Des armen Suschens Traum

[138] Ich träumte, wie um Mitternacht

Mein Falscher mir erschien.

Fast schwür' ich, daß ich hell gewacht,

So hell erblickt' ich ihn.


Er zog den Treuring von der Hand

Und ach! zerbrach ihn mir.

Ein Wasserhelles Perlenband

Warf er mir hin dafür.


D'rauf ging ich wohl ans Gartenbeet,

Zu schau'n mein Myrtenreis,

Das ich zum Kränzchen pflanzen thät,

Und pflegen thät mit Fleiß.


Da riß entzwei mein Perlenband,

Und eh ich's mich versah,

Entrollten all' in Erd' und Sand,

Und keine war mehr da.


Ich sucht' und sucht' in Angst und Schweiß,

Umsonst, umsonst! Da schien

Verwandelt mein geliebtes Reis

In dunkeln Rosmarin.


Erfüllt ist längst das Nachtgesicht,

Ach! längst erfüllt genau.

Das Traumbuch frag' ich weiter nicht,

Und keine weise Frau.


Nun brich, o Herz, der Ring ist hin!

Die Perlen sind geweint![138]

Statt Myrt' erwuchs dir Rosmarin!

Der Traum hat Tod gemeint.


Brich, armes Herz! Zur Totenkron'

Erwuchs dir Rosmarin.

Verweint sind deine Perlen schon,

Der Ring, der Ring ist hin!


Quelle:
Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 21914, S. 138-139.
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