Vierzehnte Vorlesung

[337] Allgemeine Bewegung in Europa vor 1848. Bildung einer republikanischen Parthei in Süd-West-Deutschland. Die Märzrevolution in Süd-Deutschland. Forderungen des Volkes. Die Ereignisse in Baden, den beiden Hessen, Würtemberg, Bayern u.s.f.


Es gibt wenige Momente in der Geschichte unseres deutschen Vaterlandes von solch' hoher Bedeutung, so ungeheurer Tragweite, als jene März-Tage des Jahres 1848, da die erste deutsche Revolution siegreich durch unsere Gauen schritt. Sie kam unaufhaltsam, unwiderstehlich, wie ein Naturereigniß. Von der ganzen Nation erwartet, aber nicht direkt vorbereitet, überraschte sie Niemanden als die Machthaber, die sich in ihrer unbegreiflichen Verblendung gerade damals sicherer wähnten als lange zuvor, und die glaubten, daß die wenigen Zugeständnisse, welche sie endlich zu machen sich bereit zeigten, hinreichen würden, das harmlose Volk wieder vollständig zu beruhigen. Aber die Lage war gar sehr verschieden von jener der zwanziger und dreißiger Jahre; unter schwerer Noth und Drangsal hatte sich endlich eine Art von politischer Bildung durchgerungen, die gerade hinreichte, die ganze Masse der Nation von Oben bis Unten in die Bewegung mit hineinzureißen, und einmal in die Fluth gestoßen, hat der noch unbeholfene Schwimmer zwar nachher viele Mißerfolge erlitten, viele vergebliche Anstrengungen zu machen gehabt, aber er blieb im Strome drin, er lernte den Gebrauch seiner Glieder nach und nach kennen, und ein stolzer Schwan, zieht er heute seine Kreise, auf jenen Fluthen, die das Jahr 1848 zuerst erregte, und in deren Auf- und Niederwogen sich die Geschichte unserer Gegenwart bewegt. –[337]

Aber diese allgemeine deutsche Revolution stand nicht vereinzelt und dies eben verhalf ihr mit zum Siege; es hatte sich allgemach in den mißvergnügten europäischen Staaten eine dritte revolutionäre Epoche vorbereitet, welche die deutschen Ereignisse beschleunigen half und an den wir nicht ganz theilnahmlos vorübergehen dürfen. –

Mit ungetheilter Spannung hatte man schon lange vor 1848 auf den Kampf geblickt, der sich in der Schweiz zwischen dem freieren Geist der protestantischen Kantone und den bigott katholischen Landestheilen entwickelt hatte. Dessen schlimmste Folge bestand darin, daß in jeder Weise die Bestrebungen der Mehrheit, durch eine, auf den Principien der neueren Zeit beruhende Bundesverfassung, die nationale Einheit und Stärke der Schweiz fest zu begründen, verhindert wurden. Wir haben bereits gehört, wie seiner Zeit die protestantische Unduldsamkeit die Berufung von David Strauß nach Zürich unmöglich gemacht hatte; nun zeigte sich durch die Aufhebung der Klöster in dem Kanton Aargau, um 1843, die streng katholische Partei ganz ebenso erbittert und in ihren gegenseitigen Interessen sich jederzeit innig verwandt, stärkte der protestantische Zelotismus den Ultramontanismus so lange, bis die Anhänger des Letzteren ihr Haupt stets höher und höher erhoben.

Eine Verpflanzung der Jesuiten nach dem deutschen Theile der Schweiz, indem ihre Berufung in dem Kanton Luzern durchgesetzt wurde, erregte die Gemüther auf's Heftigste. Während sie in Freiburg schon seit längerer Zeit ein weitberühmtes Collegium besaßen, wohin man aus allen katholischen Theilen Europa's und aus den angesehendsten Familien, die Zöglinge entsendete, rief dieser weitere Fortschritt die Befürchtung wach, daß die gefährlichen Väter der Gesellschaft Jesu sich nun bald über die ganze katholische Schweiz verbreiten und dort festsetzen würden.[338]

Die Führer der Jesuitenpartei in Luzern waren der bekannte Siegwart-Müller, ein Schwarzwälder von Geburt, der hauptsächlich die Städter beeinflußte, und der Bürgermeister Leu von Ebersol, ein Bauer von großem Einfluß, der die Landleute anführte. An der Spitze der freisinnigen Partei des Kantons stand der Arzt Robert Steiger; sie stützten sich auf eine Verbindung mit den protestantischen Kantonen, die, allerdings ungesetzlicher Weise, Freischaarenzüge nach Luzern entsendeten, um im Verein mit den dortigen Radicalen die Festsetzung der Jesuiten gewaltsam zu verhindern. Hellauf loderte der Partheienhaß von allen Seiten empor und wurde noch gesteigert, als Bürgermeister Leu, da er zu Hause an seinem Tische saß, durch das Fenster meuchelmörderischer Weise erschossen wurde. Lange blieb die That unerklärt, und der Thäter, der, wie sich später herausstellte, hauptsächlich persönliche Beweggründe dazu gehabt, unentdeckt. Mit furchtbarer Heftigkeit jedoch schrieb man von Seiten der Ultramontanen diesen Mord den Radicalen zu, was wiederum neues Oel in's Feuer goß.

Das Resultat dieser Kämpfe, die von außen her, namentlich durch Oestreich geschürt wurden, war der Sonderbund der sieben katholischen Kantone; es verbanden sich Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Zug, Freiburg und Wallis, zu dem Zwecke, sich von der Eidgenossenschaft loszureißen; zu gleicher Zeit ließen die Regierungen alle Freigesinnten in ihren Kantonen auf's Grausamste und Rachsüchtigste verfolgen. Die Durchführung des Sonderbundes war naturgemäß der Tod der Eidgenossenschaft und gab die Schweiz ihren mächtigen Nachbaren Preis, denen es schon lange nach ihr gelüstete. Von beiden Seiten bildeten sich jetzt Freischaaren, die einander mit höchster Erbitterung bekämpften und das reactionäre Europa sah mit Freuden, wie die kleine Republik sich selbst zerfleischte. Meister Metternich erwartete[339] bereits den Augenblick, wo man sich in die zerrissenen Fetzen werde theilen können. Da raffte in der letzten Stunde der alte Unabhängigkeitssinn der Schweizer sich auf; hatten die Conservativen der protestantischen Kantone gerne die Väter Jesu und deren Schützer gewähren lassen – so viel sahen sie jetzt doch ein – der Sonderbund mußte gesprengt werden oder sie waren Alle miteinander verloren.

Der berühmte General Dufour führte mit rascher Entschlossenheit die Schweizer-Bundesarmee, die man schnell zusammen berufen, gegen die Schaaren der Sonderbündler; Freiburg wurde genommen, das Jesuitencollegium aufgehoben, und Alles, was sich in dem kostbaren Gebäude befand, zerstört. In kurzer Frist war der Sonderbund zersprengt und damit zugleich der Sieg des liberalen Regiments erfochten. Die Großmächte wagten es nicht den Sonderbündlern beizustehen, wenn sie es auch gerne gewollt hätten. Die Väter Jesu wurden in Folge dieses Sieges ganz aus der Schweiz verwiesen, und man schritt nun ernstlich an die Bildung einer Föderativ-Verfassung, auf deren Grundlage die Schweiz gebaut und ihre heutige geachtete und auf einer gemäßigten Demokratie beruhende Stellung gewonnen hat. –

Noch ängstlicher aber wurde den Anhängern des alten Systems zu Muthe bei den Neuerungen, welche der Graf Mastai-Ferretti, seit 1846 unter dem Namen Pius IX., Papst geworden, in's Werk zu setzen begann. Auch sein Ziel ging dahin, der appeninischen Halbinsel ihre nationale Unabhängigkeit zurückzugeben, freilich unter der Bedingung, daß sein eigenes geistliches Regiment den Mittelpunkt dieses erneuten Italien bilden werde. Mazzini und dessen Anhänger wirkten unablässig, wie uns schon bekannt, für ähnliche Ideen, nur mit dem Unterschiede, daß sie Italien nicht als einen vergrößerten Kirchenstaat, sondern als eine einheitliche Republik wiedergeboren sehen wollten, jedenfalls aber hatten[340] sie Pio Nono gewaltig vorgearbeitet. Das Feuer, welches einst die Carbonari entzündet, war noch nicht wieder erloschen, und Pius, als er die Funken wieder zur Flamme anblies, dachte nicht, daß dieselbe dereinst sein weltlich Regiment mit verzehren würden. Die Zustände und der Geist des Mittelalters ließen sich eben nicht wieder herstellen, sie mußten sich verflüchtigen vor dem Wehen der scharfen Luft des 19. Jahrhunderts. – Wir haben die früheren Verhältnisse Italiens genügend kennen gelernt, um die sich jetzt rasch folgenden Umwälzungen ohne weiteren Commentar zu verstehen. Sicilien, das man gewaltsam zu Neapel gezwungen, riß sich los und kämpfte todesmuthig für seine Unabhängigkeit. Der Herzog von Toskana sah sich genöthigt, eine Verfassung zu bewilligen, und Piemont zwang seinen Fürsten diesem Beispiel zu folgen. Die alten Geister schliefen nicht, und schien es auch, als hätte Carl Albert von Sardinien es vergessen, daß er einst in den zwanziger Jahren, da er noch Prinz von Carignan war, zu den Liberalen gehörte, so kam es doch bald zu Tage, wie auch er seine Pläne nährte und dieselben nur für spätere Zeit hinausgeschoben hatte.

Die Lombardei konnte unter diesen Verhältnissen und bei der Aufregung, welche die italienische Halbinsel beherrschte, unmöglich ruhig bleiben; bald erfuhr es Oestreich mit tödtlichem Entsetzen, wie wenig ihm dort seine fortgesetzte Schreckensregierung genützt hatte, wie jetzt schon wieder ein ganzes Volk gegen seine Herrschaft in Waffen stand und wie es seine Abneigung auf jede nur erdenkliche Weise kund zu geben trachtete. Ueberall wo nur Oestreicher sich zeigten, wurden sie als Tedeschi verhöhnt und verfolgt, und trotz der äußersten Polizeieinschüchterungen war man wahrhaft erfinderisch, die verfehmten Landesfarben zur Schau zu stellen und an sich zu tragen. Besonders die Frauen zeichneten sich durch ihren Eifer darin aus. Verbot man ihnen die dreifarbigen Bänder,[341] so zeigten sie ihr geliebtes Weiß, Grün und Roth in riesigen Bouquets, an ihren Fächern oder in der Zusammenstellung der Toilette. Nicht minder consequent enthielten sich die Männer des Tabakrauchens und des Lottospiels, weil die östreichische Regierung das Monopol auf Beide hatte; indem man keinen Gebrauch davon machte, entgingen ihr dadurch bedeutende Einnahmequellen. Von Italien aus verpflanzte sich die Bewegung gegen Oestreich, nach Ungarn; auch dort machte man das Nationalitätsprincip zur Fahne, um welche alle Unzufriedene sich enger und enger schaarten. Auf die alten und nie vergessenen Forderungen des ungarischen Volkes zurückgehend, verlangten die Stände auf's Neue ihre selbstständige Nationalregierung; außerdem Verfassungsreformen, Steuerverminderung und dergleichen. Ihr großer Sprecher und Agitator war Ludwig Kossuth, ein Advocat von hoher Beredtsamkeit, der ganz ebenso von einem selbstständigen, ungarischen Staate, ohne Oestreichs Oberhoheit träumte, wie die Italiener von einem nationalen Einheitsstaate. Genährt wurden noch ihre Wünsche und Kundgebungen durch die stets gährende Unruhe in den polnischen Provinzen, welche Rußland für den Augenblick ganz im Schach hielten, denn schon hatten verschiedene Aufstände es klar an den Tag gelegt, wie die Polen wieder mehr denn je auf eine Wiederherstellung ihrer Nationalität hofften und pochten. – So grollte allerwärts der Donner und verkündete den herannahenden Sturm, der zündende Blitz jedoch, der sollte wieder von dorther kommen, wo er schon so oft geleuchtet, und von wo man ihn gerade jetzt am Wenigsten erwartete. Frankreich sollte seine dritte, die Februarrevolution durchmachen, und schneller noch als er sich auferbaut, stürzte der Thron der Juli-Dynastie wieder in sich zusammen. Noch einmal am Ende seiner Tage, mußte Ludwig Philipp das bittere Brod der Verbannung kosten. – Man hat seitdem und namentlich[342] in Hinblick auf die folgenden Geschicke Frankreichs oft behauptet, niemals sei eine Revolution leichtsinniger unternommen worden und unnöthiger gewesen, als die vom Februar 1848, und die Franzosen hätten wie Thoren gehandelt, als sie ihren »guten, alten Bürgerkönig« fortgejagt. Dennoch wird man kaum daran zweifeln können, daß das Schicksal, welches ihn betraf, ein unvermeidliches war, wenn man bedenkt, in welchem Grade Ludwig Philipp nach und nach alle Sympathien der Nation eingebüßt hatte. Niemals hatten die Centralisation, das bureaukratische Kanzleiwesen, das ganze Land so schwer bedrückt, als unter seinem nüchternen, schläfrigen Regiment. Es konnte sich Niemand befriedigt dabei fühlen, als die Bourgeois, die kleinen Rentiers, die Börsenmänner, denen er das Beispiel des unköniglichsten Geizes und der unersättlichsten Speculationssucht darbot. Musterhaft wie sein Familienleben sich zeigte, war es auch zu gleich das langweiligste und einförmigste, welches man sich nur denken konnte, und so war keine Parthei mehr mit ihm zufrieden. Kein glänzender Hof amüsirte die Pariser und den Adel, kein großmüthiger Impuls, der den Sohn der Revolution verrathen und ihn angetrieben hätte, irgendwo der unterdrückten Freiheit zu Hülfe zu eilen, befriedigte die zahlreichen Republikaner, keine Versuche den arbeitenden Klassen beizustehen, beschwichtigte die Socialisten, und war man auch in den Tuilerien selbst von der prüdesten Tugend, so drückte man doch beide Augen zu, wo es sich um Sittenlosigkeit des hohen Adels, um Bestechungen, Fälschungen und Käuflichkeit der höchsten Richter handelte, und beleidigte dergestalt zuletzt auch noch das Gefühl der honetten Leute. Dieses Königthums voll Heuchelei, Langeweile und ohne jeglichen Ruhm nach Außen oder Innen, wurden die Franzosen um so überdrüssiger, als der einzige populäre Mann der Orleanistischen Familie, der künftige Thronerbe, Herzog v. Orléans durch einen unglücklichen Sturz aus[343] dem Wagen im Jahre 1846 gestorben war. Als nun jetzt der König und sein doctrinärer Minister Guizot so unklug waren, eine Wahlreform, welche das ganze Land wünschte, wofür es sich lebhaft ausgesprochen, abzulehnen, sowie auch Bankette, die man veranstaltete, um sich bei Gelegenheit derselben über die gewünschten Reformen zu berathen, auf ein veraltetes Gesetz hin, verbieten ließ, brach das ganze Königsgebäude wie ein Kartenhaus zusammen und war auch dann nicht mehr zu halten, als nachträglich Alles verwilligt wurde, was das Volk wünschte. Der Sirenengesang der Franzosen: die »Marseillaise« ertönte und gleichzeitig mit ihr der Ruf Republik! Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit! Der König, altersschwach, ohne Muth und Entschlossenheit, machte kaum einen Versuch, seine Macht zu behaupten; er entsagte der Krone zu Gunsten seines Enkels, des Grafen von Paris, aber schon hatte die republikanische Parthei die Oberhand gewonnen. Als die Herzogin Helene v. Orléans mit ihren kleinen Söhnen, während der König und seine Gemahlin entflohen, in die Deputirtenkammer eingeführt wurden, um die Regentschaft für ihr Kind in Empfang zu nehmen, war es auch damit schon zu spät. Der Königsstuhl wurde aus den Tuilerien herausgeholt und zum Symbol, daß es damit auf immer vorbei sei, öffentlich verbrannt; die Herrschaft der Bourbonen wurde ein drittes Mal für erloschen erklärt und wenn nicht alle Anzeigen trügen, so wird die Geschichte auch thatsächlich über diese alte französische Königsfamilie hinweggegangen sein!

Der revolutionäre Geist aber, der in Frankreich wiederum lebendig geworden war, sollte sich nun unmittelbar auf ganz Deutschland übertragen.

Alles in Allem genommen, war man in den zwei bis drei Jahren, die dem allgemeinen Ausbruche in Deutschland vorangingen, sich wohl bewußt, auf dem Wege ruhiger Reformen[344] angekommen zu sein, die man durchzuführen entschlossen war. Man sprach von einer Revolution des Geistes, deren siegreichem Vorwärtsdrängen nicht mehr zu widerstehen sein werde, und man mochte sich bei dieser Annahme auf mancherlei Thatsachen stützen, namentlich auf die wachsenden Fortschritte der deutsch-katholischen und frei-christlichen Bewegung, die sich nicht mehr hemmen ließ. Auch eine Reihe protestantischer Theologen hatten sich derselben angeschlossen; Wislicenus in Halle, Uhlich in Magdeburg, suchten den wachsenden Einflüssen des Pietismus durch die Bildung von frei-religiösen Gemeinden und der Verbreitung von Blättern, die theologische Dinge im Sinne der Aufklärung besprachen, entgegen zu wirken. Von großem Einfluß auf die untern Volksklassen waren auch bildende Vorträge, welche außer dem sonntäglichen Gottesdienst, von den Leitern der deutsch-katholischen Gemeinden veranstaltet wurden; dorthin, sowie in die Sonntagsandacht, drängte sich bald Alles, vornehm wie gering, Protestanten wie aufgeklärte Katholiken, die, wenn sie auch nicht übertraten, mit gespannter Aufmerksamkeit den Worten der Redner und Prediger lauschten, in deren Vorträgen sich Religiöses, Politisches und Nationales in oft hinreißender Weise mischte. Als Hauptredner gefeiert waren Ronge, Dowiat, Kerbler, Duller, Hieronimy, Weigelt, Kampe, Scholl und wie sie Alle heißen, die sich damals als Apostel der neuen Lehren aufthaten. Daß verschiedene protestantische Theologen zu dem Deutsch-Katholicismus übertraten, gab ihm eine größere Vertiefung, einen größeren geistigen Gehalt, mehrte aber auch die Gefahren, die ihn bald von allen Seiten umdrohten.

So war die neue Religion trotz mancher Schwächen, die ihr anhafteten, in jenen Tagen ein mächtiges Ferment, ein Hebel für voranstrebende Geister; daß sich bald das Politische weit mehr hinein mischte, als für eine religiöse Genossenschaft[345] zweckdienlich sein konnte, lag zu sehr in der Natur der Sache, als daß man einzelne Persönlichkeiten dafür verantwortlich machen dürfte und wenn heute auch der Deutsch-Katholicismus wenig mehr bedeutet, so wird er doch als eine Phase unserer Fortentwickelung immer von großer historischer Wichtigkeit bleiben

In Süddeutschland, wo man ihn überhaupt am längsten geduldet, wurden Ronge und sein Mitgenosse Dowiat, als sie im Sommer und Herbst 1846 eine Reise durch Südund West-Deutschland machten, mit der großartigsten Begeisterung empfangen. Der Zielpunkt ihrer Reise war damals das streng-katholi sche Mainz, und je näher sie dahin kamen, je höher steigerte sich der Enthusiasmus. Ueberall von den angesehensten Bürgern der verschiedenen Städte, die sie berührten, eingeholt und wieder fortgeleitet, so zogen sie vom Neckar herunter durch die Bergstraße nach dem Rhein. Ovationen jeder Art wurden ihnen bereitet, Fackelzüge, Serenaden, festlicher Empfang und Ronge sah sich förmlich erdrückt durch die kostbarsten Ehrengeschenke, silberne Pokale, Lorbeerkränze, Schreibzeugé, goldne Federn und was dergleichen mehr ist, die ihm von allen Seiten zuflossen. Als die Reformatoren, wie man sie nannte, Darmstadt verließen, nachdem sie mehrere Tage dort verweilt und gepredigt hatten, folgte ihnen wieder ein langes Ehrengeleite von Wagen bis hinaus vor die Stadt. Die Aufregung war so groß, daß ein förmlicher Abschied war polizeilich verboten worden, wer aber konnte die Bevölkerung daran hindern, sich nach dem nahen Fichtenwalde zu begeben, um hier die Gefeierten zu erwarten. Dort sammelte sich Alles auf einem großen freien von hohen Tannen umringten Platze, Jung und Alt, Vornehm und Gering – und als der Wagen mit den zwei jungen Männern erschien, die bis bis an die Schultern in Blumén saßen, welche man ihnen während der Fahrt durch[346] die Stadt zugeworfen hatte, brach ein tausendstimmiger Jubel aus, und ein begeisterter Gesang trug die Töne des alten Lutherliedes hinauf zum wolkenlosen Himmel und in das Grün der Tannen. Unter Lebehochs und Tücherschwenken setzten dann die Reformatoren, auf die man die begeistertsten Hoffnungen baute, ihre Reise weiter fort. Dies eine Beispiel möge für hundert ähnliche genügen. Der gleiche Drang zu öffentlichen Demonstrationen zeigte sich allerorten; daß die Männer, welche man so übermäßig feierte, weil man sich eben nicht anders Luft machen konnte, dadurch vielfach dem tragischen Schicksal der Selbstüberschätzung verfielen, ist natürlich. Noch schlimmer war es für sie, daß sie schließlich als Menschen erfunden werden mußten, nachdem man sie in übertriebenster Weise wie halbe Götter verehrt hatte.

Nichts destoweniger wird Ronge's Name immer der Brennpunkt einer Bewegung bleiben, innerhalb welcher sich das beleidigte Gefühl der Nation zuerst wieder einmal energisch ausgesprochen, auch dürfen wir uns hier nicht die Wahrnehmung entgehen lassen wie nun, in Folge der religiösen Erregung, auch die Frauen vielfach anfingen sich an dem öffentlichen Leben zu betheiligen, und ein erhöhtes Interesse dafür zu bethätigen. Ronge hat das Verdienst, zuerst ein tief bedeutsames Wort darüber ausgesprochen zu haben, indem er öfter betonte, wie eine Umwandlung der Zeiten sich nicht vollziehen werde, ohne die Mitwirkung der Frau und des Arbeiters. Durch ihn angeregt, bildeten sich an vielen Orten Frauen-Vereine, die zunächst nur den Zweck hatten, die nöthigen Mittel aufzubringen, um die jungen Gemeinden lebensfähig zu machen, durch selbst besoldete Prediger. Der junge Deutsch-Katholicismus hatte es in seinem Beginne versäumt, mit Nachdruck den ihm gebührenden Antheil an dem katholischen Kirchenvermögen zu fordern. Er mußte dergestalt früher oder später an seiner finanziellen Misère zu Grunde[347] gehen und ein gleiches Schicksal wird ohnfehlbar die heutigen altkatholischen Gemeinden treffen, wenn sie nicht praktischer zugreifen und in ihrem Verlangen von den Regierungen kräftig unterstützt werden. – Blicken wir aber zurück auf jenen vorhergehenden Kampf gegen Rom und die Hierarchie, so entrollt sich uns eine glänzende Kette von gegenseitiger Opferfreudigkeit, von uneigennützigster Hingebung und von apostolischem Eifer Seitens der jungen Männer, die die karg besoldeten, unsicheren Predigerstellen bei den neuen Gemeinden annahmen und dagegen auf glänzende Carrièren verzichteten, die ihnen bei ihren bedeutenden Geistesgaben gewiß waren, wenn sie sich der herrschenden Strömung gefügt hätten. Waren die Gemeinden mit Predigern versorgt, so sammelte man weiter für Kirchenbauten, oder, und, dies wurde bald die Hauptaufgabe der deutschen Frauen-Vereine, welche unter sich in enger Verbindung standen, sie nahmen sich der Erziehung der Kinder, der Pflege und Sorge für Arme und Kranke der Gemeinden an. Es war ein erstes allgemeines Hervortreten eines gemeinnützigen Sinnes in Deutschland, wie man ihn unter dem Druck der Verhältnisse und der unausstehlichen Polizeiüberwachung kaum jemals geübt hatte, welches sich hier kundgab.

Eine weite tiefe Kluft trennte damals noch Deutschland von England in Allem was Gemeinsinn und Selbsthülfe betraf; man war bei uns, weil der Staat Alles bevormundete, auch gewöhnt, Alles vom Staate zu erwarten. Man legte träg die Hände in den Schooß und beklagte sich oder schalt, aber man handelte nicht. Ein erstes Zeichen erwachender Selbstthätigkeit boten nun diese Frauen-Vereine dar, und was haben wir nicht seitdem in dieser Beziehung Alles gelernt und überwunden, wenn auch die Philisterhaftigkeit und das Vorurtheil gegen ein uneigennütziges Wirken für das Allgemeine, namentlich wo es von Frauen ausgeht, stellenweise auch jetzt noch groß genug bei uns ist.[348]

Wohl am großartigsten entfaltete sich die Thätigkeit dieser Frauen-Vereine, deren Mitglieder durchaus nicht Alle dem Deutsch-Katholicismus angehörten, in Breslau, Schweinfurt, Hanau und zumeist in Hamburg, wo eine Reihe von bedeutenden und zu jedem Opfer bereiten Frauen, denen es auch an den nothwendigen Mitteln dazu nicht fehlte, mit vereinter Kraft nicht allein materiell, sondern auch ideell arbeiteten. Alle strebten nach einem lichtvollen, durch den Geist der Humanität gereinigten Christenthum, und diesem Programm entsprechend, hat, während alle übrigen Frauen-Vereine aus jener Zeit sich wieder auflösten, dieser Hamburger Kreis fortgewirkt, selbst dann noch, als überall später nach der Reaction von 1850, der Deutschkatholicismus verpönt und verboten wurde. War auch seine Thätigkeit zuweilen momentan unterbrochen, so trat er immer wieder neu zusammen, um später einzig und allein sich neben der Armenpflege, der Erziehung, vornehmlich der der Frauen, anzunehmen, und er hat auf diesen Gebieten nach einer mehr als fünfundzwanzigjährigen Thätigkeit, unter der Leitung der ausgezeichneten Frau Emilie Wüstenfeld, in der Armenpflege sowohl, als für die geistige, wie gewerbliche Ausbildung der Mädchen, die vornehmsten und außerordentlichsten Resultate erzielt, ein Vorbild für alle Frauenvereine die sich für ähnliche Zwecke seit 1865 neu gebildet haben.

Wenn wir jetzt nach diesem Umwege, den wir nicht wohl vermeiden konnten, um zu zeigen, wie die Gemüther schon vor 1848 in allen Ständen und bei beiden Geschlechtern erregt und auf Neues gefaßt waren, zu den maßgebenden Kreisen, die sich bemühten, immer mehr eine compacte politische Organisation zu Stande zu bringen, zurückkehren, so begegnen uns als besonders einflußreich die immer häufiger wiederkehrenden Zusammenkünfte und Verabredungen der Kammermitglieder[349] aus den verschiedenen deutschen Staaten. Ihren Hauptsammelpunct fanden sie am Rheine, bei dem ehrwürdigen Itzstein, auf dessem Gute Hallgarten, während oft zur selben Zeit, nur wenige Stunden davon entfernt, sich auf dem Johannisberg die Feinde des Vaterlandes um ihren Meister Metternich schaarten. Aber wie schlau er auch seine Kreise zog, so sehen wir doch, wie auch Preußen zu Ende des Jahres 1847, es nicht mehr ganz zu ignoriren vermochte, daß zwinde Pflichten gegen Deutschland und gegen das eigene Volk vor ihm lagen. Ein Freund des Königs, der später so bekannt gewordene General von Radowitz, bekam den Auftrag, eine Denkschrift über eine vorzunehmende Bundesreform zu entwerfen. Mit der Schärfe, die jenen Mann charakterisirte, unterwarf er die Leistungen des Bundes einer Prüfung und gab auf die Frage, was der Bund seit den 32 Jahren seines Bestehens gethan, die vernichtende Antwort: »daß aus seiner Mitte auch nicht ein einziges Lebenszeichen erschienen wäre, aus welchem die Nation entnehmen könnte, daß ihre dringendsten Bedürfnisse, ihre wohlbegründetsten Ansprüche und Wünsche, im Rathe des deutschen Bundes irgend eine Beachtung fänden«. – Den Vorschlägen zu einer zweckentsprechenden Aenderung der Bundesverfassung, die man nöthigenfalls auch ohne Oestreichs Zustimmung, wenn dieselbe nicht zu erlangen sein würde, durchsetzen wollte, kam die Volksparthei entgegen, indem der Abgeordnete Bassermann in der badischen Kammer, am 12. Februar 1848, einen Antrag stellte, welcher die politische Schwäche Deutschland's eindringlich schilderte, und die Regierung geradezu aufforderte, sie möge dahin wirken, daß eine Vertretung der Ständekammern bei dem Bunde nun endlich erreicht werde. Dann sollten Beide vereint, eine gemeinsame Gesetzgebung, sowie auch einheitliche nationale Einrichtungen zu Stande bringen. Mit allen Stimmen gegen 5 wurde der Antrag unter dem allgemeinen[350] Beifall Deutschland's angenommen, wie sehr auch der Minister Dusch sich während der Verhandlungen bemühte, die Vortheile des Particularismus hervorzuheben und Baden durch die Vorstellung zu schrecken, daß dasselbe bei solchen Einrichtungen von einem blühenden Staate, zu einer verkümmerten Grenzprovinz herabsinken werde.

Mit diesem Popanz hat man seitdem ja noch oft genug ängstliche Gemüther zu bannen versucht und auch wirklich gebannt, während die Gegenwart uns genügend darüber belehrt, wie die Glieder des Reiches sich im Gegentheil nur um so wohler und besser dabei befinden, wenn das Ganze gesund und lebenskräftig ist. – Man muß dabei nun wohl bemerken, wie sich schon seit dem Jahre 1847 in Baden eine Parthei gebildet hatte, welche die Opposition der Kammern heraus in das Volk zu tragen wußte; es hatte sich dergestalt eine Volksopposition gegenüber der liberalen Parthei, die sich damit begnügte, ihre Vertretung innerhalb des Ständesaales zu suchen, organisirt. Auf einer großartigen Volksversammlung zu Offenburg im Herbste 1847 hatte sich zuerst dieses Verhältniß herausgestellt; dieselbe wurde geleitet von dem Liebling des deutschen und namentlich des badischen Volkes, von Friedrich Hecker und von dem bekannten Gustav Struve. Der Letztere war ein Mann, den man bald in Folge seiner Excentricitäten als den blutdürstigsten Revolutionär betrachten mußte, und dabei doch so sanftmüthig, daß er keinen Bissen Fleisch essen mochte, weil er dies für roh und thierisch hielt. Das Programm, welches diese beiden Männer aufstellten, unterschied sich wesentlich kaum von demjenigen der liberalen Abgeordneten, welches wir sogleich werden kennen lernen, nur mischte leider Struve, der Socialist geworden, die volle Unklarheit der damaligen socialen und communistischen Theorien und Vorstellungen mit hinein. Abgesehen von diesen Abirrungen war man im großen Ganzen einig über das, [351] was man wollte und erstrebte, dagegen sehr uneinig über das wie, über die Art und Weise, das Gewünschte zu erlangen und festzuhalten.

Hecker und seine Anhänger verlangten die Mitwirkung des Volks, wenn es nicht anders angehe; die Liberalen dagegen wollten nur auf gesetzlichem Wege zu ihrem Ziele gelangen, sie wollten vor den Thronen stehen bleiben, überzeugt, daß ein Ministerwechsel, eine Vereidigung des Militärs auf die reformirten Verfassungen, ein Versprechen der Fürsten, dieselben zu respectiren, völlig ausreichend sein würden, die neue Freiheit und Einheit zu begründen. Die Anderen beanspruchten dagegen stärkere Garantien, und indem sie erwogen, wie die freiwillige Einheit von sechsunddreißig Fürsten, die bis dahin vollständig souverän gewesen, ein Ding der Unmöglichkeit sein werde, gelangten sie zu der Ueberzengung, daß nur ein Wegräumen der Throne, eine Begründung der Republik, den deutschen Einheitsstaat erschaffen könne, selbst angenommen, diese Republik werde nur der nothwendige Durchgangspunkt für eine wirklich constitutionelle Monarchie sein. So erwuchs wie mit einem Schlage eine starke republikanische Parthei in dem bis dahin so zahmen Deutschland, und die große Menge fühlte sich davon angestarrt, wie von dem Haupte der Medusa; man vermochte es eben noch nicht, Republik und Terrorismus von einander zu trennen. Ganz gewiß befanden sich unter den Republikanern Viele, die an und für sich für diese Staatsform schwärmten, – das Gros der Parthei, so darf man wohl kühn behaupten, ging nicht einmal so weit, sie sahen darin nur den einzig praktischen Weg aus der Zerrissenheit und Vielköpfigkeit zur Einheit zu gelangen, und wie recht sie damit hatten, bewiesen uns die Ereignisse des Jahres 1866, wo die Revolution von Oben in ähnlichem Sinne aufräumte, wie es damals von unten her geschehen sollte.[352]

Es ist zu bedauern, daß heute ein Theil der damaligen Republikaner die veränderte Sachlage mit dem Starrsinn von Solchen, die eine Sache nur dann anerkennen, wenn sie dieselbe eigenhändig zu Stande gebracht haben, fort und fort befeinden. Wer die Einheit thatsächlich liebte und erstrebte, mußte zufrieden sein, wenn sie überhaupt erlangt wurde und nicht die alte Zerrissenheit in der Form von Föderativ-Republiken, wofür man nach dem Vorbilde der Schweiz schwärmte, verewigt sehen wollen. – Sie sehen aus dieser Darlegung, wie also bereits im Keime zwei große Parteischattirungen in Deutschland existirten, ehe noch der glorreiche März 1848 über uns angebrochen war. Hätte Preußen nur ein Jahr früher das Wehen seiner Zeit verstanden und berücksichtigt, es wären uns und ihm und vor Allen seinem Könige selbst, schwere Jahre der Prüfung erspart geblieben; jetzt, da es eben im Begriffe war, das Bessere zu wollen, sich aufzuraffen zu einer That, welche die ersehnte Einheit bringen sollte, da schmetterte ihm die Weltgeschichte ihr: Zu spät! entgegen. –

Die ersten unmittelbaren Wirkungen der französischen Revolution hatten sich in der preußischen Rheinprovinz geltend gemacht, wo man nicht übel Lust zeigte, sich mit dem republikanischen Nachbar auf's Neue zu vereinigen, um das zu retten, was dem Rheinländer arg bedroht schien, seine französische Gesetzgebung. Während sich in Köln eine Deputation nach Berlin vorbereitete und in den anderen rheinischen Städten überall Volksversammlungen zusammenströmten, gab sich schon am 27. Februar 1848 eine großartige Manifestation in Mannheim kund. Unter dem Jubel von Tausenden wurde eine Adresse an die Kammer entworfen, welche die Forderungen des Volkes enthielt, und in der besonders auf die Gefahren hingedeutet war, welche Deutschland von Frankreich wie von Rußland aus bedrohten, insofern es sich[353] jetzt nicht endlich aus seiner Ohnmacht aufraffe und seine Fürsten nicht versuchten, sich auf ihr Volk zu stützen, indem sie unverzüglich dessen gerechte Forderungen erfüllten! – Diesem Sturme vermochten die badischen Minister nicht zu widerstehen, sie fügten sich in das Unvermeidliche, wurden über Nacht auch liberal und antworteten mit freisinnigen Vorlagen in der Kammer, die einen Theil des Gewünschten enthielten, auch wurden Männer der Opposition, welche das Vertrauen des Landes genossen, wie Welcker, in den Staatsrath und zu höheren Aemtern berufen. Aber so leichten Kaufes kam man dies Mal nicht davon; die Bürger Mannheims und die der benachbarten Orte hielten es für nothwendig, durch ihr persönliches Erscheinen in Karlsruhe der Sache mehr Nachdruck zu geben. Man sagte sich Folgendes: »Wir sind 1830 und 40 auch mit schönen Versprechungen hingehalten und dann bitter getäuscht worden; die Früchte der Julirevolution hat man uns ganz ebenso hinweggestohlen, wie den Franzosen; jetzt ist es Zeit mit Nachdruck zu verlangen, was uns gebührt!« – So zogen denn wirklich am 1. März von allen Seiten die Badenser nach Karlsruhe heran und wo man von ihrem Erscheinen wußte, empfing man sie im Bahnhofe mit jubelnder Begeisterung, während Frauenhände die Angekommenen mit schwarz-roth-goldnen Schleifen schmückten. Ein Zug von etwa 20,000 Menschen begab sich von da vor das Ständehaus, wo sie durch Hecker, Itzstein, Brentano und Andere empfangen wurden. Während die größere Menge draußen blieb, wurden von ihnen gewählte Deputirte, geleitet von den Volksvertretern, hereingeführt und hinauf in den Ständesaal gebracht, wo sie ein gleicher Jubel wie am Bahnhofe begrüßte. Aber ehe nun noch die Vorstellungen, die sie mitbrachten, verlesen werden konnten, verkündete bereits der Minister Beck, daß das freiere Preßgesetz von 1831, welches man auf Andrängen Oestreichs aufgehoben[354] hatte, wieder in Kraft treten solle. Der Enthusiasmus, der nun losbrach, verbreitete sich nach Außen, setzte sich auf der Straße fort und im Ständesaal selber rief der Präsident Mittermaier, mit Thränen im Auge, aus: »In solch heiligem Augenblick dürfe man dem Ausbruch des Gefühls nicht wehren!« Als man sich wieder beruhigt, verlas Hecker die Petitionen, welche die Deputirten überbracht hatten. Die Forderungen, die sie enthielten, wurden, mit geringen Unterscheidungen, das Freiheitsprogramm für das ganze übrige Deutschland, und indem ich dieselben an dieser Stelle mittheile, mögen sie zugleich den Stand- und Zielpunkt aller Aufstände und Revolutionen bezeichnen, die von jenem Tage an ihre Runde durch alle sechsunddreißig deutsche Staaten machten. Eine Forderung von höchster Wichtigkeit war vorerst diejenige, welche dem Militär, dem Stützpunkt des absolutistischen Regiments, seine Ausnahmsstellung zu nehmen, den Soldaten zum Bürger zu machen versuchte. Man hoffte dies durch die Beeidigung des Heeres auf die Verfassung wirksam zu erreichen. Weiter verlangte man ein Gesetz über Ministerverantwortlichkeit und Schwurgerichte, eine gerechtere Steuervertheilung nach Maßgabe des Eigenthums (Vermögenssteuer), Abschaffung des bevorrechteten Gerichtsstandes für Militär und Adel, Vertretung des deutschen Volkes durch ein Parlament, Unabhängigkeit des Richterstandes, und endlich, was sich eigentlich von selbst verstand, ein neues Ministerium, dem das Vertrauen des Volkes und der Kammer entgegenzukommen vermöge. Während nun im Ständesaal beschlossen wurde diese Forderungen augenblicklich zu berathen, tagte auf den Straßen ein Volksparlament unter Leitung von Hecker und Struve, dieses fügte dann dem Genannten noch seine weiter gehenden Forderungen hinzu, die sogleich gedruckt und in Tausenden von Exemplaren verbreitet wurden. Dieses[355] zweite, viel weiter gehende Programm verlangte überdies, das Volk solle das Parlament selbst erwählen, und zwar nach dem denkbar freisinnigsten Wahlgesetz; jeder Deutsche von 21 Jahren würde demnach wahlberechtigt, Jeder von 25 Jahren zur Wahl befähigt gewesen sein. Ferner forderte man vollständige Lehrfreiheit allgemeines deutsches Staatsbürgerrecht, folglich: Freizügigkeit, Abschaffung aller Vorrechte, Zünfte, Feudallasten u.s.w. und endlich eine gerechte Ausgleichung des Verhältnisses zwischen Kapital und Arbeit, womit die sociale Frage schon vollständig in die Bewegung mit hineingezogen war. – Wir sehen, daß es an Klarheit über das Gewollte nicht fehlte, wäre man sich nur auch eben so klar darüber gewesen, wie das Geforderte dauernd zu erringen sei!

Vom den eben erzählten Ereignissen in Baden an, war nun der Strom der Revolution nicht mehr zurückzuhalten und schon nach fünf bis sechs Tagen hatte er im ganzen Südwesten Deutschland's Alles weggeschwemmt, was man Jahrelang so künstlich dagegen auferbaut hatte, und wie einst die Franzosen die Tricolore, so pflanzte man aller Orten die schwarz-roth-goldene Fahne auf, um sich unter dem alten Reichsbanner zu einem freiheitlichen Leben zu einigen. Von Baden verpflanzte sich die Bewegung zuerst nach Würtemberg; auch dort wurde das Ministerium gewechselt und Volksmänner wie P. Pfitzer, Duvernoy und der Liebling der Schwaben, Römer, traten an die Spitze der Regierung. In das Entzücken und die Freude mischten sich indessen jetzt schon Befürchtungen; unruhig bewegt erhoben sich die Bauern und Fabrikarbeiter des badischen und würtembergischen Schwarzwaldes, und vom ersten Beginn an zeigte es sich, wie dicht hinter der politischen, das Schreckgespenst der socialen Umwälzung sich erhob, welche die Gemüther der großen Masse in ganz anderer Weise bewegte, als Alles, was man jetzt in[356] den Kammern zu erringen strebte. Sehr richtig hob es ein Sprecher der Menge, der Fabrikant Rau von Gaildorf hervor, wie ein deutsches Parlament, so wünschenswerth er es auch erachte, dem Volke kein Brod geben, eine noch so gute Gesetzgebung nicht den Hunger zu stillen vermöge. Was hatte man nicht Alles zu thun versäumt, während der langen Ruhe- und Friedenszeit; wie drückten den Bauern noch an vielen Orten die Feudallasten, wie lagen Ackerbau und Gewerbe hülflos danieder! Nun aber rief die allgemeine Aufregung auch diese unzufriedenen Elemente mit auf den Kampfplatz, und alles arbeitsscheue Gesindel hing sich daran. Ganz ähnlich wie in den dreißiger Jahren, nur in weit ausgedehnterem Maße, wurden auch jetzt wieder die Grundbücher zerstört, die Amtshäuser und die Standesherrschaften mit dem kleinen Kriege bedroht, und die Juden auf dem Lande, leider nur zu oft die Aussauger des Bauern, verfolgt. Gestohlen wurde nur selten bei diesen Excessen, um so mehr aber zerstört. In den Gegenden, wo einst der Bauernkrieg gewüthet, der Bundschuh war aufgepflanzt worden, brach der Aufruhr zuerst los, um sich von da über ganz Deutschland zu verbreiten; oft war es nur sehr Geringes, was die Leute verlangten, weil eben ihre politische Unbildung sie nur das Allernächste als drückend empfinden ließ. So waren an vielen Orten: Laub und Streusel! die Signatur und das Losungswort der ländlichen Revolutionen, weil es nach dem Nothjahr von 1847 an Stroh für das Vieh fehlte, welches man durch Moos und dürre Blätter ersetzen wollte, ohne die Erlaubniß der Behörden dafür erlangen zu können. Charakteristisch genug für den politischen Bildungsstandpunkt des Volkes war dieses Begehren, und doch wieder einen tiefen Einblick in dessen Nothstand gewährend, daß man sich mit so Wenigem schon zufrieden gab. Einige Monate später, da hieß es freilich schon: Es wird getheilt! und vor den Augen der Gebildeten[357] und Besitzenden erhob sich das Schreckgespenst des Communismus und schreckte sie zurück in die Reihen der Reaction, die ihr nur zu gerne mit diesem Schreckbild drohte. Man wurde dann in Handumdrehen eben so kleinmüthig und zaghaft, wie man zuvor großmäulig gewesen, und vergeblich blieben die Bemühungen einer kleinen Minorität, den Erschrockenen begreiflich zu machen, daß man die thörichten Ausschreitungen nicht überwältige, indem man sie gewaltsam niederschlage und ihren Ursprung ignorire, sondern nur, wenn man sich bemühe, das Uebel zu untersuchen und wo möglich zu heilen. Heute fehlt es uns freilich nicht an Aerzten aller Art dafür, und hoffen wir, daß sie den rechten Ausweg finden, nur wird es immer zu beklagen sein, daß man sich viel zu spät mit den Wünschen und Bedürfnissen des vierten Standes beschäftigte, und es namentlich versäumt hat, dem Volke jene Einsicht und Bildung zu geben, welche es befähigt, zwischen falschen und wahren Lehren zu unterscheiden. –

Doch wenden wir uns von dieser Aufzählung der Schattenseite unserer großen Bewegung, zurück zu der leuchtenden Freiheitssonne jener herrlichen Märztage, die Jedem unvergeßlich sein werden, der sie mit vollem Bewußtsein erlebt und durchgemacht hat. Wie im Badischen die Stadt Mannheim, so gab in Hessen Mainz den ersten Anstoß zu einer Bewegung des Großherzogthums. Dort schloß die Generalversammlung des Narrenvereins mit dem Rufe ab: »Kein Carneval, sondern Preßfreiheit und Volksbewaffnung!« Die Gesellschaft wandelte sich in eine großartige Bürgerversammlung um, welche beschloß, in einem Zuge nach Darmstadt zu ziehen und der Kammer eine Adresse zu überreichen, die sich zunächst an einen der Vertreter von Mainz, den Advocaten Zitz richtete, und es dürfte sich wohl hier am Besten verlohnen, eine kleine Probe von der Sprechweise der Adressen aus jenen Tagen zu geben, da gerade[358] diese Mainzer Adresse eine der charakteristischsten, durch die Entschiedenheit ihres Ausdrucks ist. Sie begann folgendermaßen:

»Der mächtige Athem der Zeit hat den Dunst verweht, welchen Hofdiener und kurzsichtige Regierungsbeamte dem geistigen Auge der Fürsten vorzumachen bemüht waren. Ueberall ist die Stimme des Volkes laut geworden, und wo sie mißachtet wurde, hat der bewaffnete Arm die Rechte des Menschen zu fassen gewußt, die ihm eine verabscheuungswerthe Politik nur zu lange vorenthalten hat. Auch in Hessen ist mit den Zugeständnissen gegeizt worden und eine verblendete Regierung hat die Liebe des Volkes zu ihrem Fürsten in hohem Grade beeinträchtigt. In solchen Zeiten aber bewährt sie sich, und Rheinhessens Bürger werden die Treue bewahren, wovon sie schon so oft Zeugniß abgelegt. Aber sie verlangen dagegen mit allem Nachdruck Alles, was ihnen die Verfassungsurkunde zugesteht. Sie verlangen die Lösung der Presse von allen ihren Fesseln; sie verlangen, daß ihre Gesetzgebung, die Bürgschaft ihrer bürgerlichen Freiheit unangetastet bleibe. Sie verlangen, daß das stehende Heer, dieser fressende Krebs am Staatseinkommen, aufgehoben und Volksbewaffnung an dessen Stelle gesetzt werde, sie verlangen volle Freiheit des Gemeinde- und Volkslebens, ohne Polizeigewalt und Beamtenbevormundung; sie verlangen das Recht ihren Ständen die Wünsche und Bedürfnisse ihres Landes offen auszusprechen und sich zu diesem Zwecke zu versammeln. Sie verlangen endlich eine Verfassungsurkunde in zeitgemäßem Geist, ein besseres Wahlgesetz, Gleichstellung und Freiheit des religiösen Cultus, eine wahrhafte Vertretung des deutschen Volkes durch ein Parlament. – Die Zeit drängt. Soll den Ereignissen vorgebeugt werden, so müssen Thaten an die Stelle des leeren Wortschwalls treten. Die Kammer hat eine hohe Verantwortlichkeit[359] gegen Fürst und Vaterland: möge sie sich ihres Berufs würdig erweisen!« –

Das war klar und bündig gesprochen; die Spitze richtete sich nicht gegen den Fürsten, sondern gegen den Minister du Thil, einen ächten Metternichdiener, und so wie hier, geschah es überall, daß man die obersten Beamten der Fürsten, nicht aber den Monarchen selber, anklagte. – Deputationen aus andern hessischen Städten fanden sich gleichfalls in Darmstadt ein, aber man zögerte dort irgend etwas zu bewilligen, statt dessen trat der Prinz Emil, ein Bruder des Großherzogs und entschiedener Freund Oestreichs, schnell eine höchst verdächtige Reise nach Wien an. In dieser Zwischenzeit war es, wo in Offenbach ein geflügeltes Wort, welches man nachher unzählige Male auf die Märzrevolution angewendet hat, laut wurde. Bei Gelegenheit eines Festmahles ließ man dort voreiliger Weise eine deutsche Fahne wehen, was die Polizei sehr übel nahm, den Arbeiter, der die Fahne befestigt hatte, vorlud und durchaus von ihm wissen wollte, was er sich dabei gedacht habe, worauf Jener die klassische Antwort gab, er habe gedacht: »Wenn nur der Nagel hält, daß die Fahne nicht herunter fällt!« – Der Nagel von 1848 hielt damals nicht, seitdem ist aber ein stärkerer eingeschlagen worden. Als die Bewegung mit jeder Stunde wuchs – in Mainz hatte Zitz am 4. März in einer Bürgerversammlung erklärt: »Unser Wechsel läuft schon 30 Jahre, dennoch wollen wir noch drei Tage gewähren, dann aber ziehen wir nach Darmstadt«, da berief man eiligst den damaligen Erbgroßherzog von München zurück, wo dieser bei seinem Schwiegervater weilte, und gerade den letzten Act der Lola-Komödie mit hatte abspielen sehen. Kaum wußten die liberalen Kammermitglieder, und ihr damaliger Führer ihnen voran, Heinrich v. Gagern, der jetzt dort wieder seinen Platz inne hatte und in welchem das hessische Volk seinen[360] Retter und Befreier erblickte, die Bewegung bis zur Rückkehr des Fürsten niederzuhalten. Gleich nach derselben wurde er zum Mitregenten seines alten Vaters ernannt, und erließ sodann das Edict vom 6. März, durch welches Alles verheißen und versprochen ward, was man forderte. Der Freiherr du Thil wurde entlassen und Gagern, der des höchsten Ansehens genoß, dem man fast die Pferde ausspannte, als er am 6. März von Heidelberg zurückkehrend, durch die Straßen fuhr, zum Minister ernannt. –

Weniger rasch verliefen die Dinge in Kurhessen; dort war der halsstarrige Sinn des Fürsten wie immer zum äußersten Widerstand entschlossen und für den Fall, daß sein eigenes Militär sich unzuverlässig zeigen sollte – eine Befürchtung, zu der er allen Grund hatte – rechnete er auf preußische Hülfe. Auch dort ging die erste Bewegung nicht von der Residenz, sondern von Hanau, der zweiten Stadt des Churfürstenthums aus; auf höheren Befehl von Kassel sollte dort schleunigst die Bürgerwehr, welche sich, wie dies aller Orten geschah, rasch gebildet hatte, entwaffnet werden, aber diese widersetzte sich diesem Vorhaben und eine Deputation begab sich nach Kassel um ihre Wünsche vorzubringen. Doch gelang es derselben nicht, den Widerstand des Fürsten zu brechen. Als nun Tag um Tag verging und die Hanauer Deputation immer nicht zurückkehrte, bereitete man in Hanau wie in der ganzen Umgegend einen großartigen bewaffneten Zug nach der Residenz vor; an der Spitze desselben standen die Hanauer Turner. Diese Turner, denn auch die Neubildung von lange verpönt gewesenen Turngemeinden begleitete die deutsche Erhebung, organisirten den Widerstand ganz militärisch. Sensen und Piken wurden geschmiedet, dreifarbige Fahnen und Schleifen durch die Frauen ausgetheilt, und an dem Jubel, der sich nun in dem Großherzogthum Hessen erhob, entzündete sich der Widerwille gegen das Regiment des Kurfürsten[361] noch heftiger. Schon sprach man laut davon, denselben zu verjagen, die beiden Hessen wieder unter einem Fürsten zu vereinigen, und schamroth blickten die begeisterten Kurhessen auf das großartige Fest, welches gerade in diesen Tagen die Mainzer vorbereiteten, um den Sieg der Freiheit zu feiern. Die ganze Stadt wurde glänzend beleuchtet, ein Fackelzug von Tausenden bewegte sich durch die Straßen mit dem Bürgermeister und Gemeinderath an der Spitze, vom Balkon des Theaters herab hielt Zitz eine begeisterte Ansprache an die Versammelten, in der er für die errungenen Güter dankte, und dann Alle zum feierlichen Schwure aufforderte, mit Gut und Blut an ihnen festzuhalten. Tausendstimmig, mit erhobenen Armen, wurde dieser Schwur ihm nachgerufen zum Sternenhimmel empor, während die bengalischen Flammen, welche den alten, ehrwürdigen Dom beleuchteten, die enthusiastischen Gruppen mit rothglühendem Lichte umhüllten. – Von gleichem Enthusiasmus getragen, riefen jetzt auch die Hanauer, und Alle die sich ihnen angeschlossen hatten: »Sieg oder Tod!« Schon war die Hanauer Deputation nach langen, vergeblichen Bemühungen im Begriff Kassel wieder zu verlassen; dies sollte das Signal zum Angriff auf die Residenz, die sich selbst schon in wildester Gährung befand, geben; schon heulten die Sturmglocken, schon machte sich Jedermann bereit, da – in der letzten Minute, kam Befehl von Wilhelmshöhe, die Hanauer zurückzuhalten, man wolle mit ihnen unterhandeln. So fügte sich denn auch der Kurfürst endlich in das Unabänderliche. Sein verachteter Minister Scheffer entfloh, vom Landvolke bis über die Gränze verfolgt, nachdem er sich Tage lang versteckt gehalten, alle dessen Creaturen wurden entlassen, und der Märtyrer Jordan, der so schwer gelitten, im Triumphe wieder in die Kammer geholt und ihm seine Professur zurückgegeben. Hier wie überall traten dann an die Stelle des Widerstandes, Illuminationen,[362] Fackelzüge, Feuerwerke, und die lautesten Ausbrüche der Freude. –

Gleichzeitig mit Kurhessen hatte auch Nassau seine Revolution, seinen Ministerwechsel, wie die Bewilligung seiner Forderungen und unaufhaltsam ging die Bewegung auf Norddeutschland über. In der Regel machte eine bedeutende Nachbarstadt der Residenzen den Anfang, wie wir es schon einige Mal gesehen, bis dann die Letzteren mit ergriffen wurden. In Sachsen ging Leipzig mit Biedermann, Robert Blum und Arnold Ruge an der Spitze voran. Auch dort versuchte man zuerst von Dresden aus Widerstand, dann folgte Ministerwechsel und Nachgeben. In Hannover, wo ein nicht minder halsstarriger Fürst als in Kurhessen regierte, wehrte man sich gleichfalls ein Weilchen, da zogen am 17. März die Göttinger Studenten gegen Hannover aus, am 18. wurde Bürgermeister Stüve von Osnabrück zum Minister ernannt, und am 19. war wie überall Alles voll Jubel und Freude, das siegende Volk ahnte freilich nicht, mit welch' arger Tücke man gerade in Hannover sich nothgedrungen, nur für den Augenblick liberal und national gesinnt geberdete.

Daß in den kleineren Staaten die Revolutionen nun auch einander Schlag um Schlag folgten, daß sie wie reife Birnen vom Baume fielen, konnte nicht fehlen; man stand des Morgens mit einer Revolution auf und legte sich mit einer Andern nieder, und nur Thoren, so meinte man, konnten noch zweifeln, daß nun Deutschland vollständig und für immer den Absolutismus und den Particularismus besiegt habe. Am entscheidensten mußten natürlich die Umwälzungen in den drei größten deutschen Staaten werden, in Bayern, Preußen und Oestreich. – Trotz der schönen Erfolge war Alles verloren, wenn es dort ruhig blieb; aber[363] von dem ersteren Staate hatte man dies nicht zu fürchten, denn schon im Februar waren ja dort, in Folge des Lolaregimentes, neue Unruhen ausgebrochen. – Seit einem Jahre nun beherrschte die schöne Gräfin Landsfeldt den König und mit ihm das ganze Land, ihr Haus war der Sammelplatz junger Männer, meist Studenten, welche eine neue Verbindung, die Alemannia gegründet hatten, und sich für volksund freisinnig, wie auch jesuitenfeindlich ausgaben. Sie durchschwärmten und durchtranken die Nächte mit der schönen und originellen Dame, die sich nebenbei ganz ernstlich in die Regierungsgeschäfte einmischte, Bittschriften, Anstellungsgesuche und dergleichen entgegennahm, und nach Lust und Laune Gnaden und Aemter austheilte. Daraufhin erklärten die übrigen Studenten die Alemannia, Lola's Garde, in Verruf, wofür sich die Regierung durch Bedrückung der übrigen Corps rächte und es ihnen verbot am Grabe des alten Görres, der den Tag von Deutschlands Wiedergeburt nicht mehr erleben sollte, sondern am 29. Januar 1848 gestorben war, zu singen. – Darüber entrüstet kam es nun auf offener Straße zu Reibereien und Thätlichkeiten zwischen den verschiedenen Studirenden, die endlich einen Volksauflauf nach sich zogen. Die Gräfin mischte sich in den Tumult und verließ, mit einer Pistole bewaffnet, ihren Wagen, der sie in die Mitte der Streitenden gebracht hatte, aber kaum wurde sie von der Menge erkannt, als sie sich schon umringt und verfolgt sah; die Pistole, mit der sie dagegen drohte, konnte ihr nicht viel nützen und mit knapper Noth flüchtete sie sich in eine nahe Kirche. Nur durch eine starke Gensd'armeriemacht konnte sie von da nach der Residenz, dem Königsschlosse, gebracht werden, während ihr Haus, welches man niederzureißen Anstalt machte, umstellt wurde. Erzürnt über diese Dinge und von seiner schönen Freundin aufgereizt, ergriff der König die verhängnißvolle Maßregel, die Universität[364] – man befand sich erst im Februar – bis zum October zu schließen. Alles gerieth außer sich darüber, die Bürgerschaft sah sich ihres Broderwerbs beraubt, die Studenten waren in höchster Aufregung, aber jede verständige Bemühung den Sinn des Königs zu brechen, blieb vergeblich und als nun die Studenten sich in einem großen Zuge vor das Haus des Fürsten Wallerstein begaben, um, er war Vorstand des Unterrichtswesens und hatte sich in den letzten Tagen gütig und liberal gegen die jungen Leute gezeigt, Abschied von ihm zu nehmen – wurden sie ohne Weiteres durch die Gensd'armen auseinander gesprengt. Nun beschloß der Stadrath noch einmal dem König persönlich Vorstellungen zu machen; sie verlangten die Wiederherstellung der Universität und – dies bildete freilich den Schwerpunkt ihres Verlangens – die Ausweisung der Gräfin Landsfeldt. Hinter ihnen standen der Adel und das Militär, welche Letzteren Lola Montez gleichfalls bitter haßten. Der König war in Verzweiflung; er wollte es lieber auf's Aeußerste ankommen lassen, als sich von seiner Freundin trennen, aber bald mußte er sich überzeugen, daß er im Falle eines Kampfes sich auf die Truppen nicht verlassen konnte. Als ihnen Lola, während sie in den Straßen aufgestellt waren, Erfrischungen herunter sandte, schlugen sie dieselben aus, und nahmen nur das an, was ihnen von den Bürgern gebracht wurde. Schon fing man an Barrikaden zu bauen, Sturm zu läuten; und die Kunde kam, daß in Augsburg sich die Bürger bereit machten, nach München zu ziehen, um den dortigen Bürgern zu helfen – da endlich gab König Ludwig nach. Aber Lola war so leicht nicht zu überwinden; sie machte, ehe sie ihre Sache aufgab, erst noch einen Versuch in das Schloß zu dringen, doch die Thore desselben waren fest geschlossen, und unter dem Wuthgeheul der Menge, verfolgt von Steinwürfen und Schimpfreden entkam sie mit knapper Noth, nur durch die Geschicklichkeit[365] ihres Kutschers noch glücklich aus der Stadt. Der König suchte zu scherzen, er sagte: »Hätte sie nicht Lola Montez, sondern Loyola Montez geheißen, sie wäre noch ruhig in München«, aber im Herzen war er tief betrübt und verletzt. In solcher Stimmung trafen ihn dann die Märztage, die von dem ohnehin noch tief erregten Volke um so stürmischer in Scene gesetzt wurden. Dem verhaßten Minister Berks, einer Creatur der Lola, wurden alle Fenster eingeschlagen, und als der König den uns schon bekannten Forderungen widerstand, und Fürst Wrede – jetzt bedurfte man ja des Volkes nicht mehr gegen die Lola – sich ernstlich anschickte, bewaffneten Widerstand zu leisten, wurde das Zeughaus gestürmt, die Münchner bewaffneten sich und zum zweiten Male sah Bayerns König sich genöthigt, sich der Volkssouveränetät zu beugen, wenn er es nicht bis zum Aeußersten wollte kommen lassen. Er fügte sich, aber während ihn jetzt anstatt der Drohungen lauter Jubel umbrauste, das Militär den Eid auf die Verfassung leistete, und sein ganzes Land in Wonne schwamm, zehrte ihm der Gram am Herzen. Am 20. März drang plötzlich die Nachricht in das Publikum, König Ludwig I. habe zu Gunsten seines Sohnes Max II., abgedankt. Niemand wollte daran glauben und doch war es wirklich so. Der König ließ öffentlich erklären, er habe seit dreiundzwanzig Jahren nach Grundsätzen regiert, die er für die richtigen gehalten; nun sei er gezwungen worden, Versprechungen zu machen, die er nicht zu halten im Stande sein werde, er sehe sich darum genöthigt, seine Krone niederzulegen. Dies war ehrlich gesprochen und jedenfalls, mögen auch die Beweggründe gewesen sein, welche sie wollen, hat Ludwig von allen deutschen Fürsten am meisten seine Ehre gewahrt, indem er sich nicht in den Fall brachte, das wieder verläugnen zu müssen, was er in der Stunde der Gefahr zugesagt und beschworen hatte. Er konnte nun wieder frei[366] der Kunst wie der Poesie leben, und die Bayern betrauerten ihn aufrichtig, trotz der großen Mängel und Schwächen seiner Regierung. Lange erhielt sich im Volke die Vorstellung, man habe ihn von Seiten der Pfaffen zur Entsagung gezwungen, weil er ihnen nicht mehr gehorcht habe, aber von den Münchner Ereignissen hinweg, richtete sich jetzt das Hauptinteresse Deutschlands auf die beiden wichtigsten Revolutionen, auf die von Wien und Berlin. –[367]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 337-368.
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