31. Die Braut Christi zu Groß-Wardein in Ungern.

[162] In Ungerland zu Großwardein,

Was neulich da geschehen sei,

Will ich setzunder zeigen an,

Merkt auf mit Fleiß, ihr Frau und Mann!


Der Kommendant selbiger Stadt

Ein Töchterlein gezeuget hat,

Theresia ihr Nam' thät sein,

Gottesfürchtig, züchtig, keusch und rein.


Sie war von ihrer Jugend an

Der Andacht also zugethan;

Mit Beten und Singen allezeit

Lobt sie die heilige Dreifaltigkeit.


Sobald sie kommen zum Verstand

Ihr keusches Herz vor Liebe brannt';

Auf Jesum war ihr Thun gericht't,

Zu seiner Braut sie sich verpflicht't.


Sie war sehr schön von Leibsgestalt,

Ihr's gleichen funde man nicht bald;

Ein Kavalier, jung, reich und schön,

Hat ihm die Jungfrau ausersehn.


Er hielt an um das Töchterlein,

Der Vater gab den Willen drein,

Die Mutter zu der Tochter spricht:

»Mein Kind, doch diesen lasse nicht.«
[163]

Die Tochter fing zu weinen an:

»Ich habe schon ein Bräutigam,

Dem hab' ich mich versprochen ganz,

Zu tragen meinen Jungfrau Kranz.«


Der Vater sprach: »es kann nicht sein,

Mein Kind, das bilde dir nicht ein.

Wo willt du bleiben mit der Zeit?

Alt seind wir ja schon allebeid'.


Vor meinem End' ich wissen wollt',

Wo du auch einmal bleiben sollt,

Darum, mein Kind, ich rathe dir,

Nimm dir zur Eh' den Kavalier.«


Der Kavalier auch wieder kam,

Man stellet bald die Hochzeit an,

Es war alles dazu bereit,

Die Braut war voller Traurigkeit.


Sie ging in ihren Garten früh,

Sie fiel darnieder auf ihre Knie.

Rufte von ganzem Herzen an

Jesum, ihren liebsten Bräutigam.


Da kam ein schöner Jüngling dar,

Von Angesicht sehr hell und klar,

Sein Kleid mit Gold ganz ausgestickt,

Die Jungfrau erst vor ihm erschrickt.


Er grüßt die Jungfrau wunderschön,

Die Jungfrau that da vor ihm stehn

Schamhaftig, schlägt die Augen nieder,

Empfing gar schöne Jesum wieder.
[164]

Die Jungfrau Jesum bald erkannt,

Ihr keusches Herz für Liebe brannt,

Vergaß vor Freuden all' Traurigkeit,

Gedacht nicht mehr an ihre Hochzeit.


Der Jüngling an zu reden fing,

Verehrt ihr einen goldnen Ring.

»Schau an, mein' Braut, zum Liebespfand

Trag diesen Ring an deiner Hand.«


Die Jungfrau da schön' Rosen brach:

»Mein Bräutigam, – zu Jesu sprach –

Hiermit sei du von mir verehrt,

Ewig mein Herz sonst kein'n begehrt.«


Da gingen die Verliebten zwei,

Brachen der Blumen mancherlei.

Jesus der spricht zu seiner Braut:

»Kommt, meinen Garten auch beschaut.«


Er nahm die Jungfrau bei der Hand,

Führt sie aus ihrem Vaterland

In seines Vaters Garten schön,

Darinnen viel der Blumen steh'n.


Die Jungfrau da, mit Freud' und Lust,

Sehr köstlich' Früchte da verkost't.

Kein Mensch ihm nicht einbilden kann,

Was da für edle Früchte stahn.


Sie hört' da Musik und Gesang,

Die Zeit und Weil' ward ihr nicht lang,

Die silberweißen Bächelein,

Die flossen da ganz klar und rein.
[165]

Der Jüngling sprach zu seiner Braut:

»Mein'n Garten habt ihr nun beschaut,

Ich will euch geben das Geleit

In eurer Land, es ist nun Zeit.«


Die Jungfrau schied mit Traurigkeit,

Kam vor die Stadt in kurzer Zeit,

Die Wächter hielten sie bald an,

Sie sprach: »laßt mich zum Vater gahn.« –


»Wer ist der Vater?« man sie fragt.

»Der Kommendant,« sie frei aussagt.

Der eine Wächter aber spricht:

»Der Kommendant hat kein Kind nicht.«


An ihrer Kleidung man erkannt,

Daß sie auch sei von hohem Stand;

Ein Wächter sie geführet hat,

Bis für die Herren in der Stadt.


Die Jungfrau sagt und blieb dabei,

Der Kommendant ihr Vater sei

Und seie nur vor zweien Stund,

Da sie hinausgegangen itzund.


Man suchte auf die alte Schrift,

Unter andern man dieses trift:

Daß sich ein' Braut verloren hat,

Zu Großwardein in dieser Stadt.


Der Jahrzahl man gar bald nachschlägt,

Hundert und zwanzig Jahr austrägt;

Die Jungfrau war so schön und klar,

Als wenn sie nur wär' funfzehn Jahr.
[166]

Dabei die Herren wohl erkannt,

Daß solches Werk von Gottes Hand.

Man trug der Jungfrau vor ein' Speis',

Im Augenblick wurd' sie schneeweiß.


»Nicht Leibliches ich mehr begehr'.«

Sie bat: »bringt mir ein'n Priester her,

Daß ich empfang vor meinem End'

Das höchste Gut im Sakrament.«


Sobald nun dieses ist gescheh'n,

Viel Christenmenschen es gesehn,

Wurd' ihr ohn großes Weh und Schmerz

Gebrochen ab ihr reines Herz.


Und ist entschlafen sanft und still'.

Merk' wohl, mein Christ, ist es dein Will',

Daß du einmal willst selig sein,

So lebe züchtig, keusch und rein.


So wird dir Gott nach diesem Leben

Gewißlich auch den Himmel geben,

Nach ausgestand'nem Kreuz und Leid

Die ewige Freud' und Seligkeit. Amen.

Quelle:
Johann Gustav Büsching: Volks-Sagen, Märchen und Legenden. Leipzig 1812, S. 162-167.
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