Neunte Vorlesung

[197] Einfluß der Julirevolution auf das übrige Europa. Trennung der Niederlande. Verfassungsreform in England. Die Revolutionen der Schweiz. Die norddeutschen Mittel- und Kleinstaaten erhalten Verfassungen. Braunschweig und Hessen-Cassel. Deutschland's Hoffnungen auf Preußen. Reaction in diesem Staate


Die Julirevolution sollte in ihrem raschen und erfolgreichen Verlaufe es glänzend beweisen, wie künstlich die Ruhe war, welche die Mächte der heiligen Allianz über Europa auszubreiten sich bestrebt hatten. Ein Funke, der in ein Pulverfaß fliegt, kann keine größere Wirkung hervorbringen, als die Pariser Ereignisse es thaten. Alle die niedergetretenen Hoffnungen des Liberalismus, des Nationalgefühls, belebten sich auf's Neue, und ein jubelndes Frohlocken der öffentlichen Meinung begrüßte die Nachrichten aus Frankreich, alle Welt, mit wenigen Ausnahman, in ein Fieber des Entzückens versetzend. Was dieses Juliereigniß aber ganz besonders eindrucksvoll machte, das war sein würdiger Verlauf, denn alles Blut was vergossen wurde, floß in ehrlichem Kampfe für Freiheit und Recht. –

Die schreckensbleiche und blutige Gestalt der Revolution verlor ihr Entsetzen, sie wandelte sich in die strahlende Gestalt der Freiheitsgöttin um, und das Blut, welches in ihrem Dienste geflossen war, wurde als das Morgenroth einer besseren, schöneren Zukunft gedeutet. Man sah, daß große Umwälzungen sich vollziehen konnten, ohne Unmenschlichkeit und Grausamkeit, wozu allerdings eine Uebereinstimmung der Partheien beitrug, wie sie selten sich findet, und wie sie sich hier in dem allgemeinen Hasse gegen das Bourbonenthum kundgab. Die weitere Entwicklung der französischen Geschichte[197] hat uns jedoch leider darüber belehrt, wie das damalige Stillestehen der Franzosen, und zwar ein Stillestehen im Augenblicke, da sie wirklich große, thatkräftige und geniale Männer besaßen, den späteren Ruin des Landes vorbereiten half. Der Thron des Bürgerkönigs verstopfte den Krater der Revolution auf die nächsten 18 Jahre hinaus, und er hätte es auch vielleicht für immer vermocht, wenn Louis Philipp der richtige König für Frankreich gewesen wäre. Eine hohe, edle Natur, mit den wirklichen Gaben eines Herrschers ausgestattet, konnte damals in Europa der Wiedererwecker der zertretenen Freiheit werden, er konnte Frankreich im schönsten Sinne des Wortes an die Spitze der Civilisation stellen, und die Völker, die ihm damals zujauchzten, aus dem Banne des Absolutismus befreien, er konnte das Metternich'sche System auf immer vernichten. Der Bürgerkönig zog es vor, sich in das Schlepptau seiner gekrönten Vettern nehmen zu lassen, in die Fußtapfen von deren Politik zu treten, und anstatt sich zu ihnen in Widerspruch zu setzen, verläugnete er die Mutter, die ihn auf den Thron erhoben hatte. Seiner nüchternen Natur entsprechend, sehen wir ihn sich bürgerlich, gemächlich auf demselben einrichten und durch den Gegensatz, den dieses Bild mit dem Gebahren der vorigen Regierungen darbot, eine Weile selbst die Franzosen täuschen. Neben diesen bürgerlichen Tugenden, pflegte er leider einen Geiz und eine Habsucht, welche durch und durch unköniglich genannt werden, und Jedermann verletzen mußte. Er war der beste Spekulant, der beste Börsenmann Frankreichs, um seiner zahlreichen Familie Millionen auf Millionen zusammen zu scharren, wobei seine eigenen Interessen gewöhnlich denen des Landes vorangingen. So enthüllten sich schon in den ersten Jahren seiner Regierung jene Mängel und Fehler, die endlich auch ihn nach achtzehnjähriger Herrschaft, in ein zweites Exil führen sollten, und furchtbar rächte sich an ihm und an[198] Frankreich, zuerst durch die Februarrevolution von 1848, dann durch das zweite Kaiserreich, und endlich durch die Gräuel der Commune, die Versäumniß einer gründlichen Staatsreform und einer Inbetrachtnahme der socialen Verhältnisse.

Ganz ebenso aber wie Frankreich auf halbem Wege stehen blieb, so erschütterte seine Revolution auch das bestehende politische System nur zur Hälfte, ja sie stärkte, sobald die nächste Gefahr vorüber war, im Gegentheil wieder die Reaction in Deutschland und in Rußland, in fast unerträglicher Weise. Jedenfalls aber war Europa einer großen Gefahr durch die Juliereignisse entgangen, denn glaubwürdige Berichte behaupten, daß die Annäherung, die, wie ich schon früher erwähnt, zwischen Rußland und Frankreich stattgefunden hatte, bis zu der Verabredung gediehen sei, England vollständig zu stürzen – denn England war und blieb denn doch immer noch, trotz seiner damaligen ungünstigen inneren Verhältnisse ein Hort der Freiheit, ein Vorbild wirklichen coustitutionellen Lebens. Nach jenen geheimen Verabredungen sollte Frankreich das linke Rheinufer bekommen, Hannover wollte man England entreißen, um es zwischen Oestreich und Preußen zu theilen, Rußland aber sollte Besitz von den Dardanellen nehmen und damit die Herrschaft über das schwarze Meer gewinnen. Alle derartigen Pläne waren nun zertrümmert, auch sollte der französische Aufschwung noch direkt einer Reihe von Nachbar-Staaten zu Gute kommen.

Die allernächste Folge der Julirevolution war die Lösung des unnatürlichen Bandes, durch welches der Wiener Congreß das französisch-katholische Belgien und das germanisch-protestantische Holland aneinandergekettet hatte. – Im ersten Augenblicke der Veränderungen in Frankreich war es zweifelhaft, wie die Kabinette sie aufnehmen würden, und in der That erwachten in Petersburg und Berlin,[199] in Wien wie in London und im Haag, augenblicklich Gelüste, eine bewaffnete Intervention, gleich denen in Spanien und Neapel, vorzunehmen und Karl auf seinem erschütterten Throne wieder festzusetzen. Die Wiederanerkennung königlicher Gewalt, die Ruhe und Sicherheit in Frankreich, ließ solche Gedanken wieder aufgeben und Louis Philipp sah sich bald als neuer Herrscher allgemein anerkannt. So folgte der Erschütterung eine scheinbare Ruhe, bis gegen den Herbst in Brüssel die ersten Blitze aufloderten, welche den entschlossenen Widerstand eines zweiten Volkes gegen sein Oberhaupt verriethen. In halsstarriger Verblendung, lebhaft an das Gebahren Karl's erinnernd, hatte Wilhelm I., König der Niederlande und sein Minister van Maan en die gerechten Wünsche der Belgier mißachtet Sie sollten Holländer werden, und sie sahen sich dadurch in ihren langjährigen Rechten bedroht, sie glaubten gleichzeitig ihre Religion gefährdet, und die Spannung zwischen beiden Partheien war bereits so weit gediehen, daß gleich nach den französischen Julitagen warnende Stimmen aus Belgien ähnliche Ereignisse für dort vorher verkündeten. Die belgischen Patrioten hatten damals im Sinne, ihre Provinzen im äußersten Falle mit Frankreich zu vereinigen, aber Frankreich fühlte sich wenig geneigt, dies Geschenk anzunehmen, welches ihm die Feindschaft der übrigen Mächte würde eingetragen haben. Nichtsdestoweniger wurde ein Aufstand vorbereitet, der sich denn auch am 25. August 1830 entlud. Feste, für den Geburtstag des Königs angeordnet, boten den äußeren Anlaß dazu und man war sogar so kühn, durch Anschläge ein förmliches Programm des Aufstandes vorher zu verkünden: Montag, Feuerwerk! Dienstag, Beleuchtung! Mittwoch, Revolution! Eine Aufführung der Stummen von Portici erhitzte die Gemüther noch mehr; aus dem Opernhaus ergoß sich eine tumultuarische Menge, von einem Pöbelexceß zu einem wirklichen Aufstande aller Klassen[200] übergehend. Im Verlaufe desselben brach sich plötzlich der Gedanke Bahn, nicht ferner um Frankreichs Liebe zu werben, sondern sich als ein selbstständiger Staat zu constituiren. Binnen zwei Monaten, wo die Ereignisse sich mit Blitzesschnelle folgten, sehen wir denn auch wirklich diese Wünsche erfüllt, nachdem friedliche Verhandlungen mit dem Könige und seinen Söhnen zu nichts geführt hatten. Schon gleich zu Anfang der Bewegung bot man dem Prinzen v. Oranien die Krone an, aber er »wollte nicht das Diadem von der Stirne seines Vaters reißen.« – Der Zug des Prinzen Friedrich nach Brüssel, der Widerstand, den er dort fand, indem die ganze Stadt sich gegen ihn und die belagernden Truppen erhob, so daß er nach mehreren Tagen vergeblichen Kampfes nicht einmal durch das Bombardement eines Theiles der Stadt den Sieg erringen konnte, sondern sich zurückziehen mußte – vollendete den Bruch zwischen den niederländischen Provinzen. Ueber dem gemeinsamen Grabe der belgischen Opfer dieses Kampfes, das man ihnen auf dem nach ihnen genannten Märtyrerplatze in Brüssel bereitete, erhob sich der Ruf nach der Nationalität und Unabhängigkeit Belgiens. Das ganze Land im Aufruhr, blieb den Holländern zuletzt nur noch die Citadelle von Antwerpen übrig, von der aus General Chassé die Stadt beschoß. Der Schaden, den man anrichtete, war nicht so groß, als die Erbitterung, welche dadurch in den Gemüthern erzeugt wurde; durch das ganze Land sprach es die öffentliche Stimme laut aus: ein Blutstrom trenne nun Belgien für immer von Holland und dessem Herrscherhaus! Auch der Prinz von Oranien, dem man jetzt noch wenigstens die belgische Regierung zu erhalten hoffte, wurde davon ausgeschlossen und darnach auf dem Congresse zu London, der im Oktober die belgische Frage berieth, die ewige Ausschließung des Hauses Oranien-Nassau vom belgischen Throne ausgesprochen. Die bedrängten Mächte wählten hier[201] von zwei Uebeln das Kleinste; Belgien als selbstständige Monarchie konnte man noch gelten lassen, aber es war damit zugleich eine gefährliche Anerkennung des Nationalitäts- und Selbstbestimmungsrechtes der Völker ausgesprochen. Die Belgier schufen sich jetzt eine Verfassung und eine Regierungsform, wie sie schon den gemäßigten Franzosen um 1792 vorgeschwebt hatte – eine Erbmonarchie mit republikanischen Einrichtungen. Kühn und gefahrvoll wie dieses Wagniß damals erschien, haben die Belgier doch ihre Verfassung zu einer Wahrheit gemacht, und sich durch dieselbe nicht allein ein eigenes, nationales Leben begründet, sondern auch in dieser Verfassung Europa ein Vorbild für alle künftig zu Erstrebenden gegeben. – In hohem Grade anziehend ist die nähere Geschichte dieser belgischen Revolution, durch welche ein kleines Volk, das Jahrhunderte lang unter dem Sclavenjoche geseufzt, sich neu erhob. Es war ein großes Beispiel für Andere und nicht zum wenigsten für Holland selbst, welches seitdem mit Belgien, trotz der Eifersucht, die man darüber empfand, gewetteifert in der Ausbildung bürgerlicher Freiheiten. Ja, Holland hat dieselben, weil unbeengt durch einen mächtigen Clerus, fast noch intensiver entwickelt, und darf denselben Anspruch erheben, wie das Nachbarland, eine Republik mit einer königlichen Spitze genannt zu werden. Daß Belgien seinen ersten und trefflichen König in Leopold von Coburg fand, dessen Sohn jetzt nach ihm die Krone trägt, ist Ihnen ohne Zweifel bekannt. –

Ein noch lehrreicheres Beispiel der Geschichte boten die Veränderungen in England dar, welche gleichfalls ihre nächste Anregung durch die Julirevolution empfingen. Wie mißachtet das Inselreich durch seine Tory-Regierung und König Georg IV. geworden, habe ich bereits angedeutet, dabei war es von inneren Unruhen durchwühlt, welche theilweise durch die Einführung der Maschinen, theilweise durch die Noth[202] und Theuerung erzeugt wurden, die sich auf den brittischen Inseln, gleichfalls als nothwendige Folge des langen Krieges geltend machten. Aber mehr noch als dieses bedrohte den Staat; tiefgesunken war in den Augen des Engländers die Königswürde, tiefgesunken die Achtung vor einer Partei, die an der Spitze der Regierung stehend, sich jeder noch so nothwendigen Reform der in vielen Theilen veralteten und unbrauchbar gewordenen englischen Verfassung, widersetzte. Am bedenklichsten waren die Zustände in dem unglücklichen Irland, wo eine durch und durch katholische Bevölkerung mit starrer Unbeweglichkeit von jeder parlamentarischen Vertretung ferngehalten wurde. Die zum Eintritt in das Parlament erforderliche Ablegung des Testeides, verhinderte damals noch jeden Katholiken einen Sitz in demselben zu gewinnen. Durch den Test- und Supremateid wurde bekanntlich der König von England als das erste und alleinige Oberhaupt der Kirche anerkannt, eine Maßregel, welche ihrer Zeit wirksam die Lostrennung von der päpstlichen Herrschaft durchgesetzt hatte. Ein Katholik jedoch konnte selbstverständlich diesen Eid nicht leisten; er war mithin vom Parlamente ausgeschlossen, und immer erbitterter äußerte sich jetzt darüber die Stimmung auf der »Smaragdinsel.« Mit Recht empörte man sich gegen eine Regierung, welche sich einer Emancipationsbill der Katholiken schroff widersetzte. Wer kennt nicht die herrlichen Poesien des irländischen Dichters Thomas Moore, des Freundes von Lord Byron, in denen er, bald hochpathetisch, bald in herbster Satyre, gleich einem zweiten Béranger, für die Freiheit, die Erlösung, das Recht seines geliebten Erin stritt, und so wie er, die glorreiche, poetische und sagenhafte Vergangenheit des grünen Eilandes neu belebend, in der tiefgedrückten Bevölkerung die edleren Gefühle des Widerstandes hervorzurufen suchte, erweckten seine Poesien zugleich die Sympathien, die Begeisterung für dasselbe in England sowohl, wie im Auslande. Zur[203] selben Zeit nahm der irische Unmuth einen festen gemeinsamen Zielpunkt an, indem man, als äußerstes Mittel des Widerstandes, die Loslösung von England, den Widerruf, repeal, der Vereinigungsakte Englands und Irlands in Aussicht stellte. Diese Agitation, geleitet durch den vergötterten Helden der Irländer, den bekannten O Connel, spann sich auch dann noch Jahre lang fort, als endlich die zündende Kraft der französischen Julitage die nächste und erste Forderung Irlands, die der Katholikenemancipation glücklich durchgesetzt hatte.

Kaum ein anderes Volk Europas fühlte sich so tief ergriffen und berührt von jener großen Katastrophe, als das Englische, und es war ihm vorbehalten, als Seitenstück zu der Pariser Revolution zu zeigen, wie ein Volk, das seit Jahrhunderten an constitutionelles Leben gewöhnt ist, das Ziel seiner Wünsche eben so sicher, auf dem Wege der Reform erreichen wird. Kaum waren die Pariser Nachrichten über den Kanal gedrungen, als sich ganz England wie ein Mann im lautesten Enthusiasmus erhob; jede Eifersucht und Feindseligkeit zwischen beiden Nationen verschwand, man fühlte sich als Brüder, als gemeinsame Freiheitskämpfer und England jubelte, Frankreich so würdig und gemessen handeln zu sehen. Die vielen Engländer, welche in Paris selbst die Julitage mit erlebt, waren überschwänglich in ihrem Lobe, wie das Volk seinen Kampf geleitet, wie es seinen Sieg benutzt habe. Man glaubte der letzte Rest keltischer Wildheit, der in der Revolution von 89 so furchtbar gewüthet, sei ausgetilgt; es wurde Mode die französischen Nationalfarben zu tragen, Adressen und Versammlungen beglückwünschten das französische Volk ob seines Sieges und die gesammte Presse war des überströmenden Lobens voll. Die natürliche Rückwirkung dieser Stimmungen brachte nun in England jene merkwürdige Parlamentsreform zu Wege, welche sich unter der Leitung von Lord, Grey im[204] Frühjahr 1832 definitiv vollzog, und eine der glänzendsten und interessantesten Episoden der englischen Verfassungsgeschichte bildet. Das dreimalige Durchgehen der irländischen Emancipationsbill stürzte das Ministerium Wellington, den Schild und Hort der Toryparthei und ein endlicher Sieg krönte die Anstrengungen von Männern, die zur rechten Zeit eingesehen, daß die englische Verfassung schon lange nicht mehr auf der Höhe der Zeit stand. Diese denkwürdige Reform legte den Grundstein zu der heutigen Entwicklung Englands, und bereitete den neuen Aufschwung vor, den es seitdem genommen. Als nach dem Ableben ihres Oheim's, Königs Wilhelm des IV., seine Nichte, die heutige Königin Victoria den englischen Thron bestieg, da war die Hand einer siebenzehnjährigen Jungfrau stark und sicher genug, das Ruder eines Staates zu lenken, der sich auf zeitgemäße Institutionen stützte, und kaum weniger denn Belgien, als eine Erbmonarchie, mit republikanischen Einrichtungen betrachtet werden darf. Höchst interessant ist die nähere Geschichte dieser Reformbewegung und ich möchte Ihnen darum dringend einen englischen Roman: Coningsby, empfehlen, der jene Zeit sehr eingehend behandelt, und dessen Verfasser kein Geringerer ist, als der berühmte englische Staatsmann D' Israeli. –

Aber nicht die Königreiche allein, auch die Republiken sollten durch den Julibrand in Aufruhr und Bewegung versetzt werden, selbst in den Bergen der Schweiz hallte mächtig der französische Schlachtruf: liberté et égalité! wider, und erinnerte deren Bewohner daran, wie sehr ihnen die einstige Freiheit der Väter, die Gleichstellung der einzelnen Stände, war verloren gegangen. Der unselige Wiener Congreß hatte ja auch jenem Conglomerat kleiner Kantonsrepubliken die alten Zustände wieder aufgenöthigt, namentlich die Geschlechterherrschaft neu aufgebaut, und der Aristokratie das Heft wieder in die Hände gegeben, die gleich den[205] Bourbonen, auch nur einzig und allein darnach strebten, Veraltetes festzuhalten und jeder Neuerung zu wehren. – Hand in Hand damit ging der lächerlichste Particularismus, bezeichnet als der Kantönligeist, und ächt partikularistisch, Jeder für sich allein, machte denn nun auch, noch ehe das Jahr zur Neige ging, eine Reihe von Kantonen ihre besondere Reformbewegung durch. Elf solcher Revolutiönchen folgten einander Schlag auf Schlag, aber ein gleiches Princip war in ihnen nicht zu verkennen, das Princip der Volkssouveränität.

Hatte die Julirevolution in Frankreich wieder den dritten Stand, die Bourgeoisie, zur Herrschaft gebracht, so kamen die Schweizer Umwälzungen zugleich mit dem Bürger auch dem Bauern zu gute, der von nun an eben soviel gelten sollte wie der Edelmann, der Gelehrte und der Bürger. In allen Kantonen, wo die Freigesinnten siegten, blieb von da an jedes Vorrecht, jede Ungleichheit vertilgt; die Bauernjacke saß neben dem Frack gleich ebenbürtig im Rathe und bei Gericht. Dieser Gleichmachung der Stände durch ihre gemeinsame Theilnahme an der Regierung, entsprachen dann auch die Gesetze und Bestimmungen, welche die Staatslasten gleichmäßig auf alle Bürger vertheilten, Gewerbefreiheit und Freizügigkeit aussprachen, und mit Ausnahme der katholischen Kantone, volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gelten ließen. Zu welch schwierigen Verwickelungen diese Ausnahmsstellung der katholischen Kantone später Anlaß gab, werden wir noch hören. Den Hauptnachdruck aber legten die neuen Regierungen auf die Ausbildung des Unterrichtswesens und Sie werden ja davon gehört haben, wie verhältnißmäßig in keinem andern Lande Europas, soviel für die Bildung des Volkes, auch der Frauen, geschehen ist und geschieht, als in der kleinen Schweiz. Man suchte freilich dadurch die schroffen Unterschiede der Klassen möglichst auszugleichen,[206] die sich selbst heute noch, und damals noch weit mehr, in oft unerquicklichster Weise fühlbar machten und lange Kämpfe und Verwicklungen hervorriefen. Aber gleichviel – das kleine Land hatte eine Bahn des Fortschritts und der Entwicklung betreten, die wahrhaft bewunderungswürdig genannt werden muß. Ihren Bewohnern gab sie eine politische Bildung, die selbst den Geringsten unter ihnen mündig macht, so daß die Schweiz in Wirklichkeit eine Republik mit Republikanern genannt werden kann, und der freiheitliche Aufschwung den sie seit jener Zeit genommen, hat das Land nach und nach zu solch einer hohen Durchbildung demokratischer Freiheiten geführt, zugleich auch ein so festes Einheitsband um die verschiedenen Kantone geschlungen, daß man heute mit Recht sagen kann, es stehe kaum ein anderer Staat, namentlich seit den letzten Abstimmungen über Religions- und Geistesfreiheit, auf einer höheren Stufe politischer Entwickelung.

Bis zu diesem Punkte wollte ich Ihnen gern die Hauptwirkungen der Julirevolution auf die Nachbarländer zeigen, obgleich sie damit noch lange nicht erschöpft sind, denn auch der ganze Süden Europas erhob sich in jenen Tagen zu neuer Hoffnung. In Italien entfaltete die Carbonaria wieder ihre Thätigkeit und in dieselbe waren die Napoleoniden, welche dort ihren Hauptsitz hatten, tief verflochten. An den neuen erfolglosen Aufständen und Bewegungen betheiligten sich namentlich Königin Hortense und ihre beiden Söhne, von denen der Jüngere einst den französischen Kaiserthron neu aufbauen sollte. – Auch in Spanien loderten aller Orten neue Aufstände empor, ja bis nach Amerika hinüber flogen die Zuckungen, die Europa erschütterten – wie hätte nicht auch Deutschland in den Kreis der Revolutionen mit hinein gerissen werden sollen, wenn sich dieselben auch nicht über das Ganze erstreckten, sondern nur auf einzelne Staaten rückwirkten. – Wohl hatte sich dieseits des Rheines aller Orten[207] eine hohe und freudige Erregung unter der Bevölkerung über die französischen Ereignisse kundgegeben; es zeigten sich auch vereinzelte Aufstände und Pöbelexcesse, die theilweise durch die Theuerung des Brodes, wie auch, namentlich in der Rheinprovinz, wo sich eine höhere Industrie zu entwickeln begann, durch die steigende Verbreitung der Maschinen, welche man als den Tod der Handarbeit betrachtete, hervorgerufen wurden. Man zerstörte Fabriken und Maschinen, machte den Bäckern und Bäckerladen den Krieg; in Berlin, Hamburg, Breslau gab es sogar ernstere Volksunruhen, aber es fehlte ihnen aller Orten an Zusammenhang, wie an innerer tieferer Begründung. Ueberall drückte den Deutschen der Schuh, und das geringe Volk schlug naturgemäß nach dem Nächsten aus, was ihm wehe that, ohne daß ihm daraus ein Nutzen erwachsen wäre. Eine ernstere Bedeutung gewannen diese Aufstände jedoch in jener Gruppe norddeutscher Staaten, wo die Anläufe zu Verfassungen nach dem Jahre 1815 an dem Despotismus und der Thorheit der Fürsten gescheitert waren. Es ist in hohem Grade lehrreich für den Werth eines constitutionellen Staatslebens, wenn man gerade in diesem Momente beobachtet, wie Süddeutschland bei den Erschütterungen in seiner nächsten Nähe nicht theilnahmlos, aber doch ruhig blieb, mit Ausnahme der Provinz Oberhessen. So mangelhaft auch dort noch der Constitutionalismus ertwickelt war, genügte dies Wenige dennoch, das Vertrauen auf einen gesetzlichen Fortschritt unerschüttert zu lassen. In Kassel, Sachsen, Hannover und Braunschweig jedoch erinnerten sich jetzt der Gebildete, wie der geringe Mann, mit Ingrimm daran, welche Rechte ihnen bis dahin versagt geblieben. Wir sehen in Folge dessen nun im raschen Verlaufe auch in Deutschland vier Miniaturrevolutionen ausbrechen, die den bedeutenden Erfolg hatten, auch den kleinstaatlichen Norden unseres Vaterlandes in das constitutionelle Leben[208] hinein zu reißen. Preußen blieb im Ganzen ruhig; seine besten Männer hatte man mundtodt gemacht, es fehlte dort an Wortführern, es fehlte an einer freien Presse, es fehlte an einem regen Austausch und Verkehr auf den Hochschulen, vorzugsweise aber an einem innigen Zusammenhang der einzelnen Provinzen unter einan der.

So beschränkte sich denn die Revolution lediglich auf die eben erwähnten Staaten, und erst das Jahr 1848 sollte endlich auch die beiden Großmächte in die Bahnen freiheitlicher Entwickelung gewaltsam hinein treiben. – Sachsen eröffnete den Reigen der Staaten, die laut ihre Unzufriedenheit kund gaben, und zwar geschah dies schon vor der Julirevolution, zunächst veranlaßt durch die Verbote von Festlichkeiten, welche an dem Jahrestage der Ueberreichung der Augsburger Confession stattfinden sollten. Bereits im Juni hatten sich ernstliche Unruhen in Leipzig gezeigt, die sich Anfang September wiederholten und bald auch in Dresden ausbrachen, wo man, da die Bevölkerung vielfach Französisch verstand, die französischen Blätter mit höchster Begierde und Erregung zu lesen pflegte. Zu dem langenährten Wunsche nach einer Verfassung, gesellte sich Unmuth über die katholische Königsfamilie, wie auch der Ruf nach besseren städtischen Verwaltungen, und es zeigte sich die Aufregung als eine so einmüthige, daß man unmöglich von Pöbel, Aufrührern und dergleichen sprechen konnte. Die Bürger bildeten überall, nach dem Vorgange in Paris, Bürgergarden, um die Ruhe aufrecht und das Militär fern zu halten, und so spitzten sich jetzt schon hier und anderwärts mehr und mehr die Antipathien zwischen Volk und Soldaten zu, welche Letztere man anfing als die Schergen der Gewalt und der Reaction zu betrachten. Der König von Sachsen nahm, um sich neue Sympathien zu erwerben und die Unruhe zu dämpfen, seinen Neffen, den Prinzen Friedrich August zum Mitregenten an,[209] wobei er das geflügelte Wort aussprach: »Vertrauen weckt Vertrauen«, da stellte es sich denn recht heraus, wie leicht das deutsche Volk noch durch ein passendes Wort zu beschwichtigen war. Bis zum Ueberdruß wurde der allerhöchste Ausspruch wiederholt und sogar auf Armbinden gestickt, welche die Bürgergarden trugen. Trotzdem konnte die Bewilligung einer Verfassung jetzt nicht mehr umgangen werden, doch wurde dieselbe klüglich erst auf 1832 versprochen, um Zeit zu gewinnen. Fürst Metternich hatte gleich im ersten Schreck, der sich von Dresden nach Wien verpflanzte, dem »guten Alten« in Sachsen angeboten, aus Böhmen Truppen zu seiner Hülfe zu senden, die man aber doch verständiger Weise nicht annahm. Mit dem sonst so gutmüthigen Sachsenvolke war diesesmal nicht zu spassen, es wollte sich mit Versprechungen die auf zwei Jahre hinaus lauteten, durchaus nicht mehr begnügen, und da es in Eisenstuck aus Dresden einen trefflichen, unerschrockenen Wortführer besaß, sah sich die Regierung genöthigt, alsbald Schritte für eine Verfassung zu thun, die denn auch wirklich am 4. Sept. 1831 in's Leben trat.

Noch lebendiger entwickelten sich die Dinge in Braunschweig, in jenem Ländchen, welches einst nach Napoleon's Sturz seinen angestammten Fürsten mit solch gränzenlosem Jubel wieder empfangen hatte. Dieser unglückliche Fürst war der Sohn des Herzogs Ferdinand v. Braunschweig, welcher in der Schlacht bei Jena die Todeswunden empfing, die ihm bald darnach in der Verbannung das Leben rauben sollten. Herzog Wilhelm durfte sich des Wiederbesitzes seines Landes nicht lange erfreuen; tapfer, wie sein Vater, kämpfte er die Schlacht von Waterloo mit und fiel in derselben. Für seinen noch minderjährigen ältesten Sohn Karl führte England die Vormundschaft, bis dieser selbst die Regierung übernahm. Eine finstre, starre und abentheuerliche Natur, hatte er gerade[210] in Paris die Juli-Revolution mit angesehen und war, von Haß gegen dieselbe erfüllt, mehr als je dem Metternichschen System anhänglich, nach Hause zurückgekehrt, um allsobald, in Folge seiner eignen starren Unnachgiebigkeit, Aehnliches bei sich zu erleben, und in derselben Weise sein Land verlassen zu müssen, wie der König Frankreichs, den er vor seinen Augen hatte fliehen sehen. – Als sich Anfangs September in seiner Residenz die ersten Regungen eines Volkswillens kundgegeben, ließ er ohne Weiteres Kanonen auffahren und reizte damit die Menge nur noch mehr. Nicht allein die Gebildeten, auch, wie es ziem lich verbürgt ist, ein Theil des hohen Adels nahm gemeinschaftlich Parthei gegen einen Fürsten, der fast immer in England lebte und das Land nur als eine melkende Kuh für seine Verschwendungssucht betrachtete, ohne sich im Mindesten um dessen Bedürfnisse und Wünsche zu kümmern. Ganz direct wendete sich der Haß zuerst gegen seine eigne Person; aus dem Theater heimkehrend, wurde des Fürsten Wagen mit Steinwürfen verfolgt, und voll Wuth und Schreck ließ er sogleich alle Geldvorräthe aus der Stadt in das Schloß verbringen. Nach der Stadt aber wurde Pulver geführt und als nun eine Deputation den Herzog um Entfernung der aufgefahrenen Kanonen bat, erklärte er derselben, er werde es nicht wie Karl X. mit halben Maßregeln so weit kommen lassen, als dies in Paris der Fall gewesen. Nun brach der Aufruhr unaufhaltsam los; immer dichter schaarte sich die Menge um das Schloß, man fing an den Namenszug des Herzogs aus den Gittern loszubrechen, schon begannen Einzelne in die Fenster der Kanzlei einzusteigen, und das Militär blieb unthätig dabei stehen. Da kam plötzlich die Nachricht, der Herzog sei heimlich abgereist; so hatte seine Feigheit nicht einmal dem ersten Anpralle stille gehalten. Aber diese Nachricht dämpfte die Meuterei nicht; der commandirende General,[211] mit derselben wahrscheinlich einverstanden, ließ sich mit Pfeifen und Steinwürfen begrüßen, ohne Abwehr zu befehlen, als mit Einemmale die rothe Lohe aus dem Schlosse emporschlug. Durch irgend eine Frevlerhand war das Schloß in Brand gesteckt worden, man fing an zu plündern, statt zu löschen, ja sogar neues Feuer wurde angelegt, bis der alte Welfensitz in Schutt und Asche lag und mit ihm fast das ganze kostbare Archiv des braunschweigisch-lüneburgischen Hauses. Die öffentliche Ueberzeugung ging dahin, daß Feinde des Herzogs aus den höheren Ständen diese ganze Katastrophe veranlaßt hätten, wofür allerdings auch die vollständige Passivität des Militärs spricht.

Der jüngere Bruder des Herzogs, Prinz Wilhelm, wurde nun zur Regierung berufen, eine Würde, gegen die er sich anfänglich sträubte, sie aber dennoch, nachdem auch England seine Zustimmung dazu gegeben, annahm. Es mochte sich Niemand für den vertriebenen Herzog anstrengen, und selbst Metternich konnte nicht umhin diese gründliche Revolte als fait accompli anzunehmen. Herzog Wilhelm ist noch bis heute der Regent Braunschweigs, blieb aber unverheirathet und folglich ohne Thronerbe. Nach dem natürlichen Laufe der Dinge wird sein Ländchen wohl einst Preußen, oder sagen wir lieber, dem deutschen Reiche einverleibt werden. – Braunschweig trat, nach den oben geschilderten Ereignissen nun, gleichfalls, trotz eines neuen Widerstandes des Adels, in die Reihe der verfassungsmäßigen Staaten ein. –

Herzog Karl, ebenso characterlos als tyrannisch, versuchte noch einmal das Volk durch schöne Versprechungen zu ködern, die seinem früheren System vollständig Hohn sprachen. Er wollte das stehende Heer abschaffen, wollte allgemeines Wahlrecht wie auch Schwurgerichte einführen, die ärmeren Klassen von jeder Steuer befreien u.s.w. Gleich einem prophetischen Tone vor 1848, so muthen uns diese schönen[212] Versprechungen an, die aber den übrigen regierenden Herren in Deutschland damals noch viel weniger angenehm lauteten, als die ausgesprochene Absetzung eines legitimen Standesgenossen, bei der es sein Bewenden hatte. Ein gewaltsamer Versuch, den der Herzog Karl zuletzt noch machte, sein Land zurückzuerobern, blieb eben so erfolglos. Er warb eine Handvoll Bauern aus dem Harze an und zog mit ihnen an die braunschweigische Gränze: »Wollt Ihr nicht zu mir kommen, Jungen?« so redete er das braunschweigische Gränzpicket an, worauf ihm der Corporal antwortete: »Der Baron B. sei in Blankenburg fast zerrißen worden, den Herzog werde man ganz zerreissen!« und als darauf der Lieutenant seine Leute zum Feuern commandirte, machte sich. der Herzog schleunigst davon, um seitdem als Abentheurer die Welt zu durchirren, stets mit Plänen beschäftigt, sein Ländchen zurückzuerobern. So führte er bekanntlich stets Kisten und Kasten voll Uniformen und Monturen für die braunschweigischen Truppen mit sich herum, durch deren Hülfe er sich wieder in den Besitz der Macht zu setzen hoffte. Als einer der reichsten Fürsten konnte er allen seinen Launen und Sonderbarkeiten fröhnen, die namentlich in der Aufhäufung von kostbaren Edelsteinen und Pretiosen bestand, welche vor Dieben zu bewahren, er die wunderlichsten Vorsichtsmaßregeln erfand. In seinem Besitze befand sich auch die berühmte antike Onyxvase, die er dem braunschweigischen Hausschatze entführt und überall mit sich herumgetragen hatte. Ein Unicum in ihrer Art, ist sie jetzt durch seinen Tod seinem Hause und der Kunstwelt wieder zurückgegeben worden. Herzog Karl starb 1871 in Genf, und hat jener Stadt sein ganzes colossales Vermögen vermacht.

So hatte das Jahr 1830 drei Throne nach einander umgestürzt und selbst die gläubigsten Monarchisten mochten darüber nachdenklich werden. Chateaubriand konnte mit Recht schreiben: »Jeden Morgen kehrt man die Trümmer des[213] stürzenden Königthums vor unseren Thüren hinweg!« Die deutsche Jugend aber horchte wieder hoch auf; ihre gefeierten Schriftsteller, Börne und Heine riefen der Julirevolution ihr lautes Hosiannah! entgegen und verkündeten es in allen möglichen Variationen, daß das Krähen des gallischen Hahnes anzeige, wie die Mitternachtsstunde der Tyrannei dem Morgenrothe der Freiheit zu weichen beginne!

Noch andere deutsche Thrönchen waren in der That dem Umsturz kaum weniger nahe, als der welfische Herzogsstuhl und als ein anderes Zeichen der Zeit konnte die Furcht und Angst gelten, die sich augenblicks des Geistes tyrannischer Fürsten bemächtigte. Unter diesen obenan stand der uns schon bekannte Kurfürst von Hessen-Kassel. Er selbst beschwor das Unwetter schnellmöglichst über sich herauf, denn nicht sobald war Karl X. gestürzt, als er, gerade in Karlsbad befindlich, Befehl gab, daß man die Kinder seiner Frau, der geadelten Gräfin Reichenbach, nach Frankfurt schaffe, sowie auch seine Kostbarkeiten in Sicherheit bringe. Mit seinem Sohne, dem späteren und letzten Kurfürsten von Hessen-Kassel zerfallen, erschrak der Alte in hohem Grade, als Jener, der sich schon seit Jahren vom Hofe und von Kassel, in Folge der räthselhaften Vergiftung eines seiner Lakaien entfernt hielt, nun plötzlich wieder dort erschien. Schnell eilte nun auch er nach Hause, und kam eben recht zu sehen, wie man die Bäckerladen stürmte und seine Unzufriedenheit auf jede Weise an den Tag zu legen suchte. Darauf hielt er am 21. September an der Seite seines Sohnes, mit dem er sich schnell ausgesöhnt hatte, einen feierlichen Einzug in Kassel, während er die verhaßte Gräfin Reichenbach, die ihm zur linken Hand angetraut war, in Eisenach zurückließ. Die Straßen waren mit Menschen bedeckt, aber Todenstille empfing die Fürsten, und nächsten Tages beschloß die Bürgerschaft eine Petition einzureichen, welche die Einberufung der kurhessischen[214] Stände verlangte. Der Bürgermeister Schomburg sollte diese Schrift auf Wilhelmshöhe überreichen, aber ein gewisser Rivalier, der spätere Baron v. Meysenbug, welcher damals eine große Rolle spielte, und bis zum Tode des Kurfürsten dessen rechte Hand blieb, wies den Bürgermeister vom Schlosse weg. In Folge dessen erreichte die Erbitterung den höchsten Grad; als der Kurfürst am nächsten Tage zur Stadt kam, folgte ihm die ganze Bürgerschaft schweigend bis zum Schlosse nach, der Magistrat, der nun empfangen wurde, überreichte die Petition und Schomburg schilderte in ergreifender Rede die herrschende Noth und Verzweiflung, der man durch gesetzliche Mittel namentlich durch die Regelung des Steuerwesens, abhelfen könne, zu diesem Zwecke sei eine Einberufung der Stände durchaus nothwendig. Es war verabredet, daß der Küfer Herbold, der zu der Deputation gehörte, einen schwarzen Handschuh herabwerfen werde, wenn der Kurfürst halsstarrig bleibe, dies sollte das Signal zum allgemeinen Sturme auf das Schloß geben; ließ er dagegen ein weißes Tuch flattern, so sollte man daran die Gewährung der Bitte erkennen. Athemlos stand die Menge, als endlich Herbold das Fenster aufriß und das Tuch schwenkte – der Kurfürst hatte die Berufung der Stände für den nächsten Monat zugesagt. – Es war aber auch die höchste Zeit zum Nachgeben gewesen, denn das ganze Kurfürstenthum und selbst die benachbarte Provinz Oberhessen stand in hellen Flammen des Aufruhrs. Ueberall warf sich die Wuth des Volkes auf die Zoll- und Mauthstätten, in Hanau, Vilbel, Steinheim und an andern Orten wurden sie niedergebrannt. Daneben zerstörte man die Rent- und Amtshäuser, verbrannte die Steuerrollen und die Schuldbücher, wozu sich dann noch gröbere Excesse gesellten, indem man die Wohnungen von besonders mißliebigen Beamten ausräumte, die Möbel in's Feuer warf, die Betten aufschnitt und die Federn davon fliegen ließ. – Vornehmlich[215] in den Standesherrschaften war die Erbitterung groß, weil dort noch die Feudallasten neben den Staatslasten auf das geringe Volk drückten. Dies war auch die Veranlassung, warum gerade in Oberhessen, wo sich noch sehr viele Standesherrschaften befinden, die Empörung in eine Art von Bauernkrieg ausartete. Sonst nirgends war dem kleinen Manne die Steuerlast so empfindlich als dort; auf einen Kopf allein konnte man 6 fl. 12 kr. rechnen. Eine Reise des neuen Regenten, Ludwig II., die er bei seiner Thronbesteigung durch das Land gemacht, hatte 100,000 fl. gekostet; vorhergehende Zerwürfnisse mit den Ständen, welche die Forderung eines neuen Schloßbaues für den nunmehrigen Erbprinzen abgelehnt hatten, verbitterten die Stimmung noch mehr, namentlich in Betracht, daß die Schuldenlast des Großherzoglichen Hauses bereits eine unverhältnißmäßige Höhe zu den Kräften des Ländchens gewonnen hatte. –

Dieser oberhessische Aufstand war auch in den Septembertagen ausgebrochen; unter Trommelschlag, einem steten Anschwellen ihrer Haufen und den Rufen: »Freiheit und Gleichheit!« zogen die Bauerntrupps von Ort zu Ort. In Büdingen zwangen sie den Grafen Isenburg eine Strecke weit mit ihnen zu ziehen, von da wandten sie sich gegen Ortenberg, zerstörten in Nidda das Haus des Landrichters, und breiteten sich dann in drei Richtungen nach der Wetterau, dem Vogelsberg und nach Butzbach hin, aus. Das traurige Zwischenspiel fand dort sein Ende, während man sich in Darmstadt im Schlosse schon zur Flucht vorbereitete, und selbst der Bundestag in Frankfurt gezittert hatte. Der Prinz Emil, ein Bruder des Großherzogs, wurde nach Oberhessen entsendet, und drei Militärcolonnen sollten den Aufstand einschließen, als ein blutiges Zusammentreffen bei dem Dorfe Södel, die Sache schnell beendigte, aber auch eine furchtbare Erbitterung zurückließ. Die Dragoner, die[216] man von Butzbach berufen, hatten ohne Weiteres, vor der gesetzlichen Aufforderung an die Leute auseinander zu gehen, in das unbewaffnete Volk scharf eingehauen und dabei Leute verletzt und getödtet, die sich gerade bemühten, die Haufen durch vernünftiges Zureden zu zerstreuen. Es war eine große, unverantwortliche Brutalität, die dort begangen wurde, ein bedeutungsvolles Zeichen der Animosität mit der sich bald allerorten Bürger und Soldat feindselig gegenüber stehen sollten. Die Gebildeten hatten keinerlei Antheil an diesen Dingen genommen, aus denen eine spätere Reaction aber wieder neues Kapital zu schlagen wußte. – Die Hessen-Kasseler Veränderungen nahmen inzwischen ihren Fortgang, und führten zu dem Ziele, daß im September 1831, also ein Jahr darnach, der Kurfürst die neue kurhessische Verfassung beschwor und auch in Hannover konnte man sich jetzt, trotz Metternich's Widerstreben, nicht länger den Forderungen der Zeit entgegensetzen.

Es gelang dem muthigen Auftreten der Göttinger und Hannoveraner Bürgerschaft, sowie der wackeren Haltung der Göttinger Professoren und Studenten, unter Leitung des Dr. von Rauschenplatt, den mißliebigen Grafen von Münster, den englischen Statthalter, zu entfernen, und von England eine Verfassung zu erringen, die unter dem Herzog v. Cambridge, der nun als Vicekönig seinen Aufenthalt in Hannover nahm, eine Wahrheit werden sollte. –

Damit war nun der Kreis revolutionärer Bewegungen in Norddeutschland mit gutem Erfolge abgeschlossen nur unbedeutend sind die Zuckungen zu nennen, die sich in den Thüringer Landen kundgaben. In Meiningen und Gotha kamen die Fürsten gerechten Wünschen aus eigenem Antrieb zuvor, und der Fürst von Reuß-Greiz konnte sogar an den Bundestag die beruhigende Erklärung abgeben, »daß in Höchstseinem Lande die Ruhe nicht im Geringsten[217] gestört worden sei.« – Die nördlichsten Kleinstaaten blieben gleichfalls ruhig, nur in Holstein gab sich, gleichfalls in jenen aufgeregten Tagen, durch die Stimme von W. Lorensen, dem Landvogte der Insel Sylt, (den Th. Mügge zum Helden eines seiner hübschen Romane gemacht) eine Berufung an das Rechts- und Vaterlandsgefühl der deutschen Nation kund, indem Lorensen gegen die Vorenthaltung des Artikels 13 der Bundesacte, welcher Verfassungen verhieß, protestirte. Er mußte für sein kühnes Wort büßen, aber der König von Dänemark gab den Herzogthümern doch in Folge dessen wenigstens Provinzialstände. Durch Lorensens Auftreten aber, durch seinen Appell an Deutschland, wurde der erste Anstoß zu der so wichtigen und folgenschweren Fortentwicklung der Dinge in Schleswig-Holstein gegeben. –

So hatten sich denn die norddeutschen Veränderungen vollzogen und vollendet, ohne ein Eingreifen der deutschen Großmächte oder des Bundes, einfach nach dem zwingenden Gesetze historischen Fortschritts, obschon die Regierungen allgemein und selbst Staatsmänner wie Stein, darin das Ergebniß geheimer Umtriebe und Verschwörungen erblicken wollten. Nichts aber ist weniger der Fall gewesen als dieses; es war der treibende Geist der Zeit, der Einfluß der französischen Journale und Berichte, die man um so begieriger verfolgte, als die einheimische Presse vollständig geknebelt war, welche in jenen Tagen das Bürger- und Beamtenthum an die Spitze von Bewegungen stellte, die nach unten zu allerdings nicht überall ganz glatt verliefen, wobei aber die gemäßigte Parthei stets die Oberhand behielt. Das Gute, welches dem Gesammtvaterlande daraus erwuchs, war zunächst die Näherrückung des Südens und Nordens, die nun ein gemeinsames politisches Leben führten, in so weit diese Bezeichnung hier schon am Platze sein darf. Fürst Metternich hatte sich doch schlimm verrechnet; anstatt der Lahmlegung der süddeutschen[218] Constitutionen, sah er dieselben um eine ganze Anzahl verstärkt, und dazu gesellte sich der Umstand, daß in einzelnen Köpfen, die freilich ihrer Zeit weit voraus waren, schon damals der Gedanke auftauchte, eine Hegemonie Preußen's über Deutschland anzubahnen, um es auf diesem Wege zu einer Nation zu machen. –

Es ist begreiflich, wie man es den Ereignissen in Frankreich, England und Belgien gegenüber wieder doppelt schmerzlich empfinden mußte, so zerspalten zu sein, denn: »Nationalität ist die Persönlichkeit der Völker!« so sagte jener Mann, der, obgleich Süddeutscher und Würtemberger, nicht allein den freien Geist hatte, sich über alle Vorurtheile gegen Preußen hinaus zu setzen, sondern auch den Muth, es offen auszusprechen, was er von diesem Staate erhoffte. Von einem zuerst ungenannten Verfasser erschien: Der Briefwechsel zweier Deutschen, doch erfuhr man bald, er sei der Feder Paul Pfitzer's entflossen. Diese Schrift, welche damals ein ungeheures Aufsehen erregte, dann lange Zeit vergessen war, ist neuerdings wieder zu hohen Ehren gekommen, durch den prophetischen Geist, den ihre Worte athmen. – Pfitzer bezeichnet darin, als ein untrügliches Mittel die deutsche Nationalität zusammenzukitten und sich selbst wiederzugeben, ganz entschieden die Vorherrschaft Preußen's über dieselbe. »So lange«, sagt er, »in Deutschland beinahe ein jeder Stamm den Andern beneidet und befeindet, oder in vermeintlicher Ueberlegenheit verspottet und belacht, und lieber sich dem Fremdling in die Arme wirft, als Seinesgleichen eine Ehre gönnt, so lange die Deutschen sich in ihrer Schmach und Zersplitterung gefallen und meinen, es müsse so sein – so lange ist an eine bessere Zukunft nicht zu denken. Wenn aber nun einmal die rechte Gesinnung durchgedrungen und verbreitet ist, wenn seinerseits auch Preußen seinen ehrenden Beruf in großartigem Sinne würdig auffaßt und die beschränktere,[219] preußische Nationaleitelkeit allmählig zu einem deutschen Nationalgefühl erweitert; wenn es bedenkt, daß sein Uebergewicht an materiellen Dingen ein Fingerzeig für seine künftige Bestimmung ist; alsdann wird, gleichzeitig mit dem oft wegwerfenden Stolz der Preußen, gegenüber von ihren deutschen Volksgenossen, auch das Geschrei über ihre Aufgeblasenheit verschwunden, und Deutschland mehr und mehr geneigt sein, in Preußen den Repräsentanten der Nation anzuerkennen und sich in That und Leben immer inniger mit ihm zu befreunden.«

Vergegenwärtigt man sich solche Worte aus solcher Zeit, dann muß man doch wohl zu der Ueberzeugung kommen, daß hier im objectivsten Sinne das ausgesprochen wurde, was nach Lage der Dinge das unausbleiblich Richtige war. – Die preußische Regierung selbst rechtfertigte leider damals solche Hoffnungen in keiner Weise, und spät erst reifte dort der Saamen heran, der hier schon ausgestreut wurde, aber man wird es dem Fürsten Bismarck gerne zugestehen müssen, daß er ihn endlich zur Blüthe gebracht.

Das Preußen vom Jahre 1830 war damals leider nichts, als ein Scherge Rußland's, gegenüber dem unglücklichen Polen, dessen Aufstand im Jahre 1830, zur Abschüttlung von Rußland's Joch, so traurig und verhängnißvoll für das tiefgebeugte Volk enden sollte. Doch auch sein heldenmüthiger Kampf und sein tragischer Untergang warf neuen Zündstoff in die Gemüther und rief neue Auflehnungen gegen den Absolutismus hervor.[220]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 197-221.
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