Neunzehnte Vorlesung

[526] Aufstände in Dresden, der Pfalz und Baden. Das Rumpfparlament in Stuttgart. Badischer Feldzug. Ende der Märzbewegung. Das Dreikönigbündniß. Das Interim. Erzherzog Johann tritt ab. Preußischer Entwurf einer Reichsverfassung. Der Reichstag zu Erfurt. Preußens Demüthigungen. Die Wiederherstellung des Bundestages


Die Aufforderung des deutschen Parlaments an das Volk, nun die Sache der Reichsverfassung in die Hand zu nehmen, und sie mit gesetzlichen Mitteln durchzuführen, sollte ihre blutigen Früchte tragen. Der Conflict war unausbleiblich, und es mochte fraglich sein, wer zuletzt als Sieger daraus hervorgehen werde, wenn die nun erfolgenden Aufstände nicht vereinzelt ausgebrochen, wenn die Bewegung eine vorher organisirte gewesen wäre. Dazu kam auf der einen Seite die Halbheit und Muthlosigkeit der gemäßigten Parthei, beeinflußt durch die Haltung der Majorität des Parlaments, auf der anderen schadeten wieder die extremen Ausschreitungen Jener, welche von Anfang an die Gründung der demokratischen Republik im Auge gehabt hatten. Nach dem verunglückten Septemberaufstand in Frankfurt war Friedrich Hecker, an Deutschlands Zukunft verzweifelnd, nach Amerika ausgewandert; seine Freunde, Struve, Karl Blind, Mögling und Andere befanden sich theils im Zellengefängniß zu Bruchsal, theils internirt in entlegenen Schweizerkantonen. Sie und ihre Anhänger benutzten nun die Bewegung, welche sich für die Reichsverfassung erhob, zu einer dritten republikanischen Schilderhebung. Wie man überdem bei diesen Vorgängen eine zu weit gehende Aufregung noch geflissentlich durch Hetzereien der Reaction und durch geheime Emissäre,[526] gesteigert haben soll, dies bleibe dahin gestellt, doch soviel ist zweifellos sicher, daß dieses Mal eine Reihe edler, aufopfernder und aufrichtiger Männer, die einzig und allein die Durchführung der Reichsverfassung im Auge hatten, an den Mairevolten Theil nahmen. – Wir haben bereits gehört, wie der Unwille, während es schon in der bayerischen Pfalz, wie in Baden kochte und gährte, zuerst in Sachsen ausbrach, wo am 3. Mai die städtischen Collegien Dresdens, also gewiß keine Revolutionäre, an den König eine Deputation entsendeten, die um Anerkennung der Reichsverfassung ersuchte. Der König antwortete ihnen, die Nationalversammlung sei nicht souverän, es müsse zuvor eine Vereinbarung zwischen den Fürsten stattfinden. Darauf hin rückte die Bürgerwehr aus, um einen Eid auf die Reichsverfassung abzulegen; zum Auseinandergehen genöthigt, rottete sich das Volk zusammen, das Militär rückte aus, und die Feindseligkeiten begannen. Es wurden Barrikaden gebaut, und zwar systematisch und regelrecht, aus Sand und Quadersteinen; der königliche Kapellmeister, ein berühmter Musiker, war einer der Thätigsten dabei, mit einem Spazierstöckchen bewaffnet, ging er auf dem Schloßplatze umher und wies die Leute an, wie sie mit dem Barrikadenbau umzugehen hätten. So sehr war die ganze Stadt auf Seiten der Opposition, daß der König nichts Eiligeres zu thun fand, als schon in der nächsten Nacht mit seinen Ministern nach dem Königstein zu entfliehen. In Folge dessen sah man sich genöthigt, eine provisorische Regierung zu bilden, so daß die wirkliche Regierung, die nicht einmal den Muth hatte, für ihre Handlungsweise persönlich einzustehen, selbst die Urheberin einer revolutionären Behörde wurde. Angesehene Männer, der Regierungsrath Todt, die Kammermitglieder Dr. Tschirner und der treffliche Heubner, übernahmen das gefährliche Amt, die Ordnung im Gange zu erhalten, wofür sie später in der grausamsten[527] Weise, mit Leben, Glück und Gesundheit büßen mußten. – Der Kampf zwischen Militär und Volk kam jetzt zum vollen Ausbruch, aber obgleich die Barrikaden mit Kanonen zusammengeschossen wurden, neigte sich dennoch der Sieg auf die Seite der Bürger. In den Häusern wohlverschanzt, unterhielten die Turner und Schützen aus den Fenstern und Dachluken ein mörderisches Gewehrfeuer über den Köpfen der Truppen, was diese furchtbar decimirte und herabstimmte. Da rückten am dritten Tage, vom Könige gerufen, Preußen heran, und nahmen, gegen jedes bestehende Völkerrecht, Theil an dem Kampfe. –

Die sächsische Bewegung hatte sich gleich zu Anfang, und gewiß mit dem vollsten Recht, unter den Schutz der Nationalversammlung gestellt, aber die Männer der bloßen Gesetzlichkeit zeigten ihr keine Sympathie, trotzdem man ihnen von der Linken aus zurief: »Ihr habt das Volk zur Empörung aufgefordert und wollt ihm nun die Waffen verweigern?« – Nun lag es klar am Tage, von welch' ungeheurer Bedeutung in diesem Augenblick ein Reichsheer, das der Versammlung und nicht den Fürsten gehorchte, gewesen wäre. Immerhin war man auch so noch mächtig genug, und es hätten sich Kämpfer in genügender Zahl gefunden, sobald man sich in der Paulskirche entschieden für Sachsen erklärte, aber die Centrumsparthei, und Gagern vornehmlich, schauderten vor dem Gedanken eines Bürgerkriegs zurück. »Wenn die Waffen gezogen werden, ich würde mich noch im letzten Augenblick dazwischen werfen!« rief er der obenerwähnten Aufforderung der Linken entgegen. Nun war der Kampf wirklich entbrannt, und der Bürgerkrieg doch gekommen, so wie so, aber man blieb ruhig am Platze, und begnügte sich einfach mit der Erklärung, daß kein Einzelstaat den Andern hindern dürfe, die Verfassung bei sich einzuführen. Als Antwort darauf, da die Berliner Regierung eine weniger[528] zarte Scheu vor ungesetzlichen Mitteln an den Tag legte, rückten die Preußen in Dresden ein. Man zog Truppen um Truppen herbei, und obgleich der schreckliche Kampf in Dresden sechs volle Tage währte, vom 3. bis zum 9. Mai, mußte der Aufstand endlich dem Uebergewicht der Militärgewalt erliegen. Die Preußen drangen zuletzt in die Häuser ein, durchbrachen die Seitenwände derselben, und konnten sich erst auf diese Weise in den Besitz der Straßen setzen; die erbitterten Truppen, denn auch sie hatten furchtbar gelitten, ließen sich jetzt zu Rache- und Gräuelscenen hinreißen, die besser nicht wiederholt werden, deren Erinnerung aber noch nach Jahren in Deutschland nachzitterte, wenn die Nummern der Regimenter genannt wurden, die damals in Dresden gehaust hatten. – Die Mitglieder der provisorischen Regierung die sich in Sicherheit gebracht, wurden steckbrieflich verfolgt, Andere gefangen genommen; unter einer Unzahl von Verhafteten befand sich auch der Russe Bakunin, der einer der Hauptanführer gewesen, und den man jetzt seinem schlimmsten Feinde, der russischen Regierung auslieferte, die ihn nach Sibirien schleppen ließ, für Dinge, die Rußland nicht im Mindesten etwas angingen. – Bald herrschte nun in Dresden, wie in Wien, die Ruhe des Kirchhofs, aber während Hunderte in die Gefängnisse gebracht wurden, Tausende in die Verbannung eilten, waren die Reichsverfassungskämpfe in Bayern und in Baden mit nicht minderer Heftigkeit ausgebrochen. Auch sie ließen anfänglich einen Sieg, wenigstens für Süddeutschland möglich erscheinen, um so mehr, als hier der größte Theil der Truppen sich auf Seiten der Aufständischen befand, also reguläres Militär, welches überdies auf die Reichsverfassung beeidigt worden war, die Freischaaren verstärkte. – Aber nicht dort allein, in allen Theilen Deutschlands regte man sich gleichzeitig mit Dresden für dieselbe; heute brach es in Breslau, morgen in Königsberg los und dann wieder ging[529] es wie ein Lauffeuer durch die rheinischen Städte, Düsseldorf, Köln, Elberfeld, wie auch durch ganz Westphalen, mit öffentlichen, stürmischen Kundgebungen für deren Aufrechthaltung. Vereine, städtische Behörden, Landwehren gaben ihren entschiedenen Willen zu erkennen, dem Beschluß des Parlaments Folge zu leisten, die Reichsverfassung durchzusetzen, und bekundeten es in jeder Weise durch Erklärungen, Deputationen und Versammlungen. Im Großherzogthum Hessen erließ der Verein für Volksbewaffnung einen Aufruf an alle waffenfähigen Männer, dieselben jetzt zu ergreifen, in Frankfurt hielten die Delegirten von 450 Märzvereinen, welche schon früher die Linke zum Zwecke der Festhaltung an den Märzerrungenschaften begründet hatte, eine Zusammenkunft, entsendeten eine Deputation an den Präsidenten des Parlaments und erließen einen feurigen Aufruf an das deutsche Volk. Selbst die constitutionellen Vereine der Rheinlande, sowie die Magistrate der rheinischen Städte versammelten sich in Köln zu gleichem Zwecke, namentlich aber beschlossen die dortigen Landwehren einer Einberufung Seitens der Regierung nicht Folge zu leisten, falls es zu einem Kriege gegen das übrige Deutschland kommen sollte. Nicht weniger erregt zeigte sich die Stimmung in Bayern und Kurhessen, wo gleichfalls die städtischen Korporationen fast überall an der Spitze der Agitation standen, während in Baden, Schwaben und der Pfalz sich die ganze Bevölkerung, wie ein Mann, für die Verfassung erhob. Am 11. Mai wurde sie durch die badische Kammer unter dem Vorsitze Mittermaier's feierlichst beschworen.

Wir ersehen aus diesem kurzgedrängten Bilde, wie es überall lichterloh brannte, wie mit etwas Muth und Entschlossenheit die deutsche Einheit schon damals hätte begründet werden können und daß es dabei nicht an dem Nachdruck des gebildeten und einflußreichen Theiles der Nation fehlte;[530] aber es fehlte die kräftige Hand die hier lenkend einzugreifen, und die vereinzelten Flammen in eine große gewaltige Gluth zusammenzufassen vermocht hätte. Das Frankfurter Parlament ließ, trotz der Verzweiflung seiner Minorität, auch diesen Moment des allgemeinsten Aufschwungs an sich vorüberfliehen, und ein jeder Tag des Zögerns brachte größeren Verlust. Mit jedem Tage mußten in Folge eines unzweckmäßigen Abwartens die radicalen Elemente mehr in die Höhe kommen, mußten Extreme hervortreten, die dann später den Unentschlossenen und Halben bis zu einem gewissen Grade Recht gaben, daß sie die gute Sache muthlos verließen; aber, warum kamen sie dem nicht zuvor, warum nahmen sie nicht die Bewegung, so lange sie noch groß und rein war, in die Hand, anstatt dieselbe an sich selbst schmählich zu Grunde gehen zu lassen?

Unterdessen schlug der preußische Soldat nicht in Dresden allein, sondern auch bei sich zu Hause, überall ohne Scheu und Bedenken zu, wo sich ein schicklicher Anlaß dafür bot, während sein süddeutscher Kamerad mit dem Bürger gemeinsame Sache machte. Einen Hauptschauplatz dafür bot die Festung Rastadt; dort verbrüderten sich zuerst die Truppen mit der Bürgerwehr, schwörend, die Verfassung schützen und durchführen zu wollen mit Hab und Gut. Diejenigen Offiziere welche sich ihnen widersetzten, mußten flüchten, und am 13. Mai wählten Truppen und Bürgerwehr vereint, den sogenannten badischen Landesausschuß zur Wahrung der Ordnung und Sicherstellung der Reichsverfassung, der aus 26 Mitgliedern bestand, unter denen sich auch Militärpersonen befanden. Eine aus diesem Landesausschuß hervorgehende Vollzugsbehörde bestand aus Brentano dem bekannten Kammermitglied, Peter Goegg und Eichhold. Struve und Karl Blind, die noch vom September her im Gefängniß zu Bruchsal saßen, wurden jetzt[531] daraus befreit, und über den Ocean hinüber lief die Kunde des Geschehenden, Hecker wieder in das Vaterland zurückzurufen.

Um den Rastadter Kern schaarten sich nun fast alle badischen Truppen, und da am 11. Mai wie schon erwähnt, die zweite Kammer die Reichsverfassung beschworen hatte, konnte man glauben, nun dafür in Baden einen festen Anhaltsund Mittelpunkt gewonnen zu haben, und billigerweise mögen wir uns an dieser Stelle fragen, warum hatte nicht einer der süddeutschen Fürsten den Muth, jetzt sich und sein Land an die Spitze der nationalen Bewegung zu stellen? Wenn man die ganze Lage zusammenfaßt, wenn man sich erinnert, wie damals die Stimmung war, so darf man mit Zuversicht die Vermuthung aussprechen, daß ein solcher Fürst in jenen Tagen auf den Schultern der ganzen Nation zum Kaiserthrone getragen worden wäre. Aber Deutschland sollte noch länger den Fluch seiner Zerrissenheit dulden – am 14. Mai brach ein Tumult in Karlsruhe aus, bei dem die Garnison betheiligt war, und dort, wie in Dresden wendete der Landesfürst sich augenblicklich zur Flucht und begab sich nach Frankfurt. So fiel dem kaum erst geschaffenen Landesausschuß von selbst die Function zu, das Land zu verwalten; das Entweichen des Fürsten nöthigte auch hier zu republikanischen Formen. Brentano, der den Großherzog vergeblich beschworen hatte, nicht zu gehen, weil er nichts zu fürchten habe, trat nun, wenn auch ungern, an die Spitze der Regierung, während die wenigen dem Fürsten noch treu gebliebenen Truppen von ihrem General nach Ladenburg am Neckar abgeführt wurden.

In der Pfalz waren die Dinge ähnlich verlaufen; am 17. Mai wurde in Kaiserslautern beschlossen, eine provisorische Regierung für die Reinpfalz einzusetzen, deren Mitglieder aus Abgeordneten des Parlaments und der[532] Kammer bestanden, unter ihnen befanden sich der bekannte National-Oekonom Kolb aus Speyer und der Dr. Hepp. Man beschloß nun gegenseitig zwischen Baden und Pfalz ein Schutz- und Trutzbündniß abzuschließen und von dieser süddeutschen Ecke aus der Reichsverfassung weiteren Boden zu gewinnen; doch trat von nun an, durch die Verhältnisse begünstigt, die radicale Parthei mehr in den Vordergrund und mit ihr der Gedanke, die Republik an die Stelle der Monarchie zu setzen, und durch diese, da denn doch die Fürsten es verschmähten, die Einheit zu begründen. – Von allen Seiten strömten Freischaaren herzu, unter denen sich namentlich das Hanauer Turnercorps hervorthat, welches nicht blos aus Turnern bestand, sondern unter dessen Fahne sich eine Elite trefflicher, junger Männer aus verschiedenen Orten zusammenfand, die eine Truppe bildeten welche sich von jedem Excesse fern hielt, und dabei, wo es galt, mit kühnster Todesverachtung kämpfte.

Heimlich entwichen die Studenten von den Universitäten, die jungen Handwerker aus der Werkstatt, um Freicorps zu bilden; der Dichter und Professor Gottfried Kinkel kam vom Rhein herauf mit einer begeisterten Schaar, die sich ihm angeschlossen, und so sehen wir von allen Seiten eine Menge edler Elemente, voll Aufopferung und Todesmuth, sich zum Entscheidungskampfe für die Zukunft des Vaterlands herbeidrängen. Leider hängte sich auch, wie es in Revolutionszeiten unvermeidlich immer geschieht, eine Menge schlechten Gesindels daran, die den besseren Elementen das Spiel verdarb.

Von Baden verpflanzte sich die Bewegung rasch nach Hessen, der halbe Odenwald war im Aufruhr, und eine Volksversammlung die in Oberlaudenbach sollte abhalten werden, gab Veranlassung, daß man von Darmstadt aus Militär herbeizog. Bei dieser Gelegenheit fiel wieder eine jener Handlungen vor, welche alle Erschrocknen[533] und Furchtsamen unaufhaltsam in das entgegengesetzte Lager trieben. Der hessische Kreisrath Prinz, welcher im Namen der Regierung die Versammlung auflösen wollte, wurde, während er mit den Leuten sprach, meuchlings erschossen. Diese brutale That machte die furchtbarste Sensation und hatte für Alle, die nur irgend bei dieser Versammlung betheiligt waren, die traurigsten Folgen, zugleich aber auch für die ganze Sache.

Von Frankfurt hörte man nichts, als daß am 23. Mai der Reichskriegsminister v. Peucker das Oberkommando der Reichs-Armee, von dem Reichsverweser dazu aufgefordert, übernommen habe. Man faßte von Seiten der Centralgewalt den ausbrechenden Kampf nur als ein Zeichen höchster Pflichtvergessenheit und frivoler Umsturzgelüste auf, und Oestreich verfolgte seinerseits den Plan, ein Bundesheer nach Baden, unter dem Oberbefehl des Prinzen Emil von Hessen, ausrücken zu lassen. Währenddem waren die Hessen bereits nach der Bergstraße und dem Odenwald vorgerückt, hatten dort den Belagerungszustand erklärt und nur in ganz geringer Entfernung von einander standen sich noch die Vorposten der Freischaaren und der Hessen am Neckar gegenüber, so daß schon am 29. Mai die offenen Feindseligkeiten ausbrachen. Die Reichstruppen, aus Mecklenburgern und Preußen bestehend, erstürmten an diesem Tage Worms, welches sich verbarrikadirt hatte und durch den Kaufmann Blenker, den Obersten der Bürgerwehr, vertheidigt wurde.

Am folgenden Tage, dem 30. Mai fand das Gefecht bei Hemsbach zwischen den Hessen und Freischaaren statt. Die ersteren wichen vor Jenen zurück und es ist kein Zweifel, daß, wenn ein geschickterer und entschlossenerer Anführer, als der schon früher bei dem Heckerputsch betheiligte Lieutenant Sigel es war, den Oberbefehl geführt hätte, die Sache zu Anfang eine vielleicht entscheidende, jedenfalls aber günstigere[534] Wendung für die Aufgestandenen hätte nehmen können. Hätte Sigel nach dem Hemsbacher Gefecht, welches ihm die Eisenbahn in die Hand gab einen raschen Vorstoß und Angriff auf Frankfurt gemacht, so wäre es ihm, da die ganze Gegend bis Frankfurt von Truppen entblößt war, – in Darmstadt verrichtete an jenem Abend nur eine Handvoll Bürgerwehr den Schildwachen-Dienst – ein Leichtes gewesen, diese Stadt und Frankfurt zu überrumpeln. Jedenfalls aber durfte man, einmal den Kampf angefangen, nicht in Baden stehen bleiben, sondern mußte so schnell als möglich vorgehen, Hessen, Franken, Würtemberg insurgiren, und versuchen, sich in den Besitz Frankfurt's zu setzen, was bei der Stimmung der Bevölkerung, wie der süddeutschen Truppen die Alle nicht sicher waren, nicht kriegsgewohnt und wenig erbaut, als sie sich überzeugten, daß die Freischärler, wie man schlechtweg die Gegner nannte, ziemlich gut disciplinirt waren und ihre Waffen wohl zu gebrauchen wußten, nicht schwer war. Eine entschlossene That, ein günstiger Erfolg, würde die Physiognomie der Lage gewaltig verändert haben, namentlich wenn man bedenkt, bis zu welchem Grade der Muth und die Ueberzeugung der Menge stets von einem Erfolge abhängig ist. – Zu solch' raschem Vorangehen riethen auch namentlich die Parlamentscommissäre v. Trütschler und Erbe, welche man seitens der Nationalversammlung an die provisorische Regierung nach Baden abgeschickt hatte. Doch nichts dergleichen geschah; die Badenser glaubten erst einen tüchtigen General haben zu müssen ehe sie handelten, und beriefen den Polen Mieroslawsky zum Oberbefehl. Da man den Neckar nicht überschritt, so setzten sich an dessen Ufern hartnäckige aber nutzlose Kämpfe bei Käferthal, Ladenburg, und Großsachsen fort, während deren die Gegner Zeit gewannen, mit ihrer Macht heranzukommen.[535]

Am 15. Juni rückte Peucker, der sein Hauptquartier in Zwingenberg an der Bergstraße gehabt hatte, mit seinen Reichstruppen in Baden ein, aber ein Gefecht, das am selben Tage bei Ladenburg statt hatte, drängte ihn zur Seite, zwang ein Corps von 1200 Meklenburgern jenes Städtchen eiligst zu verlassen und warf die hessischen und preußischen Truppen, die Theil an dem Kampfe genommen hatten, zurück. Todte und Verwundete wurden in ziemlicher Zahl nach Darmstadt und Frankfurt gebracht, und ängstlicher Schrecken bemächtigte sich vieler Gemüther; die Centralgewalt stand bereits auf dem Sprunge zur Flucht, doch war jetzt ein Durchdringen der Revolutionskämpfer nicht mehr möglich, denn in Eilmärschen rückte ein preußisches Heer, unter dem Commando des Prinzen v. Preußen, heran. Ein bayerisches Armeecorps unter Fürst Taxis besetzte fast gleichzeitig die Pfalz, aber die Pfälzer schlugen sich schlecht, und es fanden dort nur wenige, ruhmlose Gefechte statt.

Während der hier erzählten Vorgänge war das sogenannte »Rumpfparlament« nach Stuttgart übergesiedelt, nachdem vorher nochmals 27 Abgeordnete, dem linken Centrum angehörend, ausgetreten waren. Am 6. Juni fand die erste Sitzung desselben statt, bei der noch 103 Mitglieder erschienen. Eine Deputation der würtembergischen zweiten Kammer, geführt von dem Präsidenten Murschel, geleitete sie in feierlichem Zuge vom Rathhaus nach dem Ständehaus, während die Stuttgarter Bürgerwehr für sie Spalier bildete. Löwe von Calbe eröffnete die Versammlung mit den Worten: »In dem feierlichen Moment, wo wir eine neue Aera dieser Versamlung beginnen, in deren Schooß, trotz ihrer kleinen Zahl, doch das Schicksal des größten Volkes der Erde niedergelegt ist, sage ich dem edlen Volksstamm Würtembergs Dank für seine Gastfreundschaft« u.s.w. Hierauf wurde, auch der Märzminister Römer[536] hatte seinen Sitz im Rumpfparlament eingenommen und seine Stimme abgegeben, Löwe von Calbe zum Präsidenten erwählt. Dann erklärte der erste Beschluß der Versammlung das Vorangehen Preußens, Sachsens und Hannover's, die unterdessen ein Wahlgesetz für einen neuen Reichstag octroyirt hatten, für Hochverrath und ferner beschloß sie, eine, aus fünf Personen bestehende, Reichsregentschaft zu ernennen, weil die seitherige Centralgewalt sich weigere, die Reichsverfassung durchzuführen, und dies folglich die Pflicht des Parlamentes sei. Bei der nun folgenden Abstimmung wurden: Raveaux aus Köln, Karl Vogt, Schüler aus Zweibrücken, Simon aus Breslau und Becher aus Würtemberg zu Reichsregenten erwählt. Unter den 6 Stimmen, welche die Reichsregentschaft verneinten, befanden sich die von Uhland und Römer; dieser Beschluß war zu weitgehend und compromittirend für die würtembergische Regierung.

Raveaux nahm im Namen der Uebrigen die Wahl an, mit der Betheurung: »Unser ganzes Bestreben soll dahin gehen, daß endlich einmal das Versprechen zur Wahrheit, daß ein einiges, freies und großes Deutsch land geschaffen werde!« Hierauf erließ die Regentschaft an das deutsche Volk und an die Reichstruppen eine Proklamation, worin sie nochmals feierlich gelobte, mit Gut und Blut für die Reichsverfassung einstehen zu wollen, die Soldaten aufforderte, mit den Bürgern vereint dafür zu wirken und die in den Worten gipfelte: »Noch ist es Zeit, durch unsere eigne Kraft des Vaterlandes Größe, Einheit und Freiheit zu retten, ihm Achtung zu schaffen nach Außen und Frieden nach Innen!«

Am 8. Juni erklärte Römer seinen Austritt aus der Versammlung und das würtembergische Gesammtministerium gab durch eine Proklamation an das würtembergische Volk den Entschluß zu erkennen, daß die Regierung zwar auf gesetzlichem[537] Wege Alles thun wolle, die Reichsverfassung durchzuführen, sich selbst aber in keinerlei Streit mit den übrigen deutschen Staaten verwickeln möge. Damit war das bisherige Auftreten des Rumpfparlamens in Würtemberg desavouirt, und nun beeilten sich auch die Centralgewalt sowie die Einzelministerien der anderen deutschen Staaten, durch Gegenproklamationen zu antworten, in denen vor Umsturz, Verblendung u.s.w. gewarnt wurde.

So blieb Alles zuletzt auf die Spitze des Degens gestellt und es verstand sich von selbst, daß derjenige Recht behielt, welcher die größte Gewalt auf seiner Seite hatte. Wie diese sich nun gleich einer Gewitterwolke von allen Richtungen her zusammenzog, haben wir bereits gehört.

Die Rheinpfalz, wo Zitz aus Mainz ein Corps Aufständischer befehligte, wurde zuerst zurückerobert, Landau, dessen Festung sich gegen die aufständischen Soldaten hielt, von den Preußen entsetzt, die Hanauer Turner aus Hirschhorn vertrieben, um sich dann noch einmal, am 21. Juni bei Waghäusel, vereint mit den Badensern unter Mieroslawsky, zu stellen, und wie die Löwen fechtend das Letzte zu wagen. Es war diesen jungen Leuten keine Phrase, als sie geschworen, Alles für Alles einzusetzen und mancher guten Mutter Sohn lag todt oder verwundet auf der Wahlstatt, als die Preußen dieselbe zuletzt behaupteten, nachdem sie ein erstes Mal waren zurückgeschlagen worden. Wie diese jungen Männer, so verblutete in denselben Tagen die letzte Kraft jener Versammlung, die mit so großen, glänzenden Hoffnungen begonnen hatte. Eine Note des jetzt an der Spitze des Reichsministeriums stehenden Fürsten Wittgenstein, des früheren darmstädtischen Generals, bedrängte das würtembergische Ministerium derart mit Drohungen, daß Römer sich entschloß, die Versammlung, welche jetzt mehr und mehr zu revolutionären Maßregeln überging, aufzulösen und ihr,[538] wenn auch scheinbar ein gewaltsames, doch ein nicht ganz unwürdiges Ende zu bereiten, obgleich dasselbe unter dem frischen Eindruck des Verfahrens damals im höchsten Grade verletzte.

Am 14. Juni erklärte das würtembergische Ministerium der Reichsregentschaft: »Es ist ein Gebot der Selbsterhaltung, wenn wir die Regentschaft ernstlich auffordern, ihren Sitz ohne Verzug aus Würtemberg hinweg in ein anderes Land zu verlegen.«

Man antwortete darauf nicht sogleich, sondern faßte am 16. Juni den Beschluß, – es war der letzte der Versammlung – die Entsetzung des Erzherzogs Johann, als Antwort auf dessen Drohnote an Würtemberg, auszusprechen.

Am 18. Juni, nachdem in der würtembergischen Kammer der Abgeordnete Schoder, der auch Parlamentsmitglied war, den Ministern gesagt, daß sie sich, wegen Ausweisung der Versammlung aus Würtemberg, des Hochverraths schuldig gemacht, ließ Römer durch Kavallerie und Infanterie die Straßen zu dem Fritz'schen Reithaus, in welchem das Rumpfparlament seine Sitzungen abhielt, absperren und die Sitze im Saale wegräumen.

Als um drei Uhr die Abgeordneten erschienen, wußten sie natürlich schon zuvor, was geschehen war; sie kamen gemeinschaftlich in einem Zuge von dem Hotel Marquard aus, voran der Präsident Löwe, an seiner Seite der alte Schott und unser Dichter Uhland. Ein Civilkommissär trat ihnen entgegen und erklärte ihnen im Namen des Königs, daß keine Sitzung stattfinden werde; als Löwe sprechen wollte, übertönte ihn ein Trommelwirbel, die Kavallerie setzte sich in Bewegung und so wich man denn der Gewalt, wobei Uhland noch aus Unvorsichtigkeit eine leichte Verletzung erhielt. Das war das Ende des deutschen Parlaments!

Einer Einladung, nach Karlsruhe zu kommen, konnte nicht Folge geleistet werden, weil gleich darnach die Preußen dort einrückten und so fand sich nur noch eine kleine Anzahl[539] von Abgeordneten in Baden-Baden zusammen. Es war geworden, wie Uhland in seiner Proclamation vorausgesagt: »Der gewaltige Strom der deutschen Volkserhebung war kläglich im Sande verronnen!« – Auch das blutige Nachspiel in Baden vollzog sich nun rasch; Peucker setzte endlich mit seiner Reichsarmee über den Neckar, und am 23. Juni zogen die Preußen in Heidelberg ein, worauf es in Mannheim zu einer Contrerevolution kam, wobei die reactionären Bürger der Stadt, gegen alles und jedes Recht, den Reichscommissär v. Trützschler, der ahnungslos ob solchen Verrathes, zu lange dort gezaudert hatte, gefangen nahmen. Als danach die Preußen einrückten, wurde Trützschler, der nur Civilcommissär gewesen und dabei unverletzlich als Abgeordneter der sächsischen Kammer war, in ungesetzlichster Weise vor ein Kriegsgericht gestellt, und trotz der Bitten und Thränen seiner jungen, schönen Gattin, die herbeigeeilt war, ihn zu retten, trotzdem er niemals die Waffen getragen hatte, standrechtlich erschossen.5 Schnell mußte es Deutschland jetzt inne werden, welchem Geiste es aufs Neue verfallen war. Am 25. Juni besetzte der Prinz von Preußen Karlsruhe und quartierte sich im Schlosse ein, nachdem man die provisorische Regierung verjagt hatte. Noch einmal stellte sich das Revolutionsheer an der Murg, um zwei Tage lang – man kämpfte an dem Ersteren 12 volle Stunden – auf der Linie von Gernsbach bis Kuppenheim tapfern Widerstand zu leisten, bis es auch hier zuletzt der Uebermacht wohl disciplinirter Truppen weichen mußte. Bei Muggensturm, in der Nähe von Rastadt, wo das Gefecht am heißesten getobt, wurde Gottfried Kinkel, die Waffen in der Hand, mit einer blauen Blouse bekleidet, gefangen genommen und auf einen Leiterwagen gebunden[540] nach Karlsruhe gebracht. Tags zuvor, am 27. Juni, hatte sich die badische provisorische Regierung nach Freiburg begeben, sowie auch die constituirende Versammlung, die von ihr war berufen worden. Dort faßte man auf Struve's Antrag den unsinnigen Beschluß, auch jetzt noch den Kampf mit allen Mitteln fortzusetzen und jede Unterhandlung mit dem Feinde als einen Verrath am Vaterlande zu betrachten. Dem widersetzte sich Brentano, der sich ohnehin immer dafür erklärt hatte, den Großherzog zurückzurufen, damit dieser die Reichsverfassung, für die er ja schon früher alle möglichen Concessionen gemacht hatte, durchführe, und damit entschied sich auch in Baden der Bruch zwischen der Parthei der Reichsverfassung, und jener der extremen Republikaner. Brentano, welcher stets den Standpunkt festgehalten, daß er die Dictatur nur in Abwesenheit des Fürsten übernommen, legte dieselbe jetzt nieder, und entfloh nach der Schweiz, während das Trauerspiel in Baden zu Ende eilte. Dieweil sich noch im badischen Oberlande die Kämpfe in kleinen, zerstreuten Gefechten fortsetzten, trat nach und nach die ganze Revolutionsarmee über die Schweizer Gränze, wo sie die Waffen niederlegte. Hunderte wurden zuvor schon gefangen, und Vielen gelang es, auf Umwegen wieder nach Hause zu entkommen. Nur die Festung Rastadt bot noch längeren Widerstand dar, so daß am 1. Juli deren regelmäßige Belagerung unter General v. d. Gröben mit 20,000 Mann begann. Im Innern commandirte der Lieutenant Willich, der schon bei dem Heckerputsch betheiligt gewesen, und ein früherer Kavallerieofficier, Tiedemann, ein Sohn des berühmten Heidelberger Anatomen, auch zwei Söhne Mittermaiers befanden sich unter den Vertheidigern der Festung. Am 23. Juni ergab sich dieselbe und zwar, weil keine besseren Bedingungen zu erlangen waren, auf »Gnade und Ungnade«. Die Trauernachrichten von Außen lähmten den Muth der Besatzung,[541] die Soldaten wollten nicht mehr kämpfen, legten ihre Waffen auf dem Glacis der Festung nieder und wurden von da als Gefangene in die Kasematten abgeführt, in jene Kasematten, die eine so traurige Berühmtheit erlangen sollten, und wo eine Menge jüngerer, gebildeter Männer aus den besten Familien jämmerlich an Leib und Seele zu Grunde gerichtet wurden, wenn nicht dem Einen oder dem Andern die oft merkwürdigsten Fluchtversuche gelangen. Unter diesen Glücklichen befand sich der heutige amerikanische Senator und zeitweise Gesandte an verschiedenen europäischen Höfen, Karl Schurz, der in fast wunderbarer Weise jenen Kasematten entfloh und dann, unter der steten Gefahr entdeckt zu werden, aus der gewonnenen Freiheit nach Deutschland zurückkehrte, um seinen Freund und Lehrer Kinkel befreien zu helfen.

In Freiburg, Mannheim und Rastatt begannen jetzt die Kriegsgerichte ihre furchtbare Thätigkeit und richteten dabei ihr besonderes Augenmerk auf preußische Unterthanen. Eines der ersten Opfer, welches dem Standrecht verfiel, war der unglückliche Dortü aus Potsdam, noch ein halbes Kind, den man am frühen Morgen hinter Freiburg erschoß. Von da an erzählten es noch oft vereinzelt aufsteigende Rauchwolken, daß jetzt wieder ein zu Pulver und Blei Verurtheilter vor den mörderischen Geschossen gestanden. Aber Alle, die sich bewußt waren, daß sie für eine Idee gestritten, starben mit ruhigem, unerschütterlichem Muthe, die Gebildeten nicht allein, ebenso die Soldaten und Unterofficiere. Auf den Wällen von Rastadt fiel, als einer der Ersten, Tiedemann, auch der Major Biedenfeld, Elsenhans, der während der Belagerung ein Blatt redigirt hatte, Böning, Höfer und Andere, von Millionen Herzen tief betrauert. Auch über Kinkels Haupt schwebte das düstre Verhängniß; seine Frau, die berühmte Johanna Kinkel, die Schriftstellerin und Komponistin, bahnte sich den Weg durch die feindlichen[542] Truppen nach dem Hauptquartier; sie flehte um das Leben ihres Gatten, und fast jeden Morgen, eine Woche lang, brachte die Zeitung die Kunde: Kinkel ist erschossen! denn das Kriegsgericht hatte ihn bereits verurtheilt, bis endlich nach einer qualvollen Zeit von Berlin aus seine Begnadigung erfolgte: »zu lebenslänglichem Zuchthaus!« Eine gnädige Strafe, die er in Naugard bei Stettin bald in der härtesten Weise zu verbüßen begann. Nun füllten sich wieder die Gefängnisse und Zuchthäuser; auch in Sachsen wurden die Häupter der Mairevolution: Röckel, Heubner und Todt zu dieser entehrenden Strafe verdammt. Mit edlen, zum Theil bedeutenden Kräften, die jetzt wieder der Nation entzogen waren, füllte sich das Zellengefängniß zu Bruchsal und erprobte es seine geistestödtende Macht an einer Menge von jungen Feuerköpfen; Tausende aßen aufs Neue das bittere Brod der Verbannung und an frischen Grabhügeln weinten Wittwen und Waisen, trostlose Väter, Mütter und Schwestern. Aber sie litten nicht allein, denn mit ihnen klagte in bitterm Schmerz fast die ganze Nation, vornehmlich die Jugend, sowohl weiblichen als männlichen Geschlechts. – Wir betrachten heute diesé Vorgänge in einem mildern Lichte, wir haben die Einsicht gewonnen, daß auf der aufständischen Seite gleichfalls große Fehler gemacht wurden, aber damals war das Herz Aller, die ein höheres Gefühl für Freiheit und für Recht beseelte, unfehlbar auf Seite der Geschlagenen und der mit solch einsichtsloser Härte und Grausamkeit Bestraften. Doch tief im innersten Grund der Seele mußte man jetzt wieder sein beleidigtes Gefühl verbergen. – Das schroffe Auftreten der Regierungen war um so thörichter, als man doch am Ende nicht das halbe Süddeutschland unter Schloß und Riegel bringen konnte, es war um so ungerechter, als in diesem Falle von Oben her ein Zwiespalt in die Geister war geworfen worden, der ihr Handeln vielfach rechtfertigte,[543] und, wie man sich nur schwer einen Begriff machen kann von dem unermeßlichen Jubel, der die Märztage von 1848 begleitete, so stellt man sich heute wohl noch schwerer die tiefe Trostlosigkeit und Trauer vor, die sich jetzt aller charaktervollen Gemüther und Geister bemächtigte. Daneben offenbarte sich unter der Menge, namentlich unter den Gebildeten, eine Gesinnungslosigkeit, eine Verfolgungssucht gegen Diejenigen, die ihren Ansichten und Ueberzeugungen treu geblieben waren und sich nicht gleich Jenen, wie Windfahnen nur dem Erfolge zugewendet hatten, welche fast zur Menschenverachtung aufforderten. Die früher am lautesten geschrieen für Freiheit und Einheit, wurden jetzt die Angeber Jener, die nach wie vor treu dazu heilten, und Schmach und Spott häufte man noch oft auf jene Männer, die jetzt wieder, mitunter schon bejahrt, fern von Haus, Hof und Familie sich in fremdem Lande eine neue Heimath gründen mußten, die in der That, nicht bloß mit dem Munde, Hab und Gut und ein behagliches Dasein ihrer Ueberzeugung geopfert.

Unter den jungen Leuten aber, wie Viele gab es da, von denen es bald, wie im alten Volksliede heißen konnte: sie sind gestorben, verdorben! – Die Hauptführer der Bewegung wurden, weil man sie dort Deutschland für zu nahe hielt, entweder ganz aus der Schweiz verwiesen oder in weit entlegenen Kantonen internirt, wo sie nur schwer einen Lebensunterhalt fanden, so daß das Hauptgros der Flüchtlinge sich nach England wendete. Dort sahen sie sich bald, nach Niederwerfung der ungarischen Revolution, verstärkt, durch flüchtige Polen, wie durch Kossuth und seine Freunde, und noch mehr wuchs ihre Zahl heran, nach der Niederlage Sardiniens und den Siegen der Reaction in Italien. Diese italienischen Republiken, welche das Jahr 1848 unter Mazzini's Anleitung erzeugt, lösten sich rasch wieder auf, die Herzöge von Toscana, Modena, Parma u.s.w. kehrten in[544] ihre Staaten zurück; es fiel endlich das von Manin so lange und so tapfer vertheidigte Venedig, und um ihn und Mazzini gruppirten sich jetzt in London die italienischen Flüchtlinge. Garibaldi, der wackere Vertheidiger Roms, welches am 9. Februar 1849 gleichfalls die Republik proklamirt und die weltliche Herrschaft des Papstes abgeschafft hatte, ging, nachdem er Monate lang wahre Heldenthaten gegen die Franzosen, die dem Papste zu Hülfe zogen, verübt hatte, nach dem endlichen Falle der Stadt nach Südamerika, wo er wieder, wie früher, Schiffskapitän wurde. Zu den unzufriedenen Elementen in London gesellten sich dann noch die Russen, unter der Leitung des bekannten Alexander Herzen, der in London ein demokratisches Blatt in russischer Sprache herausgab, und Jahre lang unterhielt diese revolutionäre Liga die Verbindung mit ihren verschiedenen Vaterländern, und hoffte sie auf eine neue Schilderhebung. Hecker kehrte auf die Kunde der badischen Revolution nach Europa zurück, um sich an derselben zu betheiligen; am 15. Juli traf er in Straßburg ein, gerade recht, um zu erfahren, daß schon wie der Alles zu Ende sei; so schiffte er er sich am 30. August in Havre ein zweites Mal ein, um drüben über dem Ocean als einfacher Farmer zu leben. Ihm folgten Tausende über das Meer, sich auf dem freien Boden Amerika's eine neue Heimath zu gründen, und diese trugen nicht am Wenigsten dazu bei, den deutschen Namen und Einfluß dort zu Ehre und zur Geltung zu bringen, weil sie vornehmlich den gebildeten Ständen angehörten. Heute noch bezeichnet man in den Vereinigten Staaten jene Orte, wo sich die größte Bildung unter den Deutschen vorfindet und sie am einflußreichsten sind, als die Stätten der Achtundvierziger. Ehe Hecker Europa verließ, schrieb er noch einem Freunde die folgenden Worte: »Mit wahrer Sehnsucht schaue ich hinüber nach dem fernen Westen und meiner[545] Waldeinsamkeit, ekelerfüllt und bitter enttäuscht, seitdem ich die Erde des alterschwachgewordenen Europa unter meinen Füßen fühle.« Nachdem er die Führer des badischen Aufstandes scharf getadelt, fährt er fort: »Ehe nicht dieses Geschlecht vergangen ist, wird ein vernünftiger, haltbarer Staat nicht erstehen und kein genialer, kräftiger, edler Mann das Steuer führen, weil, sobald ein solcher auftaucht, gleich eine ganze Meute jede seiner Thaten wie seinen redlichen Willen verdächtigt und so Mißtrauen säet, wo Vertrauen der Energie Dauer und Stärkung verleihen soll!«

In der That – ein neues Geschlecht sollte erst heranwachsen, ehe der deutschen Nation ihr Recht wurde, und bezeichnete ich früher die Märztage als eine erste Zelle, die den Keim späterer Fortbildung in sich trug, so darf ich bei dem Bilde stehen bleiben und hinzufügen, aus der Zelle war nach diesen Stürmen ein Samenkorn geworden, das tiefversteckt die Verheißung einer neuen Entwicklung in sich trug. – Das was geschehen war, das was man erlebt hatte, konnte keine menschliche Macht mehr ungeschehen und vergessen machen. Es hatte eine Gesammtvertretung der Nation miteinander getagt, die sich bis dahin völlig fremden Theile hatten gemeinschaftlich, gemeinsame Interessen berathen, sie hatten die Forderungen des Jahrhunderts an den modernen deutschen Staat in den Grundrechten und der Reichsverfassung niedergelegt – diese geistige That blieb bestehen; unter den Trümmern des luftigen Baues, den der März wie ein Zauberschloß über Nacht erbaut, schlief jenes Samenkorn und reifte es einer besseren Zukunft entgegen. –

Vergegenwärtigen wir uns nun noch einmal die unendlich schwierige Lage Deutschlands, wo zwei ungeheure Dinge zu gleicher Zeit erkämpft werden sollten. Was andere Nationen, was England und Frankreich schon seit Jahrhunderten errungen hatten, die Besiegung des mittelalterlichen Vasallenthums,[546] die Einheit des Staates, dies hatten wir verspätet nachzuholen, im gleichzeitigen Kampfe gegen den Absolutismus, der gerade durch diese Combination seine Hauptstärke empfing. – Es gab für den einsichtigen Politiker, nach den gemachten Erfahrungen, jetzt nur noch zwei gerade Wege, um zum einheitlichen Ziele zu gelangen – entweder die Republik, welche die Throne, die sich glänzend aus dem Schiffbruch errettet hatten, schonungslos vor sich niederwarf, oder die Revolution von Oben her, wo der Stärkste sich entschloß, die zu Fürsten gewordenen Grafen und Barone des Mittelalters wieder auf eine Art von Vasallenthum zurückzuführen. Der erste Weg mißlang, der zweite wurde im Jahre 1866 mit Erfolg betreten, und mit jener Rücksichtslosigkeit durchgeführt, ohne die keine Umwälzung gelingt, und ein wunderbarer Zufall war es doch, daß dem alten Hecker, der sich mit den späteren Ereignissen in Deutschland im großen Ganzen ausgesöhnt hatte, und 1873 wieder zum erstenmal nach Europa schiffte, kurz vor der Einfahrt in Bremerhaven jene Schiffe begegneten, welche die Mitglieder des deutschen Reichstages nach dem neu geschaffnen Wilhelmshaven trugen, und daß ihm ein deutsches Reichsbanner, geschmückt mit dem Bilde eines neuen deutschen Kaisers, entgegenwehte. Dieser deutsche Kaiser aber sollte kein Anderer sein, als jener Prinz in Preußen, der die Revolution in Baden ohne Schonung niedergeworfen, der ihn und Tausende seiner Freunde in die Verbannung gejagt hatte. – So mächtig eben ist der Gang und das Walten der Ideen, wenn sie erst einmal im Bewußtsein der Lebenden aufgegangen sind, daß sie selbst den Einzelnen mit sich fortreißen auf Höhen und zu Thaten, die vorher ihm und seinen Zeitgenossen als ganz unmöglich erschienen sein mochten; darum Wehe aber auch Jedem, der sich ihrem Walten mit blindem Eigensinn entgegenstemmt. –

Es bleibt uns noch eine trübe Nachlese zu halten übrig,[547] in Betrachtung der Bemühungen, welche jetzt die Constitutionellen, die Nichtrevolutionäre aufboten, um aus dem Schiffbruche noch zu retten. was zu retten war. Am 26. Juni war die sogenannte Kaiserparthei in Gotha zusammengetreten, um ihren Bankerott noch einmal öffentlich zu documentiren, indem sie die Erklärung abgab, daß es unmöglich gewesen sei, die Reichsverfassung durchzuführen, und daß man daher am Besten thue, sich dem am 26. Mai in Berlin abgeschlossenen Vertrage zwischen Preußen, Sachsen und Hannover, dem sogenannten Dreikönigsbündniß, anzuschließen und den von Jenen vereinbarten Verfassungsentwurf anzunehmen. – Man hatte sich bei dessen Abfassung in Berlin der Reichsverfassung als Grundlage bedient und deren leitende Idee darin aufgenommen, die dahin ging, sich zu einem Bundesstaate mit gemeinschaftlichem Parlament und einheitlicher Centralgewalt zu vereinen, und diesen Bundesstaat dann wieder durch ein völkerrechtliches Band mit der östreichischen Gesammtmonarchie zu verknüpfen. Das deutsche Reich sollte ein Glied des Ganzen sein, Oestreich das andere, und beide zusammen dem Auslande gegenüber eine einzige Person bilden, so wie dies nach der alten Bundesakte auch der Fall gewesen. Im Innern sollte wieder jeder einzelne Staat, was ihm beliebte, thun dürfen; dies war ein Hauptpunkt, der besonders betont wurde. Statt des Kaisers dachte man sich an der Spitze einen Reichsvorstand, dessen Würde – ob erblich oder nicht, war nicht ausgesprochen –, an Preußen übertragen werden sollte; neben diesem Reichsvorstand war ein Fürsten-Collegium von 6 Gliedern in Aussicht genommen, gebildet aus den 5 Königen, die Jeder ein Glied für sich vorstellen sollten, während das sechste Glied aus den beiden Hessen, mit Zugabe einiger kleineren Staaten, bestehen mochte; die übrigen Klein-Staaten wollte man dann noch den verschiedenen Königen zugetheilt sehen. Es[548] war eine gar künstliche Maschinerie, die man sich da ausgedüftelt hatte, und obendrein völlig nutzlos, indem Oestreich allsogleich seine Zustimmung zu diesem Entwurf versagte, und an welcher die übrigen Betheiligten vor allem Anderen die preußische Spitze – aus Rücksicht auf Oestreich, wie man sagte – beanstandeten. Bayern protestirte, wie immer, laut und deutlich, was allsogleich den Erfolg hatte, daß Sachsen und Hannover, Preußens Verbündete, erklärten, sie würden sich nicht für gebunden erachten, wenn Bayern nicht beitrete. Würtemberg gab erst lange keine Antwort, und weigerte sich am Ende auch des Beitritts. – Dagegen erklärten die Fürsten von Baden, der beiden Hessen, Nassaus, Weimars, Braunschweigs, Mecklenburgs u.s.w. ihre Zustimmung, ohne große Gefahr dabei zu laufen, denn »die großen Fische durchbrachen das Netz«, wie sich der Minister v. Manteuffel später sehr richtig ausdrückte. Immerhin, hätte Preußen doch wenigstens jetzt frisch zugegriffen, so hatte es noch eine große Chance des Erfolges; es bildete zusammen mit den Kleinstaaten schon eine ansehnliche Macht, und Oestreich, durch die Ungarn bedrängt, wie auch vollauf in Italien beschäftigt, konnte in jenem Augenblick nichts dagegen thun. Aber man hielt es am Berliner Hofe für »unedel«, Oestreichs gegenwärtige Verlegenheit zu benutzen, und sollte es dann schon bald genug erfahren, welchen Dank man für seinen Edelmuth von dem Wiener Hofe zu erwarten hatte.

Trotz seiner Ohnmacht hielt Oestreich fest an seiner Suprematie über Deutschland, und es war ganz vergebens, daß Preußen sich gegenwärtig eifrig bemühte, den Erzherzog Johann zur Niederlegung seines Amtes zu bewegen. Er rührte und regte sich nicht von seinem bequemen Sitze in Frankfurt, und sobald, nach der Capitulation von Villagos, Oestreich wieder etwas freier aufathmen konnte, fanden seine redlichen Bemühungen, gegen die preußische Spitze Oppofition[549] zu machen, den besten Erfolg bei den Königen. – Preußen aber hätte um so mehr den günstigen Augenblick für sich benutzen müssen, als es auch jetzt immer noch eine gewisse Stütze bei einem Theile des Volkes fand, in so weit dieses den Bearbeitungen der sogenannten »Gothaer«, der Centrumsparthei, zugänglich war. Nachdem diese den preußischen Verfassungsentwurf gutgeheißen, suchten sie nun durch Vereine und die Presse thätig dafür zu wirken, stets noch auf Erreichung ihres Zieles hoffend, obgleich auch in ihren Reihen Zwiespalt ausgebrochen war; Gervinus und Häusser verließen die Parthei und sagten sich von ihr los, weil sie erstens an der Frankfurter Verfassung festhielten, und zweitens, gewiß nicht mit Unrecht, das Haupthinderniß einer Vereinigung in der Person des Königs Friedrich Wilhelm sahen. Die meisten Uebrigen bewährten ihren Ruf der Halt- und Entschlußlosen in so hohem Grade, daß die Bezeichnung Gothaer von da an als Typus für solche stets nachgiebige, farblose Politiker bestehen blieb. Sie waren jetzt, weil es nicht anders anging, auch mit einem kleineren Deutschland zufrieden, und zollten Preußen Beifall, als es einen Verwaltungsrath für die bundesstaatlichen Interessen jener Bruchtheile in's Leben rief, die sich ihm bis dahin angeschlossen hatten. Man hoffte, daß diese Union, wie man die Fehlgeburt des Dreikönigbundes nannte, einen Kernpunkt bilden werde für die noch übrigen deutschen Staaten, die, ihre Isolirung nicht ertragen könnend, doch noch herankommen müßten. Der neue Verwaltungsrath und ein ihm beigegebenes Bundesgericht nahmen einstweilen ihren Sitz in Erfurt ein, aber mit der Einberufung des Reichstages, welcher die neue Verfassung berathen sollte, zögerte und zögerte man, denn die reactionäre Parthei in Berlin sah dazu ganz eben so scheel, wie Preußens auswärtige Feinde. Endlich überwand man sich doch, nach einem von Preußen[550] erlassenen Wahlgesetze die Wahlen für das reichstägliche Volkshaus auszuschreiben und dieses neue Parlament auf den 31. Januar 1850 nach Erfurt einzuberufen. Das war der rechte Moment für Oestreich, um ernstlich gegen jede Einigung, war sie auch noch so legitimer Art, zu protestiren, und es gelang seinen Staatsmännern, Preußen derart zu demüthigen, daß dieses am 30. September 1849 das berüchtigte »Interim« unterzeichnete, dem zu Folge die bestehende Centralgewalt, bis zum Mai 1850 interimistisch auf Preußen und Oestreich übergehen sollte, wofür von beiden Seiten Commissäre ernannt wurden, worauf Preußen seinen Radowitz und Fr. Bötticher, Oestreich den gewandten General Schönhals und den Baron Kübeck nach Frankfurt schickte. In die Hände dieser Herren legte nun Erzherzog Johann, am 20. December 1849, sein Amt eines deutschen Reichsverwesers nieder und kehrte er nach Oestreich zurück, stiller, als er gekommen.

Mit diesem Interim hatte Oestreich jetzt was es wollte, »Zeit« gewonnen und nachdem es dasselbe – von einem Aehnlichen sagte einst Luther: der Teufel steckt hinter ihm – zu Stande gebracht, gab es die Erklärung ab, daß, wenn auch der Bundestag nicht mehr bestehe, doch die Bundesverfassung noch existire und auf diesen Streich folgte dann unmitelbar eine drohende Protestation gegen den Erfurter Reichstag, der sich mit der Bundesverfassung nicht vertrage. –

Trotzdem hielt die Union noch an ihren Beschlüssen fest, worauf als zweite Maßregel gegen dieselbe nun Bayern, Würtemberg und Sachsen ihrerseits in München ein Bündniß gegen Preußen abschlossen, was jenen Staat bewog seine Gesandten von deren Höfen abzurufen. Während diesen Wirren und Zänkereien gingen doch die Wahlen zum Erfurter Reichstage vor sich und Preußen gab jetzt auch den[551] redlichen Willen zu erkennen, auf dem constitutionellem Wege zu verharren; am 6. Februar 1850 beschwuren Friedrich Wilhelm und die beiden Kammern die am 5. December 1848 octroyirte und seitdem noch einmal revidirte Verfassung, und so wenig liberal dieselbe auch war, – es bekamen zum Beispiel die Kammern nur ein Veto gegen das Auflegen neuer Steuern, kein Bestimmungsrecht darüber – ersah man doch daraus, daß Preußen ein verfassungsmäßiger Staat bleiben wollte, was er denn auch wirklich geblieben ist.

Dies gab den »Gothaern« neue Hoffnungen für den bevorstehenden Reichstag, der endlich am 20. März 1850 in Erfurt eröffnet wurde, und in welchem die Kaiserparthei sich in ihren hervorragendsten Mitgliedern: Waitz, Gagern, Dahlmann, Beseler u.s.w. vertreten zeigte. Dieses Parlament der Union wurde durch eine Rede von Radowitz eröffnet, die glänzende Aussichten verhieß, aber bei näherer Untersuchung doch wenig Greifbares enthielt. Der Schwerpunkt derselben lag in der Versicherung daß Preußen das Streben nach der Einheit Deutschlands vollkommen anerkenne und darum nach besten Kräften fördern wolle. »Einmal erweckt,« sagte er, »ist der Geist nicht mehr zu bannen; er kann zeitweise schlummern, zumal wenn er sich eben im wilden Rausche kundgegeben, aber er wird immer wieder erwachen. Die nationale Bewegung kann rückläufig werden, aber, wenn Sie mir das mathematische Gleichniß erlauben, die rückläufige Bewegung ist nur scheinbar, sie gehört einer geschlossenen Curve an, sie muß wieder rechtläufig werden, sie muß ihre Bahn wieder hinlenken, von der Sonnennähe zur Sonnenferne, so gewiß es ein höheres Gesetz im Leben der Nationen gibt.« Bis zu welchem Grade rückläufig aber, trotz dieses wissenschaftlichen Vergleiches, die wirkliche Bewegung jetzt bald werden sollte, dies wußte selbst Radowitz nicht, dessen König seine Rede mit geringer Befriedigung angehört hatte. –[552]

Schon am 6. April schrieb der Baron Stockmar, der gleichfalls eine Wahl nach Erfurt erhalten hatte, und die Dinge um sich her mit ungetrübtem, durch das langjährige Leben in England politisch geschärftem Blick betrachtete: »Der allgemeine Eindruck ist, daß nichts geschehen werde, daß man bald wieder auseinander gehen müsse. Man glaubt, daß sämmtliche verbündete Regierungen, Preußen nicht ausgenommen, dahin trachten, aus dem Maibündniß heraus zu kommen. Man spricht von einem geheimen Einverständniß Preußens mit Oestreich im Sinne des Eingehens auf die Münchner Vorschläge.« –

In der That geschah das Unglaubliche; nachdem innerhalb des Reichstages mit unendlicher Mühe eine Majorität für die Gesammt-Annahme des Verfassungsentwurfes war zusammen gebracht worden, erklärte Radowitz dem Parlamente, er widerrathe diese Gesammtannahme dringend, denn eine solche würde vielleicht ein Zustandekommen des Bundesstaates ernstlich gefährden. Er bitte daher die Versammlung, sie möge Modificationen der Verfassung vorschlagen. In solcher Weise wurde das Parlament genasführt, und zwar nur aus dem Grunde, weil der Erfurter Verfassungsentwurf freisinnigere Bestimmungen enthielt, als die preußische Constitution, die man folglich dem entsprechend hätte umändern müssen. Stockmar rieth entschieden, sich auf nichts einzulassen und für die einfache Annahme en bloc zu stimmen, aber Gagern und Simson hielten es abermals für nothwendig, sich den Umständen zu fügen, und die Majorität war gefällig genug, immer wieder den Weg der Vermittelung einzuschlagen. Sie entschied sich für Annahme der Verfassung en bloc, aber mit dem gleichzeitigen Anerbieten, den Unionsfürsten gewisse Abänderungen an derselben zu überlassen. – So zerstörte Preußen wieder sein eigenes Werk, mit Hülfe zu gefälliger Freunde, die sich nun vollends um jeden Kredit gebracht hatten;[553] schon am 29. April wurde der Erfurter Reichstag wieder geschlossen, um nie mehr aufgethan zu werden. Friedrich Wilhelm, der es nie begriffen, daß »dem Muthigen die Welt gehört«, sah sich von Tag zu Tag mehr isolirt; noch einen letzten Einheits-Versuch zu machen lud er die Unionsfürsten zu einer persönlichen Conferenz nach Berlin ein, die aber gleichfalls resultatlos verlief und bald die völlige Auflösung der Union zur Folge hatte; Nassau und Hessen-Darmstadt waren schon gar nicht gekommen. Preußens König sah sich schwer bestraft, daß er die Hand hinweg gestoßen, die ihm die Nation dargeboten, daß er ihre Krone verschmäht hatte – nun sah er ein, wie weit er mit seinen Standesgenossen, mit den Fürsten kam, obgleich er sich vermessen, in kürzester Frist mit ihnen eine Einheit zu Stande zu bringen. –

Da war Oestreich besser bei der Hand, um mit einer consequenteren Politik jede Einigung zu verhindern. Als Gegenzug für Erfurt berief es eine Plenar-Versammlung des Bundes nach Frankfurt, zum Zwecke einer Revision der Bundesverfassung, die so oft versucht und noch niemals gelungen war. Eiligst kamen die Gesandten der Könige, der beiden Hessen und noch einiger anderen kleinen Staaten heran, und nun beschloß Oestreich im Verein mit Bayern – Preußen, trotz seines Protestes vom 16. Mai 1850 gegen eine Wiedererneuerung des alten Bundes, heran zu zwingen. Eine treffliche Handhabe dafür bildeten die Angelegenheiten in Hessen-Kassel, wie auch die noch lange nicht ausgetragenen Schleswig-Holsteinischen Händel. Wollte Preußen diese ordnen helfen, so durfte es, wie Oestreich schlau berechnete, einer Wiederherstellung des Bundestages nicht länger widerstehen. –

Wir aber müssen uns jetzt einen Augenblick mit den unglücklichen Herzogthümern beschäftigen, wo der Krieg neu ausgebrochen war, nachdem der König von Dänemark im Frühjahr 1849 den Malmöer Waffenstillstand gekündigt, und[554] die Dänen am 3. April, von der Insel Alsen aus, die Feindseligkeiten zuerst wieder eröffnet hatten. Schnell erfochten die deutschen Waffen damals neue Siege über die Dänen, den erfreulichsten bei Eckernförde, am 5. April, wo unter Befehl des Herzogs Ernst von Gotha die deutschen Strandbatterien das Kriegsschiff Christian VIII. in Brand schossen, und die Fregatte Gefion erobert wurde. Ein anderer glänzender Sieg war der des preußischen General Bonin, der am 23. April die Dänen bei Kolding schlug und in Folge dessen abermals bis Jütland vordrang, dasselbe aber nicht zu besetzen wagte, aus Rücksicht auf England und Rußland. Sehr erwünscht kam der Diplomatie darnach eine Niederlage Bonin's, welcher die Dänen in der Festung Friedericia belagerte. Diesen gelang es, zu Wasser bedeutende Verstärkungen an sich zu ziehen, und sie waren dadurch in den Stand gesetzt in der Nacht vom 5 – 6. Juli einen Ausfall zu wagen, mit einer so bedeutenden Uebermacht, daß sie den Schleswig-Holsteinern empfindliche Verluste beibrachten. Die Folge dieser Niederlage war ein neuer Waffenstillstand Preußens mit Dänemark, dessen Bedingungen Schleswig von Holstein trennte und das Erstere mit schwedischen Truppen belegen ließ, während die Reichstruppen abziehen mußten. Die Verwaltung des Landes wurde einer englisch-deutschpreußischen Commission übergeben.

Die schleswig-holsteinische Landesversammlung erkannte diesen Waffenstillstand nicht an, er wurde aber dennoch ausgeführt, denn Dänemark, heimlich durch Rußland unterstützt, wies die versöhnlichsten Friedensvorschläge von sich zurück, und abermals sah sich das unglückliche Schleswig der dänischen Rache preisgegeben, welche der dänische Commissär von Tillich nach Herzenslust ausübte. In wenigen Monaten ließ er allein 150 Beamte, darunter 35 Geistliche, die deutsch-patriotisch gesinnt waren, einfach wegjagen. Da beschlossen die[555] Schleswig-Holsteiner, auf's Aeußerste getrieben, den Krieg auf eigene Hand fortzusetzen, worauf Preußen im April 1850 den General Bonin und alle preußischen Officiere von dort zurück berief. Nun wendeten sich die Herzogthümer an den preußischen General Willisen, einen Militär von großem Talent und Verdienst, und forderten ihn auf, sie fortan zu führen. Er leistete ihrem Rufe Folge und organisirte ihre kleine Macht, während Preußen am 26. Juli einen Frieden mit Dänemark schloß, dahin lautend, daß jede Macht wieder in die Rechte zurücktrete, die sie vor dem Kriege besessen. Das Herzogthum Schleswig überließ man Dänemark unter verschiedenen, unbedeutenden Bedingungen; bezüglich Holsteins sollte es dem Könige erlaubt sein, als deutscher Bundesfürst die Intervention des deutschen Bundes anzurufen. – So wich Preußen Schritt für Schritt zurück, nachdem sein König einst feierlichst erklärt hatte, er wolle jederzeit das Schwert ziehen, wo es sich um Deutschlands Ehre handle.

Die kleine schleswig-holsteinische Armee, 30,000 Mann stark, mit nur 72 Geschützen versehen, begann auf's Neue ihren Widerstand, während Deutschland mit einem letzten Hoffnungsblick nach dem Norden schaute, der so mannhaft sich bewährte. Durch eine blutige Schlacht bei Idstedt, am 24. und 25. Juli 1850 wurde der Kampf auf's Neue eröffnet, wo leider Willisen und seine Tapferen geschlagen wurden. Doch gaben sie sich auch jetzt noch nicht überwunden; auf's Neue sich sammelnd, wurden sie fortwährend durch frischen Zuzug aus Deutschland verstärkt, unter dem sich gar Mancher befand, der seinen Unmuth und Schmerz über die erlittenen Täuschungen dort auszutilgen hoffte. Auch Heinrich von Gagern mischte sich in die Reihen dieser Kämpfer, und trat als Major in die schleswig-holsteinische Armee ein, zu spät für eine gute Sache zu kämpfen. Am 4. October 1850 erlitt sie eine neue und letzte Niederlage – nun war[556] es auch mit Schleswig-Holsteins äußerstem Widerstand vorüber, und wir werden sogleich hören, welches Schicksal unterdessen die Kabinette dem tapferen Völkchen vorbereitet hatten. –

Hätte Preußen nun schon hier wiederholt einen glänzenden Anlaß gehabt, sich durch einen ehrenvollen Krieg in den Augen Deutschlands wieder herzustellen, so war ihm ein solcher kaum weniger durch die kurhessischen Verhältnisse geboten. In Kassel spielte der despotische und launenhafte Kurfürst ein doppeltes Spiel; ohne sich noch offen von der Union mit Preußen losgesagt zu haben, unterhandelte er bereits mit Oestreich, obgleich er wußte, daß seine Stände, sein Volk und seine Truppen den Anschluß an Preußen verlangten. Oestreich wußte die tyrannische Natur dieses Mannes schlau zu benutzen; es veranlaßte den Fürsten, seinen Märzminister Eberhard zu entlassen, und an dessen Stelle von Berlin aus den bekannten und verhaßten Hassenpflug zu berufen, der denn auch gerne die Mission übernahm, die Reaction von Kurhessen zu vollziehen und das Land in das östreichische Lager überzuführen. Mit seltner Einmüthigkeit standen jedoch in Kurhessen Kammern, Bürger und Truppen in diesem Conflicte mit der Willkürherrschaft des neuen Ministers zu einander; im September 1850 steigerte sich derselbe bis zur Verweigerung der Steuern, welche Hassenpflug unverfassungsmäßiger Weise ausgeschrieben hatte. – Alle Maßregeln die das mißliebige Ministerium nun ergriff, das Volk seinem Willen zu beugen, blieben erfolglos, weil kein Beamter dessen Befehlen Folge leistete und fast das ganze Offiziercorps seinen Abschied einreichte. Durch diesen passiven Widerstand auf's äußerste aufgebracht, verließen der Kurfürst und sein Werkzeug jetzt heimlich Kassel und flüchteten sie sich nach Frankfurt, wo sie den Schutz und die Intervention des Bundestages gegen das Land anriefen, eine Intervention, die[557] gerade auch der König von Dänemark, auf den Friedensschluß mit Preußen gestützt, gegen Holstein verlangte.

Der ständische Ausschuß, der sich in Kassel gebildet, wendete sich dagegen seinerseits an Preußen, um das Recht und den Schutz des Landes von dem Haupte der noch bestehenden Union, von der der Kurfürst sich noch nicht öffentlich losgesagt, zu fordern. Was konnte nun Oestreich und den mit ihm verbündeten Staaten willkommener sein, als diese beiden Anlässe, um sich als Herrn und Meister der Situation zu bewähren? Wollte Preußen nicht mit ihnen gehen, nun wohl, so hofften sie schon ohne dasselbe die Kurhessen und Holsteiner Raison zu lehren, und der Welt zu beweisen, wer in Deutschland die Ordnung wiederherstellte.

Auch des Beistandes der Mittelstaaten wußte es sich jetzt hinlänglich zu versichern. Preußen zum Hohne hielten am 12. October 1850 der Kaiser von Oestreich, der König von Bayern und der von Würtemberg eine Zusammenkunft in Bregenz am Bodensee, die mit großem militärischem Gepränge in Scene gesetzt war, und mit noch größerer Herzlichkeit von Seiten der Fürsten vor sich ging.

Bei dem Festmahle toastete der König von Würtemberg auf die östreichische Armee, und seine Rede gipfelte in den Worten: »ein alter Soldat macht nicht viel Worte, aber er folgt dem Rufe seines Kaisers, wohin es auch sei!« worauf ihm Kaiser Franz Joseph im Namen der Armee dankte, die stolz sein werde mit so tapferen Kameraden vor den Feind zu gehen! –

Unter diesem Feinde konnte Niemand als Preußen verstanden sein, und so herausgefordert, schien es nun auch endlich eine kriegerische Haltung annehmen zu wollen. Radowitz, zum Minister des Auswärtigen ernannt, erklärte sich entschieden für einen Krieg mit Oestreich, auch die noch unionstreuen Fürsten hofften jetzt auf eine thatsächliche Durchführung[558] ihrer Vereinbarung, und es konnte aus dieser Schneeflocke immer noch die Lawine werden, welche Preußen auf neue Bahnen fortriß – umsonst, der König war voll Angst und Furcht, sich ohne auswärtige Alliirte zu sehen, und gleichzeitig beeinflußt von einer Parthei, an deren Spitze der Minister Manteuffel stand, die um jeden Preis die alten Zustände wieder herbeizuführen suchte. Man kam endlich in Berlin auf den schlimmsten aller Auswege, den, Rußland als Schiedsrichter in dieser Angelegenheit anzurufen, Rußland, welches sich von Anbeginn, in der feindseligsten Weise gegen die deutsche Revolution und das Bestreben nach Einigung bezeigt hatte. Wie Kaiser Nicolaus über diese Fragen und auch über seinen königlichen Schwager dachte, dies sprach er offen genug aus. Er nannte den König von Preußen unverhohlen einen Phantasten und rühmte dagegen den Kaiser von Oestreich, der trotz seiner Jugend und Unerfahrenheit, Talent zum Regieren gezeigt, wenn es ihm auch schwer fallen werde, seine verschiedenartigen Länder zu germanisiren, dies sei eben so wenig ausführbar, als die Lieblingsidee des Königs von Preußen, die deutsche Einheit zu begründen, dies Alles führe nur zu unangenehmen Verwicklungen zwischen Preußen und Oestreich, und darum mache ihn der Zustand Deutschlands sehr besorgt, und zwinge ihn, stets gerüstet dazustehen, um demjenigen der seinen Beistand brauche und verlange zu Hülfe eilen zu können, dabei sei er genöthigt, seine Gränzen fast hermetisch abzuschließen, die deutschen Socialisten und Revolutionäre fern zu halten. –

Was konnte also Kaiser Nicolaus willkommener sein, als sich jetzt entschieden in die deutschen Angelegenheiten einmischen zu dürfen; er begab sich nach Warschau, wo Ende October unter seinem Vorsitze die Minister Oestreichs und Preußens über die deutsche Frage verhandelten. Preußen zeigte sich zu jedem Ausgleich bereit, und ließ ohne Bedenken[559] die Bedingung einer Volksvertretung neben einem zukünftigen Bunde ganz fallen – vergeblich, man ging auf keinen der preußischen Vorschläge ein, weil Fürst Schwarzenberg schon zuvor den Grundsatz ausgesprochen hatte: Man muß Preußen herabwürdigen und es alsdann zerstücken! Das Erstere geschah denn auch in vollem Maße; Rußland stellte sich ganz auf Oestreichs Seite und Graf Brandenburg sah sich von Kaiser Nicolaus so schnöde behandelt, daß er diese Kränkungen nicht verwinden konnte, krank nach Berlin zurückkehrte und dort am 6. November starb. –

Noch einmal drängte jetzt Radowitz den König zur Festigkeit; er wollte, daß Preußen auf seinen Forderungen bestehen bleibe, sich rüste und mit Waffengewalt drohe, wenn Oestreich nicht einlenke. Ihm zur Seite stand der Prinz von Preußen, auch er wollte entschieden den Krieg; einstweilen wurden die Etappenstraßen, welche durch Kurhessen führten, unter dem Befehl des General v. d. Gröben durch preußische Truppen besetzt, und ein preußisches Korps rückte zum eventuellen Schutze der Stände, in Kassel ein. Aber der König stimmte denjenigen Ministern bei, welche den Frieden um jeden Preis wollten, worauf Radowitz am 2. Nov. seine Entlassung einreichte und dieselbe auch erhielt. – Sein Portefeuille als Minister des Auswärtigen übernahm der Freiherr von Manteuffel, der, allerdings mit voller Hintansetzung der preußischen Ehre, die Versöhnung und Verbrüderung mit Oestreich durchzuführen versprach. Man hat heute für Friedrich Wilhelm's Benehmen nur die eine Entschuldigung, daß er ein kranker Mann gewesen, sonst ist seine vollständige Entschluß- und Haltungslosigkeit geradezu unerklärbar.

Manteuffel gab jetzt Preußens Willfährigkeit, den Bundestagsbeschlüssen nichts in den Wegs legen zu wollen,[560] in Wien zu erkennen, verlangte aber, man möge nun auch östreichischerseits die Rüstungen einstellen. Da man jedoch ruhig damit fortfuhr, kam in Berlin die Kriegsparthei wieder für einen Augenblick obenauf, und der Prinz von Preußen setzte es durch, daß am 6. November die Mobilmachung befohlen wurde, welcher das preußische Volk mit Freude und theilweise sogar mit Begeisterung entgegenkam.

Am 11. November war inzwischen, wie in Bregenz beschlossen wurde, ein aus Bayern und Oestreichern zusammengesetztes Armeecorps in Kurhessen einmarschirt, besetzte Hanau und marschirte gegen Kassel, um dort zu Gunsten des Kurfürsten zu interveniren; ein Zusammenstoß war unvermeidlich, wenn man jetzt in Berlin standhaft für den Krieg blieb, aber man scheute sich vor einem Blutvergießen zwischen legitimen Mächten, und am 8. November erhielt Gröben den Befehl, jeden Zusammenstoß zu vermeiden und sich zurückzuziehen, was er denn auch sofort that. Nur seine Nachhut kam noch mit der feindlichen Vorhut, bei dem Dorfe Bronnzell, in feindliche Berührung. Zwischen Beiden wurden einige Schüsse gewechselt, denen aber nur der vorwitzige und berühmte »Schimmel von Bronnzell« zum Opfer fiel, der von diesem Tage an von allen Feinden Preußen's zu dessen Hohn und Schaden durch die folgende Zeit hindurch geritten wurde, bis er sich 1870 vollends schlafen legte. –

Niemand hinderte jetzt noch den trotzigen Kurfürsten und seinen Hassenpflug daran, nach Kassel zurückzukehren und das ganze Land ihre Rache und ihren Zorn fühlen zu lassen; unter dem Schutze der östreichisch-bayerischen Bajonette wurde die freisinnige Verfassung von 1831 wieder beseitigt, und massenhaft die Beamten und Offiziere entweder abgesetzt oder vor Gericht gestellt. Wer irgend konnte, gab seine Regierungsstellen auf, und endlose Züge von Auswanderern verließen das kurhessische Land. Von dem tiefen Hasse, der[561] Jedermann gegen Hassenpflug erfüllte, gab der Jubel Kunde, der sich überall in Deutschland erhob, als einige Zeit darnach der eigene Schwiegersohn des Kurfürsten, Graf Isenburg, den Minister in Kassel selbst, auf offner Straße, durchpeitschte. –

Kehren wir aber nun nach Berlin zurück, wo wir sahen, wie man fortfuhr, ohnmächtige Pläne zu schmieden und sich immer tiefer zu demüthigen. Am 15. November kündigte Preußen selbst, seinem Oestreich gegebenen Versprechen gemäß, den Unionsfürsten die Auflösung derselben an und dann vollzog sich in Olmütz, wo sich Manteuffel mit Schwarzenberg persönlich zu besprechen wünschte, der Schluß der deutschen Tragödie. Die Versöhnung mit Preußen durch ein entsprechendes Endresultat zu krönen, gewährte die östreichische Regierung jene erbetene Zusammenkunft, und am 27. November begannen in Olmütz die Verhandlungen zwischen den Ministern von Preußen, Oestreich und Rußland, bei denen der Erstere die letzte Hefe der Demüthigung auskosten sollte. Auf keine von Manteuffel's Bedingungen, welcher Art sie auch waren, zeigte man sich gewillt einzugehen und am Ende fügte er sich demüthig in Alles, was die Andern wollten: in die Anerkennung der Regelung der kurhessischen und holsteinischen Angelegenheiten durch den wiederhergestellten Bund, in die Anerkennung der bayrisch-östreichischen Intervention in Kurhessen, in die Räumung Baden's und Hamburg's von seinen Truppen und in die gemeinschaftliche Androhung der Execution in Schleswig-Holstein, wenn die Statthalterschaft die Feindseligkeiten gegen Dänemark nicht einstelle. Das Einzige, was man dem preußischen Minister noch zugestand, damit Preußen's Rückzugslinie sich etwas ausdehne, waren »freie Conferenzen«, die in Dresden stattfinden sollten, und auch am 23. December eröffnet wurden. Sie währten bis zum Frühling 1851, und während dieser[562] Monate nahm man die alte Sisyphusarbeit wieder auf, die unglückliche Bundes-Acte umzumodeln, dabei nur solche Vorschläge, von Seiten Oestreich's beachtend, die ihm selber Vortheil brachten. Beiläufig war auch wohlmeinend die Rede von einer Volksvertretung bei dem Bunde, aber die Bedenken dagegen fand man natürlicherweise vor diesem Areopag von Fürsten überwiegend. Nur der König von Würtemberg war ehrlich genug einen energischen Brief an Fürst Schwarzenberg zu richten, worin er unbedingt ein Nationalparlament forderte, weil er überzeugt sei, daß ohne ein solches keine lebenskräftige Bundesregierung zu Stande kommen könne. Sein Brief wurde einfach zu den Acten gelegt, und so mußte ja endlich die Ueberzeugung durchdringen, die Oestreich genügend befürwortete, daß man doch nichts Neues zu Stande bringen werde. Man entschloß sich darum am 12. Mai 1851, kurzer Hand zu der alten bequemen Bundestagsverfassung wieder zurückzukehren.

Preußen hatte sich nun um jeglichen Kredit in Deutschland gebracht, wer mochte diesem Staate noch trauen? selbst im eignen Lande war es nur die Kreuzzeitungsparthei, die sich befriedigt fühlen konnte und deren Organ jetzt frohlockend verkündete, »die Buße und Umkehr« des Staates von seinen Neuerungen sei vollbracht.

Im Verein mit Oestreich verrichtete Preußen jetzt noch seine Schergendienste an Schleswig-Holstein; im Januar 1851 verlangten beide Mächte die Beendigung des Kampfes und ein östreichisches Corps besetzte Holstein, in der Ausdehnung von Hambung bis Rendsburg. Die mit Execution bedrohte provisorische Regierung der Herzogthümer löste sich auf, ein Gleiches geschah mit der Armee, und die Diplomatie schickte sich nun an, das Schicksal dieser deutschen Länder zu besiegeln.[563]

Schon 1850 hatten England, Frankreich, Rußland und Schweden in London erklärt, die Integrität Dänemarks müsse aufrecht erhalten werden; das bekannte Londoner Protokoll vom 8. Mai 1852, das nun auch Preußen und Oestreich mit unterzeichneten, änderte sodann die dänische Thronfolge und beseitigte die Ansprüche des Herzogs von Augustenburg auf den Besitz Schleswig-Holsteins dadurch, daß es die dänische Monarchie für untheilbar erklärte, und den Prinzen Christian von Glücksburg, den Gemahl der Prinzessin Luise, zum künftigen König ernannte. Es war ein Act schreiendster Ungerechtigkeit, der auf die Dauer auch gar nicht bestehen konnte. Im Interesse der unglücklichen Herzogthümer geschah wenigstens so viel, daß sie durch die deutschen Großmächte die Erhaltung ihrer Landstände, eine Amnestie für Schleswig und Gleichstellung beider Sprachen in Schule und Kirche stipulirt erhielten.

Kaum aber waren die Preußen und Oestreicher wieder abgezogen, als die Dänen schonungslos über die hülflosen Bewohner herfielen, zu neuer Bedrückung und Verfolgung. Die Offiziere und Soldaten der schleswig-holsteinischen Armee begaben sich zu Hunderten nach Brasilien, durch falsche Vorspiegelungen verlockt, wo die Meisten im Elend starben und verdarben. Dänemark hatte keine Opfer zu bringen, als die Aufhebung des Sundzolles, einer alten Anmaßung, gegen die sich alle seefahrenden Nationen schon längst empört hatten. Die Anfänge der deutschen Flotte aber, für die in Deutschland der Aermste sein Scherflein gegeben, für welche die deutschen Frauen gearbeitet und gewirkt hatten, diese wurden öffentlich versteigert. Dem oldenburgischen Staatsrath, Hannibal Fischer, wurde die traurige Berühmtheit zu Theil, sich diesem odiosen Geschäfte unterzogen und die Flotte unter den Hammer gebracht zu haben.

Für die unglücklichen Herzogthümer konnte das deutsche[564] Volk jetzt nichts mehr thun, als wieder mit ihm weinen und seine Sympathien durch Geldspenden zu bethätigen, welche einigermaßen das Elend der zahlreichen, abgesetzten Beamten und Geistlichen linderten. –

Das alte Staatsschiff Oestreich, das man schon halb zertrümmert gesehen, ging unterdessen, wieder neu geflickt und aufgeputzt, unter Segel, welche der Hauch Metternich'scher Politik bald wieder lustig blähte; seine Steuerleute waren die Jesuiten, sein Anker das Konkordat mit Rom. Diese Schöpfung des jetzt ganz reactionären Minister's Bach erlaubte den Bischöfen, nun wieder ungescheut in die weltlichen Dinge einzugreifen, und gab dem Klerus neben der Lehrfreiheit auch die Erlaubniß, Klöster und Seminare einzurichten. Unter östreichischem Einflusse wurden jetzt bald ähnliche Konkordate mit allen süddeutschen Staaten abgeschlossen und begünstigte man dergestalt von Wien aus nach Kräften den Ultramontanismus, so geschah Aehnliches in Berlin für den Pietismus, die sich denn auch jetzt, wie immer, vollkommen mit einander vertrugen. Man glaubte zuversichtlich, durch diese sogenannte Wiederbelebung des religiösen Lebens neuen Revolutionen eine feste Schranke entgegenzusetzen und wenig fehlte jetzt noch in Deutschland daran, daß Napoleons des Ersten Wort, welches er auf St. Helena ausgesprochen: »In 50 Jahren ist Mittel-Europa republikanisch oder kosakisch«, – sich an ihm erfüllte. Vom tiefsten Schmerze über des Vaterlandes Geschick ergriffen, schrieb Baron Stockmar im Winter 1851 einem Freunde: »Wie ich jung war, beherrschte Napoleon den Continent. Jetzt sieht es aus, als ob der russische Kaiser an dessen Stelle getreten sei, und als ob er, für einige Jahre wenigstens, in anderer Absicht und mit andern Mitteln, dem Festlande das Gesetz dictiren werde.« –[565]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 526-566.
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