Gesang am heiligen Vorabend des funfzigjährigen Jubelfestes der Georgia Augusta

[112] Morgen, o festlicher Tag,

Morgen entschwebe

Herrlich und hehr der Nacht!

Komm in Titans Strahlenkranze,

Komm im blauen Äthermantel,

In des Urlichts reinstem Glanze!

So entsteige der Grotte der Nacht

Unter dem Meer!

So entschwebe dem Wogentanze

Herrlich und hehr,

Hehr und herrlich in Bräutigamspracht!


Es harret dein,

Voll Lieb' und Lust,

Die hohe Jubelkönigin.

Vor bräutlichem Entzücken

Hüpft ihr die Brust.

Sie harret dein,

Mit wonneglänzenden Wangen und Blicken,

Georgia Augusta harret dein!


Als sie vor funfzig ruhmbestrahlten Jahren

Ein schönes Kind,

Ein wunderschönes Götterkind,

Geboren war,

Da brachten sie in dieses Tempels Halle,

Vor Gottes Hochaltar,

Ihr großer Vater und die Hochberühmten alle,

Die ihrer Kindheit Pfleger waren,

Dem Segenspender dar,

Und auf der Andacht Flügel schwang

Sich himmelan ihr flehender Gesang.
[112]

Herr, erfülle sie mit Weisheit,

Adle sie, o Herr, durch Schönheit,

Rüste sie mit Heldenstärke,

Für den großen Gang zum Ziele

Strahlender Vollkommenheit!


Denn der Geist gedeiht durch Weisheit,

Und das Herz gedeiht durch Schönheit,

Dieser Einklang rauscht in Stärke;

Dieser Adel führt zum Ziele

Dauernder Glückseligkei


Und als das Lied der frommen Schar,

Das Lied der heißen Inbrunst,

Hinauf gesungen war,

Da wallte Gottes Flamme,

Sanft wallte von des Gebers Thron

Des herzlichen Gebetes Lohn,

Die Flamme, die noch nie verlosch,

Des Segens Flamm' herab auf den Altar.


O Flamme, die vom Himmel sank,

Entlodre hoch und weh' umher!

Umher, umher!

Entzünde jedes Herz umher

Zu heißem Dank!

Dem Geber zu unaussprechlichem Dank!


Der königliche Herrscher auf dem Thron

Von Albion

Trat väterlich herzu, und gab

Ihr reichlich mildes Öl zur Nahrung.

Wetteifernd trat herzu die Schar

Der Pfleger und der Priester am Altar,

Der sie zu heiliger, zu ewiger Bewahrung

Von Gott und König anvertrauet war,

Und hütet' ihrer gegen jegliche Gefahr

Hinweg zu löschen, oder sich zu trüben:

So gegen den wild stürmenden Orkan

Des Krieges, als des Neides leise Pest.

Gleich jener in der Vesta Heiligtume,

Erhielt getreue, rege Wachsamkeit

Die heil'ge Lohe rein und schön

Und hoch vom Anbeginn bis heut.
[113]

Himmelslohn euch, große Seelen,

In der Ruhe Heiligtum!

Ewig Heil euch, ewig Friede!

Hier auf Erden tön' im Liede

Nun und immerdar eu'r Ruhm!


Erwärmt von Gottes Segensflamme wuchs,

Münchhausen, du Unsterblicher,

Wuchs deine Tochter schnell und hoch heran.

Des Ruhmes starker Adlerfittich trug

Lautrauschend ihren Namen

Rund um den Erdball über Meer und Land;

Und seiner edlern Völker Söhne kamen

Bei Tausenden zur Huldigung.

Viel teilte sie von ihres Reichtums Fülle,

Und viel von ihres Adels Hoheit,

Viel Mut und Kraft zu Thaten –

So war es in der Weihe ihr verliehn –

Zum Heil der Völker mit.


Selig, selig, himmelselig

Ist das hocherhabne Amt,

Auszuspenden, gleich der Sonne

Durch den großen Raum der Welten,

Ins Unendliche des Geistes


Lebensnahrung, Licht und Kraft!


O wie hoch und herrlich strahlet

Des Triumphes Majestät,

Wann der Held des Geistes Chaos

Und des Chaos Ungeheuer,

Brut der Barbarei, besteht,

Und zum Rechte seines Adels


Den gepreßten Geist erhöht!


Georgia Augusta, schön und stark,

Voll Lebensgeist und Mark,

Mit Athenäens Rüstung angethan,

Ging tadellos bis heut der Ehre Bahn,

Und stritt des Ruhmes Streit

Mit ungeschwächter rascher Tapferkeit.

Nun steht sie, lehnt sich ruhend auf den Speer,

Und darf – das zeuge du, Gerechtigkeit! –

Getrost zurück auf ihre Thaten schaun.[114]

Des Kampfes Richter nehmen mild und schmeichelnd

Nun zur Erholung ihr die Waffen ab,

Und kleiden sie in festliches Gewand,

Für ihren ersten Jubelfeiertag.


Triumph! Des Tages Ehrenkönigin

Erhebt ihr Haupt!

Sie trägt ihr hohes Götterhaupt,

Sie trägt's mit Laub und Blumen,

Laut rauschend,

Süß duftend,

Süß duftend mit lieblichen Blumen,

Laut rauschend mit Laube des Ruhms umlaub


Wer aber führt den schönen Sohn der Zeit,

Wer führt herauf von Osten

Den hellen Ehrentag,

Den lauten Wonnebringer?

Wer führt der schönen Jubelbraut

Den Jubelbräutigam nun zu?

Wer weihet zur Unsterblichkeit sie ein? –

Wer sonst, als ihres großen Vaters Geist

Und ihrer heimgewallten Pfleger Geister,

Die jetzt, von Gott dazu ersehn,

Ihr unsichtbare Lebenswächter sind?


Hebe dich himmelan, Weihegesang,

Hoch in die Heimat der seligen Schar!

Zeuch der großen Heimgewallten

Geister zum Feste der Tochter herab!


Schwebe herunter, wir rufen dich laut,

Schwebe vom Himmel, unsterbliche Schar!

Freue dich der Ruhmbekränzten,

Hoch in der Blüte der Schönheit und Kraft!


Führt, ihr Verklärten, in Bräutigamspracht,

Führet den Freudenerwecker ihr zu!

Strömt auf ihre Kraft und Schönheit

Segen der ewigen Jugend herab! –


Merkt auf! Sie habens vernommen,

Die schützenden Geister! Sie kommen!

Sie führen den glänzenden Bräutigam an!

Schon wehet der heilige Schauer voran.
[115]

Schaut auf! Die Himmlischen steigen,

Ein feierlich schwebender Reigen,

Ein tönender, Seelen entzückender Chor,

Auf purpurnen Wolken in Osten empor.


Schlagt hoch, ihr lodernden Flammen

Der Herzen und Lieder, zusammen!

Führt, Orgel und Pauke, mit festlichem Klang

Entgegen des frohen Willkommens Gesang!


Quelle:
Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 21914, S. 112-116.
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