62. Vom König Laurin.

[305] Larein oder Laurein, der funfzehnte König der Deutschen, den Tacitus Laertes nennet, hat in Deutschland regieret, um die Zeit, als Ehud Richter und Herzog über das Volk Israel gewesen, als die Welt zwei tausend fünfhundert und funfzig Jahr gestanden. Weil wir aber von diesen und etlichen andern Königen nichts weiter in Historien haben, müssen wir uns an dem begnügen lassen, was die alten Deutschen Lieder, doch sehr dunkel und von ferne, uns daran erinnern, aus welchen Liedern das Heldenbuch und dergleichen zusammen gezogen worden.

Wie die alten Nazionen der Erde ihrer Vorfahren Geschichten besangen, so haben auch die alten Deutschen solchen Brauch, der an ihm selbst nicht unnütz noch tadlich, gehalten und ihrer Vorfahren Geschichten also in gemeine Lieder, Gesänge und Gedichte verfaßt, damit man der alten Deutschen hin und wieder geschehene tapfere Thaten, als[305] hätten sie sich auf eine Zeit begeben, gleich als in einem Liede zu singen, beisammen hätte, wie denn davon das Heldenbuch und andere in Reime gefaßte Schriften, wie wohl sehr verkürzet, noch vorhanden, da unter dem Namen des Dietrich von Bern, des Wolfdietrich und anderer, aller deutschen Helden freudigen Thaten, unter des alten Hildebrands aller alten Deutschen vernünftige und weise Anschläge uns vorgestellt werden, doch also, daß besonderer Helden rühmlicher Werke daneben bisweilen gedacht wird.

Also meldet der vierte Theil des Heldenbuches etwas von unserem König Laurin, doch sehr verblümter Weise, nach poetischer Art; es kann aber dennoch so viel daraus abgenommen werden, daß König Laurin ein mächtiger, reicher, verständiger Regent gewesen, der sein Reich bis an das Welsche Gebirge ausgebreitet und dasselbige vor den benachbarten Potentaten zu erhalten, sein Wesen des Orts, da jetzt die Grafschaft Tyrol gelegen, gehabt hat. Aber doch gleichwohl diese Lande und den Harz auch beherrschet, durch andere und ihm unterworfene Landpfleger, die auch Könige genennt worden, wie man denn von ihm finget, daß ihm wohl funfzehn Könige unterthan gewesen und man seines Gleichen nicht gewußt.[306]

Dieweil er aber einen hohen Verstand gehabt, und mit listigen Anschlägen seine Sachen wunderbarlich und glücklich im Anfange hinaus geführet, hat man's dafür geachtet, er brächte solches alles durch Zauberei zuwege. Wie denn im Heldenbuche durch die Nebelkappe, die er zum öftern angezogen haben soll, daß man ihn nicht sehen und er also alle seine Fürhaben ausrichten können, anders nichts gemeinet wird, denn daß er seine Anschläge heimlich gehalten und davon nicht viel Geschrei's gemacht, also, daß man nicht bald merken können, was er zu seinem Vortheil vorgehabt. Darüber er denn manchmal eine Sache allbereits vollzogen hatte, ehe es die andern recht inne geworden, daß er dergleichen vorzunehmen in Willens gewesen, wie es den hohen Häuptern und weisen Regenten nicht allein wohlgeziemt, sondern auch hohe Noth ist, ihre Sachen, daran ihnen viel gelegen, nicht männiglich zu offenbaren, denn man wohl weiß, wie aus Unvorsichtigkeit, da man heimliche Sachen gar zu vielen vertraut, oftmals großer Unrath entstanden und viele Dinge, so zu gutem Ende sonst hätten laufen mögen, verhindert worden.

Daß dieser Laurin aber also beschrieben wird, als wäre er ein kleiner Zwerg gewesen und doch so stark, daß er wohl hundert Mann allein bestehen können, dadurch wird angezeigt, daß man einen[307] nicht nach dem äußerlichen Ansehen beurtheilen solle, und kann wohl sein, daß König Laurin nach der Person nicht dafür anzusehen gewesen, wie das Werk und die That hernach ausgewiesen.

Er hat etliche und dreißig Jahr in großer Herrlichkeit und Pracht seine Regierung geführt, die Tyrannen und ungeheuern Leute vertilgt, so durch die Riesen und wilden Männer vorgebildet werden, gedemüthigt und ihm unterthänig gemacht, ist aber auch dabei eben stolz und übermüthig geworden, wie es bei dem Glücke pflegt zu gehen.

Der Gürtel, davon er zwölf Männer Stärke gehabt, bedeutet Einträchtigkeit seines Reiches, dadurch er allen seinen Feinden stark genug gewesen und ihnen wohl vorsitzen können. Wie denn alle seine Kleidung und Rüstung nach sonderlicher Art beschrieben und doch dadurch andere Dinge, nehmlich alle Tugenden, die einem Regenten wohl anstehen, bedeutet werden, welches ein fleißiger Leser, der ihm ein wenig nachdenken will, fein merken kann. Er hat einen goldfarbenen Schild und darinnen einen schwarzen Leoparden, gleich als im Sprunge stehend, geführt.

Da ihm seine Widersacher den Gürtel zerbrochen, das ist, da sie ihm Zwietracht und Spaltung in seinem Reiche angerichtet hatten, da wäre es bald um ihn gethan gewesen, wiewohl er mit seiner[308] geschwinden Beständigkeit sich dennoch eben lange wider seine Feinde aufgehalten, oftmals ihre Anschläge zu nichte gemacht und sich noch mit denen, so treulich an ihm gehalten, der Feinde Gewalt erwehret, wie durch den Fingerring, den ihm sein Gemal gegeben und zwölf Mannes Kräfte mit sich brachte, vorgebildet wird; denn, obgleich eine Trennung unter vielen im Reiche angerichtet würde, so kann doch durch Einmüthigkeit und treue Zusammensetzung der Uebrigen viel Bösem vorgekommen werden.

Daß er seine Widersacher, die es nicht gut mit ihm gemeinet, verzaubert hat, daß sie einander nicht sehen können, ihnen auch einen Schlaftrunk zugebracht, bedeutet die heimlichen Praktiken, damit er sie hinterkommen, welche aber zuletzt ihm selbst nicht alle zum besten gerathen; denn er dadurch in Noth und Beschwerung und, als er den Ring der Einigkeit auch verloren, in seiner Feinde Hände und Gefängniß kommen; denn er mochte auch zu unnöthigen Kriegen Ursache gegeben haben, wie denn die hochsinnigen Köpfe gemeiniglich nicht wohl Ruhe haben können, und wenn es ihnen denn einmal oder zwier geräth, sich darauf verlassen und sich oftmal selbst darüber in Gefahr und Verderb führen.[309]

So viel können wir ohngefähr aus dem Heldenbuche nachrathen, hätten wir aber die ältesten und ersten Lieder der Deutschen, daraus ein alter Deutscher Meistersinger Heinrich von Ofterdingen das Heldenbuch gezogen, wollten wir wohl etwas mehr und Gewisseres von diesen Deutschen Helden haben.

Quelle:
Johann Gustav Büsching: Volks-Sagen, Märchen und Legenden. Leipzig 1812, S. 305-310.
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