16. Der schwarze Friedrich zu Liegnitz.

[61] Vor zweihundert Jahren haus'te in der Gegend von Liegnitz ein grausamer Räuber, der schwarze Friedrich, oder der Bruchmörder genannt, ein Mensch von bewunderungswürdiger List und Stärke. Alle Spione täuschte er, allen Nachstellungen wußte er zu entgehen und wo keine List half, da wirkte seine mächtige Faust, mit der er seine Armbrust spannte und eine ganze Stunde weit schoß.

Friedrich hielt eine große Bande in Eid und Pflicht und machte die Gegend weit und breit so unsicher, daß die Einwohner ihres Lebens nicht froh wurden. Wer sich heute als ein wohlhabender Mann zur Ruhe legte, war morgen früh ein Bettler und mußte noch Gott danken, wenn er nicht Weib und Kind und Gesinde in ihren Betten erwürgt fand. Niemand wagte sich ohne starkes Geleite auf die Straße und selbst ganze Schaaren von Begleitern schützten nicht, wenn Friedrich mit allen seinen Blutgesellen anrückte. Große Preise waren[61] auf seinen Kopf gesetzt, aber niemand konnte den Aufenthalt desselben ergründen.

In der Schenke eines nachbarlichen Dorfes ging lange Zeit ein junger, wohlgebildeter Mann aus und ein, um, wie man bald sah, um die artige Tochter des Wirths zu werben. Das Mädchen war ihm nicht unhold und da er sowohl durch seine Kleidung, als auch durch seinen Aufwand verrieth, daß er nicht arm war, so hinderten die Eltern diese Bewerbung nicht, ja sie erlaubten sogar, daß er ohne Zeugen mit ihrer Tochter ins Feld, oder Sonntags in die Kirche nach Liegnitz gehen konnte. Aber welches Schrecken ergriff sie, als des einen Tages ihre Tochter ausblieb. Man durchsuchte alle Winkel, wo sie sein könnte, vergebens, Anna war verloren. Und in kurzem kam ihnen das Gerücht zu Ohren, daß der schwarze Friedrich gesehen worden sei, in vollem Jagen, ein Frauenzimmer fest in den Armen haltend, nach dem Bruch zu reitend. O Jammer! sein Kind in der Gewalt eines solchen Bösewichts zu wissen.

Anna war es. Der artige junge Mann, der um sie geworben hatte, gehörte zu den Gesellen des schwarzen Friedrichs und hatte ihm das Mädchen ausgeliefert.

Kaum war sie in der Höhle des Räubers angekommen, so nahm er ihr einen fürchterlichen Eid[62] ab, daß sie diese Höhle ohne sein Wissen nie verlassen wolle. Er drohte im Uebertretungsfalle, ihre Eltern auf eine grausame Art zu ermorden und sie selbst langsam zu Tode zu martern. Anna schwur und duldete.

Von nun an war sie ganz in der Gewalt dieses Wütrichs, mußte seine Häuslichkeiten besorgen und ihm zum Weibe dienen. Das Tageslicht erblickte sie nur Minuten lang, so lange sie damit zubrachte, die eiserne Thüre der Höhle dem ankommenden oder abgehenden Friedrich zu öfnen. Der Lohn für dies alles war irgend ein seidenes Kleid, oder ein Schmuck, welchen er einem Reichen der Gegend gestohlen hatte und womit sie sich, auf seinen Befehl, in der einsamen, menschenleeren Höhle ausputzen mußte. Ihre Thränen und Seufzer wurden mit den unbarmherzigsten Peitschenhieben geahndet.

So hatte sie eine lange, jammervolle Zeit verschmachtet, als ihr Friedrich des einen Tages ankündigte, er habe jetzt einen weiten Zug in das Böhmerland vor. Sie mußte ihm noch einmal schwören, die Höhle nicht zu verlassen und dann nahm er zärtlichen Abschied.

Mit neuer Stärke erwachte jetzt in Annen die Sehnsucht nach Freiheit und den Ihrigen. Aber die Gewissenhaftigkeit, ihren Eid zu brechen, und die[63] Furcht vor Friedrichs und seiner Anhänger Rache lehnte sich mit Riesenkraft dagegen auf. Welch ein Kampf in ihrer Seele!

Endlich fand ihr Gewissen einen Ausweg. Ich habe ja nur geschworen, sagte sie, diese Höhle nie zu verlassen. Wie? wenn ich nun auf eine kurze Zeit herausginge und dann wieder käme? dann verließe ich sie ja nicht. Ja, so ist es, so wird mein Gewissen nicht belastet.

Anna zog sich nett an; steckte zur Vorsicht, um den Weg nach der Höhle wieder zu erkennen, ein Säckchen mit Erbsen zu sich und öfnete mit einem der zahlreichen Dietriche, die Friedrich zurückgelassen hatte, die eiserne Thüre. Wie ward ihr, als sie wieder das holde Tageslicht erblickte! Taumelnd vor Entzücken, suchte sie den ersten besten Fußsteig und streute überall, wo sie ging, Erbsen aus, um sich bei der Rückkehr darnach zu richten.

Gern wäre sie gerade zu den Ihrigen geeilt, aber dann sah sie keine Möglichkeit, ihren Eid zu halten und wieder in die Höhle zurückzukommen. Plötzlich erblickte sie die Thürme von Liegnitz und fest war ihr Entschluß, in eine Kirche zu gehen und Gott um Beistand und Weisung anzuflehen. Sie flog mehr, als sie ging, die Furcht vor Nachstellungen beflügelte ihre Schritte.

Es ward eben ein feierliches Abendmahl gehalten, als sie in die Kirche zu St. Peter und Paul eintrat. Anna warf sich mit Inbrust vor dem Altare nieder und betete in glühender Andacht um höheren Rath und Beistand. Der Gottesdienst ging[64] zu Ende. Anna sollte aufstehen, sollte die Kirche verlassen, sollte den Weg nach ihrer Räuberhöhle zurückmachen? unmöglich. In halber Todesangst stürzte sie noch einmal in einem dichten Haufen von Betenden nieder, alle wurden auf sie aufmerksam, man sah, daß sie in ungewöhnlicher Bewegung war. »Höret recht, was ihr hören werdet,« – lispelte sie, ohne jemand anzusehen. – »Wer des schwarzen Friedrichs Raubnest wissen will, der gehe, wo ich gehe.«

Mit diesen Worten sprang sie auf und zur Kirche hinaus, immer den Weg nach, den sie bezeichnet hatte. Man hatte sie verstanden; ein großer Haufe folgte ihr von weitem, immer mehr stießen unterweges dazu.

Sie trat in die Höhle ein und hörte laut ihren Namen rufen. Erschrocken sprang sie zurück und winkte der Schaar, die ihr folgte. So drang sie bis an das eiserne Thor, Friedrich stand davor, ein Zufall hatte seine Reise für diesmal unterbrochen. Er ist es, rief sie und im Augenblicke hatten sich ihre Begleiter seiner bemächtigt. Triumphirend zogen sie mit dieser Beute gen Liegnitz, während Anna ihrem väterlichen Dorfe zueilte. Sie erhielt eine ansehnliche Belohnung von dem Rathe zu Liegnitz und der schwarze Friedrich ward im Jahr 1661 hingerichtet.

Man hat ein alt Lied von dieser Begebenheit, so sonst bei seinem Bogen in Liegnitz war, das sie etwas anders erzählt:
[65]

Ein Mörder in diesem Land',

Der schwarze Friedrich genannt,

Hat durch diesen Bogen viel Leut' getödt;

Er auch ein solches Pfeiflein hätt',

Wenn er das pfiff, sehr viel Gesellen

Zum Raub und Mord sich bald einstellen.

Einstmals ein' Magd gefangen nahm,

Die braucht er viel Jahr ohne Schaam

Zum Lausen zur gewissen Stund',

Daraus sehr große Lieb' entstund.

Endlich, auf sehr Bitten und Flehen,

Erlaubt er ihr, in die Stadt zu gehen,

Doch mußt' sie sich verschwören viel,

Daß sie ihn nicht verrathen will.

Nachdem die Magd in die Stadt ist kommen.

Hat sie ihn doch zu verrathen vorgenommen,

Damit sie aber ihren Eid nicht gebrochen,

Hat sie die Wort zu einem Stein gesprochen.

Bei St. Peter und Paul Kirchen ist es geschehen,

Dies haben viel Menschen gehört und gesehen.

Sprach: »Stein, dir will ich deuten an,

Wie man den Mörder bekommen kann.

Alle Tag, wenn die zwölfte Stund' ablief,

Muß ich ihn lausen, bis daß er schlief;

Damals ist er wohl zu bekommen,

Allein muß werden in Acht genommen,

Daß man vor's erst nimmt sein'n Hut und Pfeifelein,

Sonst bekommt ihr nicht das Vögelein.«

Darauf wurd' er bald gefangen

Und hat seinen rechten Lohn empfangen.

Zur Gedächtniß im 1661sten Jahr

Dieser Bogen vom Rathhaus herein verehret war.


Quelle:
Johann Gustav Büsching: Volks-Sagen, Märchen und Legenden. Leipzig 1812, S. 61-66.
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