Sechste Vorlesung

[115] Wiener Schlußacte. Die süddeutschen Verfassungen. Vorgänge in Spanien. Reaction in Frankreich. Zustände in Oestreich


Der Dolchstoß des unglücklichen Sand hatte das Signal gegeben zu einer Massenverfolgung der sogenannten »Demagogen«, die namentlich in Preußen ihre zahlreichen Opfer forderte, denn Preußen hatte sich jetzt seit dem Congreß von Aachen vollständig in das Schlepptau der östreichischen Politik nehmen lassen, und zeigte sich nun übereifrig, die Karlsbader Beschlüsse auszuführen.

Wie Humboldt und andere ehrenfeste Männer in Folge dessen ganz aus dem Staatsrathe austraten, haben wir bereits gehört; nur der charakterlose Staatskanzler Fürst Hardenberg besann sich jetzt nicht länger, sich mit der ultra-reactionären Parthei Wittgenstein-Kamptz zu verbinden und ganz in die Hände Metternich's zu liefern. Am schrecklichsten und fühlbarsten waren die Eingriffe in die Lehrfreiheit, worüber Stein im November 1819 einem Freunde schreibt: »Man unterwirft unsere Universitäten der despotischen Herrschaft eines an Ort und Stelle befindlichen Bevollmächtigten mit so unbeschränkter Gewalt, daß er sich selbst seine Unfähigkeit, sie auszuüben, eingestehen muß; man unterwirft seiner Aufsicht die Studenten, wie die Professoren, man beraubt Beide einer Unabhängigkeit, die Jenen für die Entwicklung ihres Charakters und das Suchen der Wahrheit so nothwendig ist.« – Bis zu hellem Unsinn und die herbste[115] Satyre herausfordernd gingen diese Verfolgungen; in Warschau z.B. lud man Studenten vor, weil sie sandfarbige Röcke trugen. Arndt, dessen Feder so oft im Auftrage und Dienste der Regierung den Patriotismus seiner Nation angeeifert hatte, wurde jetzt wegen solcher Schriften gequält, ja, Sätze, die der König früher eigenhändig an den Rand einer Landsturmsordnung geschrieben, und welche man abschriftlich bei Arndt vorfand, wurden ihm als Drohreden vorgehalten, – jede Einrede, jedes Gesuch vor seinen ordentlichen Richter gestellt zu werden, war vergeblich; bis 1840 blieb der geistvolle Mann suspendirt und auch erst dann bekam er seine Papiere zurück. Jahn erging es noch schlimmer, er wurde in Küstrin in Fesseln geschlagen, und mochte ihn auch Stein einen »fratzenhaften Narren« genannt haben, so hatte der Mann doch auch seine großen Verdienste, und keinenfalls verdiente er für seine Faseleien eine so herbe, entwürdigende Strafe. Die Welkers, gegen die man die Untersuchung hatte aufheben müssen, drangen vergebens auf ein freisprechendes Urtheil, statt dessen kam eine Cabinetsordre, welche der Polizei und den Ministern befahl, gegen solche Lehrer, die den Verirrungen der Zeit huldigten, oder gegen die wegen vermutheter, oder erwiesener Theilnahme an demagogischen Umtrieben Maßregeln vom Staate waren ergriffen worden, ohne gerichtliches Verfahren einzuschreiten und sie als »unwürdige Subjecte« zu entfernen. Mit den Studenten sprang man noch schlimmer um; Follen wurde zu 10 Jahren Festung verurtheilt und seine Freunde mit ähnlicher Härte bestraft. Ungesetzliche oder staatsverbrecherische Handlungen waren ihnen nicht nachzuweisen, darum hatte der Herr v. Kamptz die weise Lehre aufgestellt, »daß auch durch bloße Theorieen Hochverrath begangen werden könne.« Man würde vielleicht heute diese Dinge nicht mehr so stark betonen, wenn sie vorübergehend gewesen wären,[116] aber sie waren erst die Anfangsbuchstaben eines Systems, das viele, viele Jahre als Damoklesschwert über Deutschland schwebte und dreißig Jahre lang die Blüthe seiner Jugend entweder in die Verbannung jagte, oder hinter Kerkermauern verkommen ließ. – Da schwanden denn natürlich mehr und mehr die Hoffnungen dahin, die man auf Preußen gesetzt hatte, und nicht mit Unrecht nimmt das Urtheil der Geschichte, je reifer es wird, den Nimbus hinweg, der sich um Friedrich Wilhelm III. gelagert hatte, und der von seinen theologischen Freun den, namentlich seinem bekannten Biographen, dem Bischof Eylert, noch nach des Königs Tode, mit neuen Strahlen versehen wurde. Diejenigen Herrscher aber, welche wie er, eigensinnig an dem persönlichen, dem absolutistischen Regimente festgehalten, müssen es sich von unserem heutigen Gesichtspunkte aus auch gefallen lassen, daß man sie persönlich verantwortlich macht für die Fehler ihrer Regierungszeit. – Die Tugenden des Privatmannes, die Friedrich Wilhelm III. besaß, sein nüchternes, sparsames und ordnungsliebendes Wesen waren, wie genügend bekannt, nicht ausreichend gewesen, ihm, in der Napoleonischen Zeit, den rechten Muth und die rechte Festigkeit zu verleihen. Doch sah man in jener Zeit darüber hinaus, weil ihn wie sein Volk ein herbes Schicksal bedrückte, eine grausame Ungerechtigkeit ihn verfolgte, wenn auch sein schwankendes, zauderndes Wesen viel von dem verschuldet hatte, was ihn persönlich und was sein Land betraf. Aber trotzdem sie Beide so tief miteinander gelitten, trotzdem gerade aus diesem Mitgefühl die außerordentliche Begeisterung seiner Preußen und Deutschlands für ihn erwuchs, war es ein schlimmes Zeichen, daß er nie ein rechtes Herz, ein rechtes Vertrauen zu dem eignen Volke fassen konnte und am Ende seine Rettung lieber dem Himmel, als der frischen Kraft einer begeisterten Nation danken mochte. – Was nützte denn auch jetzt seine religiöse[117] Gesinnung, sein Grübeln über die heilige Schrift (weßhalb ihn seine frommen Freunde den Theologus nannten), da es galt, ein gegebenes Wort einzulösen und einigen verirrten, oder besser gesagt, überspannten Unterthanen ein gütiger und verzeihender Vater zu sein. Es zog ihn ein tief sympatischer Zug hinüber zu Metternich und dem Gesetze der Trägheit und Starrheit, nach welchem Jener handelte. Sein Lieblingsausdruck war: Calmiren! und so erschrak denn seine zaghafte und ängstliche Natur bei jedem lauten Wort des Volksgeistes oder der öffentlichen Meinung, und mit rücksichtsloser Härte und Grausamkeit wurde die gewünschte »Stille« in Preußen erzwungen. Was aber die vorenthaltene Verfassung anbetrifft, so hat auch dafür Bischof Eylert das beschönigende Wort, indem er sagt: »Der König habe gehandelt wie ein weiser Vater, der gerührt von der anhänglichen Liebe seiner Kinder an seinem Geburts- oder Genesungstage gefällig ist, und in ihre Wünsche eingeht, dann aber mit Ruhe dieselben modificirt und seine väterliche Autorität aufrecht hält!« –

Es ist in diesem Satze die ganze Regierungsmaxime jener Tage enthalten – alle Verfassungsgelüste sollten, so war man insgeheim entschlossen, in Oestreich und in Preußen nun überhaupt beseitigt werden; die Krönung von Metternich's Politik war die berüchtigte Wiener Schlußacte. – Auf die Karlsbader Conferenz folgte im Winter von 1819 auf 20 eine zweite Ministerversammlung in Wien zu dem Zwecke, die Bundesacte noch einmal zu revidiren und sie im Sinne der Karlsbader Beschlüsse noch einmal zu verbessern. – Es war das feste Ziel Metternich's, alle Gedanken an Repräsentativverfassungen wieder vollständig auszulöschen, und er bemühte sich daher, den Artikel 13 der Bundesacte, welcher Verfassungen verhieß, dahin auslegen zu lassen, daß darunter nur die Neubelebung der alten Stände zu verstehen sei,[118] und daß jede andere Verfassungsform der Absicht und dem Geiste des Artikels zuwider laufe. Die moderne Repräsentativverfassung wäre, wenn ihm dies gelungen, damit vollständig beseitigt gewesen. Dagegen erhob sich nun mit aller Kraft der würtembergische Gesandte; gerade jetzt war bei ihm zu Hause der Verfassungsstreit glücklich beendigt worden, und er erklärte, daß ein Zurückziehen des Vertrags in Würtemberg zwischen Fürst und Volk nur neue und schlimmere Gährungen hervorrufen würde. Unterstützt von Baiern und Baden gelang es ihm denn auch, diesen Angriff abzuschlagen, dagegen beschloß man, an dem anderen Grundsatze festzuhalten, daß die den Ständen einzuräumende, gesetzgebende Gewalt nie so weit gehen dürfe, um sie in einen Widerspruch mit der Bundesacte zu bringen. Durch diese Bestimmung wurde denn, trotz aller Proteste, das Wesen des Constitualismus bereits in der Geburt vollständig entkräftet, und es beginnt damit die Zeit des sogenannten Scheinconstitutionalismus, der ja selbst bis heute noch nicht ganz bei uns überwunden ist, und durch sein hohles Wesen sogar vielfach in Deutschland das parlamentarische Leben in argen Mißcredit gebracht hat. –

Für Oestreich und Preußen war es durch diese geschickte Revision entschieden, daß sie mit ihren alten Provinzialständen in absoluter Weise ruhig weiter regieren konnten. Als weitere Bestimmung wurde noch in der neuen Acte stärker als zuvor, die Stimmeneinhelligkeit des Bundes in solchen Fragen betont, wobei es sich um organische Einrichtungen handelte und zugleich erklärt, daß die Bundesversammlung keinerlei Competenz habe, etwa entstehende Streitigkeiten zwischen dem Landesherrn und seinen Ständen zu entscheiden.

In solchem Sinn und Geiste besiegelte jetzt die berüchtigte Wiener Schlußacte den kleinlich polizeiartigen Charakter des Bundes, der sich nicht einmal zu äußerlichen,[119] materiellen Einrichtungen gebrauchen ließ. Als an den Artikel 19 erinnert wurde, der die Handels- und Verkehrsverhältnisse Deutschlands zu ordnen empfahl, meinte Fürst Metternich, eine allgemeine deutsche Handelsgesetzgebung werde doch wohl nur ein frommer Wunsch bleiben und sie blieb es auch wirklich, bis in der jüngsten Zeit die Abfassung eines solchen Gesetzbuches eine Hauptaufgabe unseres Reichstages geworden ist. Anträge, welche Baden stellte, auf Abschaffung der Mauth- und Zollgränzen im Innern Deutschlands, blieben nicht weniger unbeachtet, und – um jungen Leuten, die heute in weniger als einer Stunde mit der Eisenbahn von Darmstadt nach Frankfurt fahren, nur ein Beispiel aus jenen Zeiten zu geben, sei bemerkt, wie man, bis gegen die vierziger Jahre, stets auf dem Heimweg von Frankfurt an der berüchtigten Isenburger Mauth aussteigen mußte und genau untersucht wurde, ob man nicht etwa daran dachte, die in Frankfurt gemachten Einkäufe einzuschmuggeln. Jede Offenbacher Pfeffernuß mußte verzollt werden, und abgesehen von den Plackereien, die durch solche Zustände dem Reisenden erwuchsen, waren diese Zollschranken, die sich zu Hunderten in Deutschland erhoben, der größte Hemmschuh für den Handel, und eine wahre Schule der Entsittlichung für das Volk, das den Schmuggel förmlich im großen Style betrieb, und nicht einmal etwas Arges dabei fand; ja, es gehörte zu den Lieblingsanekdoten jener Zeit, wenn ein recht feines und durchtriebenes Schmugglergeschichtchen erzählt werden konnte. Ein Jeder kann selbst ermessen, wie diese Unterlassungssünden in dem folgenden Jahrzehnt auf die ganze finanzielle, industrielle und commercielle Lage Deutschlands rückwirkten; diese Zollbedrückungen, der Mangel an auswärtigen Handelsverträgen mußte unser Vaterland hinter allen umgebenden Ländern zurückbleiben lassen, die jetzt unter dem Schutze eines andauernden Friedens, ihren Nationalreichthum[120] mehr und mehr erhöhten. So blieb Deutschland, im Besitze der reichsten Naturschätze, doch ein vergleichsweise armes Land, blieb sein Wohlstand noch längere Zeit selbst hinter dem zurück, was er vor dem unglücklichen 30jährigen Kriege gewesen, und erst in unsern Tagen sehen wir den Bauernstand wieder neu erblühen, und den deuschen Großhandel wieder zu einem Welthandel werden.

So, von allen Seiten her gedrückt, von allen Seiten her eingeengt und gefesselt, zu politischer und materieller Armuth verdammt, war unsere Nation wiederum nur auf das Reich des Gedankens verwiesen. Aber so wollte es Metternich –, ein wohlhabendes Volk denkt, und im Genuß materieller Güter, nicht gedrückt von der schwersten Sorge jedes neuen Tages, kümmert es sich um seine geistigen Freiheiten und Rechte, dies sollte verhindert werden, Deutschland sollte arm bleiben, damit der Knechtssinn nicht ausgestoßen werde.3

So beschwor man in leichtsinnigster Weise Gefahren herauf, die man entweder nicht ahnte, oder furchtsam zu umgehen versuchte, – so mischte sich schon frühe die sociale Frage in alle unsere politischen Bewegungen ein und verschärfte deren scheinbare Gefährlichkeit; trotzdem wurde die Letztere noch bis über 1848 hinaus als eine freche Erfindung der Demagogen angesehen, während man heute gerne zugesteht, daß man sich mindestens 20 Jahre zu spät mit der Lösung von Aufgaben beschäftigte, deren Grund schon damals[121] durch die schlechte materielle Lage Deutschlands gelegt wurde. Die Massen freilich hatten weder ein Verständniß noch ein Urtheil über diese Mängel und Vernachlässigungen, sie empfanden dieselben nur als ein dumpfes, drückendes Unbehagen. Hie und da kam es auch bis zu einem Aufzucken unter dem damals unendlich gedrückten Bauernvolke, dann sank man wieder in stumpfer Gleichgültigkeit zusammen. – Trotz dieses vollständigen Sieges der Reaction über alle freiheitlichen Wünsche, war aber doch Fürst Metternich mit seinen Erfolgen noch nicht ganz zufrieden; die süddeutschen Verfassungen waren ihm in hohem Grade zuwider und er hoffte sie doch nach und nach zu beseitigen. In einem Briefe sprach er sich darüber etwa folgendermaßen aus, »die Zeit rücke unter Stürmen vorwärts und es sei ein vergebliches Bemühen, sie aufzuhalten; doch müsse man die Aufrechthaltung des Vorhandenen erstreben, um vielleicht mittelst dessen das Verlorne wieder zu erhalten.« –

In der That zuckten um das Jahr 1820 helleuchtende Blitze in dem ganzen Süden Europa's empor, warfen grelle Lichter auf die Zustände der verschiedenen Staaten der heiligen Allianz, und unter deren Wetterleuchten kam nun auch 1820 in dem Großherzogthum Hessen eine Verfassung nach harten Kämpfen zu Stande. Damit war jetzt, im Gegensatze zum Norden, ganz Süddeutschland in das Verfassungsleben eingetreten. Außer dem Stillstande in Preußen war auch in Hannover wie in Braunschweig, nach langem Hin- und Herzerren, nur die alte, landschaftliche Verfassung wieder aufgerichtet worden, während in Sachsen und Hessen-Kassel nicht einmal dieses zu Stande gebracht wurde. –

Die Vorgänge im Hessen-Darmstädtischen trugen viel dazu bei, daß man in Wien so sehr darauf bedacht war, die unbequemen Verfassungswünsche zu beseitigen, denn hier nahm[122] sogar das Volk einen ungewöhnlichen Antheil an dem Bestreben, den »Vertrag« zwischen Fürst und Volk in's Leben treten zu sehen. – In Baiern und in Baden war dieser Vertrag nicht frei vereinbart, er war vom Throne herab octroyirt worden, ein Gleiches sollte nun in Hessen geschehen.

Großherzog Ludwig I. war ein Mann von Bildung und geistigem Interesse, und frühe für Ernsteres angeregt durch seine geistvolle Mutter, die Landgräfin Karoline, die Freundin Klopstock's, Knebel's, Friedrich's des Großen, Herder's und des jungen Goethe. Der lebhafte Verkehr, in dem sie mit dem Weimaraner Hofe stand, setzte sich unter ihrem Sohne fort, der speciell mit Karl August befreundet war; man befand sich in einem beständigen Austausch von Bildern, Kunstsachen, Büchern u.s.w., worüber der interessante Briefwechsel von Merk vielfachen Aufschluß giebt. Ludwig I. gehörte als Regent der Schule Friedrich's des Großen an; er regierte im Sinne des aufgeklärten Absolutismus, förderte namentlich eine rationelle Duldung in kirchlichen Dingen, und verwendete in Gemeinschaft mit seinem Freunde Schleiermacher großen Eifer auf das Sammeln von naturhistorischen Gegenständen, Gemälden und Büchern. Nicht allein seine Museen, auch seine Bibliothek überließ er nach seinem Tode seiner Residenz; es waren Geschenke von hohem Werthe, namentlich die Bibliothek, welche – die viertgrößte in Deutschland – große Schätze an Incunabeln, seltnen Büchern und Kunstwerken enthält. Wie er namentlich die Musik liebte, wie er Männer wie Rink, Meyerbeer, Vogler und Weber ehrte, ist bekannt, doch entfremdeten ihn seine künstlerischen Neigungen mehr, als gut war, dem Staatsleben, so wie sie auch in einer Zeit den Finanzen arg zusetzte, da die materielle Noth des Landes dringende Hülfe erheischte. – Nachdem der Großherzog 1806 dem Rheinbunde beigetreten war,[123] hob er die alte ständische Landesverfassung auf, stellte die Leibeigenschaft ab, und suchte die Steuerfreiheit durch gleichmäßige Einrichtung des Steuerwesens zu beseitigen, wobei ich daran erinnere, wie der deutsche Adel, von lange her ebensowohl als der französische steuerfrei war, ein Umstand, der seiner Zeit nicht wenig zu dem Ausbruch der französischen Revolution beigetragen und der in der Zeit, von der ich rede, in ganz Deutschland große Mißstimmung gegen den Adel hervorrief. Es erwuchsen aus dieser gewiß gerechtfertigten Forderung schon damals, und noch für lange hinaus, endlose Conflicte, bald zwischen Adel und Volk, bald zwischen Adel und Fürst. Die Stellung, welche der Großherzog zu dieser Frage nahm, konnte ihm nur die allgemeinen Sympathieen erwerben, und er sträubte sich auch jetzt nicht gegen eine Repräsentativ-Verfassung, doch erschien seinem souveränen Sinne die Form der Octroyirung gleichfalls angemessener, als die der Vereinbarung; weil man aber damit nicht so schnelle zu Stande kommen konnte, – wozu auch der Gebietsaustausch von 1815 viel beitrug –, sah sich der gute Wille des Fürsten plötzlich durch eine große Aufregung im Lande überholt. Die Verhältnisse des Jahres 1817, bekanntlich ein schweres Noth- und Hungerjahr, versetzten die Gemüther in dumpfe Gährung, und in unklarer Erkenntniß, aber doch nicht unrichtigem Ahnen, verwechselte der geringe Mann in diesem Fall, wie nachher noch öfter, die Ursache mit der Wirkung. Man hielt den Mangel an politischer Freiheit für den nächsten Grund äußerer Noth und nun wirkten beide Dinge zusammen, Unzufriedenheit zu erzeugen. Von Oberhessen ging zuerst der Anstoß aus, der Regierung die Stirne zu bieten; dann wurden dort und in Starkenburg Ausschüsse gewählt, welche Eingaben und Vorstellungen bei der Regierung um eine Verfassung machten. Zugleich schilderten diese Vorstellungen eindringlich die unerträglichen Steuerlasten, und wie unter deren[124] Druck ein braves Volk zu einem rohen Schwarme entarte. Man vergaß freilich, daß die eigentliche Quelle der Noth in den vergangenen Kriegen zu suchen sei, womit freilich nicht gesagt sein soll, daß nicht Erleichterung geschafft werden konnte und mußte. Der Großherzog versprach, die Stände auf den Mai 1820 einzuberufen, also erst fast nach einem Jahre. Hierauf wurden die Bittschriften immer zahlreicher, die Vorstellungen immer entschlossener, ja zuletzt drohend, man verlangte in jedem Fall eine Mitberathung des Volkes. – Es war ein aufgeregtes Jahr dieses 1819; große Judenverfolgungen – man bürdete Jenen die Schuld an der Theurung auf – von denen jedoch auch vielfach behauptet wurde, die Reaction sehe sie gerne, und zu denen das bekannte: »Hepp! Hepp!« – jener Ruf, mit dem die jüdischen Kleider-Trödler Roms einst ihre Gegenwart in den Straßen bemerkbar machten, das Signal gaben, bekundeten zuerst die Aufregung des Volkes. Zu diesen Verfolgungen gesellten sich dann Unruhen im Odenwald; man fing an die Steuern zu verweigern aus dem Grunde, weil sie nicht durch Stände verwilligt waren. Volksschriften, die das Volk über seine Lage und seine gerechten Wünsche aufklären sollten, wurden verbreitet, und besonders das: »Frag- und Antwortbüchlein über Allerlei, was im deutschen Vaterlande besonders Noth thut«, von Wilhelm Schulz aus Darmstadt, mit Begierde gelesen. – So kam es denn bald im Odenwald zu blutigem Zusammenstoß mit dem Militär, welches die vorgenommenen Pfändungen beschützte; in Darmstadt wurden der schon genannte Advokat Karl Heinrich Hoffmann und sein Freund Wilhelm Schulz, zwei Männer, die der wärmste Eifer für Volk und Vaterland beseelte, und die auf einem freien Boden Großes würden geleistet haben, verhaftet, dann aber bald wieder freigegeben, da die Regierung beständig zwischen Nachgeben und Härte schwankend, nun doch endlich am 18. März 1820 ein Verfassungsedict erließ.[125] Inzwischen waren die Karlsbader Beschlüsse gefaßt worden und in derem Geiste war dieses Edict abgefaßt, das Niemand befriedigte. Man nannte ein Werk: Verfassung, welches alle fürstliche Machtvollkommenheit behauptete, welches den Ständen zwar das Recht der Steuerbewilligung verlieh, doch ihnen zugleich die Steuerverweigerung entzog, also das einzige wirksame gesetzliche Mittel, welches den Landständen Macht verleiht. Polizei- und andere Gesetze wollte die Regierung ohne ständische Mitwirkung erlassen dürfen, endlich war das Wahlgesetz ein durchaus unfreies, mit sehr hohem Census, und zwiefach indirecten Wahlen. – Diesem Edict gegenüber gab nun das hessische Volk ein schönes Beispiel mannhaften und würdigen Widerstandes. Trotz des mangelhaften Wahlgesetzes wurden freisinnige Leute, unabhängige Bürger und Bauern gewählt, und die Abgeordneten der zweiten Kammer übergaben eine Vorstellung an den Fürsten, von Oberappellationsrath Höpfner verfaßt, worin sie erklärten, daß dies Edict nur ein Regulativ, keine Constitution sei, und als die Regierung noch auswich, verweigerte die Mehrzahl der Deputirten den Verfassungseid.

So entschloß man sich denn zum Nachgeben von Oben, wozu auch die Wiener Ereignisse drängten; jene bereits erwähnte Opposition Würtembergs, sowie das Festhalten des übrigen Süddeutschland an den gegebenen Verfassungen, beeinflußten den Fürsten, dessen grader Sinn sich vielleicht auch schließlich an den Metternich'schen Wortverdrehungen ärgerte. Das damalige hessische Ministerium Grolman kam jetzt der Kammer so unverholen freundlich entgegen, daß die Spannung sich rasch löste, und als nun noch das unbedingte Steuerverwilligungsrecht gewährleistet, ein Zusatz über Ministerverantwortlichkeit beigefügt und eine sehr befriedigende Rechnungsablage vorgelegt wurde, schloß sich der Friede unter allgemeinem Jubel des Landes. Man gab seinerseits dem[126] Fürsten darin nach, daß er diese nun sehr freisinnige Verfassung, die später leider fast ganz beseitigt wurde, als eine von ihm ausgegangene verkündigen ließ, und auf's Neue war durch diese Vorgänge ein glänzender Beweis geliefert von dem gesunden und versöhnlichen Sinn des deutschen Volkes, wo ihm von Oben her Wohlwollen und einsichtiges Nachgeben entgegen kam.

Von da an bildeten die süddeutschen Mittelstaaten entschieden den Sauerteig für ein fortschrittliches Leben in Deutschland, und zu gleicher Zeit sehen wir, im Gegensatze zu der heiligen Allianz der Fürsten, eine heilige Allianz der Völker sich schließen und von jenen Stätten ihre Ausgangspuncte nehmen, wo der Same der französischen Revolution bereits für eine Weile aufgegangen war, und zu neuen Zuständen geführt hatte. In jenen Ländern zuerst entwickelte sich eine offene Opposition, wo die Restauration der Bourbonen, das eben erwähnte Neue beseitigend, die alten Zustände mehr oder weniger gewaltsam wiederherzustellen sich bemühte. In Frankreich, Spanien und Neapel, wo sie ihre Throne wieder aufgerichtet hatten, – zeigte sich überall dasselbe Bestreben, alle Errungenschaften einer vorangeschrittenen Zeit zu beseitigen, um in alter Trägheit und Selbstherrlichkeit hoch über den Köpfen der Menschheit zu thronen. So brachen naturgemäß auch fast gleichzeitig die Gewitter los, die diese Selbstüberhebung erschüttern und so lange immer wieder bedrohen sollten, bis sie vernichtet war. Den Anstoß dazu gab wunderbarer Weise wieder jenes Land, welches zur Zeit von Napoleons glänzendster Herrschaft zuerst die Fahne der Empörung gegen ihn aufgepflanzt, und mit einer Beharrlichkeit, einem Muthe, ja, einem Fanatismus gegen den französischen Usurpator kämpfte, daß bald alle Blicke sich bewundernd auf die iberische Halbinsel richteten. An ihrem Widerstande entzündete sich nicht zum kleinsten Theile die Begeisterung und[127] der heilige Eifer, der nach und nach alle unterdrückten Völker zu den Waffen gegen Frankreich rief. Fast noch wunderbarer aber muthet es uns an, wie dieses durch Jesuiten und religiösen Fanatismus so lange und tief gebeugte Volk durch diese Kämpfe einen Theil seiner früheren geistigen Kraft wieder erlangte. Mit unendlicher Zähigkeit an seinen alten Gemeindeordnungen festhaltend, und sich ebensowenig seine provinciellen Vorrechte oder Fueros entreißen lassend, hatte es schon im Jahre 1812, nachdem König Joseph Spanien nothgedrungen verlassen hatte und noch während der Fortdauer des Krieges seine alten Stände oder Cortes zusammenberufen und durch dieselben eine Verfassung im modernen Sinne ausarbeiten lassen, welche zu den freisinnigsten ihrer Art gehörte. Die Grundlage dieser Verfassung bildete die französische Constituante von 1792; die Souveränität des Volkes wurde durch dieselbe über die des Königs erhöht. Zugleich athmete sie den aufgeklärtesten religiösen Geist, wobei sie allerdings durch ihre Bestimmungen manche Klassen der Gesellschaft verletzte, namentlich den Klerus durch Aufhebung der Klöster. Für solche Maßregeln hatte der Gebildete das richtige Verständniß, nicht aber das spanische Volk, welches in seiner bigotten Glaubensstärke abhängiger von dem Priester ist, als sonst ein romanisches Volk. Durch die feindliche Stellung, welche dergestalt der Klerus gegen die neue Verfassung einnahm, war deren Lebensfähigkeit schon von vornherein bedroht. –

Napoleons Fall hatte 1814 den König Ferdinand VII. nach Spanien und auf seinen Thron zurückgeführt; eine Bedingung seiner Wiedereinsetzung von Seiten der Regentschaft, die sich in Madrid gebildet hatte, war die Annahme der Verfassung von 1812; die fremden Mächte, entzückt von Spaniens sicherer Haltung, standen auf Seiten dieser Forderung. Natürlich konnte Ferdinand sich nicht besinnen, auf diese Wünsche einzugehen, aber seine Aufrichtigkeit begann schon jetzt zu wanken,[128] als er kaum den spanischen Boden wieder betreten hatte. Umgeben von Günstlingen und Feinden der Verfassung, bereitete er einen raschen Gegenschlag vor, ließ, ehe er noch selbst den Fuß nach Madrid gesetzt, eine Anzahl der Cortes und andere angesehene Männer, auch. Mitglieder der Regentschaft, verhaften, und das bethörte Volk, gegen die Verfassung fanatisirt, jubelte dem wortbrüchigen Fürsten zu, zerbrach die Verfassungstafeln, und als der König einzog, lagen bereits die besten Männer der Nation, denen der König selbst, während er noch mit ihnen unterhandelte, geschrieben: »daß sie dem Weltall ein Beispiel der lautersten Fürstentreue und des edelsten und großsinnigsten Characters gegeben hätten«, in dunklen Kerkern.

Der Herzog von Wellington, der dem Könige auf dem Fuße nach Madrid gefolgt war, und der auch hier die Restauration persönlich geleitet, ließ sich durch Ausreden und Lügen des Königs, einem Meister in der Verstellungskunst, täuschen, und so beruhigte sich England über das Schicksal eines Landes, mit dem es so viele Jahre lang Schulter an Schulter gegen Napoleon gefochten, das ihm einen Schauplatz geboten, auf dem die britischen Armeen ihn direct angreifen konnten. Nach einem scheußlichen Processe von anderthalb Jahren wurden die Verhafteten ohne Angabe eines Verbrechens zu 6–8jähriger Haft oder zur Transportation nach Afrika verurtheilt. – Das griff den Spaniern an's Herz, aber es sollte bald noch schlimmer kommen; König Ferdinand, jetzt 30 Jahre alt, im Besitz einer langerwünschten Herrschaft, frei der Haft, in der Napoleon ihn 6 Jahre lang gehalten, entpuppte sich jetzt als ein Regent, der den Mißcredit vollendete, in welchen selbst bei einem so monarchisch gesinnten Volke, wie die Spanier, das Königthum gekommen war. In roher Unwissenheit aufgewachsen, haßte er Bildung bei dem Einzelnen und Civilisation im Großen. Seine eigne,[129] freilich sehr unnatürliche Mutter nannte ihn »eine verkrüppelte Seele, falsch, grausam, character- und gefühllos von Jugend auf.« Dabei liebte Ferdinand den gemeinsten Umgang, und in steter Vertraulichkeit mit seiner Dienerschaft, woran er sich in der Gefangenschaft gewöhnt hatte, bildete diese nun bald um ihn her jene berüchtigte Kamarilla, die ihn in seinem Mißtrauen und seiner Bosheit unterstützte, oft aber selbst das Opfer seiner Verstellungskunst wurde. – Es konnte nicht fehlen, daß man diesen Bourbonensprößling bald eben so tief haßte, wie man ihm Treue bewahrt hatte, und schon sehr bald legten vereinzelte Aufstände Zeugniß der Mißstimmung ab, die aber alle merkwürdigerweise von dem Militär ausgingen. Diese Truppen, die vereint mit dem Volke so tapfer gekämpft hatten, erhielten sich am längsten den politischen Sinn und Ehrgeiz; die patriotischsten und besten ihrer Führer empfanden bis in's Innerste den Abfall von Freiheit und Ruhm bis zur Erniedrigung und Sclaverei. So erlebte Spanien binnen sechs Jahren neun Soldatenaufstände, die aber, vereinzelt ausbrechend, alle schnell unterdrückt wurden; weniger rasch unterwarf man sich wieder die aufständischen Colonien in Süd-Amerika, die, sich von Spanien losreißend, sich unabhängig erklärten, kleine Republiken bildeten, und schon als Solche den Mächten der heiligen Allianz gefährlich erschienen. – In Folge dieser Verhältnisse war es nun endlich auf dem Congresse von Aachen gelungen, auch Spanien dem Fürstenbündnisse beitreten zu machen, indem der König von dorther einen Beistand erhoffte. Die furchtbare Finanznoth, in der sich die Regierung befand, da man gar nicht daran dachte, die natürlichen Hülfsquellen des Landes zu entwickeln, ließen sie den Abfall der Colonien, deren Einkünfte unentbehrlich waren, sehr schwer empfinden. Man wollte sie durchaus zurückgewinnen, aber der Krieg mit ihnen war den spanischen Truppen tief verhaßt; sie wußten, daß sie dort nur zur Schlachtbank[130] geführt wurden, denn von 1811–19 waren nicht weniger als 42,000 Soldaten hinüber geschickt worden. – Nun sammelte man in Cadix wieder eine größere Menge zur Ueberschiffung ein; in der Hafenstadt aber wußte man genau, wie es drüben in Süd-Amerika stand und dort war es nun, wo ein neuer Soldatenaufstand unter Leitung des Bataillonchefs Riego und des Obersten Quiroga, sich bis zur Revolution entwickelte. Am Neujahrstag 1820 rief man die Verfassung von 1812 aus, und Quiroga richtete Ansprachen an das Volk, an die Truppen, und eine Adresse an den König, in welcher dem Könige unumwunden gesagt war, daß das Volk nicht das Eigenthum eines Menschen sei, sondern vielmehr die Könige dem Volke angehörten. Dieser Aufstand verbreitete sich bald über ganz Spanien und wurde durch ein Ereigniß unterstützt, welches die Royalisten dies- und jenseits der Pyrenäen erzittern machte, – die Ermordung des Herzogs von Berry. Der Herzog von Berry war der zweite Sohn des Grafen Artois, des Bruders von Ludwig XVIII. Der älteste Sohn, der Herzog von Angoulême, Gemahl der einzigen Tochter Ludwigs XIV., war kinderlos; die Fortpflanzung der älteren Bourbonenlinie beruhte auf jenem Herzog und um dessentwillen fiel er unter dem Dolche eines Fanatikers, eines Sattlergesellen, Pierre Louvel, der ihn am 23. Februar 1820, als der Herzog in Paris seine Gemahlin aus der Oper an den Wagen führte, ermordete. Auch Louvel hatte wie Sand keine Mitschuldigen, seine That war die Frucht des Hasses, der die französische Nation gegen die Bourbonen beseelte. Er erklärte, das einzige Motiv seiner That sei der Wunsch, Frankreich von der Tyrannei der Bourbonen zu befreien. – Dieses Moment goß Oel in die Flammen des spanischen Aufstandes und verursachte dem König und seiner Umgebung so furchtbaren Schrecken, daß Ferdinand schon am 6. März die alten Cortes einberief, und daß am 7. ein neues[131] Decret des Königs Entschluß verkündigte, die Verfassung von 1812 zu beschwören, »da es der allgemeine Wille des Volkes sei.« – Der lärmendste Enthusiasmus ergriff jetzt das wankelmüthige Volk von Madrid, und bald auch ganz Spanien; der König heuchelte den zärtlichen Vater, er versicherte seine Anhänglichkeit an die Verfassung und hob unter lautem Jubel die Inquisition wieder auf, die er vor 6 Jahren neu eingeführt hatte. Der Held des Tages war Riego, und an seine Gestalt heftet sich heute noch in Spanien die Erinnerung an jene glorreiche Revolution. Er war ein Mann von wenig Geist und Wissen, ohne besondere Eigenschaften und Anlagen, nur hatte er bei dem Aufstand großen Muth bewiesen und bewies ihn auch dann, als er drei Jahre später das Blutgerüst besteigen mußte um als Märtyrer eine Laufbahn zu beenden, die er als kühner Bandenführer begonnen. Als er zuerst nach Madrid gekommen, voll Selbstüberhebung und Eitelkeit, ließ er sich feiern wie einen Helden; sein Freund San Miguel hatte eine Hymne auf ihn gedichtet, die man Abends im Theater sang, als er dort erschien, und seitdem ist diese Riego-Hymne die Marseillaise der Spanier geworden, und hat sie bei neuen kühnen Aufständen, bei allen blutigen Kämpfen begleitet und angefeuert, während der fortgesetzten politischen Erschütterungen, die dieses unglückliche Land ohne Ende bedrohen.

Doch wenden wir uns jetzt einen Augenblick nach Frankreich, wo nun gleichfalls die Soldatenaufstände, zum Theil geleitet durch Lafayette, der wieder für seine Orleans agitirte, zur Tagesordnung gehörten. – Selten wohl war die Gelegenheit einem Herrscher so günstig, seinem Lande wohlzuthun, die Uebelwollenden und Mißtrauischen zu versöhnen, als dies nach der zweiten Restauration der Bourbonen der Fall gewesen; Ludwig XVIII. hatte auch unzweifelhaft guten Willen, aber der Graf von Artois und dessen Anhang blieben unversöhnlich.[132] Wir können hier auf die Einzelnheiten dieser Zustände nicht näher eingehen, es genüge die kurze Andeutung, wie man Alles that, was man nur konnte, um Frankreich wieder den Gebrauch constitutioneller Freiheiten zu verkümmern und zu verkürzen. Dazu kamen die unseligen Umtriebe des Klerus, den die Regierung brauchte und unterstützte, um das Volk zur alten Unwissenheit zurückzuführen. Wahrlich, man muß, um gerecht gegen die französische Nation zu sein, nie vergessen, wie dies begabte, aufgeweckte, von klarem Geiste beseelte Volk an allgemeiner Bildung mit jeder anderen Nation würde wetteifern können, ohne diesen geistigen Druck, der beständig auf ihm lastet. Jetzt, um ihm die Zügel wieder überzuwerfen, hatte man es mit der Einrichtung von inneren Missionen versucht, durch die der Pöbel in einen wahren Taumel versetzt wurde, ganz ähnlich, wie man dafür heute die Wallfahrten nach Paray-le-Monial und Lourdes benutzt. – Es war in jener Zeit, wo das »Herz Jesu«, dem man das Eigne freudig opfern sollte, anfing, seine Rolle zu spielen, – und man konnte von diesem Herzen drei Sorten kaufen, – ein Handel, der unermeßliche Gelder einbrachte. Auf jede Weise wurden überdem die religiösen Leidenschaften der Menge angefacht, – durch pomphafte Aufzüge, wobei geschmückte Jungfrauen Missionslieder auf Melodieen von Revolutionsgesängen ertönen ließen, durch junge, zierliche Prediger, welche die Herzen mit ihren Ansprachen tief erschütterten, durch das Aufrichten von ungeheuren Kreuzen und ähnlichen Aeußerlichkeiten. Spott und Hohn ergoß sich über diese Dinge, Entrüstung gesellte sich dazu wegen der grausamen politischen Verfolgungen, die verhängt wurden, und die Poesie lieh dem Allen ihren Ausdruck durch die Lieder des größten Lyrikers, den Frankreich je besessen, durch Béranger. Man sang seine chansons auf der Straße, wie in dem Salon, trotzdem sie ihren Spott über Alles schonungslos ergossen, und in feierlicherer[133] Weise bewegte gleichzeitig Casimir Delavigne die Herzen, indem er in glühenden Worten den Freiheitskampf der unterdrückten Messenier gegen Sparta erzählte, und auf der Bühne den Tyrannenmord durch seine Dramatisirung der Sicilianischen Vesper verherrlichte. – Die Jahre 18 und 19 zeigen uns ganz Frankreich schon wieder in fieberhafter Erregung, als die Ermordung des Herzogs von Berry der Reaction neue Lebenskraft gab. Der Minister Decazes, der bis dahin zwischen beiden Partheien ein glückliches Schaukelsystem eingehalten, wurde nun laut von den Ultra-Royalisten angeklagt, er habe durch seine freisinnigen Zugeständnisse den Mord des Herzogs mit veranlaßt; der Graf Artois erklärte, er werde die Tuilerien verlassen, wenn Decazes bleibe, und so mußte Ludwig XVIII. nothgedrungen seinen Günstling aufgeben und Veränderungen an der Charte, namentlich an dem Wahlgesetz, vornehmen lassen. Seit 1815 hatte man dieses Wahlgesetz so oft beschnitten und umgewandelt, daß jetzt das Wahlrecht nur noch 12–13000 Leuten, und zwar den reichsten, in die Hand gegeben war. Was Wunder, daß es da in den Straßen von Paris zu öfterem Blutvergießen kam, so auch bei der Hinrichtung Louvel's, die am 7. Juni 1820 erfolgte und daß eine große Militärverschwörung sich bildete, die jedoch verrathen wurde, was die Macht der Regierung wiederum verstärkte. – Gränzenlos aber war der Jubel aller Königlichgesinnten, als nun am 29. September 1820 die Wittwe des Herzogs von Berry, Frankreich einen legitimen Thronerben durch die Geburt eines Sohnes gab. Fernerstehende sahen darin nur den Anlaß zu erneuten Kämpfen, und prophetisch klingt das Wort des Herzogs von Wellington, der, als er die Kanonenschläge vernahm, die einen Prinzen verkündigten, ausrief: »Dies ist das Todtengeläute der Legitimität!« – Dieses Kind, der junge Herzog von Bordeaux, ist der heutige Graf von Chambord, [134] Dien-Donné, wie ihn die Taufe benannte, das »Kind Europa's«, wie ihn die Diplomatie, das »Wunderkind«, wie ihn die Royalisten begrüßten. – Daß er, obgleich ein Sohn des 19. Jahrhunderts, doch, wie die Anderen, Legitimist und Bourbon geworden ist, vom Scheitel bis zur Sohle, dies haben uns die jüngsten Partheikämpfe in Frankreich gelehrt, doch man kann ihm dabei das Zeugniß eines ehrlichen Mannes, der seinen Standpunct offen vertritt, nicht versagen; möge trotzdem der Himmel Frankreich vor dem Geschick bewahren, ihn auf einem neu aufgerichteten Throne zu sehen! –

Durch die Geburt dieses Kindes hatte nun endlich Graf Artois die Oberhand gewonnen; seine Parthei bildete jetzt ein neues Ministerium, und 1823 sehen wir unter Anführung des Herzogs von Angoulême, ein französisches Heer über die Pyrenäen ziehen, um durch eine »bewaffnete Intervention«, die treulosen Pläne König Ferdinands unterstützend, die Verfassung von 1812 wieder zu beseitigen. Der König, von den Cortes, die Madrid vor den heranrückenden Franzosen verlassen mußten, genöthigt, ihnen zuerst nach Sevilla, dann nach Cadix zu folgen, wurde durch französische Waffen wieder in sein Escurial zurückgebracht, und es begann eine Gegenrevolution, die Spanien allerdings Ruhe gab, aber »die Ruhe eines Kirchhofs.« – Diese Intervention jedoch, das erste Resultat der neuen Allianz-Congresse, von denen wir allsobald hören werden, hängt mit noch weiteren und größeren Ereignissen zusammen, die gleichzeitig auf der italienischen Halbinsel sich begaben. – Werfen wir darum jetzt einen Blick auf die östreichischen Länder.

Von dem System der Trägheit und des Stillstandes, welches Metternich übte, unterstützt durch Friedrich von Gentz, seinem geistvollen Staatssecretair, dessen Wandlung zu dem gefügigsten Werkzeuge der Reaction sich nun vollständig vollzogen[135] hatte, haben wir bereits gehört. Gentz, von so nervöser Furchtsamkeit, daß ein Gewitter ihn entsetzte, und er sich kindisch vor bösen Gänsen fürchtete, war zu jeder Maßregel bereit, die ein politisches Gewitter fern halten konnte, und Kaiser Franz mochte wohl gelegentlich einmal sagen, wenn er, trotz aller Stumpfheit, das Rollen einer neuen Zeit vernahm: »Na, mich und den Metternich hält's noch aus!« – Mit doppelter Wucht mußte folglich ein System, das solche Träger hatte, auf Oestreich selber drücken, noch mehr auf die mit seiner Krone verbundenen Länder. Nirgends sonst sehen wir den Character des väterlichen Regiments, das den Fürsten als Herrn und Vater des Volkes darstellte, so scharf betont, als dort. Am besten belehrt uns darüber der Blick in ein Volksschulbuch über: »die Pflichten der Unterthanen«. Darin wurden die Schüler angewiesen, »ihre Herrschaft wie Vater und Mutter zu ehren, wie Diener ihren Herrn, denn der Herrscher sei ihr Herr und habe alle Macht über ihr Leben und ihren Besitz«. So nackt und unverhüllt trat denn doch der Absolutismus sonst nirgends auf, – und dem entsprechend wurde Alles behandelt, was sich etwa noch von altständischem Geiste in den deutschen Provinzen regen mochte. Dagegen wurde die Kirche in einem Lande, wo kaum erst noch der Geist eines Joseph geleuchtet, als Schoßkind behandelt, aber nur die katholische, denn den Protestantismus suchte man auf's Aergste zu bedrücken, und ein prägnantes Beispiel dafür bot noch im Jahre 1834 die bekannte Auswanderung der Zillerthaler, 400 an der Zahl, die nach Preußen auszogen, wo sie, weil man daheim ihnen die protestantische Religionsübung versagte, freundliche Aufnahme und Zuflucht fanden, wie einst so viel früher die ausgezogenen Salzburger Protestanten sie bei dem großen Kurfürsten gefunden. – Am schwersten drückten die religiösen und civilen Verordnungen auf die Schulen und Universitäten; es war[136] z.B. den Kindern durch Schulgesetze vorgeschrieben, wie sie sich zu Hause auf den Schulgang vorbereiten, wie ihn zurücklegen sollten; wie sie sich während des Unterrichts zu bewegen, zu sitzen, Hände und Füße zu halten hatten, ja, wie sie sich am Ofen, auf der Treppe und an andern Orten zu benehmen hätten. Dieselbe Abrichtung, derselbe Mechanismus sollte geistig auf den Gymnasien und auf den Universitäten herrschen; die Naturlehre war aus den Programmen verbannt, Geschichte und Geographie sehr beschränkt, in den Sprachen wurde fast nichts geleistet, und damit die Lehrer und Professoren nicht zu eifrig nach verbotenen Früchten suchten, gab die kaiserliche Bibliothek keine Handschrift, kein Buch nach Hause, worüber nicht der Bibliothekar jährlich Bericht erstatten mußte. So sind ja auch erst in den letzten Jahren die östreichischen Archive geöffnet und damit eine unbefangene Geschichtsforschung über den Kaiserstaat ermöglicht worden. – Eine Hauptrolle spielten die Religionszeugnisse und Examina's; kein Brautpaar wurde getraut, ohne ein Solches durchgemacht zu haben; die Professoren wurden zur Beichte angehalten, ja, die Hirten sogar bekamen die Obhut über Kühe und Rinder nur dann, wenn sie ein Religionszeugniß beibringen konnten. Wie wurden aber erst die Schulkinder mit der Religion geplagt, – jeden Morgen eine Messe, sechsmal im Jahr Beichte, kein Schüler, war er auch noch so ausgezeichnet, wurde versetzt ohne genügendes Religionszeugniß; wie diese religiöse, so breitete sich auch eine weltliche Polizei über den ganzen Kaiserstaat aus, die an Spionage, Feinheit und Schlechtigkeit geradezu unübertrefflich war. – Hand in Hand damit ging die Absperrung alles geistigen Lebens, welches von Außen hätte eindringen können, sowie die Ueberwachung von Fremden und Einheimischen, die sich den Luxus ernsterer geistiger Beschäftigungen erlaubten. Eine Gesellschaft junger Schweizer, in Wien lebend, die sich[137] zu wissenschaftlichen Zwecken verbunden, aber 1817 wieder aufgelöst hatte, wurde 1819 verfolgt, verhaftet, 10 Monate lang eingekerkert, ohne daß sie den Ihrigen Nachricht geben durften, endlich entlassen und »aus Gnade« des Landes verwiesen. Man behauptete, in ihren Statuten seien Grundsätze der Freimauerei enthalten gewesen, und von dem einen der jungen Männer sagte die Wiener Polizei aus: »daß er nach ihrem Dafürhalten ein zweiter Marat geworden wäre, wenn er – 30 Jahre früher gelebt hätte

Ebenso wurden die Dichter Grillparzer, Castelli und Zedlitz verfolgt, weil sie, einer humoristischen Gesellschaft, der Ludlamshöhle, angehörend, scherzhafte Reisepässe ausgestellt hatten, hinter denen man gleichfalls eine Verschwörung witterte. – Jedermann begreift, wie unter solchen Verhältnissen ein Dichter, wie Grillparzer später fast verschollen in Wien leben konnte, und wie er die Erzeugnisse seiner Muse ängstlich vor der Oeffentlichkeit hütete, – da die Wiener Bühne bald nur noch Raum hatte für gemeine und possenhafte Darstellungen. Die hier gegebenen Beispiele ließen sich in's Tausendfache vermehren, und sie wären oft nur einfach lächerlich, wenn sich nicht eben so viel Grausamkeit, wie persönliche Verfolgungssucht und Engherzigkeit damit gepaart hätten. Der östreichischen Bevölkerung jedoch mußten sich Heuchelei, Verdummung, eine unbändige Genußsucht und Frivolität bemächtigen, und namentlich die Wiener wurden davon ergriffen; man suchte darin das Vergessen aller höheren Güter, die ein freies Volk beglücken. – Aber der Geist der Zeiten ließ sich nicht spotten, und Metternich sollte dies gar bald auch an dem Kaiserstaate erfahren, den er so künstlich wieder zusammengezimmert hatte. –[138]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 115-139.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Geschichte von 1815-1870
Deutsche Geschichte von 1815-1870

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon