An die Nymphe des Negenborns

[58] Neig' aus deines Vaters Halle,

Felsentochter, mir dein Ohr!

Hell im Schimmer der Krystalle,

Hell im Silberschleier, walle,

Reine Nymphe, wall' hervor!


Libern jauchzet die Mänade

Huldigung bei Zymbelklang.

Dir nur, glänzende Najade,

Deiner Urne, deinem Bade

Weihte keiner Hochgesang? –
[58]

Wohl, ich weih' ihn! Wo der Zecher,

Der des Preises spotten soll?

Ha! Wo ist er? Ich bin Rächer!

Fleuch! Mein Bogen tönt! Mein Köcher

Rasselt goldner Pfeile voll!


Hier, wie aus der Traube, quillet

Geist und Leben, frisch und rein,

Leben, das den Hirten füllet,

Das den Durst der Herde stillet,

Welches Wiese tränkt und Hain.


Horch! Es rauscht im Felsenhaine,

Woget auf der Wies' entlang,

Leckt im Widder auf dem Raine,

Schauert durch das Mark der Beine,

Kühlt des Wandrers heißen Gang.


Saugt aus Wein der Klee sein Leben,

Wohlgeruch und Honigsaft? –

Kraut und Blumen, selbst die Reben

Danken dir, o Nais, Leben,

Würze, Süßigkeit und Kraft.


Lebensfülle, Kraft und Streben

Trank auch ich schon oft bei dir.

Drob sei auch von nun an Leben

Und Unsterblichkeit gegeben

Deinem Namen für und für.


Quelle:
Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 21914, S. 58-59.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1789)
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Gedichte: Ausgabe 1789