39. Wie das Bergwerk zu St. Annaberg 'gefunden ward.

[183] Es lebte ein armer, armer Bergmann, Namens Daniel Knappe; dieser hatte Weib und Kind und liebte sie sehr, doch wußte er weder Rath noch[183] Hülfe, sie zu ernähren. Er arbeitete und betete, doch seiner Noth war kein Ende, und wie auch sein Unglück immer höher und höher stieg, so wich und wankte sein Glaube doch nicht. Eines Nachts erschien ihn im Traume ein Engel, dieser sprach: »geh hin und suche in der tiefsten Tiefe des Waldes den Baum auf, in dessen Gezweig silberne Eier ruhn.« Du wirst ihn erkennen an seiner Größe; denn kein Baum im ganzen Haine kann sich ihm vergleichen.

Daniel erwachte, fühlte sich gestärkt, der Morgen grauete und eilig drang der arme Bergmann in den Wald hinein. Schon war er an dem Ort, den noch kein Sterblicher betrat, da steht der Baum und rasch sind alle Aeste bis zum Gipfel durchsucht, aber silberne Eier zeigen sich nirgends. – »Wie kann, wie werde ich zu euch zurückkehren, liebes Weib und Kind. Ihr haltet mich noch, sonst stürzte ich mich von hier hinab!« Als er so trauernd und klagend den Baum verlassen will, da steht der Engel ihm zur Seite und spricht: »Gott ist hülfreich und wahrhaft, wo du auch keinen Ausweg siehst, der Baum hat auch Zweige in der Erde. Dir sei geholfen um deiner Treue und Liebe willen.« Und der Engel verschwand mit diesen Worten. Da durchströmte Hofnung und Muth[184] von neuem den Unglücklichen und er grub an dem Fuße des Baumes.

Von seinen Wurzeln durchflochten, lagen da reiche Silberstufen vor dem Blicke des staunenden Bergmanns und Weib und Kind war geholfen. Es erhob sich Annaberg, ein freundliches Städtchen, aus dieser wilden, waldigen Gegend, wozu unter der Regierung des Herzogs Georg des Bartigen, im Jahre 1496, den 21sten des Herbstmonats, am Tage Matthäi, der Grundstein gelegt wurde.

Quelle:
Johann Gustav Büsching: Volks-Sagen, Märchen und Legenden. Leipzig 1812, S. 183-185.
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