Achtzehnte Vorlesung

[490] Der Juniaufstand in Paris. Preußen während der constituirenden Versammlung. Das Reactions-Ministerium Brandenburg-Manteuffel. Wachsende Militärmacht. Steuerverweigerung in Preußen. Octroyirte Verfassung in Berlin. Das deutsche Parlament: Grundrechte, Reichsverfassung, das Reichsoberhaupt. Wahl des Königs von Preußen zum deutschen Kaiser. Ablehnung. Beschlüsse über die Durchführung der Reichsverfassung. Auflösung des Parlaments


Indem wir die ungarische Revolution bis zu deren Endergebniß verfolgten, sind wir den Ereignissen in Deutschland etwas vorausgeeilt, und müssen darum noch einmal in Gedanken nach dem besiegten Wien zurückkehren, auf dem jetzt in drückendster Weise der Belagerungszustand lastete, und von wo aus keinerlei Kundgebung mehr zu erwarten war, welche Seitens der Bevölkerung eine fortgesetzte Theilnahme an dem deutschen Verfassungswerke und den Einheitsbestrebungen hätte bekunden können. Ein gleicher Zustand hatte sich inzwischen auch in Berlin vorbereitet; auch dort war die Säbelherrschaft in den vollen Besitz der Gewalt eingetreten und unter diesen Verhältnissen mußte sich die Versammlung in Frankfurt noch schwerer bedrückt und bedroht sehen, als sie es nach Abschluß des unglücklichen Waffenstillstandes gewesen.

Es wurde bereits kurz angedeutet, wie die Berliner Nationalversammlung noch unreifer, noch weniger politisch erfahren und gebildet sich zeigen konnte, als das Parlament. Dazu gesellte sich, ganz ähnlich wie in Wien, das Mißtrauen, welches man nicht ohne Grund in die Absichten und Maßregeln der Regierung setzte; man hielt dieselbe durchaus nicht für ehrlich und wohlwollend, – und es zog dieses beständige auf der Wache stehen gegen die Reaction, in Berlin die Straßendemagogie ganz ebenso groß, wie in Wien.[490] In höchst bedenklicher Weise aber fing nun in der preußischen Hauptstadt, wie in den Fabrikdistrikten am Rhein, auch noch die Arbeiterfrage an, sich einzumischen; bald hier, bald dort flammten Unruhen auf, die deutlich ihren socialistischen und französischen Ursprung verriethen. – Wir haben die Theorien der französischen Socialisten etwas näher kennen gelernt; auf diese gestützt, hatte der bekannte französische Schriftsteller Louis Blanc schon 1841 ein Werk herausgegeben, unter dem Titel: L'Organisation du travail, worin er den Satz aufstellte, daß der Staat, als der größte Kapitalist, auch der alleinige Arbeitgeber werden müsse, und daß durch dieses Mittel allein die Macht und das Uebergewicht des kleineren Kapitals könne gebrochen werden. Es ist so ziemlich dasselbe, was Lasalle, der deutsche Reformator der Arbeiterverhältnisse, predigte und was seine Anhänger gegenwärtig in Deutschland wollen in's Werk gesetzt sehen.

Im Jahre 1848, nach der Pariser Februarrevolution schien man nun in der That, bei der Verwirklichung der Louis Blanc'schen Ideen angelangt zu sein; hatte die erste französische Revolution den dritten Stand, die Bourgeoisie, emancipirt, so war nun ein Gleiches mit dem vierten, dem Arbeiterstande geschehen. Als Symbol und Anerkennung dessen, war sogar ein Arbeiter, Namens Albert, in das Ministerium und in die provisorische Regierung erwählt worden. Aber dies genügte nicht, bestehende Verhältnisse umzugestalten, man ging im Verlaufe der Ereignisse noch weiter und erlangte Seitens der Arbeiter von der Republik und dem neuen Staate, wie er sein sollte, auch die Gewähr der Arbeit!

Nun galt es, die Theorien von Louis Blanc praktisch auszuführen, und zu diesem Zwecke wurden die berühmten Nationalwerkstätten errichtet, in denen der Staat wirklich als Arbeitgeber auftrat. Louis Blanc und seine Freunde hatten[491] nun Gelegenheit, zu zeigen, ob ihre Ideen ausführbar seien oder nicht, aber es ging ihnen bald wie Goethe's Zauberlehrling, sie konnten die Geister nicht wieder bannen, die sie wachgerufen. Die Nationalwerkstätten, wo die Arbeiter einen bestimmten Taglohn empfingen, wurden zwar errichtet, aber sie gestalteten sich bald zu Sitzen der Faulheit und der politischen Agitation; sie verschlangen, da der Handel stockte und die künstliche Produktion keine Abzugsquellen fand, Hunderttausende von den Staatsmitteln. Der Staat konnte dabei nicht bestehen; je flauer die Geschäfte gingen, je mehr drängte sich Alles nach den Nationalwerkstätten, so daß bereits bis Mitte Mai die Zahl derer, die dort ihren bequemen Unterhalt suchten, auf 120,000 gestiegen war. Man suchte sich dieser tumultuarischen Menge wieder zu entledigen und für dieselben Ackerbaucolonien in uncultivirten Landstrichen, namentlich in der Gironde zu begründen, mit in der Absicht, sie dadurch aus Paris zu entfernen und zugleich eine Arbeit vollziehen zu lassen, die dem Staate wieder etwas eintrug. Die Werkstätten wurden aufgelöst und den Arbeitern aus den Departements aufgegeben, dahin zurückzukehren, aber so schnell ließen sich die Mitspieler des total verunglückten Experiments nicht wieder in die früheren Zustände zurückweisen. Eine Hauptfolge der nun erwachsenden Aufregung war der schreckliche Pariser Juniaufstand von 1848, ein Vorläufer der Pariser Commune von 1871. Unter dem Ruf: Arbeit! in Paris bleiben! zogen die aufständischen Arbeiter mit rothen Fahnen durch die Straßen, man proclamirte die rothe oder demokratische Republik und ließ dabei Louis Napoleon hoch leben, was den Gedanken nahe legt, daß seine Anhänger bereits hier die Hand im Spiele hatten. Ein furchtbarer Straßenkampf brach aus, der drei volle Tage dauerte, und reich an Gräueln jeder Art war. Er endigte damit, daß General Cavaignac, der als Oberbefehlshaber der Truppen die Junirevolution[492] niederwarf, am 28. Juni zum »Haupt der vollziehenden Gewalt und Präsidenten des Ministerraths« ernannt wurde. Es war dies wieder der erste Schritt zu einer Militärdictatur, auch in Frankreich, und bald von dem schlauen und verwegenen Louis Napoleon für seine eigenen Zwecke so rücksichtslos benutzt, daß er der glückliche Erbe der Februarrevolution wurde, und auf ihren Trümmern das zweite empire gründete.

Die hier geschilderten Vorgänge mußten naturgemäß auf Deutschland und auf dessen Arbeiterkreise um so mehr zurückwirken, als der materielle Zustand des Volkes sich unter den schwankenden Verhältnissen des Revolutionsjahres immer unerquicklicher gestaltete, und der unbeschäftigte, wie der nur halb gesättigte Arbeiter, fortwährend zu Excessen und Tumulten jeder Art geneigt war. Preußen, als der Staat, in dem sich verhältnißmäßig die Industrie am weitesten entwickelt hatte, mußte unter solchen Kundgebungen am meisten leiden, und sie bestärkten die Reaction in ihrer Ansicht, daß allen diesen Ausbrüchen nur Aufstachelung und Böswilligkeit, nicht oft wirkliche Noth zu Grunde liege. Anstatt also das Uebel näher zu untersuchen und Mittel zu dessen Abhülfe zu finden, glaubte man sich vollkommen dazu berechtigt, mit der äußersten Gewalt dagegen aufzutreten. Nach der andern Seite hin schärfte sich der Gegensatz ganz eben so spitz zu; es bildeten sich aller Orten demokratische Vereine und Gesellschaften, die den ausgesprochenen Zweck hatten, über die Ausführung der verheißenen Freiheiten eifersüchtig zu wachen und die Massen dafür in Athem zu erhalten. Zwischen diesen beiden Extremen stand, von Tag zu Tag rath- und hülfloser, die constitutionelle Parthei, die von vornherein jede andere Waffe, als die des parlamentarischen Wortes verschmäht hatte, und nun immer mehr inne werden mußte, wie sie nur in den Wind sprach und einzig die Luft erschütterte.[493]

Unter solchen Stimmungen und Verhältnissen war am 22. Mai in Berlin die Nationalversammlung durch den König in Person eröffnet und ihr zur Berathung ein freiheitlicher Verfassungsentwurf vorgelegt worden. Kurz darnach kam der Prinz von Preußen aus seinem Exil in London zurück, amnestirt durch eine Wahl als Abgeordneter, die man in kluger Weise für ihn arrangirt, und wodurch nun seine Person unverletzlich wurde. Zum Unglück erhob jetzt aber auch die specifische Preußenparthei wieder mehr und mehr das Haupt.

Daß man die Huldigung der Truppen für den Reichsverweser ablehnte, habe ich bereits mitgetheilt und im Einklang damit verdrängte auch die preußische Fahne immer mehr bei festlichen und officiellen Gelegenheiten die deutschen Farben. Es bildete sich der bekannte Preußenverein und bald hörte man aus allen Kasernen jenes Lied ertönen, welches nachher noch so oft das übrige Deutschland in Zorn und Entrüstung versetzte, das jetzt aber seinen Stachel verloren hat: »Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben? u.s.w.« Diese Preußenparthei fand ihre mächtigste Vertretung in einem besonders für sie begründeten Organ, der berühmten und berüchtigten Kreuzzeitung, die mit großem Geschicke redigirt wurde. Das Kreuz, welches ihr Titelblatt schmückte, bekundete zur Genüge, wie scharf dieses Blatt die Grundidee des Königs, Aufrechthaltung des streng-monarchischen Princips, gestützt auf Religion und Kirche, zu vertreten gedenke. Diesen Kundgebungen standen die Ansichten der radicalen Majorität in der Berliner Versammlung schnurgerade entgegen. Das Programm der Demokratie lautete: »Trennung der Schule von der Kirche, Aufhebung des Adels, wie aller ständischen Unterschiede« – dies klang gleich Todtenglocken in den Ohren der preußischen Junker, der Geistlichkeit und aller kirchlich Gesinnten, um so schrecklicher, als in Berlin selbst die Demokratie in solchem Grade Boden gewann, daß sich[494] am 26. October 1848 sogar ein Demokraten-Congreß dort versammeln konnte. Unter dem Präsidium des bekannten demokratischen Schriftstellers Georg Fein, durfte sich, inmitten der preußischen Hauptstadt, dieser Congreß offen für die zukünftige Begründung der demokratischen Republik in Deutschland aussprechen. Heute sind wir schon eher daran gewöhnt unumwundene Meinungen äußern zu hören, den damaligen Zuhörern, die nicht gleicher Meinung waren, erschien dies Alles fürchterlich! Bei solchen Verhältnissen war es fast ein Wunder zu nennen, daß die Berliner constituirende Versammlung noch zusammenhielt; der ehrendste Antheil daran gebührt dem edlen Waldeck, einem Manne, dem selbst die verbissensten Aristokraten ihre Achtung nicht versagen konnten, und der als Präsident der Versammlung das Unglaublichste leistete; selbst von entschiedenster Freisinnigkeit, gelang es doch seinem partheilosen Bemühen, die Extreme beider Theile im parlamentarischen Gleichgewicht zu erhalten. In dieser ersten preußischen Kammer saß auch, aber auf Seiten der Junker und mehr beobachtend als Theil nehmend, ein noch junger Mann, der Herr von Bismarck-Schönhausen, der sich gerne des öfteren zu Waldeck, d'Ester, Jacoby und den andern demokratischen Wortführern gesellte, lebhaft mit ihnen debattirte und gelegentlich sich auch über seine eigenen Standesgenossen moquirte, indem er sie als höchst langweilig bezeichnete. – Wie schroff nun der König und die Nationalversammlung sich einander gegenüber standen, dies zeigte sich recht klar, als am 8. Juni der Abgeordnete Berends den Antrag stellte: Die hohe Versammlung wolle in Anerkennung der Revolution zu Protokoll erklären, daß sich die Kämpfer des 18. und 19. März um das Vaterland verdient gemacht!« –

Der König war außer sich über dieses Ansinnen und entschlossen, im Falle der Antrag angenommen werde, den Landtag aufzulösen. Dessen Inhalt bezeichnete er in sehr[495] verschiedener Weise von dem Antragsteller, indem er klagte, man wolle daß der Landtag die Revolution förmlich anerkenne und dem Barrikadengesindel Dank votire. Dies lautete freilich anders als die Reden, die er bei seinem Umzug im März gehalten! Der drohende Conflikt wurde dieses Mal noch beigelegt und beseitigt durch einen Vermittelungsantrag, worüber sich aber der Pöbel sehr unzufrieden zeigte, und mehrere Abgeordnete, selbst den Minister von Arnim der gegen den Ersteren gesprochen, auf der Straße thätlich angriff. Wenige Tage später, am 14. Juni wurde das Zeughaus gestürmt und geplündert, das Märzministerium mußte abtreten und es wurde ein neues gebildet, welches aber nicht weniger machtlos war, der Anarchie auf den Straßen zu steuern. Der König, der seine Minister fortwährend der Thatlosigkeit beschuldigte, besaß selbst weder Muth noch Energie, wenn Letztere einmal handeln wollten, dann beschwor er sie, den schlummernden Leuen nicht zu wecken. Immer erbitterter wurden die Reibungen zwischen den einzelnen Klassen der Gesellschaft, und es verfloß der Versammlung der Sommer und Herbst unter stürmischen Verhandlungen, welche namentlich die wachsende Macht und Brutalität des Militärs zur Sprache brachten, das in verschiedenen Städten auf die Bürger geschossen hatte, und wofür der Kriegsminister jede Genugthuung verweigerte. Drei Mal schon war unter diesen schwierigen Verhältnissen das Ministerium gewechselt worden, doch hatte bei jedem Wechsel der König sich wieder mit constitutionellen Männern umgeben, nun aber, unter dem Eindruck der besiegten Octoberrevolution in Wien entschloß man sich zu einer rettenden That, einem Gewaltstreich, der um so gerechtfertigter erschien, als jetzt wirklich der Berliner Pöbel das Aeußerste geleistet. Am 31. October trieb er die Frechheit so weit, vor dem Schauspielhause, in dem die Versammlung tagte, die mißliebigen Deputirten bei ihrem Austritt[496] aus demselben, laut zu verhöhnen und ihnen als Symbol, was ihnen gehöre, Stricke entgegen zu halten. – Solche Demonstrationen gaben den willkommenen Anlaß mit Entschiedenheit vorzugehen, und der König berief jetzt, zur Neubildung eines Ministeriums, seinen Oheim, den Grafen von Brandenburg, einen Stock-Aristokraten, der dasselbe aus lauter reactionären Elementen zusammensetzte und in welches der so bekannt gewordene Freiherr von Manteuffel als Ministerpräsident eintrat. Darauf hin begab sich am 1. November eine Deputation aus der Nationalversammlung nach Potsdam zu dem König, um ihm eine Adresse zu überreichen, in welcher gegen ein Ministerium Brandenburg protestirt und ein neues volksthümliches Ministerium verlangt wurde. Der König nahm die Adresse zwar an, ließ sich aber auf keine Discussion ein, worauf Johann Jacoby ihn fragte, ob er denn ihre Wünsche und Bedenken nicht erhören wolle, da wandte ihm der König den Rücken und verließ mit einem kurzen: Nein! das Zimmer; Jacoby aber hatte den Muth ihm noch nachzurufen: »Es ist das Unglück der Könige, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen!« Damit war der Bruch zwischen der Regierung und der Nationalversammlung ausgesprochen; die Volksparthei brachte Jacoby einen glänzenden Fackelzug, und am 8. November constituirte sich das neue Kabinet, mit welchem nun auch in Preußen eine Epoche der entschiedensten Reaction eingeleitet wurde. Der König fühlte sich persönlich wieder tief beleidigt, weil die Kammer den Titel: von Gottes Gnaden, abschaffen wollte; der Adel, der gleichfalls abgeschafft werden sollte, theilte die Empfindungen des Monarchen, und schaarte sich dicht um ihn. So machte die Versammlung thörichter Weise Formen den Krieg, anstatt sich mit Thatsächlichem zu beschäftigen, nicht bedenkend, daß Jene von selbst fallen, wenn ihre Zeit gekommen, und daß die Menschen viel leichter eine neue Idee, als den[497] Angriff auf eine Form vertragen. Am 9. November vertagte eine königliche Ordre die Versammlung bis zum 27. November und verlegte sodann ihren Berathungsort nach Brandenburg, weil sie in Berlin unter der Herrschaft der Straßendemagogie nicht mehr frei berathen könne.

Der jetzige Präsident der Versammlung, Herr von Unruh aus Magdeburg, widersprach der Gesetzmäßigkeit dieses Beschlusses, und ließ darüber abstimmen, ob man sogleich die Sitzungen in Berlin fortsetzen wolle oder nicht. Für das Erstere stimmten 252 Deputirte, und darnach erklärte die Kammer fast einstimmig, daß sie in der Hauptstadt weiter berathen werde. Ein von ihr ausgehender Erlaß an das preußische Volk erklärte, das Vaterland sei in Gefahr, und rief die Bürger auf, gemeinschaftlich mit der Versammlung in ruhiger Ausdauer den versuchten Staatsstreich zu vereiteln. Als am nächsten Tag die Abgeordneten gemeinschaftlich, je drei und drei, vor ihrem Sitzungslokal erschienen, fanden sie dasselbe verschlossen und mit Wachen besetzt. So mußte man also der Gewalt weichen, aber man zog von da in das Schützenhaus, welches die Schützengilde als Sitzungssaal angeboten hatte, um dort die Berathungen fortzusetzen. Nur 28 Deputirte fanden sich unter Allen, welche das ganze ungesetzliche Gebahren der Regierung durch eine Erklärung, daß dieselbe in ihrem Rechte sei, zu rechtfertigen versuchten. Diese ging aber jetzt unerschüttert weiter; am folgenden Tage wurde die Berliner Bürgerwehr aufgelöst, weil ihr Commandant sich geweigert hatte die Gewaltmaßregeln der neuen Minister auszuführen, und zugleich versicherte der König durch ein Manifest an das preußische Volk, daß er nicht daran denke, das constitutionelle Leben in Preußen auszulöschen. – Sein Verfahren bekundete nun allerdings eine höchst eigenthümliche Auslegung des constitutionellen Wesens, und daß er dergestalt doppelzüngig verfuhr, war wieder nur ein Ausfluß des inneren[498] Schwankens und der inneren Unklarheit, die diesen unglücklichen Monarchen charakterisirten. Der zu straff angezogene Zügel mußte jetzt reißen oder brechen; als der Magistrat von Berlin sich der von dem Ministerium verlangten Hülfe bei Auflösung der Bürgerwehr widersetzte, wurde ohne Weiteres über Berlin der Belagerungszustand verhängt, alle Klubs und Vereine geschlossen. Zeitungen und Placate durften nur gegen Erlaubniß der Polizei ausgegeben werden, alle Fremden, die sich nicht genügend ausweisen konnten, mußten die Stadt verlassen und das Militär besetzte die Straßen. Von dem Letzteren war natürlich nicht zu erwarten, daß es sich in irgend einer Weise als Bürger des Staates fühlen und demgemäß handeln werde. Man durfte sich nur daran erinnern, aus welchem Grunde das vorletzte Ministerium, das von Auerswald, von seinem Posten zurückgetreten war. Es hatte sich geweigert, jene Beschlüsse der Versammlung ausführen zu lassen, die den Officieren eine aufrichtige Hingabe an das constitutionelle Leben geboten, und ihnen reactionäre Bestrebungen untersagten. Von einem Ministerium Brandenburg-Manteuffel war noch weniger Gutes zu erwarten, um die Militärgewalt in Schranken zu halten, und jeden Zweifel darüber zerstreute die berühmte Rede des alten General Wrangel, des Siegers von Schleswig und Jütland, der, nachdem er Oberbefehlshaber der Marken geworden, die Berliner in den Herbsttagen mit den Worten ansprach: »Die Truppen sind gut, die Schwerter haarscharf geschliffen, die Kugeln im Gewehr. Wie traurig sehe ich Berlin wieder. In den Straßen wächst Gras, die Häuser sind verödet, Handel und Gewerbe stocken« u.s.w. Es knüpfte sich daran der Gedankengang, daß Alles dieses nur durch die Demokratie verschuldet werde, und man die Hauptstadt von dieser erlösen müsse.

Hier war also eine Macht, die sich zu Allem gebrauchen ließ und man konnte wieder zur offnen Gewalt greifen,[499] ohne daß die Berliner einen besondern Anlaß zu solchen äußersten Schritten zu geben brauchten. Die Versammlung im Schützenhause, noch 248 Deputirte stark, antwortete den Maßregeln der Regierung durch einen einmüthig abgelegten Schwur, daß sie nimmermehr freiwillig ihren Platz verlassen würde, und dieses feste Auftreten ward ihr überdem zur Pflicht durch eine Masse von Zustimmungsadressen, die aus allen Provinzen herbeiströmten.

Am 13. November genehmigte die Kammer eine Anklageschrift gegen das Ministerium Brandenburg und es wurde deren Druck beschlossen, um sie im ganzen Lande zu verbreiten, aber fast gleichzeitig erfolgte der Gegenstreich, indem das Sitzungsgebäude von Militär umstellt, und die Deputirten durch die eingedrungenen Soldaten hinausgetrieben wurden. Als Präsident von Unruh von einem Soldaten am Arme geführt, auf der äußeren Treppe erschien, rief er laut: »Ich protestire öffentlich gegen die Gewalt, die den unverletzlichen Vertretern des Volkes geschieht!« Das waffenlose Volk mußte es geschehen lassen, aber man bemerkte wohl, wie selbst das Militär seine Pflicht nur ungern erfüllte. Die Deputirten versammelten sich jetzt in dem Kölnischen Rathhaus und sprachen dort, als das äußerste gesetzliche Mittel, welches ihnen noch zu Gebote stand, am 15. November die Steuerverweigerung aus; im Anschluß daran sollte allsobald ein Aufruf an das preußische Volk ergehen, der es aufforderte, dem Ministerium Brandenburg keine directen Steuern mehr zu entrichten. Darauf wurde auch dieses Sitzungslokal geschlossen, in das Volk aber war eine Brandfackel geworfen, die in ähnlicher Weise zünden konnte, wie einst die Steuerverweigerung des englischen Parlaments unter Karl I., welche Jenem zuletzt Thron und Leben kostete. Man hat diesen äußersten Schritt der preußischen Kammer oft auf das Bitterste getadelt und doch hatte sie nur correct, wenn vielleicht auch[500] unklug gehandelt; jedenfalls sah sie sich durch die folgenden Ereignisse und durch das preußische Volk selbst, in ihrem gesetzlichen Widerstande nicht unterstützt. Es kam wohl an manchen Orten, namentlich in der Rheinprovinz zu Steuerverweigerungen, während andere Städte von loyaler Gesinnung erfüllt, sich dagegen erklärten, so daß es sich gerade bei dieser Gelegenheit so recht schlagend erwies, wie die Ausübung constitutioneller Freiheiten und Rechte nur da zur Geltung kommen kann, wo ihnen ein in gleichem Sinne entwickeltes Volksleben entgegenkommt, wie dies zur Zeit eines John Hampden, eines Cromwell der Fall gewesen. – Der nächste Schritt der bedrängten Kammer war nun der, daß man auch diesen Conflikt vor das Parlament in Frankfurt brachte, und dieses sprach sich mit einer ziemlichen Majorität dahin aus, durch Reichscommissäre in Berlin dafür wirken zu wollen, daß die Regierung ein neues Ministerium ernenne, welches das Vertrauen des Landes besitze, bezeichnete dagegen die Steuerverweigerung als ungesetzlich und rechtswidrig. So bog man vor der scharfen Ecke der Revolution wiederum auf die Heerstraße der Langmuth und Geduld ab, wozu der Bericht des Reichscommissärs Bassermann, den man nach Berlin entsendet hatte, viel beitragen mochte. Er war bereits so ängstlich geworden, daß er, in drastischer Weise seine Berliner Eindrücke schildernd, vor den Augen der Frankfurter Versammlung jene berühmten, später nach ihm benannten, Bassermann'schen Gestalten aufmarschiren ließ, welche Berlin halbwegs in die Abruzzen und unter die Herrschaft von Banditen und Räubern zu versetzen schienen. Gegen solche übertriebene Darstellungen wendeten sich die Berliner Deputirten, Rodbertus und Schultze-Delitzsch, welche nach Frankfurt geschickt worden waren, mit energischer Beredsamkeit, erreichten aber doch nur, daß die Linke der Paulskirche, 147 an Zahl, ihnen mit der Erklärung beistimmte, daß die Steuerverweigerung[501] vom Standpunkte des positiven, wie auch des natürlichen Rechtes durchaus zulässig sei. – Dieser Ansicht entgegen traten die Professoren der Universitäten Halle und Berlin, um sich über den Conflict dahin auszusprechen, daß die Regierung in ihrem Rechte sei, wenn sie die Versammlung nach Brandenburg verlege, damit dieselbe dem Einfluß des Berliner Pöbels entzogen werde. Man stritt hin und her, bis man endlich am 20. November mit großer Mehrheit beschloß, die Centralgewalt solle sich in's Mittel legen, und in Berlin dahin wirken, daß ein Ministerium gebildet werde, welches das Vertrauen des Volkes besitze, gleichzeitig aber wurde der Beschluß der Steuerverweigerung für null und nichtig erklärt. Mit bereitwilliger Freude unterzogen sich Erzherzog Johann und Herr von Schmerling dem Auftrag, sich als Oberbehörde in die Berliner Angelegenheiten einzumischen. Es geschah in einer Weise, welche Preußen auf's Empfindlichste berühren mußte. Am 22. November erschien ein Manifest des Erzherzogs an die deutsche Nation, in dem es wörtlich hieß:

»Preußen! die Reichsversammlung zu Frankfurt vertritt die Gesammtheit der deutschen Nation, ihr Ausspruch ist oberstes Gesetz für alle Deutsche! in voller Uebereinstimmung mit ihr werde ich handeln! Ich werde die Vollziehung jenes Beschlusses nicht dulden, welcher durch Einstellung der Steuererhebung in Preußen die Wohlfahrt von ganz Deutschland gefährdet. Ich werde aber auch die Bürgschaft der Rechte und Freiheiten des preußischen Volkes zur Geltung bringen; sie sollen ihm unverkümmert bleiben, wie allen unsern deutschen Brüdern!« –

Inzwischen war der Dom zu Brandenburg, der als Sitzungslokal dienen sollte, fertig geworden und der Minister lud auf den 27. November dahin ein, welcher Einladung aber nur die Minorität folgte. Die Majorität der Versammlung erließ[502] eine Proclamation an ihre Mitbürger, in der sie unter Anderm sagte: Es war Euch nicht zu thun um ein leeres Constitutionsschema, neben welchem die alten Werkzeuge der Adels-, Beamten- und Militärherrschaft in Thätigkeit hätten bleiben können. Ihr verlangtet eine neue Begründung, und in diesem Sinne hat die Versammlung ihre Aufgabe erfaßt, wegen dem werden wir verdächtigt und angegriffen!« – So war es in der That, es war der erbitterte und rücksichtslose Prinzipienkampf des Alten gegen das Neue, der wieder ausgebrochen war, und worin ersteres diesesmal Sieger blieb. Die Brandenburger Versammlung blieb, in Folge des Fernhaltens des größten Theiles der Deputirten, beschlußunfähig und wurde nun am 5. December 1848 durch den König aufgelöst. Gleichzeitig damit octroyirte die Krone eine fertige Verfassung mit zwei Kammern, und der Bestimmung, daß die, nach dem darin enthaltenen Wahlgesetze neugewählte Volksvertretung sich am 26. Februar 1849 in Berlin versammeln sollte. –

Mit diesem Abschluß konnte denn nun auch die preußische Revolution als beendigt und abgethan angesehen werden, und mit einem letzten Rest von Hoffnung blickte man nun noch auf Frankfurt, wo endlich die Berathung der Grundrechte fertig geworden war.

Es ist überflüssig, die Bestimmungen derselben hier noch einmal zu wiederholen, denn wir wissen, um was sich die Wünsche des deutschen Volkes schon seit 30 Jahren bewegten. Eine der wichtigsten Bestimmungen, die Entlastung des Bodens und die Abschaffung jeglichen Feudalrechts hatte sich thatsächlich bereits vollzogen; eine andere betraf die Einführung der Schwurgerichte, die auch schon vorher an vielen Orten waren eingerichtet worden, und sich schon in voller Thätigkeit befanden. Andere Rechte, wie das der Freizügigkeit, der Gewerbefreiheit u.s.w. konnten erst dann ihre[503] Bedeutung gewinnen, und zur Ausführung kommen, wenn die Reichsverfassung beendigt und angenommen war. Sie standen und fielen mit derselben und mußten folglich leere Wünsche bleiben, bis endlich die Jahre von 1866 und 70 deren Erfüllung brachten. Andere Grundrechte, wie das Vereinsrecht, das Petitionsrecht, freie Presse, Civilehe und Abschaffung der Todesstrafe hingen so innig mit der ganzen freiheitlichen Entwicklung der Nation zusammen, daß es eben nur darauf ankam, ob die Sache des Fortschritts, oder ob die Reaction am Ende siegte4. Man konnte leider jetzt schon vermuthen, daß die Grundrechte noch auf lange hinaus nur ein Stück Papier bleiben würden, und einem gleichen Schicksal die in mühsamster Weise zu erringende Verfassung verfallen werde, zu deren Berathung nun das Parlament überging, was mit Recht eine Sisyphusarbeit genannt werden durfte. Jede Parthei in der Paulskirche wußte schon im Voraus sehr genau, was sie nicht wollte, und diejenige, die am offensten auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitete, täuschte sich in trauriger Weise nicht allein über die ihr noch zu Gebote stehende Macht, sondern auch über die Persönlichkeit, auf die sie ihre Hoffnungen baute. –

Was nun die Hauptbestimmungen der Reichsverfassung, die eine deutsche Einheit begründen sollte, betrifft, so sind uns auch diese schon hinlänglich bekannt, und dürften es um so mehr sein, als wir gerade jetzt in den endlichen Besitz derselben eingetreten sind. Als selbstverständlich galt vorerst, daß der künftigen Reichsgewalt die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands nach Außen, sowie die Macht, Krieg[504] und Frieden zu erklären und abzuschließen, übertragen werden mußte; gleicherweise sollten ihr alle Verkehrswege, sowie das Post-, Eisenbahn- und Zollwesen unterstellt werden, – ihre fernere Aufgabe war es, eine allgemeine deutsche Gesetzgebung zu veranlassen, wie auch Maß, Münze und Gewicht einheitlich zu regeln. Ein Staatenhaus und ein Volkshaus sollten von Reichswegen die Spitze dieser Verfassung bilden, und die Uebereinstimmung beider zu einem Reichsbeschluß erforderlich sein, wobei der Reichsgewalt ein suspensives Veto zustand. – Diese Verfassung war an und für sich gewiß nicht schlecht, sie umfaßte alle Wünsche der Nation, aber wer sollte sie ausführen, wer sollte ihr Haupt sein? – Gerade jetzt war das Programm von Kremsier ausgegeben worden, welches die Centralisation Oestreichs aussprach – konnte jener gemischte, buntzusammengesetzte Staat dieses Haupt bilden, nachdem eben dessen leitender Staatsmann, Fürst Schwarzenberg, das Wort ausgesprochen: »Erst wenn das verjüngte Oestreich und das verjüngte Deutschland zu neuen, festen Formen gelangt sind, wird es möglich, ihre gegenseitigen Beziehungen staatlich zu bestimmen! Bis dahin wird Oestreich fortfahren, seine Bundespflichten treulich zu erfüllen!« – Man sieht, es sprach sich darin ein Aufschieben von Seiten Oestreichs aus, kein Aufgeben eines Zieles, dem es ehrlicherweise hätte freiwillig entsagen müssen. Seine Abgeordneten blieben im Parlament, Erzherzog Johann behielt die Centralgewalt, – man dachte nur an sich, man suchte nur die Hand im Spiele zu behalten, was aus Deutschland dabei wurde, war Nebensache. –

Immerhin war jedenfalls jetzt im Parlament, unter dem Eindruck des Programms von Kremsier, der günstigste Moment, mit der preußischen Kaiseridee hervorzutreten, nur fiel er leider wieder mit einem Augenblick zusammen, da Preußens Regierung durch die Vorgänge, die wir kennen, sich[505] abermals bei dem größten Theile Deutschlands um alle Popularität gebracht hatte.

Eine andere Schwierigkeit bot die Haltung des Königs selber dar; in trostloser Unentschlossenheit wollte er sich heute an die Spitze der Ereignisse stellen, schwelgte er in nationalen Gefühlen und wollte er Deutschland zur Einheit verhelfen, morgen bebte er wieder scheu vor jedem Schritte zurück, der ihn in Konflikt mit der Legitimität der andern Fürsten, namentlich mit der Oestreichs, bringen und ihn in eine Stellung versetzen konnte, die sich mit seinen unklaren Ideen von einem königlichen »Gottesgnadenthum« durchaus nicht vertrug. Er war sich dessen wohl bewußt, daß ein großer Monarch alle derartigen Bedenken würde bei Seite geworfen haben; sagte er doch eines Tages zu Beckerath, welcher zu denen gehörte, die in Berlin ab und zu gingen, um den König für die Kaiserwürde zu gewinnen: »Friedrich der Große wäre ihr Mann gewesen, ich bin kein großer Regent!«

Die persönlichen Verhandlungen mit dem König über die Annahme der neuen Kaiserwürde hatten schon bald nach dem Zusammentreten des Parlaments begonnen. Dahlmann, der eigentliche Urheber der Reichsverfassung, war gleich bei Ausbruch der Revolution der Meinung gewesen, daß Preußens König sich unmittelbar nach der Verjagung Louis Philipp's hätte an die Spitze der Ereignisse stellen müssen, eine Ansicht, die der Prinz von Preußen theilte. Dahlmann unterhandelte nun schon seit damals mit dem König und suchte ihn namentlich, aber vergebens, für die Ansicht zu gewinnen, daß ein neues deutsches Reich sich dauerhaft nur mit Oestreichs Ausschluß begründen lasse. Die Nothwendigkeit dieses Ausschlusses leuchtete damals allerdings erst Wenigen ein, weil man in politischen Fragen noch zu sehr gewöhnt war, das Gefühl anstatt des Verstandes zu befragen, und ohne Zweifel[506] war es und ist es noch heute für jedes deutsche Herz ein schmerzliches Gefühl, einen so schönen Theil Deutschlands, wie die deutsch-österreichischen Provinzen, aufgeben zu müssen. Aehnliche Gefühle beherrschten den König, der hartnäckig auf Dahlmann's Gründe antwortete: »Ich will über keinen Rumpf herrschen!«

Einer einsichtsvolleren Politik zugänglicher war der Prinz von Preußen, unser jetziger Kaiser, mit welchem Ritter von Bunsen, der deutsche Gesandte in London, während des Sommers sich öfter über den Dahlmann'schen Verfassungsentwurf besprach. Bunsen erzählt, daß der Prinz sich in voller Klarheit über die Sachlage befunden, daß er Preußens deutsche Mission voll anerkannt und den Entwurf der Reichsverfassung eifrig geprüft habe, dabei scharf hervorhebend, was ihm bei dem Abschnitt über die künftige Heeresorganisation verkehrt erscheine. Wenn er bei solchen Gesprächen neben dem Groll und der Eifersucht Oestreichs auch die von Bayern als zu befürchten hervorhob, so war dies nur zu gerechtfertigt.

Unter denjenigen, welche Friedrich Wilhelm IV. nahe standen und ihn in dieser Sache beriethen, waren es vornehmlich v. Bunsen und dessen Freund, der Baron von Stockmar, der langjährige Freund des englischen Königspaares, endlich auch der Prinz von Preußen selbst, die nicht nachließen, den König zur Annahme der Kaiserwürde zu drängen, aber selbst die Vertrautesten konnten nicht ergründen, welchem Entschluß er sich eigentlich zuwendete, und bitter enttäuscht verließ Gagern wieder Berlin, nachdem er am 27. November in dieser Angelegenheit eine lange Unterredung mit dem Könige gehabt hatte, in derem Verlaufe ihm der Letztere unter Anderem gesagt: »Das Haus Habsburg steht voran, wenn Oestreich ausscheidet, so würde Deutschland ein getheiltes und gemindertes sein und ich mag nicht nach Zerstückelung des Kaiserthums der erste Kaiser sein, der eine verstümmelte[507] Krone trüge. – – – Meine Krone würde schwach sein durch die Widerwilligkeit der unterworfenen Dynastien, durch die Macht so mancher unaustilgbaren Antipathieen, der katholischen, der süddeutschen, durch die erregte Eifersucht und Mißgunst der auswärtigen Mächte – durch ihren Ursprung!«

Immerhin gab die Kaiserparthei ihre Hoffnungen noch nicht ganz auf; – Friedrich Wilhelm konnte über Nacht wieder anderen Sinnes werden und während sie ihre Pläne weiter verfolgten, gewann Oestreich Zeit für seine Intriguen, deren Karten Herr von Schmerling meisterhaft zu mischen verstand.

Unter den nun obwaltenden Verhältnissen und bei den nothwendig werdenden Verhandlungen mit Oestreich bezüglich dessen künftiger Stellung zu Deutschland, konnte von Schmerling nicht an der Spitze des Staatsministeriums bleiben, er forderte Gagern auf, in dasselbe einzutreten, wozu sich dieser denn auch bereit zeigte. Schmerling fühlte sich sicher genug, den neuen Collegen zu beherrschen, als aber nun Gagern's Parthei darauf drängte, Schmerling müsse, im Falle von dessen Eintritt, ganz aus dem Ministerium ausscheiden, trat der Letztere vollständig in das Lager seiner Regierung über, mit der entschiedenen Absicht, jetzt nur für Oestreich und gegen Deutschland zu wirken.

Gagern übernahm nun das Ministerium des Aeußeren, sowie die Präsidentschaft, während Schmerling seine Regierung im Ministerrathe vertrat und jetzt, im Gegensatz zu Gagern und dessen Parthei, mit der Idee eines, früher schon einmal vorgeschlagenen, Directoriums über Deutschland hervorrückte. Dieses Directorium sollte aus Oestreich und Preußen bestehen und in einem Wechsel von 6 Jahren die Oberhoheit über Deutschland führen. Ob Schmerling und seine Freunde ein solches Auskunftsmittet selbst für ausführbar[508] hielten, bleibt dahingestellt, jedenfalls half es ihnen Zeit zu gewinnen und die Verhältnisse noch mehr zu verwirren. Nicht weniger ausführbar als Jenes war ohne Zweifel das Programm der Linken, welche gar kein monarchisches Oberhaupt, sondern nur, nach dem Beispiele der Vereinigten Staaten, einen freigewählten Präsidenten an der Spitze der Reichsgewalt sehen wollte. Theoretisch war der Vorschlag ja wohl nicht schlecht, er glich jede Eifersucht unter den Fürsten aus, aber wie konnte man sich nur einen Moment im Ernste einbilden, daß die jetzt wieder vollständig erstarkten Monarchieen sich einem solchen Präsidenten freiwillig unterwerfen würden? nur der Sturm des Märzen, nicht eine kühle, nachträgliche Berathung hätte solche Umwandlungen ins Leben rufen können.

So, wie wir heute mit ruhigem Blute die Verhältnisse überschauen, blieb gar nichts Anderes übrig, als Preußen an die Spitze Deutschlands zu berufen, wenn man überhaupt eine Einheit begründen wollte, und ebenso mußte man Oestreich, wenn auch mitbluten dem Herzen, so rasch als möglich aufgeben.

Man hielt damals genau an demselben Punkte, wie im Jahre 1866, nur war der Wunsch, Oestreich nicht auszuschließen, selbst unter den preußisch Gesinnten, noch unendlich lebhafter, die allgemeine Einsicht über diesen Punkt noch ungemein unklarer, als später. – Um nun alle Theile zu befriedigen, erfand Gagern in dieser Verlegenheit die Theorie vom engeren und weiteren Bunde, in welch' Letzteren Oestreich mit seinem ganzen Staatencomplex, nach einer noch später zu vereinbarenden Uebereinkunft, eintreten solle, wogegen Deutschland seinen civilisatorischen Einfluß auf die slavischen Länder ausüben, oder, wie Gagern sich ausdrückte, »die Kultur nach Osten tragen werde.«

Duckwitz faßte es practischer, indem er die Hoffnung[509] aussprach, diese Verbindung durch ein materielles Band fest zu begründen.

Die logische Folge dieses Vorschlags wäre zunächst diese gewesen, daß die östreichischen Deputirten aus der Paulskirche ausgeschieden wären, aber dem mußte zuvorgekommen werden, und so traf, durch Schmerling veranlaßt, am 28. December die berühmte östreichische Note ein, durch welche Fürst Schwarzenberg rund heraus erklärte, daß Oestreich nimmermehr daran denke, seine Stellung als deutsche Bundesmacht aufzugeben, und daß es, wenn erst das Parlament das Verfassungswerk beendigt und eine innigere Verschmelzung der einzelnen Theile Deutschlands zu Stande gebracht habe, seinen Platz darin werde behaupten können.

Diese Note stand im vollsten Widerspruch mit dem Wortlaut des Programms von Kremsier, sie war ein Hohn auf die deutschen Einheitsbestrebungen, und alle Versuche, die jetzt Gagern machte, sich derselben zu accomodiren und aus dem Gifte dieser Note noch Honig zu saugen, mußten unausbleiblich scheitern; es ist ewig zu beklagen, daß sich durch diese Bemühungen das Reichsministerium, und mit ihm das Parlament, noch tiefer in diplomatische Winkelzüge verstricken ließ, als dies bereits der Fall war, daß man auch jetzt noch nicht mit berechtigter Derbheit Oestreich zurechtwies, sollte es auch zum offenen Bruche kommen. Es nützte nicht, daß Beckerath in richtiger Vorahnung der Versammlung das prophetische Wort zurief: »Das Warten auf Oestreich ist das Sterben der deutschen Einheit!« – Das Reichsministerium betrat aufs Neue den Pfad der Unterhandlung mit ihm. Es regnete von da an Noten und Gegenvorschläge von allen Seiten her, jede Regierung hatte ihren besonderen Vorschlag, und als nun mit dem 1. Januar 1849 der Tag erschien, an welchem nach Parlamentsbeschluß die deutschen Grundrechte in ganz Deutschland sollten eingeführt werden, geschah[510] dies einzig und allein in Würtemberg. Nach und nach hinkten dann noch die kleineren Staaten diesem Beispiel nach. Oestreich, Preußen, Bayern, Hannover und Sachsen jedoch erklärten, daß sie erst nach vollendeter Reichsverfassung diese Pflicht erfüllen würden. – Zeit gewinnen hieß in diesem Augenblicke für die Regierungen Alles gewinnen und in der Nation selbst traten sich jetzt die Kleindeutschen oder preußisch Gesinnten und die Großdeutschen, welche Oestreich nicht aufgeben wollten, einander feindselig gegenüber. Diese letztere Bezeichnung faßte leider bald Alle in sich, die, unter dem schönen Vorwande, ein deutsches Land nicht ausschließen zu wollen, dies als Handhabe benutzten, um überhaupt, wie es ja auch Oestreich erstrebte, die ganze Umgestaltung Deutschlands zu verhindern, die Zustände vor 48 neu herzustellen. Einträchtiglich fanden sich Ultramontane, Reactionäre und unverbesserliche Aristokraten aller Art unter diesem bequemen Deckmantel zusammen und mit Recht durfte man bis 1870 die ganze reactionäre, jesuitische und reichsfeindliche Parthei in Deutschland als die Großdeutsche bezeichnen.

Am 19. Januar 1849 kam dann endlich der Tag, welcher im Parlament über die Oberhauptsfrage endgültig entscheiden sollte. Alle Mittelvorschläge, die sich inzwischen noch eingestellt und bald ein zwei-, drei- oder fünfköpfiges Reichsdirectorium beantragten, wurden verworfen; nicht besser erging es den Anträgen der Linken auf ihren verantwortlichen Präsidenten; angenommen dagegen wurde mit 258 gegen 211 Stimmen der Antrag: Die Würde des Reichsoberhaupts wird einem regierenden deutschen Fürsten übertragen! Die Frage von deren Erblichkeit ward dadagegen verworfen. Von Seiten der Kleindeutschen war man unterdessen eifrig bemüht gewesen, sich der Zusicherung der einzelnen Fürsten zu diesem Paragraphen zu vergewissern und[511] in der That gelang es ihnen auch, bis zum 25. Januar die Zustimmung von 17 deutschen Fürsten, daß sie sich einem einheitlichen Oberhaupte unterwerfen wollten, zu Wege zu bringen. Manche sprachen dabei geradezu den Wunsch aus, es möge dieses Oberhaupt der König von Preußen sein. Schon am 4. Februar aber erfolgte von Wien aus der Rückschlag, indem sich Oestreich feierlichst gegen eine Unterordnung des Kaisers unter eine von einem andern Fürsten ausgeübte Centralgewalt verwahrte; diesem Aktenstück schloß sich die Erklärung an, daß eine einseitige Aufhebung des Bundesverhältnisses nimmermehr Seitens Oestreichs zugegeben werden könne, und daß es sich vorbehalte, seine Reformvorschläge nun in Frankfurt allein zu machen. Dies goß Oel ins Feuer und von allen Seiten entbrannte jetzt der heftigste Partheikampf. Bayern stellte sich ohne Weiteres auf Oestreichs Seite, Würtembergs König erklärte, er werde sich nie einem Hohenzollern unterwerfen und Preußen selbst erließ eine Note, in der es zwar zugestand, die Hegemonie über Deutschland übernehmen zu wollen, dagegen eine Herstellung der Kaiserwürde als überflüssig erachte. Doch nahm man diesen Erlaß mehr als eine Ziererei, denn als eine bestimmte Ablehnung auf. Auch in den Einzelkammern wurde diese wichtige Frage jetzt lebhaft debattirt und in Kassel traf der Abgeordnete Henkel wohl den Nagel auf den Kopf, indem er sagte: »Wir haben nun die Wahl, entweder mit Preußen das deutsche Reich, oder mit Oestreich den deutschen Bund! Aber«, fuhr der Redner fort, »lieber eine preußische Provinz sein und dabei das Selbstgefühl der Mitgliedschaft eines großen, geachteten, deutschen Staates, als den Wiedereintritt in den jammervollen Bund.« – So sprach er prophetisch für Kurhessens künftiges Geschick, aber ohne Zweifel mit richtigem Vorausblick in die Zukunft.

Wir werden auf das Gewirre der sich zu einer preußischen[512] Spitze bekennenden oder dagegen verwahrenden Noten und Vorschläge der verschiedenen deutschen Regierungen hier nicht näher eingehen – sie änderten nichts an der Thatsache, daß denn doch am 24. Februar vorerst die Bevollmächtigten von 28 verschiedenen deutschen Staaten mit Ausnahme Oestreichs im Bundespalast zusammentraten, um sich wegen der Reichsverfassung zu besprechen. Obgleich man nun Vieles daran auszusetzen fand und namentlich Verbesserungen im eigenen Interesse verlangte, wie den Wegfall von Reichssteuern und das Recht, eigene Gesandte zu ernennen, auch die Ausdrücke »Reich« und »Reichsgewalt« anstößig fand und dafür die alte Benennung »Bund« wünschte, einigten sich doch 28 Regierungen unter dem Vortritte Preußens dahin, den Verfassungsentwurf anzunehmen. Man konnte nun im Parlamente zu einer zweiten Lesung desselben schreiten, und zwar geschah dies unter dem frischen Eindrucke neuer bedeutsamer Vorgänge in Oestreich, wo am 4. März der Reichstag von Kremsier aufgelöst und, wie uns schon bekannt, eine Verfassung für die Gesammtmonarchie war octrohirt worden, welche die einzelnen Theile derselben unlöslich an einander band. Dieses verjüngte Oestreich konnte nun doch selbst einem ehrlichen Großdeutschen keine Hoffnung mehr erwecken, aber trotzdem wußten die östreichischen Staatsmänner abermals durch die unhaltbarsten Vorschläge bezüglich eines ferneren Zusammengehens mit Deutschland, die Männer des Parlaments so schlau zu umgarnen, daß Schmerling's Entlassungsgesuch nicht angenommen wurde, während ein Antrag von Welcker, der sich bis dahin mit allen Kräften dem Ausschluß Oestreichs widersetzte, nun aber, durch Oestreichs Doppelzüngigkeit empört, darauf drang, das Parlament möge als Antwort darauf durch einen Gesammtbeschluß die Reichsverfassung annehmen und die Uebertragung der Kaiserwürde an Preußen aussprechen, durchfiel. Wahrlich,[513] heute noch steigt uns die Schamröthe ins Gesicht, wenn wir uns daran erinnern, in welch' frivoler Weise damals Oestreichs Politik wiederum mit des übrigen Deutschland Wohlfahrt und Ehre gespielt.

Nicht als Protest dagegen, wie Welcker es gewollt, sondern im Verlauf des parlamentarischen Geschäftsganges wurde dann, bei der zweiten Lesung des Verfassungsentwurfes, der erbliche Kaisertitel, sowie die Uebertragung desselben an einen deutschen Fürsten angenommen, und dann, was zu erwarten stand, am 28. März 1849, in der 196. Sitzung des Parlaments, der König von Preußen mit 290 Stimmen zum deutschen Kaiser gewählt; 248 Abgeordnete, sie gehörten der Linken und den »Großdeutschen« an, hatten sich der Abstimmung über die letzte Frage enthalten. Zu den Transactionen, welche zwischen den einzelnen Partheien vor den entscheidenden Abstimmungen stattgefunden, gehörte das Zugeständniß eines nur suspensiven Veto's für den neuen Kaiser, welches die Kaiserparthei der Linken gemacht, um sie zu gewinnen, und nun war es gerade diese Bestimmung, welche das Gefühl des Erwählten besonders empfindlich berühren sollte. –

Unter dem abermaligen Geläute aller Glocken verkündete nach vollbrachtem Werk der jetzige Präsident des Parlaments, Simson, das Wahlergebniß, dabei den frommen Wunsch aussprechend: »Möge der deutsche Fürst, der wiederholt und öffentlich in unvergeßlichen Worten den warmen Herzschlag für die deutsche Sache sein kostbares mütterliches Erbe genannt hat, sich nun als Schutz und Schirm der deutschen Einheit bewähren!«

Am 29. März wollte darauf der beleidigte Erzherzog Johann seine Würde als Reichsverweser niederlegen, aber das Reichsministerium bestimmte ihn, diesen Entschluß wieder zurückzunehmen, und einige Tage später lief eine Note des[514] östreichischen Kabinets ein, mit der Weisung, er möge Frankfurt in keinem Falle verlassen, denn so lange nicht für Deutschland eine neue Verfassung auf dem Wege der Vereinbarung zu Stande gekommen sei, werde Oestreich die Verträge von 1815 aufrecht erhalten. Damit war der verhaßte Bund auf's Neue insgeheim regenerirt und der ehrliche Johann fügte sich wieder geschmeidig den höheren Weisungen, blieb in Frankfurt und spielte die Reichsverweserkomödie ruhig fort, bis es Zeit wurde, mit offnem Visir aufzutreten. Inzwischen war am 30. März die Kaiserdeputation nach Berlin abgereist; man setzte jetzt erneute Hoffnung auf die vollendete Thatsache, und hoffte den König willfährig gestimmt zu finden. Es waren 33 Deputirte, alle Theile Deutschland's vertretend, geführt von dem Präsidenten Simson, denen diese hohe Mission zu Theil wurde; unter ihnen befanden sich die Professoren Arndt, Dahlmann, Mittermaier und Andere, die nun den Traum ihrer Jugend, der sie nach Napoleon's Sturz beseelte, glaubten verwirklicht zu sehen.

In kurzen Tagereisen näherten sie sich Berlin, um dem König Zeit zur Ueberlegung zu lassen; die Personen aber, die ihm näher standen hatten wenig Hoffnung auf ein Gelingen. Einige Wochen zuvor, hatte ihn Bunsen, wie er selbst erzählt, »mit Thränen im Auge, schweigend, schweren Herzens verlassen.« Bei dieser letzten Unterredung über die Kaiserangelegenheit, sagte ihm der König unter Anderem: »Der Weg, den man eingeschlagen, ist ein Unrecht gegen Oestreich, ich will mit dem Fortführen einer so abscheulichen Politik nichts zu thun haben, sondern überlasse sie den Ministern.« Der König nahm hier eine Doppelstellung an, die wahrhaft wunderbar zu nennen ist und der deutschen Sache ebenso verderblich werden mußte, wie sie seine treuesten Anhänger vor ganz Deutschland beinahe mit dem Fluche[515] der Lächerlichkeit belastete. Friedrich Wilhelm stand persönlich während dieser ganzen Zeit in geheimem Briefwechsel mit Olmütz, und von dort aus verstand man es ohne Zweifel meisterlich, die tiefe Antipathie, die er gegen die Revolution hegte, mit Vortheil zu benutzen, ihn in stetem Schwanken zu erhalten.

Von dem Berliner Magistrate und den Kammern feierlichst empfangen, wurde die Kaiserdeputation am 3. April bei dem Könige eingeführt und im Rittersaale des Schlosses empfangen. Simson hielt die entsprechende Anrede, worauf die inhaltschwere Antwort des Königs erfolgte, durch welche er die ihm zugedachte Würde ablehnte. Er sagte, daß er sich mit dem König der Könige darüber berathen habe, und dies mache das Auge klar, und das Herz gewiß. Der Schwerpunkt seiner Ablehnung lag dann in dem folgenden Satze: »Ich würde Deutschland's Einheit nicht aufrichten, wollte ich mit Verletzung heiliger Rechte und meiner früheren feierlichen Versicherungen ohne das freie Einverständniß der gekrönten Häupter der Fürsten und freien Städte Deutschland's, eine Entschließung fassen, welche für sie und die von ihnen regierten deutschen Stämme die entscheidensten Folgen haben muß. An den Regierungen der einzelnen Staaten wird es daher jetzt sein, in gemeinsamer Berathung zu prüfen, ob die Verfassung den einzelnen, wie dem Ganzen frommt, ob die mir zugedachten Rechte mich in den Stand setzen würden, mit starker Hand, wie ein solcher Beruf es von mir fordert, die Geschicke des großen, deutschen Vaterlandes zu leiten und die Hoffnungen seiner Völker zu erfüllen. Dessen aber möge Deutschland gewiß sein und das, meine Herren, verkündigen Sie in allen seinen Gauen, bedarf es des preußischen Schildes und Schwertes gegen äußere oder innere Feinde, so werde ich auch ohne Ruf nicht fehlen!« –[516]

Mit schmerzlicher Enttäuschung vernahm die Deputation diese Rede, um so mehr, als man behauptet hatte, der König sei noch Tags zuvor wenigstens zu einer bedingten Annahme entschlossen gewesen. –

Wie man die inneren Vorgänge jener Zeit und die Individualität Friedrich Wilhelm's heute kennt, kann uns seine Ablehnung durchaus nicht mehr verwundern. Er wollte die Kaiserkrone wohl aus der Hand der Fürsten, nicht aber aus der des Volkes annehmen, und daß die Ersteren sie ihm freiwillig anbieten würden, daran war nicht zu denken. –

Unter den Deputirten befand sich ein Mann, welcher es vorher genau wußte, was erfolgen würde, dies war der alte Arndt, der in den Tagen der größten Spannung an den König geschrieben und ihn beschworen hatte, sich der Pflicht, die deutsche Einheit zu begründen, jetzt nicht länger zu entziehen. Er erhielt als Antwort einen höchst merkwürdigen Brief von Friedrich Wilhelm, der aber erst nach beider Tode, weil strenges Geheimniß angelobt war, veröffentlicht und bekannt wurde. Diesem Schriftstück zufolge war Friedrich Wilhelm schon lange fest ent schlossen, eine Krone auszuschlagen, über die er sich folgendermaßen äußerte: »Die große Versammlung, die sich deutsche Nationalversammlung nennt, von der ein erfreulich großer Theil zu den besten Männern des Vaterlandes gehört, hat weder eine Krone zu geben, noch zu bieten. Sie hat eine Verfassung zu entwerfen, und demnächst mit allen von ganz Europa anerkannten regierenden Herren und Städten Deutschlands zu vertragen. Wo ist der Auftrag, der diese Männer berechtigt, über die rechtmäßigen Obrigkeiten, denen sie geschworen, einen König oder Kaiser zu setzen? Wo ist der Rath der Könige und Fürsten Deutschland's, der nach tausendjährigem Herkommen dem heiligen Reich seinen König kürt und die Wahl dem Volke zur Bestätigung vorlegt?« – Das Recht der Revolution[517] und der Selbstbestimmung war damit der deutschen Nation vollständig abgesprochen, – und noch erregter äußerte sich der Monarch an einer anderen Stelle des Briefes über die Selbstüberhebung des Parlaments: »Auf eine Botschaft, wie sie mir aus Frankfurt droht, geziemt mir das Schweigen. Ich darf und werde nicht antworten, um Männer, die ich ehre und liebe, auf die ich mit Stolz, ja mit Dankbarkeit blicke, nicht zu beleidigen, denn was wurde mir geboten? Ist diese Geburt des gräßlich kreisenden Jahres 1848 eine Krone? Das Ding, von dem wir reden, trägt nicht das Zeichen des heiligen Kreuzes, drückt nicht den Stempel von »Gottes Gnaden« auf's Haupt, ist keine Krone. Es ist das eiserne Halsband einer Knechtschaft, durch welches der Sohn von 24 Regenten, Kurfürsten und Königen, das Haupt von 16 Millionen, der Herr des treuesten und tapfersten Heeres der Welt, der Revolution zum Leibeigenen gemacht würde! Und das sei ferne!« –

Traurig kehrte die Kaiser-Deputation von Berlin nach Frankfurt zurück; jede Hoffnung einer befriedigenden Einheit war jetzt vorüber und schlechten Trost gewährte die Aussicht, die der König gegeben, auf eine erst noch zu versuchende Vereinbarung mit den deutschen Regierungen.

Oestreich triumphirte; am 5. April rief es seine Abgeordneten aus der Paulskirche zurück und Fürst Schwarzenberg schrieb an Schmerling: »Noch ist der deutsche Bund, wie ihn die Tractate schufen, nicht aufgelöst, noch bestehen die Rechte und Verbindlichkeiten seiner Glieder.« – Von den Deputirten leisteten die Meisten der Abberufung Folge, nur etwa 20 Treugesinnte blieben im Parlamente zurück; dagegen traten jetzt ungerufen viele Großdeutsche aus andern Ländern aus.

Am 11. April vereinigten sich die noch Anwesenden der verschiedenen Partheien zu dem gemeinsamen, feierlichen Beschluß, [518] in jedem Fall an der Reichsverfassung festzuhalten, und es wurde ein Ausschuß gewählt, um die Maßregeln für deren practische Durchführung zu berathen. Die Oberhauptsfrage ließ man einstweilen noch offen, auf bessere Zeiten und Einsicht hoffend.

So drängten die Ereignisse immer wieder und wieder die Versammlung zu einem selbstständigen Handeln, oder, wie man es richtiger nannte, auf den Weg der Revolution, denn im directesten Widerspruch zu den eben erwähnten Parlaments-Beschluß, stand jetzt wieder das weitere Vorgehen der preußischen Regierung. Schon am 4. April erließ sie eine Circularnote an die deutschen Regierungen, in der sich die Bereitwilligkeit des Königs aussprach, an die Spitze eines deutschen Bundesstaates zu treten, nachdem zuvor eine allgemeine Verfassung in Vereinbarung mit ihnen, den Regierungen, zu Stande gekommen und ein freies Einverständniß von ihrer Seite zu erwarten sei. Sie wurden ersucht, sich durch ihre in Frankfurt befindlichen Bevollmächtigten darüber auszusprechen.

Gagern, in seiner Eigenschaft als Reichsminister, befragte nun, um einem Conflict vorzubeugen, diese Bevollmächtigten, und erlangte von 28 Kleinstaaten eine Erklärung, in welcher sie ihre Bereitwilligkeit, das preußische Kaiserthum und die Reichsverfassung anzuerkennen, ausdrückten, und dabei die Einsicht aussprachen, daß man wohl einige Opfer werde bringen müssen. Die Königreiche aber verhielten sich passiv, und so erschien dieses Resultat in Berlin als so ungenügend, daß die zweite Kammer, – trotz ihrer jetzigen Zahmheit, denn es war diejenige, die aus der octroyirten Verfassung hervorgegangen war – ungeduldig wurde, und am 21. April den Antrag von Rodbertus annahm, der das Festhalten Preußen's an der Reichsversammlung verlangte und die Hoffnung aussprach, der König werde doch noch die Kaiserkrone[519] annehmen. Dies war so wenig nach dem Sinne der Regierung, daß Graf Brandenburg, der hauptsächlich den Widerstand des Königs unterstützte, die Kammer auflöste. Aehnliche Beschlüsse hatten unterdessen die Kammern von Hannover und Sachsen gefaßt, wofür sie ein gleiches Auflösungsschicksal betraf. Ueberall, in allen Schichten der Gesellschaft erhob sich jetzt ein furchtbarer Widerstreit; fast in jedem Ländchen standen sich erste und zweite Kammer feindselig einander gegenüber, die Eine das liberale und nationale, die Andere das reactionäre und partikularistische Element vertretend.

Am lebhaftesten und tiefgehendsten zeigte sich naturgemäß die Begeisterung für die Reichsverfassung im Südwesten von Deutschland; der König von Würtemberg war ja einer der Ersten gewesen, der sie angenommen, aber er sträubte sich hartnäckig gegen das preußische Oberhaupt, bis er endlich auch darin, gedrängt durch die fieberhafte Erregung seines Landes und bearbeitet durch seine Märzminister Römer und Duvernoy nachgab und erklärte: »er wolle nichts mehr dagegen einwenden, wenn der König von Preußen, der das Erbkaiserthum nicht annehmen wolle, sich für jetzt mit Zustimmung der deutschen Nationalversammlung an die Spitze Deutschland's stelle!« Der ungeheure Jubel des Würtembergischen Volkes fand seinen Widerhall in ganz Deutschland, und stärkte auf's Neue die Hoffnung einer endlichen glücklichen Lösung. Doch vergebens; am 28. April zeigte Graf Brandenburg der Centralgewalt im Namen seines Königs die definitive Ablehnung der Kaiserwürde an, erklärend, daß die größeren Regierungen die vorliegende Verfassung nicht annehmen könnten, daß die Errichtung eines erblichen Kaiserthums für Deutschland zu gefährlich sei, und daß die Krone Preußens sich eben so wenig einem andern deutschen Fürsten unterordnen werde. Man hatte nämlich in Frankfurt[520] die Ansicht ausgesprochen, daß, wenn Friedrich Wilhelm doch noch ablehne, man die Kaiserwürde dem nächstgrößten Fürsten anbieten könne, also Bayern, aber Bayern trat so entschieden gegen das Parlament auf, daß jetzt der Wunsch nahe lag, sich an Würtemberg zu wenden, welches einzig und allein von den größeren Staaten sich reichsfreundlich bewiesen.

Nun war es auch damit vorbei, und so machte die Versammlung noch einen letzten Versuch, die Reichsverfassung zu retten, indem sie der Anschauung eines ihrer Mitglieder beitrat, welches die Ansicht verfocht, daß die deutsche Einigung unter preußischer Oberhoheit ihre Berechtigung in sich selber trage und unabhängig von einem jeweiligen König und einer jeweiligen Regierung sei. Gestützt auf dieses Raisonnement, wurde am 4. Mai mit einer nur geringen Majorität der unselige Beschluß gefaßt, die Reichsverfassung in die Hände des deutschen Volkes niederzulegen und ihm die Durchführung derselben zu überlassen. Man rief die gesammte Nation auf, alle Kammern, Einzelstaaten und Regierungen, die, von den Vertretern des Volkes berathene und angenommene Reichsverfassung nun zur Anerkennung zu bringen, und schrieb sodann neue Wahlen für den ersten Reichstag aus, der am 22. August in Frankfurt zusammentreten sollte, mit dem Zusatz, daß wenn Preußen's König sich noch nicht eines Besseren besonnen hätte, so sollte der größte der reichsfreundlichen Fürsten Deutschland's Kaiser werden. So säete man, nachdem man vorher jedes energische Handeln streng vermieden, den Wind, um Sturm zu ernten. Schon am 7. Mai erklärte Preußen diese Beschlüsse für null und nichtig und am selben Tage fand innerhalb der Paulskirche eine der stürmischsten Sitzungen statt. Jetzt handelte es sich darum, nachdem Preußen schon mit den Waffen gedroht, nachdem bereits in Sachsen und in der Pfalz der Aufruhr für die Durchführung der Verfassung[521] ausgebrochen war, wie das Parlament seinen Beschluß vom 4. Mai auszuführen gedachte.

Was thaten aber jetzt die Schöpfer der Verfassung und der Kaiseridee? Hatten sie im Verein mit der Linken die Aufforderung hinaus in das Volk geworfen, das von ihnen geschaffene Gesetz aufzunehmen, dasselbe zur Geltung zu bringen, so mußten sie jetzt auch den Muth haben, im ehrlichen Kampfe mit Gut und Blut, wie man so oft sich schon vermessen hatte, für ihr Werk einzustehen. Wer den ersten Schritt gethan, der durfte auch vor dem zweiten nicht zurückzuweichen, und mit vollster Klarheit hatte Beckerath bei der Berathung darauf hingewiesen, daß man mit dem Beschlusse vom 4. Mai den Weg der Revolution betrete, und dringend warnte er, denselben nicht zu beschreiten, wenn man nicht weiter darauf gehen wolle. Es hieß in der That mit den Sittlichkeitsbegriffen der Nation spielen, wenn man sie zu einer That, wenn man sie zum Handeln aufforderte, um sie dann im nächsten Augenblicke sich wieder selbst zu überlassen, und hinterher ihr Auftreten als revolutionär und gewaltthätig zu verdammen.

Fast überall, auch in Preußen traten in Folge jener Parlamentsaufforderung die Bürgerwehren aus freiem Antrieb zusammen und leisteten den Eid auf die Reichsverfassung, an vielen Orten verlangten die Truppen, ein Gleiches zu thun, und man mußte ohne Zweifel den Rednern der Linken Recht geben, wenn sie in jener Sitzung vom 7. Mai es auf jede Weise zu begründen suchten, wie jetzt unabweislich der Augenblick zum gemeinschaftlichen Handeln gekommen sei. Unter stürmischem Beifall rief Simon von Trier aus: »Man hat uns gesagt, wer die Regierung hat, der hat die Heere. Ich kehre den Satz um: mit den Heeren werden wir die Regierung haben. Man wartet ja nur darauf, daß die Beeidigung des Heeres ausgesprochen werde. Grausam wäre[522] es, Officiere und Soldaten in dieser schwankenden Lage zu lassen. Jeder Tropfen Blut, der durch solch Zaudern vergossen wird, kommt über Ihre Häupter!« – und Zimmermann aus Stuttgart fügte dem hinzu: »Wir müssen zeigen, daß wir uns nicht in's Gesicht schlagen lassen! Welches sind die Mittel? das ist die zweite Frage, ein Mann wie Herr von Gagern muß dies wissen. Wir haben die Mittel. Das Reichsministerium ziehe die Truppen, die die Verfassung bereits anerkannt haben, an sich, das ist der Kern, um ihn werden Hunderttausende sich schaaren. In solchen Zeiten ist der schwankende Wille ein schlechter Steuermann. Ich sage: das Ministerium Gagern bleibe und handle!« – Aber das Ministerium Gagern blieb nicht, sondern der Reichsverweser blieb. Seine Minister hatten ihm ein Programm für Durchführung der Verfassung vorgelegt, dessen Genehmigung er versagte, worauf Gagern am 10. Mai seine Entlassung verlangte und auch erhielt.

Preußische Waffen hatten inzwischen den Aufstand in Dresden niedergeworfen, und einem neuen Parlamentsbeschluß vom 10. Mai, welcher von der Centralgewalt die Wiederherstellung des Reichsfriedens und Durchführung der Verfassung verlangte, setzte der Reichsverweser eine Proclamation an die um Frankfurt versammelten Truppen entgegen, worin er sie vor Bürgerkrieg und vor einer Parthei, die verwerfliche Zwecke im Auge habe, warnte. Da es ihm jetzt nur noch darum zu thun war, bis zuletzt am Platze zu bleiben, umgab er sich, wie zum Hohne, mit einem neuen Ministerium, das aus Männern zusammen gesetzt war, die weder Ansehen genossen, noch Tüchtigkeit besaßen. Es waren enragirte Großdeutsche, welche es mit einer Art von Cynismus gar nicht verhehlten, daß sie nur als Schauspieler das Schauspiel zu Ende führen halfen. Deutschland befand sich in einem trostlosen Zustand, wo war Recht, wo Gesetz in diesem Augenblick zu finden?[523] Alles stand unter dem Einfluß höchster Partheileidenschaft, man mußte sich nur consequenter Weise immer wieder sagen, daß Diejenigen, welche die Brandfackel ausgeworfen, welche das Volk für die Verfassung in die Schranken gerufen, nun auch zu ihm hätten stehen müssen, um jeden Preis. Von dem gerechten Vorwurfe, daß sie es nicht gethan, daß sie damit unendliches Elend hervorriefen, wird die Geschichte die Centrumsparthei der Paulskirche niemals freisprechen.

Nur die Linke handelte jetzt noch mannhaft und consequent, und mußte dafür den Vorwurf hinnehmen, daß sie die Revolution befördere. Am 14. Mai rief der König von Preußen die preußischen Deputirten aus dem Parlamente ab, zugleich einen Aufruf: An mein Volk! erlassend, mit der Erklärung, daß man gegenwärtig in Berlin mit Vertretern der größeren deutschen Staaten über eine neue Bundesverfassung, unter Zugrundelegung der Frankfurter Verfassung berathe; gleichzeitig rief er das preußische Volk zu den Waffen »um Ruhe und Ordnung herzustellen in seinen und den übrigen deutschen Ländern!«

So bröckelte das erste deutsche Parlament, das so viele stolze Hoffnungen erweckt, ruhm- und hülflos aus einander, weil es den Muth nicht hatte, sich an die Spitze der Nation zu stellen; in fruchtlosen Anträgen und Gegenanträgen schwankte es dann noch eine Weile hin und her. Am 19. Mai erließ es eine von Uhland verfaßte Ansprache an das deutsche Volk, in der es unter Anderm hieß, daß sich die Nationalversammlung immer noch als die Vertretung von dessen Souveränität betrachte. Aber noch auf wie lange? Am 21. Mai verließ die Kaiserparthei die Paulskirche, sechzig an der Zahl, unter ihnen Gagern, Arndt, Dahlmann, Mathy u.s.w. Sie erklärten zuvor, alle gesetzlichen Mittel seien erschöpft, um die Verfassung durchzuführen, und zur Revolution wollten sie nicht schreiten. So[524] verließen sie das sinkende Schiff der deutschen Einheit, welches sie nur theoretisch, nicht praktisch zu bauen vermochten. Fast gleichzeitig berief Hannover seine Deputirten zurück und so waren es kaum noch 130, die übrig blieben von der stolzen Zahl, die vor einem Jahre die Räume der Paulskirche erfüllt hatte. Diesen schlug Vogt am 30. Mai, in der letzten und 230. Sitzung des Parlamentes vor, Frankfurt zu verlassen, und sich nach dem reichsfreundlichen Stuttgart zu wenden, um im Süden Deutschlands einen festen Fuß zu fassen, und dort der Freiheit ein letztes Plätzchen zu retten, von wo aus man hoffen dürfe, auch noch ferner den wiederkehrenden Absolutismus zu bekämpfen. Mit 71 gegen 64 Stimmen wurde dieser Antrag angenommen. –[525]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 490-526.
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