln für und für?

Doch – darf ich schelten, alter Träumer?

Bin ich nicht selbst ein Stück von Dir,

Du ew'ger Zauderer und Säumer?


Aber Hamlet, der Träumer, schien sich jetzt wirklich die Augen ausreiben zu wollen, denn wenn wir von diesem kurzen Ueberblick des geistigen Lebens der Nation, das vielleicht eine neue Zeit ankündigte, zu dem Momente zurückkehren, wo wir die historische Darstellung verlassen haben, begegnen uns aller Orten und mehren sich die Kundgebungen eines erwachenden Geistes. Als tief bedeutsam erscheint es uns nun, wie die ersten Regungen eines entschiedeneren und thatsächlichen Widerstandes sich bei dem Kampfe um eine freiere religiöse Auffassung bemerklich machten und zwar wieder in dem Lande, von dem einst die Reformation ausgegangen war, in Sachsen. Im Sommer 1845 erging dort ein Verbot, welches alle Versammlungen der »protestantischen Freunde« betraf und dazu gesellten sich Verfolgungen der deutsch-katholischen Gemeinden, die man bis dahin ruhig hatte gewähren lassen; gleichzeitig fanden solche Verfolgungen auch in andern Ländern statt. Man leitete im Publikum diese Maßregeln auf Verabredungen zurück, die von dem Johannisberge sollten ausgegangen sein. In Sachsen hieß es bald allgemein: »Die Jesuiten sind im Lande!« und der Unwille richtete sich vornehmlich gegen den Prinzen Johann, einen Bruder des Königs, den jüngst verstorbenen König Johann. Am 12. August kam der Prinz nach Leipzig, um die dortige Bürgerwehr zu inspiciren, wurde aber eiskalt empfangen. In Leipzig war eine große deutsch-katholische Gemeinde, die unter der Leitung des so sehr beliebten Robert Blum stand, und statt der Hochrufe auf den Prinzen, ertönten bei der Revue solche zu Ehren Johannes Ronge's! Abends, als dem Prinzen ein feierlicher Zapfenstreich gebracht wurde, erhob sich plötzlich aus der Menge[325] der laute Gesang des Lutherliedes: »Eine feste Burg ist unser Gott!« Der alte Reformationschoral war in jenen religiös aufgeregten Zeiten, und wurde es bald noch mehr, eine Art von deutscher Marseillaise, die tausendfach an allen Orten und bei allen passenden Gelegenheiten erscholl. In Leipzig nun gab dieses Lied das Signal zu einem höchst übereilten und brutalen Angriff des Militär's auf die versammelte Menge, wobei es bis zum Blutvergießen kam, und man behauptete mit großer Bestimmtheit, das Militär sei schon vorher auf alle Fälle bereit gehalten worden. Während des Singens und dem Hin- und Herwogen in den Straßen waren nämlich einige Fenster eingeworfen worden, und die Bürgerwehr begann die Ordnung eben wieder herzustellen, als das Militär dazwischen kam; schon war der ganze große Platz vor dem Hotel des Prinzen von Menschen gesäubert, als plötzlich ohne eine vorherige Warnung von den Truppen zwei scharfe Salven gegeben wurden. Elf Todte blieben augenblicklich auf dem Platze und eine Menge von Menschen wurden mehr oder weniger verwundet; ganz harmlose Spaziergänger, die gar nichts mit der Sache zu thun hatten, wurden getroffen. Furchtbar war die Wuth und Entrüstung, die nun hervorbrach. Der Prinz Johann mußte noch in der Nacht schleunigst von Leipzig entfliehen; Niemand zweifelte daran, daß man durch dieses Verfahren das Volk von vornherein schrecken wollte, vielleicht auch erproben, in wie weit man sich auf die Treue der Truppen verlassen könne.

Es war nur ein Mann in Leipzig, der den nun drohenden Aufstand zu bändigen vermochte, das war Robert Blum. Die Behörden waren in diesem Augenblicke völlig machtlos und obgleich sie innerlich darüber schäumten, mußten sie doch Alles der Leitung dieses Mannes überlassen, der es denn auch glücklich verhütete, daß man bis zu dem Aeußersten kam. Ein großartiges Leichenbegängniß, an dem die ganze[326] Stadt Theil nahm, wurde den Gefallenen bereitet und an ihren Gräbern sprachen begeisterte Redner es ungescheut aus, daß die Zeit der Tyrannei ihre Endschaft erreicht habe und daß ein besserer Tag im Anbrechen sei. Zwar wurde darauf in Leipzig das Militär verstärkt, alle Schriftsteller, die nicht Leipziger waren, ausgewiesen, die Bürgerversammlungen verboten und Blum, als die Aufregung sich gelegt und nichts mehr zu fürchten war, vor ein Kriminalgericht gestellt – vergebens! Das Schiff der offenen Revolution war in Sachsen zuerst unter Segel gegangen und ließ sich nicht wieder einhalten; seine Wimpel wurden geschwellt durch die große Noth und Theuerung, wie auch durch die Handelskrisen der folgenden Jahre von 1846 und 1847.

Ein Vorbild für alle übrigen deutschen Kammern, kämpften zur selben bewegten Zeit die badischen Volksvertreter mit neu erwachtem Muthe gegen ihren kleinen Metternich, wie man dort den damaligen Reactionsminister, den Freiherrn v. Blittersdorf, nannte. Es war die Blüthezeit der badischen Volksmänner, der Itzstein, Sander, Welcker, Hecker, Bassermann und Anderer, und ganz Deutschland blickte mit Bewunderung auf diese unerschrockenen Vorkämpfer. Dem Minister, der ein Mißtrauensvotum nach dem andern erhielt und doch Minister blieb, rief man es laut zu: »Ein deutscher Minister kann Alles unterschreiben, nur seine eigene Entlassung nicht!« – Auch die deutsche Einheitsfrage wurde in Baden zuerst wieder laut berührt; Welcker beantragte: »Der deutsche Bund höre auf, ein geheimer Rath der Fürsten zu sein, und werde ein Bund des deutschen Volkes!« Kein Tag verging, an dem diese Männer nicht voraussagten, daß man auf dem eingeschlagenen Wege fortfahrend, unvermeidlich eine Revolution heraufbeschwören werde, – die Machthaber wollten es nicht glauben und ebenso wenig mochte man dem edlen Theologen [327] Zittel Gehör geben, der im Interesse der Deutsch-Katholiken und der freien Gemeinden, Religionsfreiheit verlangte. Die Kammer wurde aufgelöst und wieder aufgelöst, aber die beständigen Neuwahlen trugen mehr als Alles Andere dazu bei, das badische Völkchen politisch zu erziehen und die deutsche Zeitung in Heidelberg, um 1846 von Gervinus begründet und redigirt, sprach in dem von ihr aufgestellten Programm unendlich klarer und bestimmter, als dies früher geschehen, aus, was gemäßigte, aber entschiedene Männer jetzt von der nächsten Zukunft forderten. Unter dem Panier dieses Blattes schaarte sich bald Alles zusammen, was Deutschland an liberalen und wissenschaftlich gebildeten Autoritäten besaß; seine Entstehung verdankte es vornehmlich einer Versammlung deutscher Germanisten, die zum ersten Male im September 1846 zu Frankfurt a. M. zusammengetreten waren und ihre Sitzungen in dem alten Kaisersaale auf dem Römer ahhielten. Da saßen die besten deutschen Männer nebeneinander gereiht – Arndt, Dahlmann, Gervinus, die Brüder Grimm, Pertz, Ranke, Uhland und Andere die an alle deutschen Geschichts-, Sprach- und Rechtsforscher die Aufforderung zu dieser Zusammenkunft erlassen hatten. Handelte es sich für sie dabei zunächst um die Erweiterung und Erweckung des nationalen Geistes, so bot ihnen schon gleich beim ersten Male die Gegenwart eine nationale Frage von höchster Wichtigkeit zur Besprechung dar. Sie betraf das Verhältniß der deutschen Herzogthümer Schleswig-Holstein zu Dänemark und dem Deutschen Reiche, eine Frage, über die wir sogleich Näheres hören werden. Es konnte nicht fehlen, daß die im Kaisersaale versammelten Germanisten laut ihr Votum im Interesse der Herzogthümer abgaben und nicht weniger entschieden sprach sich unter ihnen die Ahnung aus, daß man einer bedeutenden Umwälzung entgegen gehe und daß der Tag nicht ferne sein könne, da ein deutsches[328] Parlament sich in der alten Krönungsstadt versammeln werde. Uhland, tief bewegt, den Becher und den Blick zu den Reihen der Kaiser erhebend, die von der Wand so stumm und doch so bedeutungsvoll hernieder schauten, rief unter dem Beifall der Andern »es sei, als ob sie aus ihren Rahmen sprängen und unter die Versammelten träten, um sie mit ihrem Blick anzufeuern oder zu zügeln!«

Solche und ähnliche Momente fanden denn überall und fast in jeder Brust ein lebendiges Echo und unaufhaltsam zogen die Wetterwolken herauf, die den Frühlingssturm von 1848 vorher verkündigten.

Nicht stille ward es mehr im Norden, in den Herzogthümern, wo abermals eine Mißgeburt des Wiener Congresses das Band zu lösen trachtete, welches deutschen Grund und Boden an die Herrschaft des Fremden fesselte, der sich jetzt seinerseits bemühte, dieses Band in eine unzerbrechliche Kette umzuwandeln.

Am 8. Juli 1846 hatte der König von Dänemark, Friedrich VI. jenen für Deutschland so kränkenden, »offenen Brief« erlassen, in welchem er Schleswig und Lauenburg für untrennbar verbunden mit Dänemark erklärte und gleichzeitig die demnächstige Einverleibung von Holstein in Aussicht stellte. Welche tiefe Demüthigung war es für Deutschland, daß ein kleiner Fürst es so ohne Weiteres wagen durfte, drei deutsche Landschaften und noch dazu im vollständigen Widerspruch mit den Wünschen ihrer Bewohner an sich reißen zu wollen! Der dänische König wußte sich freilich im Geheimen durch Rußland, England und Frankreich unterstützt, sonst hätte er wohl diesen Schlag in das Angesicht der deutschen Nation nicht so geradezu geführt, denn am Ende mußten sich doch auch die Fürsten empfindlich davon berührt fühlen. Ganz ähnlich, wie im Jahre 1840, wurde jetzt von Seiten Oestreich's und Preußen's wieder eine nationale Begeisterung für die Herzogthümer[329] gewünscht und erlaubt, und sie machte sich denn auch nach Herzenslust Luft, in Adressen an die Schleswig-Holsteiner, in Zeitungsartikeln, in Gedichten und so fort. Das kleine, wackre Völkchen selber lehnte sich denn auch tapfer gegen die drohende Einverleibung auf und bei einer Volksversammlung in der alten Königs- und Herzogsstadt Schleswig, auf der herrlichen Königswiese an den Ufern der Schlei, wurde beschlossen, jeden Widerstand, der irgend möglich sei, zu leisten. Auch ertönte hier zum ersten Male, allen erregten Gefühlen Ausdruck verleihend, das später millionenfach gegesungene:


»Schleswig-Holstein meerumschlungen!«


Dies Lied wurde die erste deutsche Volkshymne, die in den folgenden Revolutionsjahren electrisirend auf die Menge wirkte, und nur durch die strengsten Verbote wieder unterdrückt werden konnte.

Die Sachlage in den Herzogthümern war indessen verwickelter, als sie sich obenhin ansah; schon im Mittelalter war leider die Ohnmacht des deutschen Reiches zeitweise so groß, daß man unter Kaiser Konrad III. die äußerste Grenzmark des Nordens, das Herzogthum Schleswig, dem König von Dänemark als Reichslehen ließ, um dadurch den räuberischen Einfällen der Jüten und Dänen ein Ziel zu setzen. Solche Reichslehen gab es ja nun schon seit lange nicht mehr, und wer hätte am Ende in der folgenden Zeit den Dänen hindern sollen, Schleswig ganz an sich zu reißen, wenn nicht ein Pact bestanden hätte, der die beiden Herzogthümer Schleswig und Holstein »op eewig ongedeelt«, wie es darin heißt, miteinander verbunden hätte. Es war ein Verhältniß, welches nicht einmal, sondern immer wieder, feierlich verbrieft, besiegelt und von der dänischen Krone anerkannt wurde. – In dieser Weise war Schleswig bis auf wenige Distrikte im Norden ganz deutsch geblieben; die Herzogthümer[330] hatten immer ihre besondere Verwaltung, Rechtspflege, Gesetzgebung und Landesvertheidigung gehabt und nur als ihren Herzog erkannten sie den Fürsten an, der zugleich König der Dänen war. Diese Zusammengehörigkeit nahm eine andere Gestalt an, als es sich in Dänemark um eine neue Thronfolge handelte; dort war wie in England die weibliche Thronfolge zulässig, und eine Nichte des Königs, die Prinzessin Luise, die nächste Thronerbin. In den deutschen Herzogthümern dagegen galt das salische Gesetz, einer Frau konnten sie sich mithin nicht unterwerfen und das Band mit Dänemark mußte sich lösen, sobald dieser Fall eintrat. Aus diesem Grunde suchte man jetzt in Dänemark der Sache voraus zu kommen, und die tiefe Ohnmacht des damaligen Deutschland zu benutzen, um die stammverwandten Herzogthümer ganz an sich zu reißen, ehe noch der entscheidende Moment eintrat. Aber der mannhafte und energische Widerstand des kleinen charakterfesten Volkes vereiteltete dieses Thun; es konnte ja mit viel größerem Rechte verlangen, im Falle der Thronerledigung ein für sich bestehender deutscher Staat zu werden, unter der Herrschaft eines seiner Stammesfürsten, der Herzoge von Augustenburg. – Wie wichtig nun diese ganze Angelegenheit für Deutschland war, wie die verschiedenartigsten Interessen des Handels, der Politik, des nationalen Lebens zum Beistande der Herzogthümer hindrängten, dies konnte ein Kind begreifen. Dem Liberalismus wie den Einheitsbestrebungen war damit ein neuer und vollkommen gesetzlicher Hebel gegeben, den man denn auch nach Kräften benutzte. –

Aber auch ohne besondere Anstrengungen, war es mehr und mehr ersichtlich, wie die Frucht der deutschen Erkenntniß ihrer Reife entgegenging; an allen Orten bereitete sich ein ernster Widerstand vor, aber wie und in welcher Weise er sich nun in den sechs und dreißig verschiedenen deutschen Ländern, oft in Folge[331] der geringsten Anlässe, organisirte und steigerte, wie ihm die Regierungen bald mehr, bald weniger gewaltsam entgegentraten, über diese Details möchte ich rasch hinausgehen, und nur das wichtigste davon hervorheben. Die Beschwerden und die Zustände waren ja überall die gleichen, – überall drängte die allgemeine Unzufriedenheit zu einem offenen Conflict, und ein Funke genügte, die Flamme hervorzurufen.

In der vordersten Reihe der Unnachgiebigen und tyrannisch Gesinnten unter den Regenten standen, wie uns schon bekannt, die von Hannover und Kurhessen, und dort zeigte sich denn auch die Erbitterung naturgemäß am größten. Im Jahre 1847 starb der alte Kurfürst und sein Sohn der seitherige Mitregent, blieb genau derselbe der er vorher gewesen, und bald standen ihm nicht allein die Beamten, sondern auch das Officiercorps ganz ebenso feindlich gegenüber, wie dem Vater. Die schlimmsten Zeiten des kurhessischen Landes knüpften sich ja an die Namen Hassenpflug und Scheffer, sowie an die Berufung der pietistischen Professoren Vilmar und Ilse nach Marburg, nicht minder an die grausame Härte, die man sich fortwährend gegen den unglücklichen Jordan erlaubte.

In Preußen schien man mit Beginn des Jahres 1847 wieder einmal zum Besseren einlenken zu wollen; die Provinziallandtage wurden zu einem vereinigten Landtage nach Berlin einberufen, und wieder hoffte man, derselbe würde nun endlich eine Verfassung ausarbeiten; aber ein königliches Patent und des Königs eigne Worte zerstreuten schnell wieder solche voreiligen Hoffnungen. Sie enthielten eine so offene Kriegserklärung gegen den Liberalismus und dessen Wünsche, daß die bestehende Entrüstung dadurch nicht beseitigt, sondern nur noch gesteigert wurde. Der später so berühmte Heinrich Simon aus Breslau durfte in einer Schrift über das erwähnte Patent: »Ablehnen oder Annehmen?« – dem[332] Könige mit Recht zurufen: »Wir baten Dich um Brod, und Du gabst uns einen Stein!«

Nach sechszehn Wochen ging der »Vereinigte Landtag« so thatlos wieder auseinander, wie er ge kommen war, und die Stände nahmen ihre Unzufriedenheit mit sich nach Hause, in die enttäuschten Provinzen, was der Regierung schlecht zu Statten kam.

Damit aber der ernsten, tragischen Lage auch der Gegensatz der Komödie nicht fehle, so sollte man es in demselben Jahre erleben, wie in München der leichte und kecke Fuß einer Tänzerin eifrig daran mitarbeitete, das Bestehende umzustürzen, ja, man sah mit Grausen und Entsetzen von der einen, mit Freude und Jubel von der andern Seite, wie er sogar das jesuitische Ministerium Abel, den getreuesten Vasallen Metternich's, über den Haufen stieß.

Im Herbste 1846 war die schöne und berüchtigte Tänzerin Lola Montez nach München gekommen. Halb Spanierin, halb Engländerin, glänzte sie weniger durch ihre Tanzkunst, als durch ihre Schönheit, ihren Geist, ihre Koketterie, wie auch durch ihr unverschämtes Auftreten, indem sie sich nichts daraus machte, mit der Reitpeitsche, die sie beständig bei sich trug, ohne Weiteres drein zu schlagen, wenn sie sich ärgerte. Geistvoll, originell und Protestantin, wußte sie den alternden König Ludwig dergestalt zu umgarnen, daß er nichts mehr sah und hörte, als sie, und alle seine himmlischen Heiligen über der irdischen Göttin vergaß. Er richtete glühende Gedichte »an Lolita«, in denen er erklärte, daß er nun zuerst wisse, was Liebe sei, während sie sich in seiner Gegenwart über Alles lustig machte, was er bis dahin beschützt hatte, über die Schwarzröcke, die Pfaffen und die Bigotterie. – Je mehr der König sie verehrte und ihr nachgab, um so mehr wurde sie folglich von dem Klerus gehaßt, nachdem derselbe sich überzeugt hatte, daß die Tänzerin, der er anfänglich auch[333] gehuldigt, um sie als Werkzeug zu gebrauchen, ihm die Herrschaft über den König zu entreißen drohe. »Er ist behext« so schwatzten die gläubigen Altbaiern ihren Beichtvätern nach, das Kreuz dabei schlagend, und er war es auch in der That aus trunkner Leidenschaft. Ganz so leichtsinnig, als Lola erschien, war sie indessen doch nicht; sobald sie inne wurde, wie groß ihre Gewalt über den Fürsten sei, faßte sie den klaren Plan und Vorsatz, ihn aus den Händen der Ultramontanen zu befreien, die sie gleichfalls bitter haßte, und mit Entsetzen sahen Jene den Fürsten mehr und mehr ihren Händen entschlüpfen. Schon begann König Ludwig gefährliche Neuerungen damit, daß er ein eigenes Ministerium für den Unterricht schuf und den Protestanten Vergünstigungen gestattete, die sie bis dahin nicht besessen. Lola wellte aber auch die Früchte ihrer Anstrengungen genießen, und der König, der nicht mehr ohne sie leben konnte, gab ihrem Drängen nach, und beschloß, sie zur Gräfin Landsfeldt zu erheben, um ihr dergestalt den Zutritt zum Hofe zu bahnen. – Die liberal Gesinnten wendeten sich schon lange widerwillig von dem ganzen Scandal ab, nun gerieth aber auch der ganze Adel, namentlich der weibliche Theil desselben, in die höchste Aufregung bei dem Gedanken an die Möglichkeit, die berüchtigte Tänzerin in seine Reihen aufnehmen zu müssen. Der König aber besaß das Recht der Indigenatsverleihung, und er bestand darauf, es trotz allen Widerspruches, Lola Montez zu geben. Da lehnten der Staatsrath wie die Minister es ab, das Document zu contrasigniren; sie Alle reichten, Abel an der Spitze, ihre Entlassung ein, fest überzeugt, damit den König zur Umkehr zu zwingen. Es wurde gleichzeitig ein Warnungsbrief bekannt, den der Fürstbischof von Breslau, ein wahrhaftiger Freund des Königs, an Jenen gerichtet hatte. König Ludwig aber war von seiner Leidenschaft zu sehr beherrscht, um noch vernünftigen Vorstellungen[334] Gehör zu geben, und im Grunde genommen ward ihm eigentlich ganz wohl dabei, als er sich wieder einmal freier konnte gehen lassen, ohne das Gängelband seiner Beichtväter. Er ließ die Minister ihren Abschied nehmen, fand einen abtrünnigen Staatsrath, einen Herrn von Maurer, der nur fünf Tage brauchte, um seine vorherige Meinung zu ändern, und der jetzt nach seinem Wunsch das Indigenatsdecret gegenzeichnete. Ludwig hatte die Freude, bei seiner Freundin, ihr Adelspatent in der Hand, mit den Worten eintreten zu können: »Alle meine Minister habe ich fortgejagt, das Pfaffenregiment hat aufgehört in Baiern; ich habe es meinem Bruder, dem Prinzen Karl gesagt, – ich habe es meinem Sohne dem Kronprinzen geschrieben!« So hatte die Tänzerin gesiegt; die katholischen Studenten, aufgereizt durch ihre Professoren, warfen zwar der neuen Gräfin und auch im königlichen Schlosse die Fenster ein, wofür das neue Ministerium, welches Herr Maurer gebildet, neun ultramontane Professoren, unter ihnen die bekannten Lassaulx, Sepp und Döllinger, suspendirte.

Im Lande äußerte sich überall helle Freude über den Sturz der Bigotterie; »Lola hat Loyola besiegt«, so äußerte sich der Volkswitz und man hoffte mit Zuversicht auf bessere Zeiten in Bayern. Hatten der Adel und die Kirche sich doch dann erst gegen den König gewendet, als ihnen persönlich zu nahe getreten wurde; man gönnte ihnen die Niederlage, trotzdem man sie der »maurischen Gräfin«, wie man sie jetzt nach Herrn v. Maurer nannte, verdankte. Doch war der Friede nicht von langer Dauer; die neugebackene Gräfin verlangte jetzt auch bei Hofe eingeführt zu werden, was die Minister gegenüber der Königin und der königlichen Familie durchzusetzen verweigerten, dagegen ließen sie es gehen, daß der König ohne ihre Zustimmung, nach Wunsch seiner schönen Freundin, Staatsämter vergab. Von Lola gehaßt und gleichzeitig durch[335] eine liberale Kammer bedrängt, denn man hatte jetzt Muth und Enischluß auch in Bayern gewonnen, wurde das schwache Ministerium zu Ende des Jahres 1847 vom Könige wieder entlassen und das sogenannte »Lola-Ministerium« gebildet, an dessen Spitze Fürst Ludwig von Wallerstein stand. Als derselbe diese Rolle übernahm, geschah es mit der Absicht, die veränderten Verhältnisse zu benutzen, um einen Sieg der neuen Ideen, an deren baldiger Verwirklichung er nicht zweifelte, in Bayern herbeizuführen, nicht um sich zum Sklaven der Gräfin Landsfeld zu machen; dies that ein Anderer, ein Herr von Berks, der gleichfalls in das Ministerium eintrat. So, unter dem Deckmantel die Gräfin zu halten, verfolgten der Fürst und einige Gleichgesinnte ihre liberalen Pläne; wenn sie den König dafür gewannen, ihn vollständig den Händen der Ultramontanen entrissen, dann mochte man demselben auch seine Leidenschaft für Lola verzeihen. Sie war jetzt Herrin der Situation, aber nicht für lange, denn die Iden des Märzen von 1848 rückten heran.[336]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 306-337.
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