Fünfzehnte Vorlesung

[368] Revolution in Wien. Revolution in Berlin. Das deutsche Vorparlement


Welcher Art die Schwierigkeiten waren, die dem östreichischen Kaiserstaate schon vor dem Jahre 1848, durch die Aufregung in Ungarn, Galizien und der Lombardei bereitet wurden, habe ich bereits angedeutet; der Ausbruch der Pariser Februarrevolution traf mit schwerer Wucht das bereits zusammenbrechende Ministerium und bedrohte die Monarchie mit noch anderweitigen Verwickelungen in Deutschland. Man hatte überhaupt seit dem preußischen Thronwechsel um 1840 mit stets wachsendem Unbehagen dahin geblickt und sich bemüht, die schwachen Bemühungen Preußens um eine Bundesreform stets möglichst zu verschleppen, aber unverkennbar blieb es darum doch, daß die deutsch-östreichische Bevölkerung mehr und mehr nach dem erwachenden Geiste im Reiche hin zu horchen, und dort einen Halt, eine Anlehnung zu suchen begann. Mit glücklichem Erfolge hatte man gegen solche Regungen, seiner Zeit, den bekannten Trinkspruch des Erzherzog Johann improvisirt, den derselbe niemals so gedacht, noch gesprochen, dessen Verbreitung jedoch einen enthusiastischen Widerhall in ganz Deutschland fand und der lautete: »Kein Oestreich und kein Preußen, sondern ein einiges freies Deutschland, fest wie seine Berge!«

Jahre lang schlug Oestreich Kapital aus diesem Worte, das ihm, im Gegensatz zu Preußen, die Popularität des[368] übrigen Deutschland eintrug, was sich namentlich fühlbar machte, als der Augenblick kam, der diese Popularität auf die Probe stellen sollte. – Noch früher jedoch, als das Verhältniß Oestreichs zu einem verjüngten Deutschland in Frage kommen konnte, ereilte dessen langjährige Regierung dasselbe Verhängniß, das jene Staaten betroffen, die im Vertrauen auf Metternich's Staatskunst, sich seiner Führung so blind lings überlassen hatten. Den ersten Anstoß zur Unruhe gaben die großen finanziellen Schwierigkeiten, in denen die östreichische Regierung sich fortwährend befand und die sich zu Anfang des Jahres 1848 besonders kritisch gestaltet hatten. War doch dem Staatsbürger seit Jahren jeder Einblick in das Budget versagt gewesen; eine Rechenschaftsablage gab es nicht, dagegen wurde immer nur Geld, immer nur neue Steuern verlangt, bis der Staats-Credit sich auf's Tiefste erschüttert zeigte, und die beängstigte Bevölkerung nun immer lauter die Einberufung der alten Stände, wie dies 1810 wo man sich in einer ähnlichen Krise befand auch geschehen war, forderten. Man hoffte in ihnen doch wenigstens eine Garantie der Regierung gegenüber zu haben, da sie entschlußlos hin und her schwankte und jetzt, als die Revolution in Frankreich ausbrach, nichts Besseres zu thun wußte, als das Schreckgespenst des Communismus heraufzubeschwören. Aber vergebens – die Angst, daß der Staatsbankerott, den man schon so lange gefürchtet, nun wirklich ausbrechen werde, überwältigte alle Gemüther; man drängte sich an die Staatskassen, um seine Papiernoten in klingende Münze umzusetzen, in Ungarn aber, wo die politische Reife die größte, die Behandlung öffentlicher Angelegenheiten die leichtere war, da man ja dort seine Ständetafeln von Alters her besaß, knüpfte sich unmittelbar an die eben geschilderte Aufregung die offene Revolution an. Am 3. März, nachdem im Preßburger Reichstage die Noth des Landes, der Druck der auf Handel und Wandel[369] lastete, war lebhaft geschildert worden, beschloß man, von der Regierung in Wien Aufklärung über die Finanzlage Ungarns zu verlangen. Während dieser Debatten erhob sich Ludwig Kossuth, der Agitator Ungarns, und hielt jene berühmte Rede, welche man später als die Taufrede der ungarischen und Wiener Revolution bezeichnet hat. Er verlangte vollständige Beseitigung der absolutistischen Regierungsweise, er schilderte die Hohlheit und den leeren Mechanismus ihres Wesens mit drastischen Worten, »aus den Beinkammern des Wiener Systems«, so rief er aus, »weht eine verpestete Luft uns an, die unsere Nerven lähmt, unsern Geistesflug bannt!« Der Schluß seiner Rede lautete: »Wir bitten daher den kaiserlichen Thron mit constitutionellen Einrichtungen umgeben, allen Ländern Oestreichs eine Verfassung verleihen zu wollen!« Unter allgemeinem Jubel den seine folgenden Angriffe auf »den alten Mann Metternich«, zum stürmischsten Beifall gestalteten, trat die Ständetafel Kossuth's Antrag bei, und die Tafel der Magnaten wurde zu demselben Entschlusse mit fortgerissen. Wie man nun jetzt dort in Preßburg ein neues Ungarn verlangte, so erhob sich auch Prag, und forderte ein neues Böhmen; wenige Tage später rief man in Wien nach einem neuen Oestreich.

Die Nachrichten, die nun Schlag auf Schlag aus Deutschland eintrafen, wirkten so überwältigend in der Kaiserstadt, daß Censur und Polizei sich wie gelähmt fühlten; die Bevölkerung fing an sich zu Adressen und Petitionen zusammen zu thun; allen Andern voran gingen die Buchhändler, welche Rücknahme der neuen Censurvorlage verlangten. Die Spitze der Regierung, die »Staatsconferenz«, welche schon seit längerer Zeit die Stelle des unzurechnungsfähigen Monarchen vertrat, war völlig rathlos und sah zitternd und bebend die Bewegung wachsen und steigen. Der Wiener Gewerbeverein trat nun gleichfalls hervor und forderte in einer Adresse ein[370] festes Anschließen der Regierung an die gerade versammelten Stände, denn es hatte sich zufällig so gefügt, daß die Regierung nun doch die niederöstreichischen Stände auf den 13. März einberufen hatte. Die Führer der liberalen Parthei entwarfen ihre Forderungen, und gleichzeitig sprach der juridischpolitische Leseverein, unter Anführung des Advocaten und späteren Ministers Alexander Bach, in einer Petition unverholen seine Ansicht über die Nothwendigkeit einer östreichischen Gesammtverfassung aus. Dieser Kundgebung folgte dann eine Adresse der Wiener Studentenschaft, die am tapfersten zu Werke ging und frischweg Preß-, Rede-, Lern-, Lehr-Freiheit verlangte, außer der Volksvertretung und einer Bundesreform.

angesichts dieser sich mit größter Schnelligkeit folgenden Schritte erschrak die Regierung doch ernstlich; die Professoren wurden aufgeboten, um die Ueberreichung der Studenten- Adresse zu verhindern, sie erreichten aber gar nichts, als das Zugeständniß der jungen Leute, ihre Adresse nicht persönlich in die Hofburg bringen zu wollen, sondern dies Geschäft zwei einflußreichen Lehrern, den Professoren Hye und Endlicher zu überlassen. Diese beiden wurden dann auch von dem Kaiser empfangen, und mit freundlichen aber leeren Worten abgespeist; als am Morgen des 13. März die in dichten Schaaren harrende studentische Jugend dies als Antwort erhielt, steigerte es nur die Aufregung, anstatt sie zu dämpfen. Bald gruppirte sich, ohne besonderes Zuthun die ganze Action um die Aula und um die Studentenschaft; auf und nieder wogte es in den Straßen, die Stände traten zusammen, und Rufe wurden laut, welche Metternich und Seldnitzky, den verhaßten Polizeiminister, als Diebe und Verräther bezeichneten, und deren Verjagung verlangten. Man verlas unter lautem Enthusiasmus Kossuth's Rede, die er in Preßburg gehalten, und eine Deputation von sechs Studenten und[371] sechs Bürgern verlangte, in die Ständeversammlung eingeführt zu werden, um dort die Wünsche des Volkes vorzutragen. Als diese Deputation sobald nicht wieder erschien, fürchtete man draußen Verrath, das Volk drang in das Ständehaus ein, und so sahen sich die Versammelten genöthigt, sich der Bewegung anzuschließen, und den Versuch zu machen, bis zu dem Monarchen vorzudringen.

In diesem Augenblicke mochte man in Wien, wenn man Alles genau gewußt, mit Wallenstein sprechen: »In seiner Hofburg zitterte der Kaiser!« Metternich wollte Gewalt anwenden, die Andern stimmten ihm jedoch nicht bei, doch ließ man unklugerweise Soldaten ausrücken und schickte sie nach dem Ständehause. Sie wurden vom Volke verhöhnt, hin und hergeschoben und geneckt, bis sich der Tumult so weit steigerte, daß ein Volkshaufe das Ständehaus zu zerstören begann. Daraufhin gaben die Soldaten eine Salve, die mehrere der Tumultuanten zu Boden streckte. Nun legte sich, um weiteres Unheil zu verhüten, das Bürgerthum in's Mittel; man uniformirte sich als Nationalgarde, und die angesehensten Männer bestürmten die »Staatsconferenz« zur Nachgiebigkeit. Als Metternich sich unbeugsam zeigte, fort und fort von einem »verführten Pöbel« sprach, wurden ihm die Worte entgegen geworfen: »Das ist kein Krawall, das ist eine Revolution!« Während man verhandelte, erschien auch noch der greise Jenull, der Rector der Universität, in dem Schlosse und verlangte die Bewaffnung der Studenten, weil dieselben gedroht, sie würden sonst das Zeughaus stürmen. Da, in der höchsten Bestürzung, erinnerte man sich, daß der Rector das Recht hatte jederzeit unangemeldet vor dem Kaiser zu erscheinen. Er schickte sich an, davon Gebrauch zu machen, aber an Ferdinand's Stelle empfingen ihn seine Brüder, die Erzherzöge, und als der alte Mann nun aus der Unterredung mit ihnen heraushörte, wie wenig sie noch die[372] ganze Sachlage begriffen, da warf er sich in seiner Angst auf die Kniee nieder und schilderte flehend die schrecklichen Folgen, welche entstehen müßten, wenn man sich nicht rasch zu Zugeständnissen entschließen würde. Das Resultat seiner Darstellung war, daß man nun doch zu dem Entschlusse kam, die Censur aufzuheben; über solch' geringe Zugeständnisse war man aber draußen nun schon längst hinaus. Als jetzt die Deputationen zu nochmaliger Berathung von der »Staatsconferenz« empfangen wurden, erhoben sich bereits Stimmen, die ohne Scheu vor dem allmächtigen Minister, Metternich's Entfernung verlangten, und er besaß Würde genug, dieselbe in diesem kritischen Augenblicke freiwillig anzubieten. Niemand widersprach ihm, ein tiefes Schweigen ringsum verurtheilte ihn zur Abdankung, bis ein alter Bürgerofficier das Wort ergriff und ehrlich heraus sagte: »Durchlaucht, wir haben nichts gegen Ihre Person, aber Alles gegen Ihr System; und darum müssen wir wiederholen, nur durch Ihre Abdankung retten Sie Thron und Monarchie!« – So stürzte der Mann mit einem Schlage, der Europa so lange in Ketten und Banden gehalten hatte; nur ging leider so schnell nicht mit ihm auch das alte System zu Grabe, dazu war es zu tief eingewurzelt, und die Welt konnte nicht plötzlich über Nacht eine Andere werden. Nur der vornehmste Träger des Systems war mit Metternich gestürzt, und dennoch, als diese Kunde die Welt durchflog, da glaubte Jeder sich wie von einem Alp befreit, der in tödtlicher Erstarrung auf ihm gelastet, und nicht minder groß war die Freude, daß sich noch eine Vergeltung innerhalb der gegenwärtigen Geschichte vollzog, daß der Mann, der so viel Großes und Gutes zu Grunde gerichtet, aufbewahrt geblieben, um den totalen Sturz dessen mit anzusehen, was er so fest begründet wähnte. –

Nun folgte rasch, während Alles von Glück strahlte, die Bewaffnung der Studenten und des Volkes, die Bildung[373] einer Nationalgarde, und ganz zuletzt konnte sich die Regierung dann auch der Gewährung einer Constitution nicht länger entziehen, wie mühsam sie sich auch dazu entschloß. Die Wiener Studenten waren die Helden des Tages, man erdrückte sie fast mit Enthusiasmus und Anerkennung, und das östreichische Volk, dem so plötzlich die goldene Frucht der Freiheit zugefallen, erwartete sich nun eine herrliche Zeit, aber es sollte im Gegentheil sich schon nach wenigen Wochen in ein Gewirre, in eine Anarchie gestürzt sehen, wie sie bei den sich widerstrebenden und widersprechenden Elementen dieses Staates ganz unausbleiblich war. Das alte Oestreich war durch die Wiener Revolution vollständig und mit Recht von Grund aus zerstört, aber schwere Zeiten folgten dem Umsturz, bis sich das Neue entwickelte und gestaltete. Bei uns im Reiche jubelte und jauchzte man natürlich den Wiener Ereignissen enthusiastisch zu, und träumte ganz eben so leichtgläubig wie dort, von einem neuen deutschen Kaiser aus dem Hause Habsburg, der das schwarz-roth-goldene Banner wieder zu Ehren brächte.

Unmöglich wäre die Erfüllung dieser Vorstellungen auch nicht gewesen, wenn Oestreich, das damals alle Sympathien für sich hatte, in jenen Tagen einen großen Staatsmann besessen, der mit weitschauendem Blicke die einzelnen Theile des Kaiserstaates sich hätte zerbröckeln und losringen lassen, die kaum noch durch die äußerste Gewalt konnten zusammen gehalten werden, und die mehr und mehr in fieberhaft revolutionärer Stimmung an ihrer gegenseitigen Trennung arbeiteten. Zuerst war es Ungarn, das jetzt stürmisch seine Selbstständigkeit verlangte, und höchstens noch eine Personalunion mit Oestreich dulden wollte; die Lombardei und Galizien verlangten eine vollständige Losreißung. Oestreich konnte jetzt ein rein deutscher Staat werden, und an die Spitze[374] Deutschlands treten – aber Keiner hatte die Einsicht dies zu wollen, obwohl selbst die zähesten Staatsmänner daran verzweifelten, die widerwilligen Provinzen wieder in einen engen Zusammenhang mit dem Erzherzogthum zu bringen, die pragmatische Sanction, die sie seit mehr als hundert Jahren an einander fesselte, aufrecht zu erhalten. Dazu gesellte sich noch die Begeisterung der Liberalen in Oestreich selbst, die für den Aufstand in Mailand, wie für das Selbstbestimmungsrecht der Lombarden und Venetianer schwärmten. Kaum weniger lebhaft sprachen sich eine Menge conservativer Stimmen für Freigebung der Lombardei, »durch ein friedliches Scheiden, gegen Uebernahme eines theiles der Staatsschuld und anderer Bedingungen« aus. In ähnlichem Sinne äußerte man sich auch bezüglich der andern Provinzen: »Oestreich wird ohne Italiens, ohne Polens Besitz kräftiger, blühender, glücklicher sein, als durch die Knechtung dieser Länder«, so ließ sich damals namentlich die Augsburger Zeitung vernehmen und dann wieder hieß es an einer andern Stelle: »Man lasse sich loslösen, was nicht zusammen bleiben kann! Man lasse frei, was nicht mit uns zusammenhängen will! Man scheide die Nationen und lasse sie gewähren, da es vergeblich ist, sie in der gegenwärtigen Vereinigung zu lassen!« –

Doch ehe wir solchen und ähnlichen Erwägungen weiter Raum geben, die Ereignisse erzählen, die sich ferner daran knüpften, wenden wir uns zurück zu den reindeutschen Verhältnissen. Nachdem die glorreiche Revolution in Wien vom 13. März die Trunkenheit bei uns noch gesteigert hatte, blickte Alles jetzt gespannt auf Berlin, wo es unbegreiflich ruhig blieb. Man schmähte, man höhnte darüber, man begriff es nicht, wie auch jetzt wieder das preußische Volk, mit Ausnahme Rheinpreußens, das letzte bleiben konnte, um sich an einer Bewegung zu betheiligen, welche die ganze übrige Nation mit[375] sich fortgerissen: »Diese preußische Politik«, hieß es in der damaligen Presse, »fröstelt uns an, wie ein russischer Nachwinter, gegenüber dem Vorfrühling Süddeutschlands!«

In der That standen in Berlin Regierung und Volk eine Weile, wie zuwartend einander gegenüber. Wohl kamen an den König Adressen von auswärtigen preußischen Städten, aus Breslau meldete man Ruhestörungen, dazu gesellten sich die Nachrichten vom Rheine, und am 7. März sah sich der König bewogen Censurfreiheit, wie er es nannte, zu bewilligen. Am selben Tage zeigten sich in Berlin die ersten Spuren einer Volksbewegung, veranlaßt durch einige junge Schriftsteller. Die Doctoren Oppenheim und Löwenberg luden zu einer Volksversammlung »unter den Zelten« einem Vergnügungsort im Thiergarten, ein. Etwa 600 junge Männer aus allen Ständen der Gesellschaft kamen zur Besprechung zusammen, und obgleich militärische Vorrichtungen gegen die Versammlung getroffen worden waren, blieb doch Alles ruhig. Man beschränkte sich darauf eine Adresse der Berliner Jugend an den König zu berathen und zu unterzeichnen. Sie enthielt die Mannheimer Forderungen, welche auch hier als das Programm der Freiheit adoptirt wurden. Von diesem Tage an entwickelte es sich nun langsam weiter; die Stadtverordneten beschlossen gleichfalls eine Adresse, während man von anderer Seite her, zum Gegensatz, eine Loyalitätsadresse an den König vorbereitete. Dies gab Veranlassung zu Katzenmusiken für die Unterzeichner, und ganz gemüthlich entwickelten sich alle die kleinen Reibereien, welche größeren Ereignissen voranzugehen pflegen, bis der 13. März die Situation zu klären begann. Die Volksversammlungen wurden jetzt verboten, das Militär bereit gehalten und einer Breslauer Deputation, die inzwischen angekommen war, erklärte der König, die Zeit sei nicht darnach angethan, besondere Zugeständnisse zu machen. Das goß Oel in's[376] Feuer, aber noch blieb man ruhig; bei einer zweiten großen Versammlung unter den Zelten, bestiegen Arbeiter die Stühle und riefen: »Wir wollen Freiheit, aber ohne Excesse!« –

Man trieb darauf die Leute auseinander; dies ärgerte, man fing hie und da an Steine auszureißen und versuchte Barrikaden zu bauen; nun wurde mit ernsteren Maßregeln gedroht und der König erließ ein Rescript, das den vereinigten Landtag auf den 25. April wieder einberief: »Kühn und bedächtig!« war das Losungswort der Regierungsparthei, die unter der Hand auf Kassel, Karlsruhe und die andern Höfe einzuwirken und zu veranlassen suchte, daß man dort wieder die Zügel schärfer anzog.

In dem königlichen Patent, das den Landtag einberief, war auch die Rede von einem »Congreß« der verbündeten Mächte, welcher die neuen Geschicke Deutschlands berathen möge – nun konnte aber kein Wort übler gewählt sein, als dieses, denn die traurigsten politischen Erinnerungen knüpften sich gerade an diese »Fürstencongresse« an, und nicht weniger erbitterte eine andere Stelle, durch welche an den »besseren Geist« der Nation appellirt wurde. Als ob nicht eben jetzt ihr guter, ihr besserer Genius endlich erwacht wäre. Die zeit für solche fürstliche Phrasen war vorüber, und die aufgepflanzten Kanonen, die Kartätschen, die man gelegentlich hie und da unter die Volkshaufen schleuderte, waren schlechte Mittel, ihnen einen neuen Glauben zu erwecken. Die schon vorhandene Aufregung steigerte sich durch die Nachrichten aus Wien; wie schämte man sich da auf einmal der trägen Haltung Berlins und lawinenartig wurchs die Bewegung jetzt heran. Die Studenten und die jungen Leute schmückten sich ungescheut mit den deutschen Farben, man verlangte Volksbewaffnung, verhöhnte das Militär, wogegen dieses seinerseits[377] es an Uebermuth gegen die Kanaille nicht fehlen ließ. Je feindlicher das große Publikum dem Militär wurde, je mehr betrachtete man den Prinzen von Preußen, den Bruder des Königs, der vorzugsweise Militär war, als dessen Hauptstützpunkt bei seinem Widerstand gegen die Volkswünsche. Man mag sich auch darin nicht geirrt haben, denn der Prinz besaß Entschlossenheit und Energie, und diese Eigenschaften waren im Augenblicke jedenfalls eher am Platze, als die Schwäche und Entschlußlosigkeit der Regierung, die während der drei nun folgenden Tage ein grausames Spiel zwischen sich und der stets steigenden Volksaufregung – selbst Kinder fingen an sich zu bewaffnen – veranlaßte. Entweder mußte man nachgeben, oder die Gewalt im ersten Moment nachdrücklich gebrauchen. Täglich gab es Todte bei den verschiedenen Aufläufen, schon lagen 80 Verwundete in der Charité, da ermannte sich endlich die Stadtverordneten-Versammlung und Nauwerk, der schon so manchmal für sein Volk gesprochen, drang darauf, daß man nochmals volle Preßfreiheit von der Regierung verlange, damit der König die Stimme seines Landes in Wahrheit zu hören bekomme. Die Versammlung beschloß denn auch diesen Schritt zu thun, und fast gleichzeitig lief die Nachricht durch die immer mehr aufgeregte Stadt, daß die Kölner Deputation mit dem gefeierten Franz Raveaux an der Spitze am nächsten Tag, dem 16. nach Berlin kommen werde, um die Wünsche der Rheinlande auszusprechen.

»Sie kommen,« so hieß es überall, »mit bestimmten Forderungen; werden diese nicht erfüllt, so drohen sie mit Abfall!« Jetzt verlangte Nauwerk nochmals entschieden in der Stadtverordnetenversammlung die Bildung einer Bürgergarde, denn mit den weißen Binden und Stäben, mit denen bewaffnet sich ein Bürgerausschuß mühte, den Frieden zu erhalten, war die Unordnung nicht länger zu bezwingen, und[378] immer blutiger wurden die Zusammenstöße zwischen Militär und Volk. Aber die Versammlung lehnte mit Stimmenmehrheit Nauwerk's Antrag ab, und auch das Anerbieten der Studenten, man möge sie bewaffnen, sie verpflichteten sich alsdann keinen Exceß zu dulden, wurde verworfen. Aber im Königsschlosse begann jetzt eine gewisse Beunruhigung Platz zu greifen. Man hatte aus Wien die sichere Kunde vom Sturze Metternich's empfangen, und wenige Stunden später langte die Fürstin Metternich selbst, flüchtigen Fußes und von Allem entblößt, in Berlin an. –

Unter diesen Eindrücken wurde endlich am 17. März die Beseitigung der Censur bewilligt, und nun kam auch in die Berliner Bürgerschaft etwas von politischem Geist; 6000 Bürger beschlossen am nächsten Tage vor das Schloß zu ziehen, um die Freigebung der Presse, Berufung des Landtages und Volksbewaffnung zu fordern. Aus den Rheinlanden kamen Nachrichten, die den Verlust der Provinzen befürchten ließen, wenn der König nicht nachgab und auch die übrigen Landestheile befanden sich in der höchsten Aufregung. Da vernahm man endlich der König habe der rheinischen Deputation in einer zweiten Audienz ihre Wünsche gewährleistet, und am nächsten Morgen, am 18. März, erschien eine Proclamation des Königs, welche sich in deutschnationalem Sinne aussprach. Er versprach dahin zu wirken, daß die Bundesverfassung revidirt und ihr eine Volksvertretung beigegeben werde; desgleichen wurden eine deutsche Wehrverfassung, ein Bundesgericht, Freizügigkeit, eine deutsche Flotte und Bundesflagge in Aussicht gestellt. Am Schlusse versprach die Proclamation die alsbaldige Einberufung des vereinigten Landtags. – Ehe diese frohen Nachrichten sich jedoch allgemein verbreiten konnten, hatte sich schon, da die Stadtverordneten auf Mittags 2 Uhr eine Bürgerversammlung auf dem Schloßplatze anberaumt hatten, eine ungeheure Volksmenge vor dem Schlosse angesammelt, die, als[379] man ihr das eben Erwähnte mittheilte, in so stürmische Hochrufe für den König ausbrach, daß derselbe sich auf dem Balkon zeigte und wiederum laut begrüßt wurde. –

Dieser verfrühte Jubel bewies die geringe, politische Bildung der Menge; für Preußen selbst war ja in der Proclamation sehr wenig gesagt. Man mußte jetzt die Entfernung des Ministeriums und augenblickliche Volksbewaffnung verlangen, denn immer größere Militärmassen waren in die Stadt gezogen worden, alle Schloßhöfe sah man mit Kanonen und Soldaten gespickt, und doch hätte eine kluge Regierung jetzt jeden Zusammenstoß zwischen Jenen und der erregten Bevölkerung zu vermeiden suchen sollen; die Tieferblickenden waren sich wohl bewußt, daß diese Sache noch nicht zu Ende sei, am Hofe selbst aber war man fest überzeugt, der Sturm, dem man sich momentan beugte, werde schnell vorüberziehen. Man wünschte sehnlich, daß die Menge sich nun entfernen möge, aber als jetzt der verhaßte Minister Bodelschwingh auf den Balkon trat und die Leute aufforderte, wieder ruhig nach Hause zu gehen, als Officiere des am Schlosse aufgestellten Regimentes die Forderung dringender wiederholten, in oft roher und grober Weise, da schlug die Stimmung plötzlich wieder um und es brach sich mit einem Male in der Menge der Gedanke Bahn: der Minister muß entfernt werden, und mit ihm das Militär! Man rief laut, der König solle die Truppen wegschicken und sich seinen Bürgern anvertrauen, sie würden dies als das Pfand seiner Versprechungen betrachten. Während Graf Arnim im Namen der Bürger darüber mit dem Könige verhandelte, fielen die zwei bekannten und verhängnißvollen Schüsse aus dem Innern des Schloßhofs, die später von keiner Seite aus wollten gefallen sein. Unter dem Ruf: Wir sind verrathen! stob die Menge auseinander, doch gelang es noch umsichtigen Leuten sie wieder zu beruhigen und die Sache als ein Mißverständniß[380] darzustellen. Als aber nun die entschiedene Weigerung des Königs, die Truppen wegzuschicken, bekannt, als gleich darauf von den Dragonern scharf eingehauen wurde, auch eine gleichzeitige Salve, ohne jegliche vorherige Aufforderung in die dichten Volkshaufen einschlug und mehrere Leute zu Boden streckte, da brach jener blutige, entsetzliche Straßenkampf aus, welcher der deutschen Freiheitsgöttin, die bis dahin ihr Gewand fleckenlos getragen, den Saum desselben in blutiges Roth tauchte. Im Nu. waren eine Menge von Barrikaden errichtet, man stürzte Droschken und Wagen um, versperrte damit die Ausgänge der Straßen, stürmte Waffenläden und griff zu jedem Vertheidigungsmittel, welches sich darbot. Der Kampf war ungleich schrecklicher, als jener der Pariser Julirevolution; hier donnerten Kanonen und Kartätschen in ein fast wehrloses Volk, welches zu Anfang oft nur Dachziegel, Pflastersteine und Handwerksgeräthe zum Kämpfen hatte. Erst nach und nach konnten die Kämpfer sich nothdürftig bewaffnen, und vielfach schossen sie nur mit gehacktem Blei, Marmorkügelchen, Knöpfen und dergleichen Dingen. Ihr Schutz waren die Barrikaden, deren zuletzt an 400 errichtet waren, und die namentlich die Anstrengungen der Reiterei nutzlos machten. –

Die ganze Nacht vom 18. auf den 19. März hindurch dauerte dieses entsetzliche Kämpfen; die Studenten, verbunden mit den Arbeitern der Borsig'schen Fabrik, bildeten einen besonderen Trupp und kämpften wie die Löwen auf und hinter den Barrikaden. Häufig wurden die einzelnen Abtheilungen von früheren polnischen Officieren dirigirt, und überdem kam dem Volke seine militärische Zucht zu Gute; Knaben trugen die Kugeln herbei, Frauen und Mädchen halfen bei dem Barrikadenbau, auf die man überall die deutschen Reichsfarben aufpflanzte und aus den Häusern wurden den Kämpfenden fortwährend Speisen und Erfrischungen gereicht-[381] Noch am Abend entschlossen sich muthige Männer, unter ihnen der bekannte Dr. Löwe, der heutige Reichstagsabgeordnete, der Stadtrath Reimer und Andere, – auf dem Wege schloß sich ihnen noch der Bischof Neander in vollem Ornate an, – sich nach dem Schlosse zu begeben. In feierlicher Haltung, das Haupt entblößt, so schritten sie durch die Truppen und das aufgeregte Volk, das ihnen zurief: »Brav, ihr Friedensstifter, bringt uns den Frieden!« Sie brachten ihn nicht, der König wollte das Militär nicht zurückziehen, er blieb dabei: »Nur der Bitte, nicht der Gewalt weiche ich!« und so nahm das Verhängniß weiter seinen Gang!

Eine mond- und sternhelle Nacht sah nieder auf die Hunderte von Wachtfeuern, auf die beleuchtete Stadt, die eine Feuersbrunst, welche in der königlichen Eisengießerei ausgebrochen war, bald mit noch grellerem Lichte überstrahlte; an die stille Himmelsdecke schlug das Knattern der Gewehre, das Geschrei der Kämpfenden, das Donnern der Kanonen, das Geheul der Sturmglocken, die das Wimmern der Sterbenden übertönten. Erbarmungs- und schonungslos wüthete das Militär gegen Alle, die ihm in die Hände fielen, so wie auch gegen die Einwohner der Häuser, die es im wilden Kampfe erstürmte. Am schrecklichsten tobte er in der Breitenstraße, deren Vertheidigung Bürger, Studenten und Schriftsteller übernommen hatten, und welche eine mächtige Barrikade schloß, die vom Schloßportale aus vier Stunden lang beschossen wurde. An den Schloßfenstern standen unterdessen der König und seine Generale, hinausschauend in die Schrecken dieser Nacht, aber sie blieben taub für jede Warnung und Vorstellung, die dem Schlosse von den verschiedensten Seiten her zukamen. Mitten in der Nacht erschien im Schlosse eine zweite Deputation von Stadträthen, und diese sprachen ungescheut das Wort aus:[382]

»Es ist keine Emeute, es ist eine Revolution!« Der König und seine Umgebung blieben immer noch unbeweglich, sie wußten nicht, daß die Truppen überall zu weichen begannen; gegen Morgen nahmen die Volkskämpfer das Landwehr-Zeughaus, gewannen damit einen ungeheuren Waffenvorrath und General Möllendorf, der die Truppen führte, wurde von ihnen gefangen genommen. Jetzt ging eine neue Mahnung in das Schloß: »Das Militär binnen einer Stunde zurück,. oder der General wird erschossen!« –

Unterdessen hatte in diesen entsetzlichen Stunden der König die bekannte Proclamation: »An meine lieben Berliner!« verfaßt. Deren Inhalt bewies klar die Verblendung des unglücklichen Monarchen, der in diesem Schriftstück die Wahrheit ganz eben so entstellte, wie sie ihm selbst durch seine reactionäre Umgebung entstellt gezeigt wurde, und mit lautem Hohne wurden die Versicherungen väterlicher Liebe aufgenommen, sowie auch die Versprechungen, welche die Proclamation enthielt, am Schlusse gab der Fürst sein königliches Wort, das Militär allsobald zu entlassen, wenn das Volk sich entwaffnen werde. – Am Abend des Kampfes war den Truppen der Befehl ertheilt worden, bis 5 Uhr Morgens müßten sie Herren der Stadt sein, und man hatte ihren Muth durch den reichlichen Genuß geistiger Getränke aufrecht zu halten gesucht, aber als jetzt der Morgen graute, lagen sie kampfunfähig, todt, verwundet und berauscht auf ihren Standorten, während das Volk die Leichen seiner Gefallenen sammelte und sich zu neuem Kampfe vorbereitete. Im fahlen Morgenlichte gingen die Officiere, mit der Proclamation des Königs in der Hand, von Barrikade zu Barrikade und forderten die Kämpfer auf, die Waffen niederzulegen, aber sie hielten bald wieder inne, als sie die Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen sahen. Mit lautem Hohne wurden die Versicherungen väterlicher Liebe, sowie auch die Versprechungen,[383] welche die Proclamation enthielt, die von den Aufständischen, als von einer »Rotte von Fremden und Bösewichtern« sprach, aufgenommen. Anstatt sich zu entwaffnen, bereitete man sich zu neuem äußerstem Widerstande vor; die Färber setzten ihre Vitriolflaschen zurecht, sie auf die Soldaten auszugießen, man drohte das Schloß in Brand zu stecken und Stimmen wurden laut, mit dem Rufe: Nieder mit Friedrich Wilhelm! – Im Schlosse war inzwischen doch die Stimmung umgeschlagen; den Berichten die Möllendorf's Adjutant brachte, konnte man das Ohr nicht länger verschließen, man mußte ihm glauben, daß 40,000 Mann der besten Truppen von dem Volke besiegt waren. Als nun am Morgen des 19. März wieder eine Deputation von Stadtverordneten erschien, gab der König ihren Bitten und denen der angesehensten Einwohner der Stadt nach; er erlaubte ihnen in seinem Namen, dem Volke Frieden zu bringen. Das Ministerium dankte ab, Männer, die das öffentliche Vertrauen besaßen, von Vinke aus Westphalen, Beckerath aus Elberfeld, Auerswald und Schwerin wurden zu Ministern ernannt. Das Militär bekam den Befehl die Stadt zu verlassen, die vielen Gefangenen, die man in den letzten Tagen gemacht, sollten freigegeben werden.

Es war ein schrecklicher Moment für die Truppen als sie ihren Abmarsch begannen; am erbittertsten war der Kampf gegen die Garde gewesen, deren adelige Officiere sich vielfach aufreizende Reden hatten zu Schulden kommen lassen, als sie jetzt mit klingendem Spiel abziehen wollte, zwang man sie die Trommeln zu dämpfen und den Choleramarsch zu spielen. – Vom Balkon des Schlosses herab versprach dann der König noch einmal die Freilassung der Gefangenen, die wohl 200 an Zahl zum Theil schon nach Spandau waren gebracht worden, dann bat er, man möge ihm eine Stunde Ruhe gönnen, aber sie sollte ihm nicht werden, denn die Menge,[384] welche vor dem Schlosse wie ein Meer hin und her wogte, durchbrach jetzt ein langer, langer Trauerzug. Eine Anzahl von Männern trugen auf ihren Schultern sieben Bahren heran, darauf lagen unbedeckt die Leichen derer, die auf der Seite des Volkes gefallen waren, mit Kränzen von Immortellen und Immergrün geschmückt. Tausende folgten entblößten Hauptes dem Zuge, und wo er an Militärabtheilungen vorüberkam, mußten sie Halt machen und das Gewehr präsentiren. So zog man unter den Klängen des Chorals: Jesus meine Zuversicht! durch den Schloßhof, auf den großen Schloßplatz, und stellte die Bahren dicht unter dem Balkon des Königs auf. Jetzt verstummte der Choral, Mann an Mann stand barhaupt und nun erscholl der tausendstimmige Ruf: »König heraus! Er muß die Leichen sehen!« Es war eine markerschütternde, herzzerreißende Scene, ein Trauerspiel, wie kein Dichter es ergreifender erdenken kann, das sich jetzt hier abspielte. Zuerst zeigte sich Graf Schwerin auf dem Balkon, nach ihm Fürst Lichnowsky, Beide wollten sprechen, aber man hörte sie nicht oder wollte sie nicht hören; wie ein tosendes Meer brauste es fort und fort: »Der König soll kommen!« Endlich erschien er, die Königin, tief in Trauerkleider gehüllt, an seiner Seite. Nun hoben sich, von starken Armen getragen, die Bahren empor, man riß die Kränze hinweg, daß die klaffenden Wunden sichtbar wurden und die gebrochenen Augen dem Fürsten entgegenstarrten! – Furchtbar schön hat Freiligrath diesen Moment geschildert in seinem Gedichte: Die Todten an die Lebendigen! mit einer Wildheit und plastischen Kraft des Ausdrucks, wie es selten einem Dichter gelingt.


»Die Kugel mitten in der Brust,

Die Stirne breit gespalten,

So habt Ihr uns auf blut'gem Brett,

Hoch in die Lust gehalten,[385]

Hoch in die Luft mit wildem Schrei,

Daß unsre Schmerzgeberde,

Dem, der zu tödten uns befahl

Ein Fluch auf ewig werde!« u.s.w.


Vier, fünfmal versuchte der König zu sprechen, die Königin rang verzweiflungsvoll und bittend die Hände, in diesem Augenblicke wankte der Thron unter ihren Füßen! Gebieterisch verlangte jetzt die Menge, daß der König herabsteige in den Schloßhof und den gefallenen Söhnen des Vaterlandes seine Achtung bezeuge. Es war eine furchtbare Rache, die das Volk an seinem Königshause nahm, welches es einst so heiß geliebt, das ihm aber so lange ausgewichen war, und ihm statt des Brodes einen Stein gegeben hatte! Der König schwankte die Treppe herab, er entblößte sein Haupt vor den Leichen, er neigte sich vor ihnen, und die Königin, die dem Gemahl gefolgt war, die ihn in dieser schweren Stunde nicht verlassen wollte, sank ohnmächtig zusammen. – Nachdem man so die Herrscher genugsam gedemüthigt, wurden die Leichen bis zu ihrer Bestattung in die Werder'sche Kirche gebracht. Diese Scene hinterließ einen mächtigen Eindruck, die Minister verkündeten jetzt laut, es werde Alles geschehen, was das Volk wünsche, und der König erklärte bald darnach einer in den Lustgarten zusammenberufenen Bürgerversammlung feierlichst: »Ich lege die Bewachung und die Sicherheit Berlins in die Hände der Bürger; ebenso mein Leben und meine Sicherheit, wollen sie sich bewaffnen, so sollen ihnen die Militär-Waffenvorräthe ausgeliefert werden!«

Im Nu war nun eine bewaffnete Bürgerwehr gebildet; am Abend desselben Tages illuminirte man die Stadt und die Bürgerwehrmänner, jetzt wieder ganz loyal gesinnt, riefen: »Wer nun unserm König ein Haar krümmen will, dem schlagen wir die Knochen entzwei!«

Aber dies Alles konnte den Eindruck nicht verwischen,[386] daß der Bogen überspannt gewesen; Friedrich Wilhelm konnte nach solchen Vorgängen nicht gut mehr König bleiben. Entweder mußte die Volksparthei weiter gehen und ihn zur Abdankung nöthigen, oder er mußte es aus freier Entschließung thun, wie König Ludwig von Baiern. Nichts von Beiden geschah; auch in Berlin blieb die Bevölkerung trotz ihres Triumphes vor dem Throne stehen, man bildete sich ein, der gedemüthigte Manarch sei jetzt ein Anderer geworden und er selbst theilte vielleicht diese Vorstellung. Im innersten Herzen aber konnte er nun und nimmermehr vergessen, wie tief er einen Augenblick von seiner gottbegnadeten Höhe herab gesunken war. Friedrich Wilhelm war kein Engel, sondern ein Mensch und Niemand kann es ihm verargen, wenn er von da an die Revolution, die Volkssouveränetät und Alles, was damit zusammenhing, noch tödtlicher haßte als zuvor – dies war ein großes Unglück, für Preußen nicht allein, sondern für die ganze deutsche Nation. – Des Königs Bruder, der Prinz von Preußen, der jetzige Kaiser, der wunderbarer Weise die Früchte jener furchtbaren Tage ernten sollte, war vor dem Unwillen des Volkes nach England geflohen, von wo aus er, wie verbürgte Quellen melden, die Situation Preußens und dessen Mission im rechten Lichte zu sehen begann, um so mehr, als seinem entschlossenen Wesen schon früher der Gedanke nahe lag, Preußen könne im nationalen Sinne wirken. Schon gleich nach dem Sturze Louis Philipp's hatte er gewollt, sein Bruder solle sich an die Spitze der deutschen Ereignisse stellen. Am 20. März erschien die Erklärung einer allgemein erwarteten Amnestie für alle politischen Gefangene und Verbannte; sie kam namentlich den Polen zu Gute, deren, von Unruhen in Posen her, über 90 verhaftet waren. Sie wurden jetzt im Triumph in der Stadt herumgeführt und getragen, Lebehochs ertönten auf die deutsche und die polnische Freiheit, und dann begab man sich wieder vor das[387] Schloß, auch dem König ein Lebehoch zu bringen, wobei der polnische General Mieroslawsky auf einem Wagen stehend, eine deutsche Fahne schwang. So träumte man auch in Berlin im ersten Freudenrausche von einer totalen Umkehr der Zeit, einer Tilgung jeder staatsmännischen Ungerechtigkeit. –

Selbst der König sollte, trotz des Gräßlichen, was er erlebt, den allgemeinen Ueberschwung der Gefühle theilen, hatte er ja auch kaum Zeit, um ruhig wieder zu sich selbst zu kommen. Auch scheint es, als ob das drängende Gefühl, seine Würde einigermaßen zu retten, ihn nun veranlaßte, auch irgend Etwas selbstständig zu thun, wozu ihn Niemand zwang, und was als sein eigenster Entschluß gelten konnte. –

In der Nacht des 20. März bemächtigte sich seiner Seele die Vorstellung, durch seine Hand ein geeinigtes Deutschland zu schaffen, ein Gedanke, der in der That. wenn er ihn auszuführen muthig genug war, ihm die ganze Nation wieder versöhnen, ihm selbst das Gefühl seiner Würde zurückgeben konnte. Höchst überraschend erschien am 21. März Morgens 9 Uhr eine nicht unterzeichnete Kundgebung an die deutsche Nation. Sie lautete: »Eine neue glorreiche Geschichte hebt mit dem heutigen Tage für Euch an. Ihr seid fortan wieder eine einzige große Nation, stark, frei und mächtig im Herzen von Europa! Preußens Friedrich Wilhelm IV. hat sich im Vertrauen auf Euren heldenmüthigen Beistand und Eure geistige Wiedergeburt zur Rettung Deutschlands an die Spitze des Gesammtvaterlandes gestellt. Ihr werdet ihn mit den alten ehrwürdigen Farben deutscher Nation noch heute zu Pferde in Eurer Mitte erblicken. Heil und Segen dem constitutionellen Fürsten, dem Führer des gesammten deutschen Volkes, dem neuen Könige der freien wiedergebornen deutschen Nation!«

Während man mit Staunen dies las, und die Studirenden[388] durch den Minister, Grafen Schwerin, und den Rector der Universität die Mittheilung erhielten, der König werde ein deutsches Parlament berufen und sich alsbald mit den deutschen Farben geschmückt in den Straßen zeigen, er erwarte, daß sich die akademische Jugend um ihn schaaren werde, erschien eine königliche Kundgebung, von Friedrich Wilhelm und seinen Ministern unterzeichnet, die sich ganz im Sinne der ersten Mittheilung aussprach. Es hieß darin, daß Deutschland, welches überall in Gährung begriffen sei, den ihm drohenden Gefahren nur durch die innigste Vereinigung seiner Fürsten entgehen könne, unter einer Leitung, dann fuhr das Schriftstück weiter fort: »Ich übernehme heute diese Leitung für die Tage der Gefahr. Mein Volk wird mich nicht verlassen, und Deutschland wird sich mir mit Vertrauen anschließen. Ich habe heute die alten deutschen Farben angenommen, und mich und mein Volk unter das ehrwürdige Banner des deutschen Reiches gestellt. Preußen geht fortan in Deutschland auf!« Im weiteren Verlauf enthielt die Proclamation die Zusage aller Wünsche, die man schon lange für ein einheitliches Zusammengehen ausgesprochen. Der König bereitete sich nun auch wirklich zu dem versprochenen Umritte durch die Stadt vor; er erschien zuerst auf einem Balkon in voller Uniform, ein schwarz-rothgoldnes Band um den Arm geschlungen, und verlangte eine deutsche Fahne, die schon bereit stand, und die man ihm hinauf reichte; damit kam er herunter in den Schloßhof, bestieg sein Pferd und erbat sich die Begleitung einiger Männer aus der Stadt, denn er wolle, wie er sagte: »mit seinem Volke reden«.

So bildete sich rasch ein kleiner Zug, hinter ihm her ritten die Prinzen – Alles mit den deutschen Farben geschmückt. Noch im inneren Schloßhof sagte er zu den Umstehenden, daß er sich zur Rettung der deutschen Freiheit berufen[389] fühle: »Ich schwöre zu Gott, daß ich keine Fürsten vom Throne stoßen will, aber Deutschlands Einheit und Freiheit schützen. Sie muß geschirmt werden durch deutsche Treue. Soll Deutschland nicht in diesem Augenblick verloren gehen, so muß ich mich als sein mächtigster Fürst an die Spitze der ganzen Bewegung setzen. Ich hoffe, alle Deutschen werden sich um mich schaaren. Ich schwöre es, ich will nichts, als das vereinigte Deutschland, auf den Grundlagen einer aufrichtigen constitutionellen deutschen Verfassung!« –

So sprach der Mann, der gerade jetzt, unter dem Eindruck der Berliner Ereignisse, der unpopulärste Fürst Deutschlands geworden war, an dessen Versicherungen Niemand glaubte und seine Preußen am wenigsten. Zwei Wochen früher, so gesprochen, hätte ihn, trotz der Unklarheit seiner Anschauungen, der unermeßliche Jubel der deutschen Nation zum deutschen Kaiser ausgerufen! Nun hielt er seinen Königsritt durch die Berliner Straßen und stand öfter stille, um längere Anreden an die Umstehenden zu halten; am längsten hielt er an der Universität, wo ihm die Studenten das Reichsbanner vortrugen; ihnen sagte er unter Anderem: »Ich trage Farben, die nicht mein sind, aber ich will damit nichts usurpiren, merken Sie sich das, meine Herrn, schreiben Sie es auf, daß ich nichts will, als deutsche Freiheit und Einheit!« Unter dem Jubel der Bevölkerung endete dann dieses Schauspiel, denn mehr war es nicht, und Berlin bereitete sich jetzt vor, einer ernsten Pflicht Genüge zu leisten, und seine Todten zu bestatten.

Die meisten der Verwundeten hatte die Königin in das Schloß bringen lassen, wo sie in prächtigen Zimmern gebettet lagen und unter der Oberleitung der Königin auf's Trefflichste verpflegt wurden. Am Abend des 22. sollten die Leichen der auf Seite des Volkes Gefallenen feierlich und[390] gemeinsam bestattet werden. Die Leichen der Soldaten waren heimlich und bei Nachtzeit die Spree hinab auf Kähnen fortgeführt worden; es sollte nicht bekannt werden, wie groß die Zahl der Todten war. Für die Andern war im Friedrichshain eine ungeheure Grabstätte vorbereitet worden; zwei und vierzig Gefallene hatte man bereits einzeln beerdigt, die Uebrigen befanden sich Alle in der Hedwigskirche, wo zuvor eine großartige Todtenfeier stattfand. Um einen riesigen Katafalk standen 183 Särge gereiht, unter den Leichen befanden sich fünf Frauen und zwei Knaben von zwölf Jahren. Die ganze Stadt war mit Reichsfahnen geschmückt welche Trauerflöre umhüllten; sie schmückten das Schloß, wie auch das niedrigste Häuschen, und die Monumente der todten Patrioten, Blücher's, Scharnhorst's, Bülow's u.s.w. Wundervoll waren die Särge geziert, selbst der Aermste hatte sein Blümchen oder seine Schleife dargebracht, während die Angehörigen ja nur dadurch noch ihren Schmerz bekunden konnten. Besonders pracht- und liebevoll sah man die Sarkophage des Referendar Lansky, des Studenten von Holtzendorf, und des Studenten Weiß decorirt. Als jetzt die Feier begann, erklang zuerst wieder der Choral: Jesus meine Zuversicht, untermischt von Thränen und Schluchzen, die aus jedem Auge, aus jeder Brust sich stürmisch hervordrängten. Dann sprachen nacheinander der katholische, der protestantische und der jüdische Geistliche und segneten die Leichen ein. Der Zug, der sich dann bildete, war eine Meile lang und er brauchte vier volle Stunden, um bis zum Friedrichshaine zu gelangen; über 1/2 Million Menschen waren bei dieser Feier versammelt.

Borsig, der große Maschinenfabrikant, führte selbst seine Arbeiter an, die Schriftsteller kamen als Corporation, unter einer gemeinsamen Fahne und bei der Universität ging der greise Alexander von Humboldt. Nur drei Uniformen[391] befanden sich in dem Zuge und kein Ordensband wurde sichtbar, als das des eisernen Kreuzes.

Auch die in Berlin befindlichen Polen und Italiener hatten sich mit ihren Nationalfahnen angeschlossen, und hinter den einzelnen Särgen gingen die Angehörigen der Gebliebenen, die Wittwen, Waisen und näheren Anverwandten. Sie Alle trugen Blumen und Sträuße, die man ihnen aus den Hofgärten zugeschickt hatte, und eine Menge Deputationen, die aus preußischen Städten zu der Leichenfeier gekommen waren, hatten sich mit ihren Emblemen und Fahnen dem Zuge angeschlossen. Unter dem Geläute aller Glocken bewegte er sich langsam durch die Straßen und wo er hinkam, blieb kein Auge trocken; auf dem Balkon des Schlosses stand wiederum der König und ließ entblößten Hauptes die Opfer, welche er seinem Glauben an das Gottgnadenthum gebracht, an sich vorübertragen. Auf dem Friedhofe war wieder ein Altar errichtet und aus der Mitte des ungeheuren Grabes, welches die Mitstreiter der Gefallenen selbst gehöhlt hatten, ragte ein Mast mit einem verschleierten deutschen Adler an der Spitze. Am Altare hielt Prediger Sydow die Gedächtnißrede und hob hervor, daß sie, die hier gefallen, nun mit ihrem Blute besiegelt hätten, was ihre Väter um 1813 begonnen. Aus dem Grabe herauf ertöne der Ruf: Friede, Eintracht, Liebe! Nachdem noch ein Volksmann gesprochen, segnete der Bischof Neander die Särge, die jetzt eingesenkt waren, noch einmal ein, und die Schützengilde gab ihnen drei Salven mit in's Grab. –

Für 150 Wittwen übernahm der Staat die Sorge, alle Bewohner der Hauptstadt trugen noch 14 Tage lang Trauerkleider, und die Stadtverordneten, wie der Magistrat erklärten in verschiedenen Ansprachen, daß sich die gefallenen Kämpfer um das Vaterland wohl verdient gemacht. Während aber die Glocken Berlins die ganze Feier mit ihren[392] Klängen begleiteten, tönten sie zur selben Stunde von allen Thürmen der preußischen Städte, und überall waren Trauerfeierlichkeiten zu Ehren der Berliner Gefallenen veranstaltet, am großartigsten beging man dieselben in Cöln im altehrwürdigen Dome.

So bildete der Berliner Straßenkampf den furchtbar ernsten Schluß einer Revolution, die so urgewaltig und unwiderstehlich im Süden Deutschlands begonnen, und erst im Norden, in dem Staate auf den es zumeist ankam, durch blutige Opfer erkauft werden mußte. Nun erst hielt sich Deutschland für völlig befreit von dem finstern System, das seit dreißig Jahren auf ihm gelastet, und diese Empfindung rief eine Stimmung hervor, wie sie kaum wieder einmal so allgemein, so rein und ideal, so begeistert, einer Nation, einem Theile der Menschheit, möglich sein wird. Wer diese Zeit nicht selbst mit vollem Bewußtsein durchempfunden, kann sich nicht leicht eine Vorstellung davon machen, welche Seligkeit auf eine kurze Minute jede Brust durchbebte. – Wir haben Aehnliches bei den Siegen von 70 und 71 erlebt, aber es reicht doch nicht an das heran, was damals aus einen unvergeßlichen Augenblick das deutsche Herz durchzuckte. Es war, als ob wirklich mit einem Zauberschlage ein goldnes Zeitalter der Menschheit angebrochen wäre, als ob ein ewiges Band der Liebe, des Friedens, des Einverständnisses alle Geister vereinigen werde, als ob Schiller's Wort: Seid umschlungen Millionen! eine Wahrheit geworden! Jeder Groll, jeder Hader waren vergessen, Freund und Feind umarmten einander, ja, es gab eine Sekunde lang keinen Raum mehr für das Böse und das Schlechte. Von den Kerkern fielen die Schlösser und Riegel, aus den entferntesten Gegenden kehrten die seit langen Jahren Verbannten freudestrahlend zurück zu der geliebten Heimatherde! – Man mußte eben zuvor den ganzen Schmerz, die ganze Schmach und[393] Schande der vorhergehenden Jahre in sich aufgenommen und durchgekostet haben, um jetzt die heiligste Freude zu empfinden, über diesen plötzlichen Sieg des Wahren, Guten und Gerechten über Tyrannei, Lüge, Heuchelei und Gemeinheit. – Hätte man nur über diesen idealen Schwung, der uns ja aber Alle erfaßt hatte, die Wirklichkeit nicht zu sehr aus dem Auge gelassen, oder hätte ein Gott die Welt eine Stunde lang können stille stehen machen, um sie zuerst wieder neu einzurichten! Wie sollten die neuen Ideen Gestalt und Leben annehmen, während überall die alten Formen noch aufrecht standen, die alten verknöcherten Kräfte wirksam und thätig blieben, der alte Geist nur einen Augenblick gebannt, doch noch lange nicht erstorben war, und nach dem Gesetze der Trägheit und Gewohnheit bald wieder seinen früheren Platz einnahm. Es erging fast jedem Einzelnen in der Nation, wie dem Könige von Preußen. Er wollte sich an die Spitze Deutschlands stellen, aber keinem Fürsten ein Haar krümmen, so wollten auch Alle das Bessere, aber Niemand sollte irgend etwas dabei verlieren. Um dieses Chaos zu lichten, zu ordnen, der jungen Freiheits-Pflanze nun erst Luft und Licht zur Weiterentwicklung zu schaffen, dazu bedurfte es fast übermenschlicher Kräfte, jedenfalls gehörten die genialsten, die umsichtigsten, die entschlossensten Staatsmänner dazu. Wo aber sollte man sie in Deutschland, das seit Jahren keine großen Männer aufkommen ließ, finden? Leider nirgends! Auch sie mußten erst erwachsen und erzogen, mußten stark und unbeugsam werden durch die nun erst recht beginnenden, neuen und langwierigen Kämpfe, denn unter geistigem Druck verkümmert ein Volk, erst die Bewegung, der Streit macht seine Bürger kräftig und klar. Wir mögen es so recht an diesem Beispiel erkennen, wie die Menschheit, selbst bei ihrem höchsten Aufschwunge, noch unter der Gewalt und Nothwendigkeit des Naturgesetzes steht, welches niemals mit [394] einem Zauberschlage neue, vollendete Bildungen hervorruft, sondern diese erst aus den kleinsten Anfängen sich allmählich heraus entwickeln läßt. Wir dürfen darum diese ganze glorreiche Revolution von 1848 heute nicht anders betrachten, als wie die erste Keimzelle unserer endlichen Einheit und Freiheit, aber in dieser ersten Zelle, in diesem ersten organischen Keime war schon Alles und Alles enthalten; er wuchs und entfaltete sich, er grünte und knospte, bis er unter Regen und Sonnenschein zum jungen Baume wurde, der seine Zweige jetzt über uns breitet, und den zu hüten und zu pflegen, damit er die noch fehlenden Blüthen treibe, die höchste Aufgabe der Nation für ihre Gegenwart und Zukunft ist. Von diesem Standpunkte aus werden wir denn nun auch die nun folgenden Ereignisse betrachten, weniger die einzelnen Menschen und Träger der Politik, als die Verhältnisse anklagend, denen Jene oft nicht gewachsen waren und es auch häufig nicht sein konnten. –

Wenn wir uns nun wieder den laufenden Ereignissen zuwenden, so ist es zunächst der unglückliche und auf seiner Eschenheimergasse ganz erstarrt dasitzende Bundestag, der unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Man mochte jetzt das Dichterwort auf ihn beziehen: »Wo Alles liebt, kann Karl allein nicht hassen!« Er wurde plötzlich über Nacht ungeheuer liberal: ließ deutsche Fahnen auf dem Dache wehen und die Herrn Gesandten schmückten sich die Hüte mit tellergroßen Kokarden von dem verpönten Schwarz-Roth-Gold. Sie machten Vorschläge und Concessionen, aber Niemand kümmerte sich noch viel um das alte Möbel. Die Regierungen waren, als der erste Schreck vorüber war, Jeder in seinem Lande vorerst eifrigst bemüht, die Bewegung in die Hand zu bekommen, und die süddeutschen Staaten vereinigten sich rasch zu einem gemeinsamen Handeln und Vorgehen. »Ein deutsches Parlament«, dies wurde bald das allgemeine Losungswort,[395] durch welches beide Theile, die Nation, wie die Fürsten, die Lösung der Zukunft, die Neugestaltung Deutschlands zu erreichen hofften, wobei jedoch von vornherein die fürstliche Parthei sehr deutlich zu erkennen gab, wie sie zu besonderen thatsächlichen Aufopferungen ihrer Souveränitätsrechte, zu einer gemeinsamen Unterordnung unter ein bestimmtes Haupt, sehr wenig Neigung habe. Auch hier bildete man sich von beiden Seiten ein, Alles könne in's rechte Geleise kommen, ohne daß irgend Jemand im Mindesten geschädigt werde, oder ein Opfer zu bringen brauche, und wie schön und zahlreich die Reden auch waren, die damals von allen Dächern und aus allen Fenstern gehalten wurden, so lauteten sie mitunter gar zu phrasenhaft, bewegten sie sich viel zu sehr in allgemeinen Ausdrücken, und man bedurfte doch der Thaten statt der Worte. Die Einzigen, die schnell darüber klar wurden, was zu thun sei, waren die Anhänger der republikanischen Parthei, nur verfiel diese wieder ihrerseits in den heillosen Fehler, daß sie sich einbildete, das Volk stehe hinter ihr, und theile ihre Einsicht, die allerdings tieferblickend genannt werden muß, als die der monarchischen Gegenseite. Der eigentliche Kern des Volkes war aber, wie schon öfter erwähnt, nur instinctiv erregt, ein bewußtes Handeln und Wollen, wie dies 1870 der Fall war, lag ihm noch durchaus ferne.

Schon am 5. März bei jener berühmten Versammlung von 51 Volksmännern in Heidelberg, trat der Bruch zwischen beiden Partheien zu Tage. Hecker und Struve beantragten dort die Bildung der Republik – Gagern und sein Anhang ein erbliches Kaiserthum als künftige Staatsform. Die Lage Deutschlands bot eben eine doppelte Schwierigkeit dar; wenn in einem andern Staate Europens eine Revolution ausbrach, so hieß es: Freiheit, nationale Regierung, Wechsel der Dynastie und dergleichen. Bei uns handelte es sich um Freiheit[396] und Einheit; um zwei Dinge also, von denen gerade Eines genug war, die ganze Thatkraft eines Volkes in Anspruch zu nehmen. Was nun zuerst? Kam man durch die Einheit zur Freiheit? oder durch die Freiheit zur Einheit? Erst das Jahr 1866 hat diesen gordischen Knoten durchgehauen, die Männer von 1848 haben sich vergebens bemüht, ihn zu lösen. – Am 19. März tagte wieder zu Offenburg eine große Volksversammlung von etwa 15,000 Menschen, wo über die beste künftige Staatsform Deutschlands berathen wurde, und schon bereiteten sich in dortiger Gegend Freischaarenzüge vor, um das erwartete Resultat der Berathung nöthigenfalls gleich mit Gewalt in's Leben zu rufen. Doch beschloß man noch vorerst, die Bildung eines deutschen Parlamentes abzuwarten. Der Heidelberger Ausschuß, welcher sich dort am 5. März constituirt hatte, faßte nämlich den Beschluß, alle früheren und jetzigen Ständemitglieder, oder Theilnehmer an gesetzgebenden Versammlungen einzuladen, sich am 30. März zu einer allgemeinen Vorberathung nach Frankfurt zu begeben. Von allen Seiten fand diese Aufforderung Zustimmung und bereitete man sich vor, ihr Folge zu leisten. So trat denn, während ganz Deutschland mit höchster Spannung diesen Augenblick erwartete, und die Stadt Frankfurt sich zum großartigsten Empfange dieser Männer rüstete, das Vorparlament dort zusammen. Kaum war noch solch ein Tag in der alten Krönungsstadt seit den Tagen ihres größten Glanzes erlebt worden; sie erhob sich in jenem Augenblick zur deutschen Hauptstadt, zu einem Emporium, dem Alles zuströmte, was irgendwie an den großen Zeitfragen sich betheiligen, Vergessenheit langer persönlicher Leiden und Schmerzen suchen, oder die Ideale seiner Jugend verkörpert sehen wollte. –

Am genannten Tage traten Morgens 9 Uhr diejenigen, die berechtigt waren an der Versammlung Theil zu nehmen[397] in dem alten Kaisersaale auf dem Römer zusammen, um einen Präsidenten aus ihrer Mitte zu wählen. Die Wahl fiel auf denn freisinnigen Vertreter deutschen Rechtes und deutscher Wissenschaft, den Geheimerath Mittermaier von Heidelberg; zu Vice-Präsidenten wurden von Itzstein, Robert Blum, Jordan und Dahlmann ernannt, dann formirte sich der Zug und die Präsidenten voran, schritten nun diese deutschen Männer, unter Glockenläuten, Jubelrufen, Tücher und Fahnenschwenken durch die mit Blumen und Bannern geschmückten Straßen, wo jedes Haus in schwarz-roth-goldenem Schmucke glänzte, nach der Paulskirche, dem größten öffentlichen Raume der Stadt. Im Schiff der Kirche nahmen die Versammelten ihre Plätze ein, während die Gallerien bis zum Ersticken von Tausenden von Menschen angefüllt waren. Ueber der Rednerbühne schwebte eine Germania zwischen schwarz-roth-goldenen Fahnen und unter diesem Zeichen stand jetzt Mittermaier, mit dem silberweißen Haare und dem geistvollen Gesichte, und sprach die Wünsche und Hoffnungen des Vaterlandes aus. Vor Allem zuerst verlangte er, daß Jeder sich frei aussprechen dürfe, wie es ihm um's Herz sei, wobei er zugleich mit warmen Worten zur Eintracht und zum Frieden ermahnte. Ihm antwortete Gustav Struve, der für sich und seine Anhänger den Antrag stellte, daß sofort das Parlament die Grundrechte des deutschen Volkes zusammenstellen und über deren Verwirklichung wachen möge. Es folgten dann die Aufzählung der Hauptartikel des republikanischen Programms, welche wir ja bereits genügend kennen, und das Forderungen enthielt, deren Gewähr wir heute im Durchschnitt besitzen. Zuletzt verlangte Struve noch, um Deutschlands Zerrissenheit zu heilen, wieder die frühere Eintheilung in Reichskreise, sodann Aufhebung der erblichen Monarchie, Ersetzung derselben durch frei gewählte Parlamente, unter einem Präsidenten, und die föderative Verbindung[398] dieser Theile, nach dem Vorbilde der vereinigten Staaten.

So unpraktisch und unausführbar für jenen Zeitpunkt diese beiden letzten Forderungen auch waren, so richtig war die Begründung seiner weiteren Ansicht, daß die gegenwärtige Versammlung in jedem Falle zusammenbleiben und irgend eine rechtliche Grundlage schaffen müsse, bis sie durch ein regelmäßig gewähltes Parlament ersetzt werde. –

Dieser Struve'sche Antrag schlug wie ein Gewitter in die Versammlung ein; die Meisten fühlten die Richtigkeit seiner Vorschläge, aber vor der Vorstellung: provisorische Regierung und Republik schreckten sie zurück. Man übersah dabei ganz, daß man hier ja überhaupt versammelt war, kraft der Revolution, und daß es dieselbe in verständiger Weise fortsetzen und neue Excesse vermeiden hieß, wenn die Versammlung sich nicht mehr trennte und die Bewegung so schnell als möglich in gesetzliche Pfade leitete. Den Principienkampf, ob Republik, ob Monarchie, den mußte man ablehnen, dagegen aber praktisch zugreifen, und die moralische Macht, die man jetzt besaß, nicht wieder aufgeben. Aber Gagern und seine Freunde, die sich hier leider von einer trostlosen politischen Unreife und auch Selbstüberschätzung erwiesen, weil sie sich schon für die eigentliche Regierung hielten, nahmen den Fehde-Handschuh der Principienfrage auf. Man begann über bloße Formfragen einen Streit, mit einer Hitze, die fast jetzt schon eine Spaltung Deutschlands herbeigeführt hätte. Hecker, vielleicht weniger gelehrt als die vielen Professoren, die hier saßen, bewahrte sich jedenfalls in jenen Tagen den klarsten politischen Blick; er sprach hinreißend für das Zusammenbleiben der Versammlung und gegen alle formellen Bedenken darüber, die hier auch wahrlich nicht am Platze waren: »Unser Volk blickt auf uns,« rief er aus, »es sucht in uns einen Sammelpunkt, es erwartet ihn[399] in uns, da die Regierungen in Ohnmacht aus einander gefallen sind.

»Wenn wir nicht die einzige Drohung, die uns auf gesetzlichem Wege zu Gebote steht, nämlich die, des Zusammenbleibens ausführen, so haben wir die Sache der Freiheit um 50 Jahre zurückgeschoben! Beisammen müssen wir bleiben, bis eine vom Volke gewählte, gesetzgebende Versammlung da ist, denn ich fürchte, daß sie sonst nie zu Stande kommt!« –

So kämpfte der damalige Liebling des deutschen Volkes für eine That, und der greise weltkluge und erfahrene Itzstein unterstützte ihn auf das Lebhafteste. Wer möchte nun auch seinen Worten heute nicht vollkommen Recht geben? aber die Mehrheit der Paulskirche, die sich zu handeln fürchtete, entschied gegen ihn.

Auf den Straßen wogte es während dieser Verhandlungen von Menschengruppen, die Fahnen vor sich hertrugen, je nach ihrer Partheinahme mit den betreffenden Inschriften versehen. Hier: Republik! hier: Constitutionelle Monarchie! so lautete der neue Schlacht- und Zwiespaltsruf der Nation und als es nun drinnen über Struve's Antrag zur Abstimmung kam, erklärten sich 386 Stimmen gegen die Permanenz, und nur 148 dafür.

Gagerns Antrag, einen Fünfziger-Ausschuß zu ernennen, der bis zum Parlamente zusammen bleiben und mit dem Bundestag, welcher inzwischen durch einige volksthümliche Mitglieder war regenerirt worden conferiren sollte, wurde angenommen, und nachdem dies geschehen, im Namen Aller, die Volkssouveränität auf breitester Basis laut proclamirt. Mit diesem tönenden Schlagworte war der Reigen der Phrase auch im Parlamentssaale, eröffnet. –

Als nun eine Debatte über die Beseitigung oder Beibehaltung des Bundestages folgte, trat die liberale Parthei[400] ganz aus, doch gelang es, sie noch vor Beendigung der Versammlung in die Paulskirche zurückzuführen, so daß dieselbe wenigstens scheinbar in Eintracht auseinander ging. Als greifbares Resultat mannigfach glänzender Reden, wurde dann auch noch ein kurzer Abriß der Grundrechte, als das geringste Maß dessen, was die deutsche Volksfreiheit erheische, angenommen, und auch die Volksbewaffnung beschlossen, welche jedoch nachher nur dem Scheine nach ausgeführt wurde. Der Reaction war jetzt schon die Brücke gebaut, und gar Manche ahnten dies auch sorgenvoll, als am vierten Tage die Abgeordneten ihre Berathungen schlossen und paarweise, Arm in Arm, unter dem Läuten der Glocken die Paulskirche wieder verließen.

Ihrem Beschlusse gemäß sollte nach vier Wochen das eigentliche deutsche Parlament, als constituirende Versammlung, zusammentreten und beide äußerste Partheien bemühten sich nun, diese Zwischenzeit so gut als möglich in ihrem Interesse auszunutzen; die Regierungen um sich von ihrer Ueberrumpelung zu erholen und feste Maßregeln zu ergreifen, die Republikaner um zu handeln, denn Hecker trat jetzt entschieden auf die Seite derer, die entschlossen waren die Revolution gewaltsam fortzusetzen![401]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 368-402.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Geschichte von 1815-1870
Deutsche Geschichte von 1815-1870

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Der Vorzugsschüler / Der Herr Hofrat. Zwei Erzählungen

Der Vorzugsschüler / Der Herr Hofrat. Zwei Erzählungen

Zwei späte Novellen der Autorin, die feststellte: »Eine gescheite Frau hat Millionen geborener Feinde: alle dummen Männer.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon