Siebente Vorlesung

[139] Lage Italien's. Die Carbonari. Befreiungskämpfe der Griechen. Congresse von Troppau, Laibach und Verona. Tod Alexander's von Rußland. Kaiser Nikolaus. Bildung eines neuen griechischen Staates. Studentenverfolgungen in Deutschland


Wir müssen uns heute auf einen stürmischen Vortrag gefaßt machen, denn wir werden von einem Aufstand, von einer Revolution zur Andern überzugehen haben.

Nicht sobald hatte sich der erste zündende Funke revolutionärer Blitze entladen, als der ganze politische Körper Europa's in stürmische Zuckungen gerieth, die jetzt von Spanien aus nach der italienischen Halbinsel übersprangen. Die Restauration der verschiednen Staaten Italiens war 1815 in fast noch einschneidenderer Weise vor sich gegangen, als die in Spanien und in Frankreich. In jedem Falle sahen sich dadurch die Hoffnungen der Italiener auf einen Gesammtstaat, auf ein Königreich Italiem wiederum zerstört. Seit dem 6. Jahrhundert, da der Ostgothe Theodorich zum Erstenmale ein italienisches Königreich geschaffen hatte, war dort der Wunsch nie wieder ganz erstorben, sich zu einer zusammenhängenden, selbstständigen Nation herauszubilden. Während der folgenden endlosen Kämpfe zwischen Kaiser und Papst auf italienischem Boden, stand immer zwischen Beiden eine Dritte, eine nationale Parthei, der das obengenannte Ziel vor Augen schwebte, und die zur Erreichung desselben, sich bald mit dem Papste, bald mit dem Kaiser verband. Dazu gesellte sich der republikanische Geist, der von uralter Zeit her, auf jenem Boden, dem die stolze Roma entsproßte,[139] seine Nahrung gefunden und sich durch die Bildung der kleinen mittelalterlichen Republiken so mannichfach kundgegeben hatte. Es war nur eine sehr natürliche Erscheinung, daß kein anderes Land die neuen Lehren, die ihm Frankreich brachte, so begierig in sich einsog, als Italien, und daß mit der Neubegründung von Republiken, jenseits der Alpen, sich der schlummernde Gedanke an bürgerliche Freiheit und eine nationale Wiedergeburt neu belebte.

Leider hatte Italien den dafür günstigsten Zeitpunct von 1812–14 ebenso wenig begriffen und ergriffen, als dies in Deutschland der Fall gewesen; die Restauration vollzog sich auch dort, und zwar fast überall, sowohl im Kirchenstaat, in Sardinien, wie in Neapel, unter dem Jubel der Bevölkerungen, weil eben die Rückkehr der alten Herrschaften ihnen gleichbedeutend erschien mit der Erlösung von der Fessel des Fremden. Es machte sich dort wie aller Orten derselbe tragische Gegensatz geltend; während die Fürsten und Herren in Napoleon das Kind der Revolution, und mit ihm zugleich deren Hinterlassenschaft, die revolutionären Ideen und Einrichtungen bekämpften, sahen die Völker im Gegentheil in ihm nur den gestürzten Tyrannen und Despoten, und hofften jetzt, sich mit Sicherheit an den geistigen und politischen Gütern erfreuen zu dürfen, die ihnen, denn doch bei aller Drangsal, jene Epoche der Umwälzungen als tröstliches Geschenk gebracht und zurückgelassen hatte.

So mußte vom ersten Tage an die' Wiedergewinnung der Lombardei und Venedigs für Oestreich ein Danaergeschenk werden, und seinem im Uebrigen jetzt noch ziemlich gefügigen Staatskörper, ein höchst widerwilliges, unbeugsames Element einfügen. Ja, hätte man dort wenigstens die Zustände wieder so herzustellen versucht, wie sie unter Marie Theresiens einsichtiger Leitung gewesen, wo ein Vice-[140] König die italienische Besitzung selbstständig verwaltete, und die Lombardei nach ihrem eignen Gesetzbuch regierte. Dies Alles war jetzt anders geworden, und dies Andre wurde um so schwerer empfunden, als es gar sehr verschieden war von dem, was man den Italienern anfänglich verheißen hatte. Vorerst theilte Oestreich seine transalpinischen Lande in zwei Provinzen, die man derart trennte, daß sich zwischen ihnen sogar bis um's Jahr 1822 Zollschranken erhoben; sie standen unter zwei Gouverneuren, welche von Wien aus dirigirt wurden, und nicht genug damit, beschränkte man die bestehenden italienischen Gesetze durch eine höchst mißfällige Einmischung der östreichischen Gesetze, wobei man namentlich den Wegfall der Schwurgerichte auf's Schmerzlichste empfand. Im Laufe der Jahre wurden alle höheren Beamtenstellen mit Deutschen besetzt, die italienischen Truppen fortgeholt und dagegen das Land mit Ungarn, Kroaten und andern Fremden belegt. – Aeußerungen wie die des Grafen Lasansky: »Man müsse Italien germanisiren«, riefen die schlimmsten Befürchtungen wach, und wurde dann auch Erzherzog Rainer mit dem alten Vice-Königthum betraut, so war dies doch nicht mehr als eine nominelle Würde; während der dreißig Jahre, da er dieselbe bekleidete, that er nicht das Mindeste für das Land, sondern war nur darauf bedacht »sich Geld zu machen«, wie Kaiser Franz von ihm sagte. Dieses Geld legte der Erzherzog sorgfältig im Auslande an, weil er selbst von dem früheren oder späteren Abfall des Landes fest überzeugt war. In der That wuchs schon gleich in den ersten Jahren der Argwohn zwischen Regierung und Volk so riesig an, wurde die Antipathie so gewaltig, daß nur Späherei und Polizeidruck, denen sich von Seiten der Bevölkerung Geheimbünde und Verschwörungen entgegensetzten, die deutsche Herrschaft erhalten konnten. Wir haben das Metternich'sche System bereits kennen gelernt; es lastete am Schlimmsten auf der Lombardei und Venedig, und[141] erzeugte den bittersten Haß gegen den Tedesco, den Deutschen, denn zwischen ihm und dem Oestreicher wußte der Italiener keinen Unterschied zu machen. Aehnliche Gefühle wurden gegen die Priester und die Kirche hervorgerufen, durch die Pflege der krassesten Bigotterie; von den religiösen Zwangsübungen, die man über sie verhängt, sagten die Italiener mit Recht, daß dieselben mehr Skeptiker unter ihnen hervorgerufen hätten, als früher die Voltaire'sche Schule in Frankreich, und nicht minder athmeten die Vorschriften der geheimen Polizei, welche etwa um 1826 ihre letzte Organisation erhielt, den ausgeprägtesten Jesuitismus. Da war kein Spion, der nicht wieder seinen Spion gehabt hätte; die hochstehendsten Beamten wurden überwacht, jedes Briefgeheimniß verletzt. Die Polizei hatte die schöne Aufgabe, der väterlichen Regierung alle Privatverhältnisse zu verrathen, und man erlangte deren Kenntniß durch Mittel, welche selbst die natürlichsten Bande, die zwischen Eltern und Kindern zerrissen. Alles, was sonst dem Staate auf offnem und ehrlichem Wege, durch die öffentliche Meinung, die freie Presse, das freie Wort, zugeführt wird, dies sollte die Polizei ihm ersetzen. Erst seit wenigen Jahren sind diese Dinge in ihrem ganzen Umfang bekannt geworden und man begreift vollkommen, wie sie ein Volk entsittlichen, wie sie ihm Gift und Galle in die Adern gießen mußten. Nicht viel besser erging es dem übrigen Italien. Pius VII. nach Rom zurückgekehrt, restaurirte den Kirchenstaat, rief die Jesuiten zurück, stellte alle Mönchs- und Nonnenklöster wieder her, und schloß Concordate mit den deutschen Staaten ab, welche dieselben möglichst tief unter das römische Joch beugten. In der Verwaltung des Kirchenstaates wirthschafteten er und seine Nachfolger so vortrefflich, daß, in den vierziger Jahren etwa, die Verdorbenheit der päpstlichen Unterthanen, ihr Räuberwesen, ihre Unwissenheit, fast sprichwörtlich geworden waren. In ganz gleicher Weise[142] verfuhren die Könige von Sardinien und Neapel. Beide hatten die Zeit ihres Exils auf den ihnen zugehörigen Inseln zugebracht, der Eine auf Sardinien, der Andere auf Sicilien. Aber jener damalige Victor Emanuel, der das Königreich Sardinien und Piemont beherrschte, war dem heutigen wenig verwandt, trotz der persönlichen Milde und Güte, die ihn beseelte. In Turin wie ein Gott bei seiner Rückkehr empfangen, ließ er in noch wahnwitzigerer Weise restauriren, als der Kurfürst von Kassel. Eine geordnete Gesetzgebung und Rechtspflege, die er vorfand, wurden umgestoßen, und die alten barbarischen Gesetze wieder eingeführt; damit verbanden sich die schrecklichsten Eingriffe in die Privatverhältnisse der Bewohner. Civilehen, die seit Jahren bestanden hatten, erklärte man für illegitim, längst verkaufte Güter wurden den zeitweiligen Eigenthümern entrissen, industrielle Unternehmungen, namentlich Seidenspinnereien, die in ehemaligen Klöstern betrieben wurden, ohne Weiteres hinausgeworfen, Franzosen, die sich seit Jahren in Piemont angesiedelt hatten, zu Tausenden vertrieben. Es war hier hauptsächlich der alte Adel, der den König, welcher vor der Zeit altersschwach geworden, zu diesen Thorheiten und Abscheulichkeiten antrieb; während es in Neapel dagegen der König selber war, der einen maßlosen Rückschlag in's Werk setzte. –

Wie dieser König seines Landes schon zweimal beraubt gewesen, können wir hier nur kurz andeuten. Das Erstemal geschah es zu Ende des vergangenen Jahrhunderts, durch die siegreichen Truppen der französischen Republik, worauf er mit den Seinigen nach Sicilien flüchtete, während in Neapel die Parthenopäische Republik entstand. Nur kurze Zeit währte die Freude der italienischen Patrioten über diese Veränderung, denn bald führte Lord Nelson den vertriebenen König wieder nach seiner Hauptstadt zurück, wo nun in furchtbarer[143] Weise, die Gräuel der französischen Revolution noch überbietend, die Königlichen sich an den Republikanern rächten, und namentlich die Königin Caroline, seit der Hinrichtung ihrer Schwester Marie Antoinette in eine Furie verwandelt, ihrer Wuth kaum Genüge thun konnte. – Zum Zweitenmale wurde dann Ferdinand durch den siegreichen Napoleon nach Sicilien verjagt, der seinen Schwager Murat zum König von Neapel erhob. Es entwickelte sich jetzt auf jener Insel, namentlich durch den Einfluß Englands und des Lord Bentinck ein neues Leben; diese berühmte, im Alterthum so blühende Kulturstätte, auf der sich noch Reste jener Musterverfassung vorfanden, die ihr der Hohenstaufe Friedrich II. einst gegeben, raffte sich auf aus ihren Verfall, und erhielt 1812 eine treffliche neue Verfassung nach dem Zuschnitte der Englischen. Wie aber Bentirk die Freiheiten und Rechte der Bevölkerung schützte, so hielt er auch den Hof in Schranken, der, umbekümmert um die eben erwähnten Vorgänge, so weit es irgend anging, die alte bourbonische Wirthschaft weiter führte. –

Sie wissen nun, wie 1814 Murat anfänglich von den verbündeten Mächten geschont wurde, wie er König von Neapel bleiben sollte, und auch geblieben wäre, hätte er nicht auf's Neue die Waffen für Napoleon ergriffen. Sein unglückliches Ende erledigte den Thron auf's Neue für die in Sicilien der Ereignisse harrenden Königsfamilie. England, das jetzt seine Hand von Sicilien zurückzog, duldete dort den Umsturz der Verfassung, duldete, daß die Insel, trotz ihres Widerstrebens, in einen staatlichen Gesammt- Verband mit dem Königreich Neapel gezwungen wurde. –

Die Königin Caroline war 1814 gestorben und König Ferdinand IV., der nun nach der Vereinigung beider Sicilien sich Ferdinand I. nannte, alt und bequem geworden; so war der Zustand des Königreiches anfänglich erträglich,[144] nur beging man die Unklugheit, das Heer, welches fast ganz aus Anhängern Murat's bestand, zu vernachlässigen und die höheren Officiere zurückzusetzen, so daß sich dort, ganz ähnlich wie in Spanien, im Kreise der Intelligenteren, ein Herd der Unzufriedenheit bildete. Die Aehnlichkeit der Zustände in den beiden romanischen Ländern, die nahen Beziehungen in denen sie zu einander standen, trugen die spanischen Zuckungen schnell auf den neapolitanischen Boden über, wozu sich noch der Einfluß der Geheimbünde gesellte. Bei der spanischen Revolution war die Gesellschaft der Freimaurer in hohem Grade betheiligt gewesen; bei den italienischen Umwälzungen spielten die Carbonari eine Hauptrolle, und hier wie dort sehen wir die Unzufriednen im Heere sich mit diesen Elementen verbinden, welche sich gleichfalls aus der Klasse der Gebildeten rekrutirten. Was die geringeren Klassen und namentlich den Pöbel betrifft, so befand er sich in der Hand des Klerus, der ihn hier wie dort für den König fanatisirte und ausnutzte. – Die italienische Carbonaria war eine Verbindung, die lange Zeit viel von sich reden gemacht; gleichzeitig gefürchtet, vergöttert und verhaßt, war sie ein Kind jener geheimen gesellschaftlichen Verbindungen mit mysteriösen Gebräuchen und Formeln, an denen das 18. Jahrhundert so reich gewesen, und die sich immer da bilden, wo das öffentliche Leben unterdrückt und mißachtet wird. Die bekannteste und am längsten bestehende dieser Gesellschaften ist die der Freimaurer, die namentlich in den katholischen Ländern, bald mehr bald weniger eine verhältnißmäßig große Rolle spielte und noch spielt. Dem Gebildeten erschuf sie vielfach eine besondere Religion der Aufklärung und Toleranz, sie mußte folglich eine geborne Feindin der Hierarchie sein und ist ihr darum beständig, so gestern wie heute, nicht mit Unrecht ein Dorn im Auge; und wie man ihr in Rom auch die Ereignisse der letzten Jahre und den Widerstand gegen den Vatican[145] mit auf die Rechnung schrieb, dies kann Ihnen nicht unbekannt sein. –

So kam es, daß die damalige Restauration in Neapel gleichfalls die Freimaurerlogen als Herde der Aufklärung unterdrückt hatte, wogegen diese, nur ein anderes Gewand umnehmend, ihre Auferstehung als Carbonari, d.h. Köhler, feierten. Wie die Freimaurer ihren Begründern, den Steinmetzen und Maurern, so entnahmen die Carbonari von den Köhlern ihre Symbole, und knüpften sie ihre Entstehung an allerlei Mythen und Geschichten, namentlich an den sächsischen Prinzenraub, an. Sie betonten im Gegensatz zur Kirche die Grundsätze der Aufklärung, im Gegensatz zum Staate die Grundsätze der Freiheit. – Diese Carbonaria rekrutirte sich hauptsächlich aus den mittleren Ständen und sie wuchs zu einer Macht heran, als sie in dem bekannten General Pepe, einem Manne, den man in unsrer Zeit vielfach mit Garibaldi verglichen hat, einen Führer fand. Es war also auch hier, wie in Spanien, ein Militär, der die großartige Bewegung leitete, an deren Spitze er sich gestellt, dabei mit vollem Bewußtsein die Idee eines in sich geeinigten Italiens verfolgend. – General Pepe hatte die Aufgabe erhalten, das furchtbare Räuberwesen in Calabrien zu bekämpfen, und es gelang ihm dies in wirksamer Weise durch Bildung von Milizen, aus den Reihen der bedrängten Einwohner selbst. Er kam auf die Idee, diese Milizen sämmtlich dem Carbonari-Bunde beitreten zu machen, und wie um Riego, so gruppirten sich nun bald um ihn die Hauptereignisse der neapolitanischen Revolution, deren nächster Zielpunct dahin ging, die spanische Verfassung einzuführen und den König zur Annahme derselben zu zwingen. – Es war ein überaus thörichtes Beginnen; hätte man die Einführung der sicilischen Verfassung verlangt, so war damit schon die Hälfte des Landes gewonnen, statt dessen mußte[146] später die Insel erst durch einen blutigen Kampf dazu gezwungen werden, das ihr Liebgewordne aufzugeben und wieder ein Neues, ihr Fremdes anzunehmen. –

Ein Soldatenaufstand in Nola und eine gleichzeitige Bewegung Neapels nöthigten den König nun in der That, zur Nachgiebigkeit gegen die oben ausgesprochnen Wünsche. Die angesehensten Männer des Königreichs gehörten in jenem Zeitpunct zu den Carbonari. Fünf von ihnen warteten in der Nacht des 6. Juli 1820 vor des Königs Kammer mit der Uhr in der Hand, auf seine Entschließung, nachdem man ihm eine kurze Frist gestellt hatte. Er mußte wohl oder übel nachgeben, und mit Pepe unterhandeln, der bereits die Truppen heranführte. Am 9. Juli zog der Triumphator in Neapel ein, während auf dem Balcon des Schlosses der ganze Hof mit dem Carbonari-Zeichen geschmückt, versammelt war, ihn zu empfangen. Der König selbst lag, vom Fieber geschüttelt, zu Bette, dennoch empfing er Pepe, und beschwor dann feierlich auf das Evangelium die Annahme der verlangten Verfassung; aus freien Stücken fügte er der Eidesformel noch hinzu: »Allmächtiger Gott, der Du in meiner Seele liefest, wenn ich lüge oder den Eid brechen sollte, so richte in diesem Augenblick die blitze Deiner Rache auf mich!«

Diese Blitze sollten denn auch wirklich, wenn auch in viel späterer Zeit, das neapolitanische Königshaus treffen und rettungslos zerschmettern.

Unter dem Volke herrschte jetzt großer Jubel und Freude – eine Empfindung, die von den Mächten der heiligen Allianz durchaus nicht getheilt wurde. Kaiser Alexander, mißtrauisch gemacht durch freiheitliche Bewegungen, die sich gleichzeitig in Rußland und Polen zeigten, wo sich auch die Freimaurerei neu belebt hatte, und vertreten wurde durch die gebildetsten und trefflichsten Männer, sah diese Symptome mit tiefem[147] Schrecken. Der schwankende Monarch trieb unter diesem Einfluß wieder mehr und mehr dem Absolutismus zu, und befand sich jetzt gerade in der richtigen Stimmung, die ein Metternich vortrefflich auszunutzen verstand. – Das Drohen des politischen Himmels veranlaßte neue Fürstencongresse. Gleich auf dem Ersten, zu Troppau in Schlesien, wurde gegen alles Völkerrecht der Grundsatz der bewaffneten Intervention aufgestellt, d.h. es sollte nicht gegen die wortbrüchigen Fürsten intervenirt werden, sondern gegen die Nationen, die mit heißer Sehnsucht den Kampf für ihre Freiheit und politischen Rechte aufgenommen hatten. Unter dem neuen Namen: »Centrum der Union der europäischen Staaten« erschien der Kern der heiligen Allianz auf's Neue auf dem Schauplatz und sie erließen eine Erklärung, daß sie sich neu verbündet hätten gegen die thrannische Macht der Rebellion und des Lasters. Als nächste Aufgabe wurde dann vorangestellt, den König von Neapel von dem Drucke zu befreien, mit dem sein Volk ihn belaste; man beschloß darum, ihn auf einen Congreß nach Laibach in Mähren zu berufen, wo die Mächte zwischen ihm und seinem mißleiteten Volke vermitteln und entscheiden würden. England widersetzte sich entschieden diesem vorgeschlagenen Verfahren, ja, das englische Volk empfand es als eine Art von Beschimpfung, daß man es überhaupt gewagt, England zu einem solchen Congresse einzuladen, und seine damalige Regierung mußte es schwer entgelten; aber auch Frankreich widersprach. – Nicht weniger empört zeigten sich die deutschen Mittelstaaten, weil man einen König, der schon zweimal seinen Eid gebrochen, förmlich zwingen wollte, vor den Augen Europas einen dritten Meineid zu begehen. –

So interessant diese Vorgänge nun auch sind, übersteigt es doch die Gränzen meiner Aufgabe, hier des Näheren mitzutheilen, welche Wirkung die genannten Nachrichten in Neapel[148] selbst hervorriefen, so wie auch, welche Komödie von nun an der König, sein Sohn und ihre Getreuen gegenüber dem neapolitanischen Parlamente und den freisinnigen Generalen spielten. Pepe wollte, und dies war das allein Richtige, den König und seine Familie nicht zu dem Congresse gehen lassen, sondern sie als Pfand festhalten, und dagegen Abgeordnete der Nation nach Laibach schicken. Aber nein, man war unklug genug, den König, der sich noch bis an die Gränze mit dem Carbonari-Zeichen schmückte, ziehen zu lassen. In Laibach wußte ihn dann Fürst Metternich ausführlich darüber zu belehren, daß ein Eid, den man Völkern bricht, kein Meineid sei, und da die bewaffnete Intervention schon vorher beschlossene Sache gewesen, rückten nach kurzer Frist 80,000 Oestreicher in Neapel ein und schlugen die ganze Bewegung nieder. –

Die junge Blüthe der piemontesischen Freiheit wurde gleichzeitig damit geknickt; während des Congresses in Laibach hatte sich auch jener Theil Italiens erhoben und eine Verfassung erlangt, sich aber nur dreißig Tage lang daran erfreut, denn auch diese Erhebung wurde alsbald mit Waffengewalt unterdrückt. Oestreich und Rußland gingen jetzt schonungslos voran; die absolute Königsmacht wurde überall neu hergestellt und das Ende des Jahres 1821 sah in Italien nur Jammer und Wehklagen, ein trauriges Vorspiel dessen, was sich bald auch in Spanien ereignen sollte, nachdem wie schon erwähnt, die französischen Waffen dort auch restaurirt und die sogenannte Ordnung wieder hergestellt hatten. –

Furchtbar lastete die Wucht der Wiedervergeltung auf dem unglücklichen Italien; der Terrorismus von Oben suchte mit grausamer Rücksichtslosigkeit Alles auszutilgen, was seinem System entgegenstand. Ganze Bände ließen sich ausfüllen mit den Strafen und Verfolgungen, die über die unglücklichen[149] Carbonari, über die Verfassungsfreunde, verhängt wurden. Kein Rang, kein Ansehen, kein Verdienst, weder unreife Jugend, noch ehrwürdiges Alter gewährten Schutz dagegen, und gerade die Gemäßigten, die in der Krisis den Regierungen berathend und helfend zur Seite gestanden, wurden am Schlimmsten verfolgt. In Neapel wüthete der greise Ferdinand mit seinem berüchtigten Polizeiminister Canosa, und es entwickelte sich dort ein Denuncianten-Wesen, wie einst in Rom zu den Zeiten des Sulla. Hundertweise erfolgten die Todesurtheile mit dem Zusatz »wegen Freiheitssachen«, Tausende flohen in die Verbannung, über allen Häuptern fast schwebte das Schwert des Damokles. Schlimmer als zuvor trieb das Landvolk nun wieder sein Räuberwesen, und der Bürger beugte sich scheu und ängstlich unter das schreckliche Polizeisystem. –

Zwei Jahre später, nachdem 1823 die spanische Revolution zu Boden geworfen war, begann dann das gleiche Verfahren in der Lombardei, und mit Gift und Dolch wappneten sich dagegen die, trotz aller Verbote fortbestehenden, Geheimbünde. In den östreichischen Staaten wurden die meisten zum Tode Verurtheilten zu noch Schlimmerem begnadigt, zur Gefangenschaft auf dem Spielberg, oder unter den Bleidächern Venedigs. In Mailand ließ man über 30 solcher Gefangne, den ersten Familien angehörend, vor ihrer Abführung öffentlich an den Pranger stellen, ein Verfahren, welches der lombardische Adel Oestreichs Regierung nie vergaß. Jene furchtbaren Gefängnisse lichtete dann der Tod, Wahnsinn oder Verzweiflung. Aber dem Dichter war es vorbehalten, durch seinen Mund den allmächtigen Kaiserstaat zur Rechenschaft zu ziehen. Als im Jahre 1832 das seiner Zeit so berühmte Buch von Silvio Pellico erschien: Geschichte meiner Gefangenschaft unter den Bleidächern Venedigs, da ging der Schrei der Entrüstung durch die ganze[150] gebildete Welt, und dies Buch fügte Oestreich mehr Schaden zu, als es hundert Verschwörungen hätten thun können. An diesen fehlte es nicht, doch die Fäden derselben konnte die östreichische Polizei bei aller Mühe nicht erhaschen; es war der Stolz der Italiener, daß jeder Einzelne schwieg wie das Grab, sie sagten: »man habe den Kohlensack zwar geschüttelt, aber nicht geöffnet!« und so glimmte denn auch dort der Funke unter der Asche fort und bereitete jene Ereignisse vor, welche die neueste Geschichte zur Reife brachte. – Ueberall aber, wo ein freier Fleck Erde ihnen blieb, in der Schweiz, in England, in Amerika sammelten sich die italienischen, die spanischen, die französischen Flüchtlinge an; nur zu bald sollten sich zu ihnen die deutschen und polnischen Verbannten gesellen. Sie bildeten vereint eine revolutionäre Propaganda, die rastlos an dem Sturze des Absolutismus fortarbeitete, und für einen Augenblick in neuer Hoffnung aufloderte, bei dem heldenmüthigen Auftreten des griechischen Volkes. Dort war es nicht allein ein Kampf für Freiheit, die Griechen kämpften zu gleicher Zeit für ihren christlichen Glauben für ihre Unabhängigkeit von dem verhaßten Joche des Türken. Hier bot sich überdies der heiligen Allianz ein herrliches Feld, ihren religiösen Eifer zu bethätigen, und ihr heuchlerisches Ziel, Europa dauernde Sicherheit und Ruhe zu geben, im Interesse eines Volkes auszuführen. Wie Kaiser Alexander schon länger von der Idee erfaßt war, die Griechen aus der Hand der Türken zu erlösen, wie er sogar in den Jahren 1814 und 15 Näherliegendes darüber verabsäumte und Preis gab, haben wir bereits gehört. Nun war es ein Augenblick von hoher Wichtigkeit für die verbundenen Großmächte, der ihnen viele entfremdete Sympathieen wieder gewinnen konnte, wenn sie den Aufstand der Griechen, der um 1820 ausbrach, unterstützt, und zu Gunsten des unterdrückten Volkes entschieden eingegriffen hätten. Aber nein –[151] Fürst Metternich schätzte selbst des Sultans Legitimität weit höher, als das Recht eines Volkes, das ein verhaßtes Joch durch eigne Kraft abzuschütteln versuchte, und mit schlauer List wußte er Kaiser Alexander davon zu überzeugen, daß es auch dort am jonischen Meere vorzugsweise die revolutionäre Leidenschaft sei, die zum Kampfe antreibe, und daß man diese Leidenschaft auch dort wie überall bekämpfen müsse. So gaben sich denn die allerchristlichsten Majestäten lieber zum Schutze des Islam her, und verließ der charakterschwache Alexander, auf welchen die Griechen alle ihre Hoffnung gesetzt hatten, lieber die eignen Glaubensgenossen, während doch gerade Rußland von lange her deren Unwillen gegen die Türken geschürt hatte.

So verlockend es nun auch für mich wäre, Ihnen hier Näheres über diesen denkwürdigen Griechenkampf mitzutheilen, muß ich mich auch hier darauf beschränken, nur die Ursachen desselben anzudeuten und darzuthun, wie auch dieses Feuer, das auf dem alten klassischen Boden nun emporloderte, seinen Widerschein in die deutschen Herzen warf, und in ihnen die Freiheitsgluth, trotz aller Dämpfer, die man ihr aufsetzte, neu entfachte. – Seit die Türken mit ihren Kriegszügen das westliche Europa, namentlich Deutschland nicht mehr beunruhigten, seit das wilde Reitervolk zum Stillesitzen gezwungen war, begann der innere Zerfall des großen osmanischen Reiches und zu der grenzenlosen Ausbeutung der eroberten Provinzen, wo man jede Kultur und geistige Entwicklung niedertrat, gesellte sich der wilde, religiöse Fanatismus der Halbmondbekenner. Flehend wendeten sich im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert die Blicke der Griechen zu den russischen Glaubensgenossen, die ja schon seit dem elften Jahrhundert hauptsächlich von ihnen, durch die Reste ihrer eignen alt-klassischen Bildung, alle geistigen Kräfte und Anregungen empfangen hatten.[152]

Schon Peter der Große hatte aus diesen Gründen sein Augenmerk auf eine Verbindung Griechenlands mit seinem russischen Reiche gerichtet. Als er noch in Amsterdam Schiffe zimmerte, war dort bereits ein Bild von ihm gestochen worden mit der Aufschrift: Peter I., russisch-griechischer Monarch. Für die russische Schifffahrt und die Ausbreitung des Handels mußte naturgemäß die Erwerbung des südlichen Insellandes vom unberechenbarsten Nutzen sein, und so wurde der Gedanke daran immer wieder neu aufgenommen, bis endlich gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Türkei so tiefe Spuren ihres Verfalles zeigte, daß selbst Kaiser Joseph auf den Gedanken der großen Katharina, ihrem Enkelsohn Constantin einen Kaiserthron in Byzanz aufzurichten, lebhaft einging. Er begehrte dafür natürlich als Gegengeschenk einen Theil der Türkei für sich, gab aber zugleich seinem romantischen Sinne entsprechend, die Absicht kund, als »Rächer der Menschheit aufzutreten und Europa von dem Barbarenthume zu befreien.«

Solche ausschweifende Pläne, die nur Projecte blieben, konnten indessen den Griechen wenig helfen, konnten sie eben so wenig wieder zu einer selbstständigen Nation gestalten, wie dies die vereinzelten Aufstände und Rebellionen der Klephten zu thun vermochten. In diesen Klephten, einem halbwilden Berg- und Räubervolk hatte sich der kriegerische Geist der alten Spartaner am frischesten erhalten; wie diese hatten sie ihren Hauptsitz auf der Halbinsel Morea, dem ehemaligen Peloponnes, und um diese Klephten zu zähmen, hatte die türkische Regierung dieselben schon am Ende des siebzehnten Jahrhunderts militärisch organisirt, und hatte den verschiednen Abtheilungen Kapitäne, die sogenannten Armatolen, gegeben, unter diesen standen die Bursche oder Palikaren, die sich später so berühmt und gefürchtet gemacht. – Diese Armatolen handhabten nun in ihren Bergen und Districten[153] die Polizei, später breiteten sie sich auch auf das griechische Festland aus und bildeten nun einen ansehnlichen, militärischorganisirten Kern, in dem noch etwas von dem antiken Freiheitsgeiste ihrer Vorväter loderte. So wuchs die physische Kraft dieser Klephten zu einer moralischen Macht heran, in Sonderheit, als der fortschreitende Geist des 18. Jahrhunderts auch in die Herzen griechischer Patrioten die Hoffnung warf, ihr Volk könnte neu verjüngt erhoben werden. Es waren Lampros und Anderithes, die zuerst den klaren Gedanken faßten, die Freiheit, für die sie im Interesse Rußlands gegen die Türkei gefochten hatten, auf ihren eignen Bergen und Meeren zu suchen, ihre Kauffahrteischiffe in Kriegsschiffe umzuwandeln, und die Klephten zu Freiheitskämpfern zu erziehen. –

Unter beständigen Rebellionen, welche durch den allmächtigen Einfluß der französischen Revolution auch dort angeregt wurden, die aber vorzugsweise von den mächtigen Paschas des türkischen Reiches gegen ihren Oberherrn ausgingen, und in welche sie die Raja's, d.h. jene türkischen Unterthanen, die nicht dem Islam angehören, mit hineinzuziehen suchten, begann jetzt nun eine geistige Wiedergeburt des Griechenthums von solcher Kraft und Stärke, daß das Volk es wagte, ohne fremde Stütze und Hülfe den ungeheuren Kampf gegen den seitherigen Bedrücker aufzunehmen.

Diese Wiedergeburt vorbereitet zu haben, ist das unsterbliche Verdienst der Familie Maurokadatos, die seit Anfang des 18. Jahrhunderts in Griechenland ein neues geistiges Leben hervorzurufen suchte. Sie sahen sich anfänglich unterstützt durch damalige Reformversuche der türkischen Regierung, welche nicht allein den Raja's Religionsfreiheit verlieh, sondern auch ihnen Zutritt zu wichtigen Staatsämtern gestattete.

Allen Völkern, die der hohen Pforte sich hatten beugen[154] müssen, den Serben, Albanesen, Wallachen u.s.w. kam dieses civilisatorische Verfahren zu Gute, ohne jedoch einen besonderen Eindruck auf sie zu machen, die Griechen allein erwachten dadurch aus ihrer Lethargie. Die Familie Maurokadato, Vater, Sohn und Enkel, Alle dem ärztlichen Stande angehörend, verwendeten nun fortgesetzt ihren großen Reichthum und Einfluß zur Förderung des Bildungs- und Schulwesens. Auf der Grundlage der alten hellenischen Sprache bemühte man sich eine neue Bildung hervorzurufen, und diese Sprache des klassischen Griechenthums wurde jetzt unter den zerstreuten Volksgliedern das verknüpfende Band, schuf ein neues Gemeingefühl, einen nationalen Vereinigungspunkt. Wie sehr sich auch seit Jahrhunderten das alte Griechenvolk mit fremden Elementen versetzt haben mochte, so daß im eigentlichen Sinne des Wortes Hellenen nicht mehr existirten, so zog jetzt dennoch der alte entfesselte Geist das ursprünglich Verwandte wieder zu einander, wie der Magnet das Eisen; das germanische Element schied sich vom Slavischen, Romanischen und Mongolischen und umfaßte mit neuer, heißer Wißbegierde Alles, was es einst besessen und was ihm nun aus den alten Quellen der klassischen griechischen Dichter und Schriftsteller als wiedergewonnenes Eigenthum zuströmte. – Wie dieselben Quellen dreihundert Jahre früher den dumpfen Geist des Abendlandes durchdrungen, verjüngt, und zur vollkommnen Anschauung des Schönen und Wahren fähig gemacht hatten, als nach der Eroberung von Constantinopel durch die Türken, die Schätze der altklassischen Literatur, die man bis dahin nur aus lateinischen Uebersetzungen kannte, in unseren Besitz übergingen; sowie sie uns das Zeitalter der Renaissance, der Wiedergeburt, heraufgeführt, so verjüngte sich nun auch wiederum durch sie auf dem altklassischen Boden selber, der gesunkne und ernüchterte Geist. – Berührte dies nun vorerst mehr die Gebildeten, so sehen wir[155] als weitere Folge doch auch das geringere Volk aus seiner Trägheit aufgeschüttelt, sehen es wieder zum Handwerk, zum Handel, zur Industrie greifen, während die Söhne der Wohlhabenden in's Ausland strömen, um dort ihre kaufmännischen, ärztlichen oder gelehrten Studien zu machen. Die Jünglinge, die zu solchen Zwecken nach dem Westen zogen, fanden nun dort, und namentlich in Deutschland, unter der Jugend eine Begeisterung, eine Wärme für die Freiheitskämpfe der alten Griechen, die auf sie selber entzündend rückwirken mußte. Nicht von den Universitäten allein, auch aus dem Munde der deutschen Dichter klang ihnen ja überall die Verherrlichung des klassischen alt-griechischen Geistes entgegen! Solche Flammen mußten wohl in ein Volk schlagen, welches an seine große, weltgeschichtliche Bedeutung nun auch noch überdies durch den wachsenden Zudrang von berühmten und gelehrten Reisenden nach dem eignen Grund und boden gemahnt wurde.

Bei den klassischen Ueberresten Athens, wo damals fast noch unversehrt auf der Akropolis die Wunderwerke des Phidias und seiner Freunde, das Parthenon, das Erechtheion, die Propyläen emporragten, gaben sich die bedeutendsten Gelehrten des westlichen Europa ein förmliches Stelldichein. Eine vollständig neue Welt ging dort dem Künstler, dem Sprach- und Kunstforscher, dem Dichter auf, und als furchtbarster Gegensatz dieser herrlichen, hingesunknen Welt, trauerte zwischen diesen Göttergestalten, diesen Trümmern, von denen jeder Stein seinen Namen, seine Geschichte hatte, und inmitten einer wunderbaren, herrlichen Natur, ein Volk, das jetzt anfing sich auf seine große Vergangenheit zu besinnen, aber auf dem die Hand des Barbaren und des Ungläubigen lastete. Nur in den flüchtigsten Umrissen kann ich Ihnen hier andeuten, was Alles zusammentraf, um einerseits den Patriotismus und Freiheitsdrang der Griechen bis zum blindesten Fanatismus zu entzünden, andererseits einen überströmenden[156] Enthusiasmus für die beginnenden Kämpfe zu wecken und sie mit athemloser Spannung verfolgen zu machen.

Die erste politische und feste Form nahmen die Wünsche und Bestrebungen der jonischen Patrioten durch Bildung von sogenannten Hetärien oder Waffenbrüderschaften, wie sie im alten Griechenlande üblich waren, an. Diese weit verzweigten Bünde waren auch, noch im Sinne der Freimaurerei, mit einer geheimen Verfassung ausgestattet, wodurch leider zum Theil schon von vornherein der Grund zu Mißhelligkeiten und Eifersucht zwischen den einzelnen Häuptern gelegt wurde. Der nächste Zweck derselben war, Abschüttlung des Türkenjoches, wobei man gemeinsam auf Kaiser Alexanders Schutz und Hülfe hoffte. Man nannte ihn »den Großen, den Vater des griechischen Volkes«, und Rußland versprach auch wirklich seinen Beistand, sobald einige Tausende entschlossener Männer den Aufstand angeregt hätten. Daran fehlte es denn nicht, und im März 1821 stand ganz Griechenland in Flammen, unter der Anführung von Alexander Ypsilanti, dem Hospodaren der Wallachei. Gleichzeitig richtete sich Ypsilanti an Alexander, forderte offen dessen Hülfe, erklärte, die göttliche Vorsehung selber habe die griechische Rebellion unterstützt, und dieselbe sei getragen durch eine geheime Gesellschaft, die sich über die ganze Erde verzweige, soweit es Griechenstämme gäbe. Diese Darlegung war von der unglücklichsten Wirkung auf Alexander, denn sie erfolgte in einem Augenblick, wo, wie wir wissen, überall Revolutionen ausgebrochen waren, oder ihren Anfang nahmen.

Ein abermaliger Congreß, der von Verona, im October 1822, gab den Griechen eine sehr unerwartete Antwort auf ihre frohen Hoffnungen. Es ging dort ähnlich zu wie auf dem Wiener Congresse, eine Lustbarkeit jagte die Andere, Fest reihte sich an Fest, »es war ganz babylonisch«, wie ein anwesender Franzose sich ausdrückte, und man mochte sich in[157] der That freuen, denn auf diesem dritten Congresse, seit dem Aachner, feierte die Reaction ihre letzten Orgien und Metternich erwies sich inmitten aller freiheitlichen Bünde, als der wahre Meister vom Stuhl. Griechenlands Bitte um Hülfe wurde zurückgewiesen – der genußsüchtige Gentz, der auch hier wieder seine Rolle spielte, soll sogar bedeutende Summen als Bestechung von Seiten der Türkei angenommen haben. Die Griechen wurden bedeutet zu ihrem rechtmäßigen Oberherrn, dem ungläubigen Türken, zurückzukehren, ohne daß man die mindeste Rücksicht auf die grausame Lage, in der sich das ganze Volk befand, nahm. – Mit beruhigtem Herzen konnten von Verona aus die herrschenden Mächte auf die letztverflossenen Jahre zurückblicken. Sie waren aus allen dräuenden Gefahren glänzend hervorgegangen, das monarchische System war neu gestärkt, und nur in der südöstlichen Ecke Europas kämpfte noch ein kleines, heldenmüthiges Völkchen, einzig und allein unterstützt durch die Sympathien der Völker, unablässig und allein fort für seine staatliche Existenz. –

Von allen Mächten verlassen, stellte sich nun eine moralische Macht auf die Seite der bedrängten Griechen, die auch mitzählte – es war die öffentliche Meinung, und die »Griechenfreundschaft«, der Philhellenismus, breitete sich bald über das ganze westliche Europa aus. Seine Ausgangspunkte nahm er in Deutschland und in der Schweiz, wo sich in den namhaftesten Städten Komité's bildeten, um Geld für die Griechen zu sammeln, und Freischaaren dadurch auszustatten, die mit ihnen kämpften. Besonders begeistert zeigte man sich in den süddeutschen und den kleineren Staaten, während Oestreich sich allen philhellenischen Regungen schroff entgegenstellte. In Stuttgart, Darmstadt, Frankfurt, Heidelberg waren Griechen-Vereine; in München wirkte der berühmte Thiersch für dieselben, in Leipzig Krug, in der Darmstädter Kammer erhob Heinrich von [158] Gagern seine Stimme für die Griechen, und von Offenbach aus wollte der Hauptmann von Dalberg einen Freischaarenzug nach ihrer Küste geleiten. In Dresden jubelte das Publikum, als bei Aufführung der Minna von Barnhelm Paul Werner erklärte, er wolle nicht gegen die Perser, wohl aber gegen den Türken zu Felde ziehen, und tief ergreifend ist die Begeisterung des alten Voß, des Homer-Uebersetzers, der in Heidelberg lebend, aus seinen geringen Mitteln 1000 Gulden beisteuerte: »als kleinen Beitrag jener großen Schuld für die von Hellas erhaltene Bildung«. – Der große Centralpunkt für alle diese Bemühungen war zuerst Zürich, dann Genf; aus Marseille gingen die Expeditionen ab, und Eine derselben brachte der bekannte, tüchtige Ernst Emil Hofmann aus Darmstadt selbst dahin. – Leider waren dies Alles nur Tropfen im Meere, im Vergleich zu dem, was nöthig gewesen, denn mit entsetzlicher Grausamkeit wurde der Krieg von beiden Seiten geführt, und eine Hungersnoth unter den Griechen vermehrte noch die Schrecken des Kampfes. Aber es ist erhebend zu melden, wie die Wärme und Hülfe des Abendlandes sich steigerte und hob mit den Mißgeschicken der Hellenen, und auch Englands Krämergeist, der dem eignen Volke in der auswärtigen Politik immer mehr verhaßt wurde, sah sich nun tief beschämt durch das Gewicht, welches Englands erster Dichter Lord Byron mit seinem Namen und seiner persönlichen Hülfe, in die Schaale der Gerechtigkeit warf. Hatten doch schon früher Wenige so sehr wie er mitgeholfen, das Interesse für das schöne und tief gesunkene Land neu zu erregen; waren nicht auf jenem klassischen Boden seine schönsten Gesänge des Childe Harold entstanden, nicht die Stoffe zu seinen unsterblichen Gesängen, der Corsar, Lara, die Braut von Abydos, der Giaour jenem Lande und der düsteren Gegenwart, die auf ihm ruhte, entnommen. Jetzt, in Italien weilend, sah er die Brüder[159] seiner geliebten Freundin, der schönen Gräfin Guiccioli, die Grafen Gamba, tief verstrickt in die Pläne der Carbonaria und bereit, auf griechischem Boden, wie so viele Italiener es thaten, für die Erlösung des eignen Vaterlandes zu kämpfen. – Sie werden wissen, wie Lord Byron sich in edler Erhebung ihnen anschloß, wie er sich und sein Vermögen den Griechen opferte, und dergestalt in glänzend erhebender Weise sein Leben endete, das, mit mancherlei Fehlern befleckt, nun wie gereinigt in dem Angedenken der Mitlebenden emporstieg, als die Trauerkunde erscholl, der edle Lord habe unter den Mauern von Missolunghi, am 19. April 1824, seinen großen, poetischen Geist ausgehaucht, und die Griechen hätten ihm eine Todtenfeier bereitet, wie sie der Helden des Alterthumes würdig war. – Aber nicht den Dichterfürsten allein, noch eine andere Größe raffte das Jahr 1824 dahin, den Mann, dessen Edelmut immer auf halbem Wege stehen bleibend, mehr Schmerz und Unheil bereitete, als ein klarsehender und entschiedner Despot. Kaiser Alexander düstrer und mehr mit sich zerfallen als je, hatte seine Gemahlin nach dem Süden, nach Taganrog begleitet. Schon durch mehrere äußere Unglücksfälle tief gebeugt, empfing er dort die Nachricht von einer weit verbreiteten Militärverschwörung, die sogar mörderische Absichten auf seine eigne Person haben sollte. Umsonst hatte er dieses Gespenst der Revolution bekämpft – nun stand es dicht an seiner Seite, und fast bis zum Irrsinn durch diese Botschaft aufgeregt, befiel ihn ein Gallenfieber, welches seinem Leben am 1. December 1824 ein Ziel setzte. Sein Nachfolger war von stärkerem Stoffe als er, durch und durch Despot; der ältere Bruder Constantin hatte schon früher dem Throne entsagt, über Blut und Leichen hinweg bestieg sein dritter Bruder Nicolaus den russischen Thron. Der Militäraufstand war wirklich ausgebrochen; man forderte eine freie Verfassung für Rußland, zur Gleichstellung mit Polen,[160] das damals eine solche besaß, und die Verbindung mit dem letzteren Lande zu einem Einheitsstaate. Mit großem persönlichen Muth bot Nicolaus dem Aufruhr die Spitze, ließ die Aufständischen mit Kartätschen hinwegfegen, und machte sich zum Selbstherrscher aller Reußen. – Auch das Geschick der Griechen war um diese Zeit nahe daran sich zu erfüllen; drei furchtbare Kriegsjahre lagen bereits hinter ihnen, als die heldenmüthige Vertheidigung von Missolunghi, das drei Belagerungen nach einander aushaltend, sich endlich zugleich mit den eindringenden Türken, nebst Frauen und Kindern, am Anfang des Jahres 1826 in die Luft sprengte, der Griechenbegeisterung wieder den höchsten Aufschwung gab. In Deutschland stand jetzt König Ludwig I. von Baiern, der seit 1825 regierte, und als Freund und Förderer der Kunst stets ein warmer Griechenfreund gewesen, an der Spitze der Philhellenen. Weit reicher als zuvor flossen jetzt die Gaben, namentlich für den Loskauf gefangener Frauen und Kinder, welche die Türken als Sclaven nach Aegypten geschleppt hatten. – Nicht minder groß als in Deutschland war die neue Bewegung für die Griechen in Frankreich, in den Niederlanden und in Schweden, selbst die englische Politik sehen wir jetzt eine Wendung zu Gunsten der Griechen nehmen. Lord Castlereagh, der kalte Tory-Minister, der zu Englands Zorn und Beschimpfung so lange die Pfade der Metternich'schen Staatskunst gewandelt war, hatte sich in einem Anfall von Melancholie und körperlicher Ueberreizung mit einem Federmesser den Hals durchgeschnitten, als er eben zu dem Congresse von Verona reisen wollte. Die öffentliche Meinung stand nicht an, darin die Nemesis eines zerfleischten Gewissens zu erblicken, und das englische Volk brach in solchen Jubel über dieses Ereigniß aus, daß man in London deshalb mit allen Glocken läutete.

Ihm folgte als erster Minister Lord Canning,[161] der, eine Mittelstellung zwischen Whigs und Tories einnehmend, dabei von edlem Wesen, nach allen Seiten hin besänftigend einwirkte. So handelte er auch jetzt in der Griechensache, zu deren Verherrlichung er schon in seiner Jugend eine begeisterte Ode gedichtet hatte. Auf seinen Betrieb bildete sich zum Verdrusse Oestreichs ein englisch-russisch-französisches Bündniß. Die Seeschlacht von Navarin 1827 zerstörte die türkisch-aegyptische Flotte, und als sich später England wieder wegen seiner Handelsinteressen von dem Bündnisse zurückzog, setzten Frankreich und Rußland den Krieg allein fort. Im Jahre 1828 war ganz Griechenland von den Türken gesäubert, und Capodistria wurde nun zum Präsidenten des griechischen Staates eingesetzt, bis 1829, durch den Frieden von Adrianopel, die Unabhängigkeit Griechenlands dauernd festgestellt wurde. Von 1832 an wurde Griechenland eine Monarchie und deren erster König war Otto I., ein Sohn König Ludwig's von Baiern. Das Ende des Griechenkampfes aber gab ein Beispiel und eine Lehre, was ein Volk vermag, wenn es sein Alles daran setzt, um frei und unabhängig zu werden. – Ich hoffe, daß ich Sie mit diesem kurzen Abriß der damaligen Zustände Europas nicht ermüdet habe, denn zu innig sind sie mit der Fortentwicklung Deutschlands verknüpft; an ihnen erzog sich der Volksgeist, bildete sich eine öffentliche Meinung heran, und sie erleichterten das schwere Herz. Mußte man es auch verlernen, für die deutsche Freiheit und Einheit laut zu schwärmen, so durfte man es doch öffentlich für die Griechen, die Italiener, die Spanier wagen und sich damit selber genug thun.

Wir haben nun damit in raschem Ueberblick den Kreislauf der freiheitlichen Kämpfe und Umwälzungen, die im Verlauf der zwanziger Jahre Europa erschütterten, verfolgt und sehen unser eignes Vaterland davon nur mittelbar,[162] nur geistig berührt. Deutschland blieb ruhig, doch aus der Mitte der deutschen Fürsten selbst erhob sich eine Opposition, die sich sowohl im Innern des Bundestages, als auch außerhalb desselben kundgab, und die ihre Spitze gleichzeitig gegen Oestreich und Preußen richtete.

König Wilhelm I. von Würtemberg war im Grunde seines Herzens einer freien Richtung zugethan, und er sprach sich auch öfter unverholen dahin aus; so richteten sich die Blicke deutscher Patrioten mehr und mehr auf ihn, und ein Gedanke wurde laut, der ihn als den ersten Mann für einen Fürst-Protector des deutschen Bundes, mit einem deutschen Parlamente an der Seite, bezeichnete. Solche Ideen waren nicht utopisch, denn in der That lag ja die Möglichkeit nahe, daß auch ein kleinerer Fürst, gehalten und getragen durch das Volk, schon damals eine Einigung Deutschlands herbeizuführen vermöge. Man setzte dabei freilich einige Hoffnung auf Rußlands Schutz, da man erwarten konnte, daß Kaiser Alexander, der zu jener Zeit noch lebte, den Schwager, den Gemahl seiner schönen und geliebten Schwester Katharina, der Wittwe des Herzogs von Oldenburg, leicht in eine solch hervorragende Stellung bringen und auch darin werde erhalten können. –

Wilhelm I. selbst war diesen Wünschen durchaus nicht abgeneigt, und die Griechensache wurde auch in Würtemberg von Oben her eifrigst unterstützt; jedoch mit dem Preisgeben derselben auf dem Congresse von Verona, fielen auch die würtembergischen Pläne in nichts zusammen. Metternich's Sieg über Kaiser Alexander in jener Frage, war auch zugleich ein Sieg seines Systems, der sich am fühlbarsten in Deutschland selbst und innerhalb des Bundestages machte. Alle reformatorischen Gelüste, jedes Ausschielen nach der Protection eines kleineren Fürsten wurde ihm seitdem gründlich gelegt. Graf Buol wurde nach Wien zurückberufen, alle[163] freisinniger denkenden Gesandten entfernt, und an die Spitze der Geschäfte der Freiherr von Münch-Bellinghausen gestellt, eine getreue Copie des Fürsten Metternich, und der in schlauester Weise den neuen Gesandten Preußens, einen Herrn von Nagler, zu nasführen verstand. Dieser Herr von Nagler wird uns geschildert als der hohlste, platteste Kopf von der Welt; er hätte höchstens einen Unterbeamten, oder noch besser einen Schreiblehrer abzugeben vermocht, denn er liebte es unter Anderem, an den Concepten, die ihm vorgelegt wurden, die Buchstaben zu verbessern. Diese beiden Männer wurden die bösen Dämonen Deutschlands; sie lullten den Bundestag in die selige Ruhe ein, in der er bis zum Jahre 1848 fortträumte und ruinirten ihn gründlich in den Augen der ganzen Welt. Die süddeutschen Regierungen wandten sich, nachdem sie die Pläne Würtembergs mit bitterer Eifersucht erfüllt hatten, mehr und mehr dem östreichischen Einflusse zu, das ihnen größere Garantien ihrer Souveränetät zu bieten wußte. Kaiser Franz meinte manchmal, wenn er eine Revolution nach der Andern emporlodern sah: »die Welt sei gegenwärtig närrisch geworden, weil sie die alten Gesetze verlasse, und so eifrig nach dem Wahnbild: Constitution, hasche.« – Dieser Narrheit trat denn auch der russische Kaiser Nicolaus I. jetzt entschieden entgegen; vom Petersburger Hofe aus erging die Weisung nach Deutschland, mit Energie und rücksichtslos alle Reste revolutionären Geistes zu unterdrücken, und mit besonderer Freude kam dem die Mainzer Untersuchungskommission entgegen, die ihre spinnenartige Thätigkeit bis zum Jahre 1828 fortsetzte. Sie hat in der Zeit ihres Bestandes nicht weniger als 1800 Untersuchungen geführt, über eine halbe Million gekostet, und am Ende so gut wie nichts gefunden, was selbst Metternich zugestand. Außer der Mainzer Untersuchungskommission fungirte für Preußen allein, noch eine Zweite in Köpenick und Beide[164] trugen zur Genüge alle Schrecken des Polizeistaates in den Schoß des deutschen Familienlebens.

Ueber die damaligen Geheimbünde, denen man so eifrig nachspürte, hat man trotzdem bis heute wenig Zuverlässiges erfahren. Es hatte sich aus dem Verbande der Burschenschaft ein Jünglingsbund herausgebildet, von dem man vermuthete und annahm, er wolle die gegenwärtigen Regierungen stürzen und Deutschland einig machen. Ueber die Person dessen, der die deutsche Kaiserkrone tragen sollte, waren die Meinungen getheilt; die Einen wollten den König von Preußen, die Andern den König von Würtemberg an der Spitze sehen; eine dritte Parthei hatte ihren Auserwählten in Karl Follen und eine Vierte dachte an die Gründung einer Republik.

Ein gewisser von Spreewitz, cand. theol. aus Mecklenburg stiftete diesen Bund, indem er die verschiedenen Hochschulen bereiste und im Namen eines »Männerbundes« sprach, von dem aber Niemand wußte, wer dazu gehöre und ob er überhaupt existire. Man glaubte jedoch, Arndt, Gneisenau und andere bekannte Größen gehörten zu jener Verbindung, als deren Hauptvereinigungspunkte Darmstadt, Erfurt und die Schweiz genannt wurden, in welch' letzterem Lande sich in der That die Flüchtigen und Verbannten mit allerlei abentheuerlichen Plänen beschäftigten. Auf diese hielten die Regierungen ein besonders wachsames Auge und die Denunciationen ihrer agents provocateurs, gaben denn auch die Handhaben zu massenhaften Verhaftungen, die etwa um 1824 begannen, und in Preußen mit schrecklichen Urtheilssprüchen endeten. Das Breslauer Landesgericht z.B. verurtheilte von 26 Angeklagten, sechszehn zu 13–15 jähriger Festungshaft. In andern deutschen Ländern kamen die gleich Schuldigen, wenn sie es überhaupt waren, mit 1–2 Jahren durch; in Baiern wurden sie, nachdem man sie[165] allerdings, nach dem Ausspruche des berühmten Rechtsgelehrten Feuerbach während einer 14monatlichen Untersuchungshaft »gleich Räubern und Mördern behandelt«, ganz freigelassen. In Darmstadt, wo damals noch ein milderer Geist herrschte, wurde der Hauptangeklagte, Karl Heinrich Hofmann, nachdem er mit einem Gleichgesinnten auf Verlangen der preußischen Regierung nach Köpenick gebracht und dort längere Zeit festgehalten worden war, von der hessischen Regierung energisch reclamirt, von der Instanz absolvirt und später ganz freigesprochen, »weil sich nirgends eine erhebliche Anzeige für Existenz des Männer-Bundes gefunden.« –

So sehen wir denn gegen Ende der zwanziger Jahre, Europa und Deutschland im Sinne Metternich's, wieder vollkommen beruhigt, die Revolution mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Alljährlich konnte der allmächtige Staatsmann, das Wiener Genußleben fortsetzend, eine glänzende Saison auf Schloß Johannisberg am Rheine abhalten, wo er Potentaten, Diplomaten und die Bundestagsgesandten als seine Gäste versammelte, wo man zwischen Suppe und Braten die wichtigsten politischen Fragen entschied, oder Anleihen mit Rothschild, dem Gläubiger der Fürsten, vereinbarte. Aus allen Weltgegenden brachten besondere Couriere die Genußmittel zusammen, die man für die üppige Tafel brauchte, an der die herrlichsten Rheinweine flossen, und wo die bedeutendsten Künstler, Henriette Sonntag und Andere, durch ihre Leistungen die müden Gäste neu belebten.

Es war ein großer, gewaltiger Schreck, als dieses gemüthliche Wohlleben plötzlich unterbrochen wurde, durch den Sturm aus Westen – die französische Julirevolution. –[166]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 139-167.
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