Vierte Vorlesung

[64] Die deutsche Bundesacte. Der Bundestag. Liberale Bestrebungen. Janke. Schmalz und Kamptz. Die Burschenschaften und Turnvereine


Ich darf mir die Mühe, Ihnen die Langeweile ersparen, hier noch einmal die verschiedenen Staaten und Stäätchen aufzuzählen, wie sie zusammen nach dem zweiten Pariser Frieden unser heutiges Vaterland bildeten. Im großen Ganzen blieb es bei den Eintheilungen, wie Napoleon und die Revolution sie gewaltsam herbeigeführt hatten. Die volle Kleinstaaterei und lächerliche Zersplitterung des alten römischen Reiches kehrte nicht wieder zurück und wir können mit Befriedigung wahrnehmen, wie die centrifugale Kraft, welche in und nach dem Mittelalter Deutschland in eine ungeheure Masse kleinerer und größerer Theile zersplittert hatte, so daß in Folge dessen mehr als einmal die ganze Existenz des Reiches in Frage gestellt war, nunmehr dem centripedalen System gewichen war und eine zusammenziehende Kraft sich wirksam zeigte. So waren im Verlaufe der Zeit die Hunderte von Herrschaften endlich bis auf 38 reducirt worden; von den vielen alten Reichsstädten waren nur noch vier übrig geblieben und man mochte wohl im verschwiegenen Herzen der Hoffnung Raum geben, daß dieser natürliche Proceß sich fortsetzen und daß nach und nach ein ganzes, geeinigtes Deutschland aus diesen Bruchtheilen erstehen werde. – Dies aber jetzt schon auszuführen, dazu konnten sich die jetzigen Machthaber um so weniger entschließen, als man ja[64] gerade das souveräne Fürstenthum restauriren, und durchaus nicht auf dem von Napoleon begonnenen Wege des Umstürzens bestehender Verhältnisse beharren wollte. Nach dem Gesetze der Trägheit, das den Wiener Congreß beherrschte, entschloß man sich also, das gegenwärtig Bestehende mit wenigen Aenderungen und Ausnahmen in jener buntscheckigen Zusammensetzung, wie sie Napoleon ohne Rücksicht auf Namensverwandtschaft, historische oder geographische Zusammengehörigkeit beliebt hatte, fortbestehen zu lassen. Es wird hier darum am Platze sein, den selbst heute noch nicht ganz überwundenen Stützpunkt des Particularismus, auf den man sich bis zum Jahre 1870 stets von Seiten Vieler mit so großer Vorliebe berief, etwas näher zu betrachten. Man behauptete bis zum Ueberdruß, die deutsche Vielstaaterei sei das Ergebniß von Stammesverschiedenheiten und man dürfe das, was eine uralte Tradition zusammengefügt, nicht willkührlich zerreißen und anders gestalten wollen. In der Wirklichkeit aber hat es einen hessischen, einen badischen, einen nassauischen Stamm u.s.w. niemals gegeben, und man ist um so weniger dazu berechtigt, solches auszusprechen, als gerade der Friedensschluß von 1815 nicht einmal die mindeste Rücksicht auf das nahm, was wirklich Jahrhunderte lang zusammengehört hatte, wie dies z.B. bei der Neugestaltung Oestreichs und Baierns der Fall war. – In Wahrheit können wir in Deutschland nur von drei Hauptstämmen sprechen, deren Merkmale, namentlich in Bezug auf Sprache, geistige Anlage und Volkssitte, sich heute noch geltend machen, dies ist im Süden der schwäbische oder allemannische, im Norden der sächsische und im mittleren Deutschland der fränkische Stamm, wobei noch wohl zu bemerken, wie im Süden sowohl als im Norden, der schwäbische wie der sächsische Stamm weit über die Gränzen Deutschlands hinausreichen. –[65]

Diese 38 Staaten nun, höchst mangelhaft arrondirt, jeder nach eignem Gefallen regiert, mußten die größten Schwierigkeiten darbieten, um nur Verkehrswege herzustellen, Zollbestimmungen zu treffen, Handel und Industrie nach einem großen Maßstabe zu betreiben. – Wie viel größer aber noch waren die Schwierigkeiten zwischen 38 souveränen Staaten, deren Größenverhältnisse von dem Kaiserthum Oestreich bis zu dem Fürstenthum Lichtenstein herab variirten, ein einheitlich-nationales und staatliches Band zu knüpfen; daß aber ein solches von höchster Nothwendigkeit sei, davon waren nicht allein die deutschen, sondern auch ebensosehr die auswärtigen Staatsmänner durchdrungen, und der englische Minister Lord Castlereagh hat es damals in einer Denkschrift klar und scharf hervorgehoben, wie die politischen Verhältnisse Deutschlands eine der Hauptursachen gewesen seien von dem Uebergewicht, welches Napoleon und die Revolution in Europa erlangen konnten. »Es sei darum schon im allgemeinen Interesse des Welttheils eine föderative Verbindung Deutschlands durchaus nothwendig.« –

Nun müssen wir aber leider gestehen, daß manche der auswärtigen Staatsmänner den deutschen Interessen damals mehr Theilnahme zugewendet haben, als die meisten der Unsrigen. – Schon während des ersten Feldzugs in Frankreich wurde im Hauptquartier zu Chaumont von den Mächten durch einen besonderen Vertrag festgesetzt, daß Deutschland eine Bundesverfassung haben solle, und welcher Mann wäre nun mehr dazu geeignet gewesen, eine solche abzufassen und durchzuführen, als der Freiherr von Stein. Er arbeitete denn auch wirklich den Entwurf einer solchen nach bester Ueberzeugung und Einsicht aus; dieser Entwurf wurde die Grundlage zu einem zweiten, den er darnach in Gemeinschaft mit Fürst Hardenberg und dem Grafen von Solms-Laubach in 41 Artikeln entwarf.[66] Darin war zwar schon Manches nachgegeben, aber ganz gewiß wäre auch dieser zweite Entwurf noch vollständig dazu geeignet gewesen, Deutschland zu einigen und zu beglücken, in so fern die zunächst dabei Betheiligten ihn annehmen wollten.

Leider kam der 2. Artikel dieses Entwurfes bereits zu spät; Stein legte in demselben die Souveränetät der einzelnen Fürsten, die man ihnen bei Beginn des Krieges garantirt hatte, mit vollem Rechte dahin aus: »Man muß ausdrücklich bestimmen, daß die Souveränetät in Deutschland keine ohnbegränzte, sondern eine durch Gesetze beschränkte sei!« Es war dies eine Bestimmung, die man bei dem entschieden schlechten Willen, der ihr entgegengebracht wurde, jetzt noch allenfalls durch directe Gewalt hätte ausführen können, aber nicht mehr durch papierne Verträge. Des Weiteren verlangte Stein, daß alle deutsche Staaten auf ewige Zeiten in einen deutschen Bund zusammentreten sollten, aus dem kein Theilhaber willkührlich ausscheiden dürfe; Oestreich und Preußen, und dies ist der schwächste Punkt des Entwurfs, sollten nur mit einem Theil ihres Gebietes dem Bunde beitreten dürfen, dagegen als Großmächte mit demselben ein unlösliches Bündniß schließen, mit der besondern Pflicht, dessen Verfassung und Integrität zu garantiren. – Es war dies eine sehr künstliche Complication und Sie sehen, wie die Achillesferse des Vorschlags von vornherein in dem Verhältnisse lag, welches Preußen und Oestreich unter einander sollte gegeben werden. – Unausbleiblich war es, daß sich gleich bei dem ersten Versuch die deutschen Angelegenheiten zu ordnen, diese vornehmste Schwierigkeit des ganzen Bundes herausstellen mußte. – Dagegen mußte es ein redliches deutsches Herz erfreuen, wie nun weiter in dem Entwurfe wieder einmal von dem natürlichen Rechte eines jeden Bürgers gesprochen, und die Forderung der sogenannten[67] Grundrechte des Volkes innerhalb der künftigen Verfassung, daran geknüpft war. Auf dem Besitz dieser Grundrechte hatte einst die alte deutsche »Libertät« geruht, diese Grundrechte waren der erste blutige Kampfpreis der französischen Revolution gewesen, und sie waren und sind seit Jahrhunderten das Palladium des englischen Volkes, welches allein von alter Zeit her sie sich zu bewahren gewußt. Was hier davon verlangt wurde, beschränkte sich noch obendrein auf ein sehr bescheidenes Maß. Es waren vornehmlich: Freizügigkeit, Sicherheit der Person und des Eigenthums, das Recht der Beschwerde, die Freiheit der Presse und der Lehre. – Ein weiterer Artikel betraf die Verpflichtung eines jeden zum Bunde gehörigen Staates, alsobald eine ständische Verfassung im Sinne des Constitutionalismus einzuführen, sowie es den Unterthanen war mehrmals feierlich verheißen worden. – Um dann auch den materiellen Interessen gerecht zu werden, war die Ansicht ausgesprochen, man müsse suchen, ein allgemeines Gesetzbuch, gleiches Münzwesen, Regulirung der Zölle, der Posten und der Verkehrsanstalten herzustellen. Die Aufrechthaltung des gegenseitigen Friedens sollte durch ein Bundesgericht, welches etwaige Streitigkeiten der Fürsten unter einander oder solche zwischen Fürst und Volk zu regeln hätte, garantirt, und für den Schutz nach Außen eine starke und kräftige Militärverfassung in's Leben gerufen werden. – Das Bundesgebiet sollte in sieben Kreise getheilt und über diese Kreisoberste gesetzt sein; zum Sitz der Bundesversammlung aber war Frankfurt a. M. ausersehen. Man dachte sich dieselbe aus drei Theilen bestehend: erstens, aus einem Directorium, welches Preußen und Oestreich gemeinschaftlich führen sollten, zweitens aus einem Rath der Kreisobersten, welcher die Executivgewalt, die gesandtschaftliche Vertretung nach Außen und die Militärmacht zu leiten habe, endlich drittens, aus dem [68] Rath der Fürsten, dem jedoch Stein, wie er es schon in einem früheren Entwurfe ausgesprochen, als viertes Glied eine Vertretung der Nation aus den Reihen der künftigen Landstände hervorgehend, wollte zugefügt sehen. Ohne Zweifel war eine Repräsentation des Volkes durchaus nothwendig, wenn der Bund sich gesund und lebenskräftig entwickeln sollte, aber man wollte schon jetzt im ersten Augenblick so wenig davon hören, daß bereits in diesem zweiten Entwurf Stein's Gedanke nur noch sehr schwach angedeutet blieb. – Sie sehen, wie in diesen Vorschlägen bereits im Allgemeinen alle diejenigen Forderungen enthalten waren, welche wir erst heute errungen haben und sogar theilweise noch erringen müssen. Man konnte Deutschlands gerechte Wünsche nicht besser und klarer zusammenfassen, als es hier geschehen war, aber die Versammlung in Wien zeigte sich wenig gewillt darauf einzugehen.

Ein neuer Entwurf nach dem andern wurde ihr vorgelegt, einer immer schwächer als der andre, immer weniger darauf bedacht, auch die Wünsche und Rechte der Nation zu berücksichtigen. Die Hauptschwierigkeit lag eben fort und fort in der Ordnung des Verhältnisses zwischen Oestreich und Preußen. Keiner dieser Staaten wollte die Hegemonie, die Vorherrschaft, des andern dulden – welche Form aber gab es, die beide Theile zugleich befriedigen konnte? Es blieb nur eine Auskunft, dieselbe, welche bereits zur Zeit des westphälischen Friedens war ausgesprochen worden, nämlich Oestreich aus dem deutschen Bunde ganz auszuschließen. Zu dieser einsichtigen Politik vermochte sich jedoch Niemand aufzuschwingen, und wir sehen im Gegentheil, wie in diesem Dilemma die alte Kaiseridee wieder verstärkt auftaucht, sehen, wie selbst Stein sie begierig erfaßt, und in die große politische Irrung verfällt, zu glauben, daß diese Kaiserkrone durchaus wieder von dem Hause Habsburg getragen werden müsse.[69] Es war freilich auch nicht abzusehen, wie Oestreich sie einem andern deutschen Fürsten, wie es dieselbe namentlich Preußen gönnen werde, und der eigenthümliche, später wiederkehrende Gedanke, einen Privatmann zum deutschen Kaiser zu wählen, mochte in Folge dessen damals schon in manchen patriotischen Köpfen auftauchen. Hatten doch schon während des Befreiungskrieges Officiere und Studenten es laut ausgesprochen, man solle nach beendigtem Kampfe den Freiherrn von Stein zum Kaiser ausrufen. – Lebte nun dergestalt die Kaiseridee als das richtige Einheitsband in den Gebildeten der Nation fort, so machte sie sich auch bei den Fürsten in so hohem Grade geltend, daß 19 Kleinstaaten zusammentraten, und durch die Fürstin Fürstenberg den Kaiser Franz geradezu auffordern ließen, die Kaiserwürde jetzt wieder anzunehmen. Unterstützt wurde dies Verlangen durch eine spätere Note von 29 Fürsten. Aber Kaiser Franz entschloß sich so schnelle nicht; er wollte erst noch mehr gebeten sein und dies geschah denn auch wirklich einige Monate später durch die bekannte Denkschrift von Kapodistria, die dieser auf Stein's Wunsch verfaßte und dem Kaiser Alexander übergab. Darin heißt es denn ausdrücklich: »Eine Festigkeit der Verfassung könne nur durch ein erbliches oder gewähltes Oberhaupt gegeben werden; es sei daher rathsam und den Wünschen der Deutschen gemäß, Oestreich diese Würde mit den nöthigen Vorrechten zu übertragen.« – Es war nur zu erklärlich, daß Preußen durch den Mund Hardenberg's und W. v. Humboldt's augenblicklich gegen diese Pläne entschieden protestirte, erklärend, daß weder Preußen, noch Baiern, noch Würtemberg sich dem unterwerfen würden. Als einen der Hauptgründe für einen Bund gegenüber der Erneuerung des alten Kaiserstaates machten sie geltend, daß »die Ruhe und Sicherheit Deutschlands und sein Einfluß auf das Gleichgewicht Europa's stets auf der Einigkeit Preußens und Oestreichs beruhen, die[70] wahre Gefahr in deren Uneinigkeit zu suchen sei!« – Die Erstere würde allerdings durch ein solch erzwungenes Unterthänigkeitsverhältniß einer Großmacht unter die Andere im hohen Grade gefährdet worden sein, für uns aber, die wir das Endresultat der hier beginnenden Pläne und Verhandlungen erlebt, haben sie heute wieder ein neues, ganz besonderes Interesse, weil eben nichts so sehr dazu angethan ist, uns eine ruhige leidenschaftslose Betrachtung gegenwärtiger Ereignisse und siegreicher Ideen zu lehren, als ein Rückblick in deren Geschichte. –

Auch die Presse kämpfte rüstig, namentlich nach Napoleons Rückkehr, mit großer Entschiedenheit für die Erneuerung der Kaiserwürde. Das damals und seit Jahren so einflußreiche Blatt von Görres »Der deutsche Merkur« drängte mit den Worten: »Man eile den Kaiser auszurufen!« und nach dieser Mahnung hieß es dort einige Wochen später: »Haben wir den Schwerpunkt aufgefunden, ist unsere Kraft in einer Einheit auch gesammelt? Ganz Deutschland hat gerufen nach einem Kaiser; der gemeinste Mann hat eingesehen, daß auf diesem Wege allein eine Einheit und Festigkeit zu gewinnen sei! – – – Haben die Räuber (die Franzosen) ihren kaiserlichen Hauptmann sich zurückgenommen, dann müßten die deutschen Fürsten von Gott verlassen sein, wenn sie länger noch einen Augenblick zögerten, sich ein oberstes Haupt zu setzen. Darum werde Franz als aller Deutschen Kaiser ausgerufen, aber nicht als ohnmächtiges Schattenbild, sondern bekleidet mit der Würde der alten Kaiser, und ihm die oberste Leitung aller Kriegsgewalt anvertraut u.s.w.«

Weiter wurde Stein als der erste und oberste Minister dieses Kaisers verlangt. »Deutschland nennt ihn, Deutschland kennt ihn; auf einen Stein ist alles Vertrauen fest gegründet, er ist nie in den Rath der Bösen eingegangen, noch hat er am bösen Rathe Theil genommen.« – Solche[71] Stimmen und Aufforderungen fanden jedoch kein Ohr in Wien; Kaiser Franz und Metternich waren unter den Ersten, sich von diesen Plänen wieder zurückzuziehen, vornehmlich aus Furcht, ihren alten Schlendrian aufgeben und in neue Bahnen einlenken zu müssen. – Man fuhr fort Pläne zu entwerfen, um das Unmögliche zu leisten, d.h. die Dinge so zu gestalten, wie sie Jedem paßten, ohne daß Einer ein Opfer zu bringen brauchte. Noch ein trefflicher Vorschlag von dem mecklenburgischen Minister v. Plessen herrührend, wurde vorgelegt, worin nachdrücklich neben einem kräftigen Directorium, eine Nationalrepräsentation verlangt wurde; sodann Einheit des deutschen Bundesheeres, ein Bundesgericht, Einheit des Postwesens, des Zollwesens, der Stromschiffahrt und der Handelsgesetzgebung. Diese Vorschläge aber kamen nicht einmal bis zur Berathung, denn man zitterte damals wiederum vor Napoleon, und Angesichts der neuen Gefahren, denen man entgegenging, erließ nun Friedrich Wilhelm von Preußen von Wien aus, am 22. Mai 1815 die bekannte Verordnung, durch welche seinem Volke eine landständische Vertretung feierlichst verheißen wurde, und welche zugleich die Anerkennung des Grundsatzes, der in allen den verschiedenen Entwürfen für den neuen Bund war aufgenommen worden, aussprach. Dieser lautete dahin: »es seien Landstände zu errichten, zum Schutz der Freiheit und des Eigenthums, mit der Befugniß der Theilnahme an der Besteuerung und Gesetzgebung und verbürgt durch den Bund!« – Leider muß ich dem nun gleich hinzufügen, wie der König während seiner ganzen noch folgenden Lebenszeit es versäumte, dieses feierliche Versprechen auszulösen, und wie der eben erwähnte Bundesartikel, auf den er sich bezogen, schließlich in dem letzten, dem Metternich'schen Entwurf bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt wurde. Dort lautete er nur noch: »In allen deutschen Staaten soll eine landständische Verfassung bestehen!« –[72]

Ich habe nun damit den Finger auf die wundeste Stelle der Bundesverfassung gelegt; ein langer, erbitterter und feindseliger Kampf entspann sich von da aus in allen deutschen Staaten zwischen Volk und Regierungen, um die Erringung von Rechten, die das Erstere als Lohn seiner Anstrengungen betrachtete und betrachten durfte, während ihm die Letzteren dieselben dennoch beharrlich vorenthielten, oder in der unaufrichtigsten Weise verkümmerten. Diese Kämpfe nahmen einen um so schlimmeren Charakter an, als die Regierungen nicht einmal die Berechtigung derselben anerkannten, sondern sie sehr bald als Rebellion, als einen Mangel an Gehorsam ansahen, jenes blinden Gehorsams, den eben die heilige Allianz als Pflicht des Kindes gegen seinen Vater, des Unterthanen gegen seinen Gebieter, festgestellt hatte. –

In elf Sitzungen vom 23. Mai bis 10. Juni, wurde nun endlich in übereiltester Weise eine Bundesacte zu Stande gebracht, denn der Congreß war im Begriff sich aufzulösen, und Metternich – bei dessen Entwurf man jetzt angekommen war – lag ja doch ganz besonders daran, die neue deutsche Staatsform unter den Schutz der europäischen Mächte zu stellen, und dieselbe in die allgemeine Congreßacte aufnehmen zu lassen. Dies geschah denn auch wirklich noch und so wurde eine Angelegenheit, welche die Fremden gar nichts anging, die aber Deutschlands innerste Interessen berührte, als eine europäische Frage behandelt, und war damit natürlich den auswärtigen Mächten auch eine Einsprache bei etwaigen Aenderungen dieser Bundesverfassung gestattet, ein Verhältniß, welches ich Sie wohl zu bemerken bitte.

Was dann noch Gutes an dem Metternich'schen Vorschlag war, wurde in den genannten 11 Sitzungen bei der Berathung vollständig abgeschwächt; die Sitzungen wurden nicht einmal von den Vertretern sämmtlicher deutschen Staaten besucht. Badens Gesandter erklärte sich für nicht bevollmächtigt,[73] und der Württembergische zog es vor Jagdpartieen zu machen, entschuldigte sich durch französische Billets und schließlich kamen sie Beide gar nicht einmal zur Unterzeichnung der Bundesacte herbei. In der achten Conferenz war es den Bemühungen Baierns und Darmstadts gelungen, den Artikel über ein Bundesgericht auszumerzen, und selbst in dem Verhältniß der katholischen Kirche zu deren Oberhaupt, siegte der Sondergeist, was fast noch als das Schlimmste zu bezeichen ist. Viele Stimmen hatten verlangt, mit dem jetzt wieder eingesetzten Papste einen Gesammtvertrag »Seitens einer katholischen deutschen Kirche« abzuschließen, statt dessen wurde es Jenem gestattet, Concordate zu vereinbaren, »mit den verschiedenen deutschen Kirchen.« Welche Kämpfe später dieses Recht der einzelnen Regierungen, Concordate für sich abzuschließen, hervorgerufen, ist uns allen noch in frischester Erinnerung. – Niemand von den Betheiligten machte sich denn auch Illusionen über die Mangelhaftigkeit des Werkes; Metternich beschwichtigte dieselben, wo sie laut wurden, mit vagen Ausdrücken »Vorbereiten, auf bessere Zeiten verschieben«, in Wahrheit war es Oestreichs vollbewußtes Ziel, das Princip der Unbeweglichkeit dadurch festzustellen. –

Woraus bestand denn nun endlich der Pact, der übrig geblieben und jetzt verbrieft und versiegelt worden war?

Voraus stand als erster Artikel der Satz, daß alle souveräne Fürsten und freien Städte Deutschlands sich zu einem beständigen Bunde vereint hätten, dem Oestreich und Preußen für ihre deutschen Besitzungen beitraten; weiter schloß sich von nicht deutschen Ländern Dänemark diesem Bunde an, für Lauenburg und Holstein, die Niederlande für Luxemburg, während Hannover, welches sich auf dem Wiener Congresse den Königstitel errungen hatte, noch in Personalverbindung mit England stand. Es befanden[74] sich also in dem Bunde drei Großmächte und zwei Mittelmächte, deren Interessen dem übrigen Deutschland weit eher feindlich als freundlich zugewendet waren. Am Besten konnte sich noch das Verhältniß zu Preußen gestalten, dessen polnische Besitzungen, das einzige außerdeutsche Land, welches es besaß, verschwindend klein waren im Vergleich zu seinen rein deutschen Provinzen. Als Zweck des Bundes wurde die Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands, sowie der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen Staaten bezeichnet. Deren Rechte im Bunde wurden näher bestimmt durch die Art des Stimmrechts.

Alle hatten zusammen 17 Stimmen; jeder große oder größere Staat, selbst Hessen-Darmstadt wurde noch zu den Letzteren gezählt, besaß je 1 Stimme, eine sogenannte Viril-Stimme, die übrigen kleineren Theile zerfielen in sechs Gruppen, mit je 1 Curiatstimme, so daß 11 Viril– und 6 Curiatstimmen existirten.

Sehr merkwürdig war dann noch jene Satzung, nach welcher, wo es sich um wirklich eingreifende Veränderungen der Bundesverfassung handeln würde, nicht die Stimmenmehrheit entschied, sondern Kraft deren eine einzige verneinende Stimme, zur Verwerfung eines Antrags hinreichte, worin sich eine traurige und bedenkliche Aehnlichkeit mit dem berüchtigten libero veto der polnischen Reichstage kund gab. Daß diese Bestimmung jede organische Entwicklung des Bundes in der Geburt ersticken mußte, niemals eine Verbesserung staatsrechtlicher Einrichtungen konnte aufkommen lassen, liegt auf der Hand, und es hat denn auch wirklich nie in dem Bundestage an einer verwerfenden Stimme gefehlt, da wo eine Besserung oder Aenderung der Machtverhältnisse angestrebt wurde.

Weiter sollte der Bundestag seinen Sitz in Frankfurt a. M.[75] haben und Oestreich in demselben den Vorsitz führen; als erstes Geschäft war ihm die Abfassung der Grundgesetze des Bundes; sowie dessen innere organische Einrichtung vorgeschrieben. – Ein anderer Artikel, der gleichfalls den Keim der traurigsten Früchte in sich trug, war derjenige, welcher allen Bundesgliedern das Recht einräumte, Bündnisse jeder Art zu schließen, nur sollten sie nicht gegen die Sicherheit des Bundes, oder gegen einzelne Bundesstaaten gerichtet sein. So konnte man also wieder ohne Scheu deutsche Truppen auf auswärtige Schlachtfelder führen und deutsches Blut für fremde Interessen vergießen. Die Bundesglieder unter sich sollten einan der nicht bekriegen, sondern ihre Streitigkeiten zum Entscheid vor die hohe Bundesversammlung bringen. –

Was nun weiter über die bürgerlichen Rechte und Freiheiten der Nation bestimmt wurde, ist so dürftig und wenig erschöpfend, daß wir darüber ganz hinweg gehen können, als wichtig nur die Vorschrift bezeichnend, daß die allerdringlichste Arbeit der Versammlung darin bestehen sollte, die Preßfreiheit zu regeln, wie überhaupt die Gesetze des Vertriebs geistiger Arbeit festzustellen. –

Der 14. Artikel berührte die Verhältnisse der schon von Napoleon mediatisirten Fürsten und Grafen; sie wurden zu ihrer großen Unzufriedenheit so ziemlich mit Worten abgespeist. Es blieb ihnen die Ehre in ihrem jeweiligen Staate die ersten Standesherren zu sein, auf ihren eignen Gütern behielten sie alle feudalen Vorrechte, aus dem natürlichen Grunde, weil noch keine Bestimmung über das Grundrecht des Volkes festgestellt war, auch das Recht der Ebenbürtigkeit sollte ihnen ungeschmälert verbleiben, wodurch denn die Kluft, welche ohnehin schon seit dem 17. Jahrhundert Adel und Bürgerthum in Deutschland so feindlich von einander schied, verewigt und noch weiter ausgedehnt wurde.[76]

Der Artikel 16 endlich bestätigt die christlichen Religionspartheien in dem gleichen Genuß bürgerlicher, sowie politischer Rechte, und damit blieb denn auch der Jude, der jetzt auf seine Emancipation gehofft, nach wie vor ein Paria, ausgeschlossen von der bürgerlichen und nationalen Gemeinschaft, in der er nun doch schon seit Jahrhunderten gelebt hatte. –

Die Renten zur Erhaltung der hohen Bundesversammlung sollte der Rheinzoll liefern. Die Post verblieb dem Hause Thurn und Taxis, nach den Bestimmungen des westphälischen Friedens, doch erinnere ich hier daran, wie die preußischen Lande darin nicht einbegriffen waren, sondern ihre besondere Post besaßen, die seinerzeit der große Kurfürst für seine Provinzen eingerichtet hatte. –

Damit wäre denn der Inhalt der Bundesacte, die, wie ein Alp 50 volle Jahre auf Deutschland lasten sollte, jede freiheitliche und einheitliche Einwirkung hemmte und hemmen mußte, so ziemlich erschöpft. Ich mußte Ihnen an dieser Stelle die Hauptpunkte derselben genauer vorführen, denn sie bilden zugleich die Schwerpunkte um die sich seitdem der Hauptinhalt unserer ganzen späteren Geschichte dreht. –

Ein langer Friede, der sich nun einestheils in Folge der eingetretenen Erschöpfung, anderntheils Dank des ernstlichen Willens der Machthaber, in Europa feststellte, bedingte von jetzt an eine innere Geschichte, eine innere Entwicklung, der man nur dann mit Interesse folgen kann, wenn man die Grundlage der Verhältnisse genau kennt. Dieselben waren leider nicht erfreulich und der treffliche Stein durfte darüber in die laute Klage ausbrechen: »Unsere neuen Gesetzgeber haben an die Stelle des deutschen Reiches mit einem Haupte, gesetzgebender Versammlung, Gerichtshöfen, einer inneren Einrichtung, die ein Ganzes bildet, – einen deutschen Bund gesetzt, ohne Haupt,[77] ohne Gerichtshöfe, nur schwach verbunden für die gemeinsame Vertheidigung. Die Rechte der Einzelnen sind durch nichts gesichert, als durch die unbestimmte Erklärung, daß es Landstände geben solle, und durch eine Reihe von Grundsätzen über die Rechte jedes Deutschen, worunter man die Habeas corpus (Schutz der Person und des Eigenthums) die Abschaffung der Leibeigenschaft ausgelassen hat und welche durch keine schützende Einrichtung verbürgt werden!« – In der That, es war hier ein gordischer Knoten geschlungen, den nur eine Revolution beseitigen, oder ein entschlossener Mann wie einst Alexander der Große, mit dem Schwerte durchhauen konnte! –

Aber auch kältere Politiker und Diplomatiker als Stein gaben schon damals offen ihre Mißbilligung zu erkennen; Graf Münster, der hannöversche Bevollmächtigte verwahrte sich durch eine förmliche, öffentliche Erklärung, worin er geradezu aussprach: »Indem wir eine Acte unterzeichnen, welche die Erwartung der deutschen Nation nur zum Theil befriedigen kann, weil sie viele wichtige Punkte, die wir beantragt, unerschöpft läßt, halten wir uns verpflichtet, eine kurze Erklärung zu geben, damit die Welt nicht meine, wir seien früheren Grundsätzen untreu geworden« u.s.w.

Die Nation selbst nahm die Acte mit Hohn, Spott und Verachtung auf; vom ersten Tag an bis zum Letzten übte sich der deutsche Witz an dem Bundestage, neben den Flüchen, die ihn trafen. Dennoch darf man sich nicht verhehlen, um ganz objectiv zu urtheilen, daß die politische Unreife des Volkes, die Theilnahmlosigkeit, die sich im Ganzen, jetzt nach dem Friedensschlusse bemerkbar machte, doch bis zu einem gewissen Grade das Ungenügende der Sache erklärt und rechtfertigt.

Auch in der Schweiz, wo keine dynastischen Interessen dem Volksinteresse gegenüberstanden, begegnen wir zur gleichen[78] Zeit der Unfähigkeit, eine tüchtige Bundesgesetzgebung zu Stande zu bringen. Wie die Schweiz sich uns heute darstellt, das ist sie auch erst viel später und erst nach schweren, inneren Kämpfen geworden.

Was aber die Bundesacte so verderblich für Deutschland machte, wodurch sie eine so tragische Wirkung hinsichtlich seiner politischen Stellung nach außen hervorbrachte, war hauptsächlich der Umstand, daß sie jede Theilnahme des Volkes an ihrer Verbesserung ausschloß; sie blieb darum von Anfang bis zu Ende, was sie war, und – diese Starrheit war der schlimmste Zug ihres Wesens. –

Ein sich Rühren und Bewegen konnte aber trotzdem in den einzelnen Theilen des zerrissenen Reiches nicht ausbleiben und wie so manchmal entsprang auch hier aus der Krankheit das Heilmittel; gerade die unnatürliche Zerspaltung hielt den steten Wunsch zur Vereinigung wach. – Handel, Verkehr, Gewerbe, Alles was jetzt unter dem Schutze des Friedens gedieh und wuchs, nöthigte zu Vereinigungen unter einander, und nicht minder fühlte man auch in den kleineren Staaten jetzt noch das Bedürfniß, den Wünschen des Volkes entgegen zu kommen, damit es der Regierung eine Stütze sein konnte; dazu gesellte sich dann noch das Bestreben einzelner wohlmeinender Fürsten und Minister, die redlich und ernstlich das Gute wollten.

Auch in der Nation schlief nicht Alles – habe ich zwar oben angedeutet, daß nach dem Kampfe im Großen und Ganzen, die Ermattung und Theilnahmlosigkeit, die sich zeigte, nicht dem früheren Aufschwung entsprach, so galt dies doch keineswegs von Jedermann. Es gährte und kochte an vielen Stellen und Niemand fühlte sich so schmerzlich enttäuscht, als die gebildete deutsche Jugend.

Hatten nicht seit Jahren die trefflichsten Männer durch Wort und Schrift in ihrem Herzen den Enthusiasmus für[79] Vaterland und Freiheit entzündet, hatte man ihr nicht die Waffen in die Hand gedrückt, und war sie nicht todesmuthig hinausgeeilt, zu Sieg und Tod, unter den Klängen von Körner's und Schenkendorf's begeisterten Liedern, die jetzt noch in ihren Seelen widerhallten? Nicht minder hatten Kleist's Dichtungen die Erinnerungen wach gerufen an Herrmann den Befreier, an die Bräuche und Sitten der alten Teutonen, die ihr Recht und Gericht selber verwalteten. Damit fielen dann wieder die Bestrebungen der Romantiker zusammen, welche die mittelalterliche Poesie und Kunst neu zu beleben trachteten und sie aus dem Schutt der Jahrhunderte hellleuchtend hervortreten ließen. Da erwachte die längst versunkene Pracht und Herrlichkeit des alten Kaiserthums wieder zum Bewußtsein und man glaubte in dessen Wiederherstellung den Brennpunkt und das Ziel aller Wünsche gefunden zu haben. Nun sollte alle diese losgebundene Kraft und Phantasie über Nacht wieder zahm und ruhig werden, sollte wieder zu der gewohnten Beschäftigung greifen, ohne irgend eine Theilnahme an der Neugestaltung des Vaterlandes. Wie schwer es nun schon dem Einzelnen wird, sich nach aufgeregten Tagen wieder in das gewöhnliche Gleichmaß einzufügen, so ging es jetzt einem großen und nicht den schlechtesten Theil des deutschen Volkes, denn neben dieser Jugend stand eine Reihe tüchtiger, patriotisch gesinnter Männer, die mit ihr fühlten und zum Handeln bereit waren. Von diesen Allen verlangte man nun, sie sollten sich wieder zur trägen Ruhe legen, im nagenden Bewußtsein, daß sie statt Edelstein und Gold nur schlechtes Glas und Kupfer errungen hatten. Da mußte es ja wohl gähren und brausen, an allen Enden des Vaterlandes, aber sie, die die Macht in Händen hielten, besaßen leider nicht auch zugleich die Einsicht und das Wohlwollen, diese stürmische Gluth sich ruhig klären zu lassen, sie in die richtige Bahn zu leiten. – Nein, auch die edelsten Anstrengungen,[80] die reinsten Absichten wurden jetzt schon verdächtigt und scheel angesehen. Nicht Alle hatte ja leider der Aufschwung von 1813 und 1814 mit fortgerissen, wie immer fehlte es auch damals nicht an Widerstrebenden, die sich nur durch den Strom den sie nicht hemmen konnten, hatte beeinflussen lassen, ganz wie wir es noch oft in ähnlicher Weise erlebt. Nun hoben diese Schwachen und Halben wieder das Haupt und suchten zu schmähen und zu verdächtigen und vermochten dies um so leichter, als aus der Mitte der Nation sich zwei Factoren erhoben die sich lau und engherzig einerseits, hochmüthig und gehässig andrerseits zeigten. Es waren dies das deutsche Bürger– und Philisterthum, der Beamtenstand, welcher den Druck, den ihm die Verhältnisse des 18. Jahrhunderts eingeimpft hatten, so schnell nicht abzuschütteln vermochte, und der Adel, der, obgleich in seinen Interessen selber schwer gekränkt, und trotzdem er in den Jahren der Befreiungskriege ohne Standesvorurtheil neben dem Bürgerlichen gekämpft hatte, sich doch nun eifrig bemüht zeigte, seine alten Traditionen wieder aufzurichten und anstatt neben und mit dem Bürger weiter zu streiten für bürgerliche Freiheit, es vorzog, sich wiederum um den Fuß der Throne zu reihen, Diener zu sein, anstatt Freiherr und, mit nur geringen Ausnahmen, Alles zu unterstützen, was gegen das Volk unternommen wurde. – So geschah es denn, daß bereits während des Wiener Congresses, 1815, ein gewisser Hofrath Janke, ein ganz schlechtes Subject, sich bemühte Arndt und Görres wegen ihres »wilden Freiheitsgeschreies,« bei Fürst Hardenberg anzuschwärzen. Zugleich zeigte dieser Janke den Fortbestand eines geheimen Bundes an, der sich in der That als eine Weiterbildung des 1809 verbotenen Tugendbundes gebildet, aber 1813 schon wieder aufgelöst hatte. Janke wurde anfangs nicht angehört; größeres Vertrauen schenkte man jedoch dem Geheimenrath [81] Schmalz, (einem wenig würdigen Schwager des edlen Scharnhorst), der gleichfalls behauptete, es bestünden geheime Verbindungen in Deutschland, zum Zweck, die Eide gegen die Fürsten vergessen zu machen und ein Repräsentativsystem über ganz Deutschland auszubreiten. – »Wie vormals die Jacobiner die Menschheit,« so heißt es wörtlich in seiner Schrift, »so spiegeln sie die Deutschheit vor, um uns die Eide vergessen zu machen, wodurch wir Jeder seinem Fürsten verwandt sind. Diese Menschen wollen durch bittren, gegenseitigen Haß Einheit der Regierung gründen, durch Mord, Plünderung u.s.w., alte deutsche Redlichkeit und Zucht vermehren!« Dabei entblödete Schmalz sich nicht, die Erhebung von 1813 als eine Frucht schuldigen Gehorsams hinzustellen und zu sagen, es habe das preußische Volk nur wie ein Koppel losgelassener Jagdhunde gehandelt. – Was aber die Sache hauptsächlich zu einer Denunciation stempelte, war der Umstand, daß Schmalz sein Machwerk noch an verschiedene andere Regierungen verschickte. Natürlich fehlte es demselben auch nicht an einem Lobredner, der sich in der Person des Geheimenrath Kamptz, dem Verfasser eines Gensd'armeriecodex, fand, und Preußens König ließ sich so weit hinreißen, daß er, ohne seinen Minister Hardenberg zu befragen, Schmalz den rothen Adlerorden verlieh. Eine ungeheuere Entrüstung machte sich über diese Vorgänge geltend; Blücher und Gneisenau sprachen sich sehr unumwunden über dieses Verfahren aus, und Männer, wie Niebuhr, Schleiermacher, Förster u. A. schrieben besondere Gegenschriften gegen Schmalz. Sein Name wurde ein Schimpfname und der jugendliche Follen besang ihn, die Turner anredend, folgendermaßen: »Nun auf ihr Burschen frei und schnell, Ihr Brüder Du und Du! Noch bellt der Kamptz– und Schmalzgesell, der Beel– und Kotzebue!« In der That haben diese Namen in der deutschen[82] Geschichte eine höchst traurige Berühmtheit gewonnen und sind die typische Bezeichnung geworden für undeutsche und unpatriotische Männer, die durch ähnliche Polizeibestrebungen glänzten. Doppelt aber war es zu beklagen, daß es gerade bei diesem ersten directen Angriff Deutschland an jedem größeren Vereinigungspunkte fehlte, durch dessen Vermittelung die öffentliche Meinung sich hätte geltend machen und aussprechen können. Noch gab es keine öffentliche Ständeversammlung, keine geschlossene, sich ihrer Zwecke und Ziele klar bewußte Parthei. Da war es denn natürlich, daß nach und nach die Universitäten die Brennpunkte des öffentlichen Lebens werden mußten und freisinnige Professoren Hand in Hand mit ihren begeisterten Schülern, das politische Leben wach zu erhalten suchten. Als ersten Sammelpunkt dieser Art müssen wir die Universität Jena bezeichnen. Dort in dem kleinen Weimaraner Lande war ja ein Fürst, der, kraft seiner geistigen Bildung und Reife auf einem zu hohen menschlichen Standpunkte stand, um vor dem Rauschen eines Blattes zu erzittern. Es war Karl August, der Freund Goethe's und Schiller's, der Mäcen der deutschen Poesie und Kunst, ein Kopf von seltener Klarheit und Urtheilskraft, der mit idealem Schwunge einen gesunden, praktischen Realismus und ein deutsch-patriotisches Herz verband. Er hatte immer redlich zu Preußen gestanden, war nur mit größtem Widerstreben dem Rheinbunde beigetreten, und hatte in seinem Lande die alte ständische Verfassung aufrecht erhalten, d.h. jene Art der Vertretung, welche den einzelnen Stand –, des Adels, der Geistlichkeit und der Bürger repräsentirt, nicht zu verwechseln mit den nun geforderten und garantirten Landständen, die nicht mehr einen besonderen Stand, sondern die Gesammtheit des Volkes, hervorgegangen aus allgemeinen Wahlen, vertreten sollten. Man nannte und nennt noch jetzt bei uns, nach der alten Weise, diese Landesvertreter »Landstände«,[83] ihre Versammlungen »Landtage«, während thatsächlich die heutigen Konstitutionen auf dem Repräsentativ-System beruhen. – Karl August war jetzt der Erste unter den deutschen Fürsten, die ihrem Lande die versprochene Repräsentativ-Verfassung gaben, indem er schon im Januar 1816 eine berathende Versammlung zu der Ausarbeitung einer Konstitution berief, und der er in folgenden Worten seinen Willen erklären ließ: »Die für Deutschland aufgegangenen Hoffnungen sollen in meinem Lande, die Lehre der außerordentlichen Schicksale benützend, verwirklicht werden!« Damit übereinstimmend verlegte er das Ordensfest des »Falkenordens«, auf den 18. October, in die Stunde, wo nach dem Vorschlage von Arndt zur Erinnerung an die Völkerschlacht von Leipzig, auf allen Bergen Deutschland Freudenfeuer emporlodern sollten. Im gleichen Geiste zog er freisinnige Männer nach Jena, Luden, den Geschichtsschreiber, Oken, den Naturforscher, Kieser, Fries u. A., um die sich nun freudig die Jugend, noch von Fichte's Geist beeinflußt, sammelte. Ebenso fand die freie Zeitungspresse in Jena eine unangefochtene Stätte, und feurig suchte man durch dieselbe dort und an andern Orten, namentlich geschah dies durch Arndt und Görres, auf jede Weise die Gedanken an deutsche Freiheit und deutsches Wesen zu fördern, dem man als Gegensatz das Franzosenthum gegenüber stellte. Leider that man es mitunter in sehr übertriebener Weise, ungefähr so, wie Tag und Nacht sich von einander scheiden, und beide genannte Männer geriethen dadurch immer tiefer in mittelalterliche Ideen und Vorstellungen. Arndt träumte von der Gründung eines neuen deutschen Ritterordens an der Westgrenze, zur Erhaltung deutscher Herrlichkeit und Ehre, und bei Görres gewahren wir, wie er sich von da an mehr und mehr der römischen Kirchenmacht und ihren mittelalterlichen Ordnungen zuneigt. Gesund waren diese Uebertreibungen gewiß nicht, ihren[84] Gipfelpunkt aber erreichten sie in dem Turnvater Jahn, der den Franzosenhaß und die Deutschthümelei geradezu auf die Spitze trieb. Er ging bis auf die Cheruskerzeit zurück, eiferte für die Reinheit der deutschen Rede, wollte nicht dulden, daß noch das Französische gelernt werde, und schlug sogar vor, zum Schutze gegen die Franzosen am Rhein einen Urwald zu pflanzen, der nur von Auerochsen und Büffeln bewohnt werden sollte. – Ein mittelmäßiger Kopf und von mittelmäßigem Wissen, legte Jahn den Schwerpunkt der männlichen Erziehung in die Gymnastik oder Turnerei, überzeugt, daß durch die Körpererziehung auch die sittliche und vaterländische Erziehung gewährleistet werde. Er wollte »der einseitigen Vergeistigung die wahre Leibhaftigkeit« zuordnen, und es konnte nicht fehlen, daß er die freisinnige und vorwärtsstrebende Jugend schnell für sich gewann, daß sie ihn zu ihrem Hauptführer erkor. Sie wollten ihm folgen, wie es in einem ihrer Lieder heißt: »für des Volks urheilige Rechte auf der Freiheit Rennlaufsbahn!« –

Schonungslos und übertrieben waren denn auch die Reden des »Alten im Barte« (wie man Jahn nach seinem langen Barte nannte), er sprach immer nur von Zwingherrenthum, von Gift und Fesseln, die bereit wären »das gottbegeisterte Volk in Schlaf zu lullen« u.s.w.

Jahn machte kein Hehl daraus, daß er in der Bruderschaft aller deutschen Turner einen offenen Bund sah, durch den man das ganze deutsche Staatsleben vom Turnplatz aus neu zu reformiren vermöge, oder wie er sich ausdrückte: »aus dem Baum der Turnerei müsse der Freiheit Wiege, der Sarg der Tyrannei gezimmert werden.« –

Man fürchtete und duldete in Berlin, dort lebte Jahn zu jener Zeit, den eigenthümlichen und derben Mann, der durch seine äußere Erscheinung und Kleidung – er trug stets den schwarzen altdeutschen Rock mit umgeschlagenem[85] Hemdkragen – sich ebenso auffällig machte, wie durch seine Redeweise. Aber gefährlich war er nicht, dazu trat er viel zu offen auf, und wie viel Wahres in seiner Behauptung, daß in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist wohnen werde, liegt, dies wird ja heute gerne von Jedermann anerkannt, und er durfte dies um so mehr betonen, als er außer der Körperkraft, auch die Forderung tüchtiger, sittlicher Eigenschaften an den Turnbruder stellte. –

Zu dieser naturwüchsigen Strömung unter der Jugend trat aber bald noch eine mehr vergeistigte hinzu, durch eine Institution, die noch der Mann hervorgerufen, welcher seine Nation einst so tief bewegt hatte und dessen Worte jetzt noch in so vielen Gemüthern wiederhallten, ich meine Fichte. – Schon 1795 hatte er in Jena, gegenüber dem rohen Treiben der Landsmannschaften, eine allgemeine Verbindung von »Deutsch-Jüngern« gegründet, und versucht, durch dieselbe einen gesitteten, wissenschaftlichen Geist zu wecken. – Diesen Gedanken nahm er später in Berlin neu auf, wo er mit Wissen von Hardenberg unter den Studenten eine »Burschenschaft« schuf. Fichte starb 1814, die Urkunde seiner Berliner Burschenschaft wurde aber jetzt, 1816, bei der Gründung einer neuen Burschenschaft in Jena benutzt. Von da breitete sich diese Verbindung über ganz Deutschland aus und von Freiburg bis Königsberg gaben die besten Männer derselben das Zeugniß des tüchtigsten, sittlichen und wissenschaftlichen Ernstes. Nach Fichte's Lehre sollte neben Ausübung strenger Tugend, die Gottesfurcht dem Gemüthe des »deutschen Burschen« erst die rechte höhere Weihe geben, und mit der wissenschaftlichen Bildung des Geistes sollte die gymnastische des Körpers Hand in Hand gehen. Jede Tugend des Einzelnen aber, die dergestalt geweckt und befördert wurde, sollte einzig und allein dem Vaterlande zu Gute kommen, ja, Fichte meinte, eine derart gebildete Jugend würde dessen beste Wehrkraft[86] sein und die stehenden Heere gänzlich überflüssig machen, ein Ziel, welches wir ja auch hoffentlich noch erreichen werden. –

Dies war der Charakter, welchen die Bünde trugen, deren Anfänge Schmalz so tückisch denuncirt hatte, die sich aber trotzdem, so wie ich es eben angedeutet, fortentwickelten. In Jena war die Verbindung der »Burschenschaften« bald so wohl angesehen, daß der Herzog sie sogar zur Pathenschaft bei seinem Enkel einlud. Weniger freundlich betrachtete man sie in Gießen, wo hauptsächlich Karl Follen aus Oberhessen die Leitung übernommen hatte; man ging dort schon etwas weiter, man zielte auf einen christlich-deutschen Burschenstaat hin, der alle deutschen Universitäten in sich schließen sollte. Als auf diese unklare Vorstellung hin die Verbindung von Darmstadt aus aufgelöst wurde, bildete sich ein neuer, formloser Verein: die Schwarzen, der die Grundzüge einer künftigen deutschen Verfassung entwarf, und ähnliche Vereine an andern Orten hervorrief, die für ein gleiches Ziel arbeiten sollten. Seinen Kernpunkt fand dieser Bund der »Schwarzen« in Darmstadt, wo damals ein Kreis von Jünglingen und jungen Männern mit jugendlich freisinnigem Geiste lebten und sich vornehmlich um einen jungen Advocaten, Karl Heinrich Hoffmann, den Verfasser eines trefflichen Volks- und Jugendbuches: Deutsche Volksgeschichten, deren Mittelpunkt Herrmann der Befreier, bildete, gruppirten.

Bis jetzt betrachtete man alle diese Bestrebungen von Seiten der Regierenden noch als ziemlich harmlos, was sie in der That auch waren; eine ernstere Beachtung aber sollte ihnen zu Theil werden durch die Feier des Wartburgfestes. –[87]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 64-88.
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