70. Der Brocken (Blocksberg)

[339] Dies ist ein hoher Berg, wird allezeit um sich auf die sechzehn Meilen gesehen. Er ist gar berühmt durch ganz Deutschland, von den Hexen und Unholden, daß sie allda jährlich in der Nacht Walpurgis, oder den ersten Mai, ihren Hof halten sollen, allda von fernen Orten zusammen kommen, mit ihren Teufeln sich ergötzen, die Nacht zubringen mit Spielen, Zechen und Tanzen, wie aus ihren Aussagen kundbar. Man hat davon ein alt Lied:


In Thüringen ist sehr wohl bekannt

Ein Berg, der Prockels (Blocks) Berg genannt,

Welcher Berg, der jetzo berührt,

Ueber sechzehn Meil gesehen wird,

Also, daß den fern jedermann,

Der Sachs und Heß, anschauen kann.

Dieweil er hoch ist, übertrift

Mit seiner Höhe, wie ich bericht't,

All' Berg' im Harz und Thüringen,

Darüber er ganz hoch thut springen.

Ueberdies ist er auch weit beschreit (beschrieen)[339]

Dieweil Nachts, zu Walpurg Zeit,

In großer Zahl, wie ich bericht',

Die Zauberin mit ihrem Gezücht

In gemein ein'n Reichstag allda halten,

Die Jungen sowohl, als die Alten,

Welche all' der Teufel dahin führt

In einem Hui, wie jetzt berührt,

Auf welchem sie mit Tanzen, Springen,

Mit Saufen auch die Zeit zubringen,

Mit bösen Geistern Unzucht treiben,

Wie solches oft die Gelehrten schreiben,

Die Zauberinnen auch selbst, wie bericht't,

Bekommen thun bei ihrem Gericht.

Wann aber kommt der Hahnen Geschrei,

So fahren sie wieder heim ohne Scheu,

Ueber hohe Berg' und tiefe Thal,

Bis daß sie kommen allzumal,

Ein' jede Hexe an ihren Ort,

Wie man solches hat wohl mehr gehört,

Treiben also, ohn' alle Scheu,

Ihr Hexenwerk und Zauberei

Wider Gott und das heilig' Wort,

Auch oftermals anstiften Mord,

Doch können sie, wie ich bericht',

Den frommen Leuten schaden nicht,

Um welche her der Engel Schaar

'ne Wagenburg thut schlagen gar,

Wie solches oftmals, mit großen Ehren,

Richtig die heil'ge Schrift thut lehren.

Ihr rechter Lohn und gewisses Pfand

Ist Feuer, Schwerdt und ew'ge Schand',

Ja, wenn sie nicht thun Buß auf Erden,

So können sie nicht selig werden.

Denn wer verläugnet Jesum Christ,

Muthwilliglich zu jeder Frist,

Den will er wiederum vielmehr

Vor seinem himlischen Vater[340]

Verläugnen gar am jüngsten Gericht,

Wie solches die heilige Schrift bericht't.


Dies sei nun genug von Zauberei'n,

Wir wollen nun uns in gemein

Wenden an den Prockelsberg,

Zu beschreiben gänzlich; merk':

So ist auch überall allda

Derselbe Berg 'ne Praktika

Der Landleut', welche oft, ohn' Irren,

Gut Wetter daher praktiziren; (?)

Denn wenn ein starker Nebel trift

Recht solchen Berg, wie ich bericht',

So fällt gewiß denselben Tag

Ein Regen; ist wahr, wie ich sag'.

Wann aber solcher Berg ganz frei,

Ohn' Nebel ist, ohn' alle Scheu,

So folgt ein schöner, heller Tag.

Alsdann darin ein jeder mag

Mit Freuden an sein' Arbeit gah'n

Auch wandern, reiten und alsdann

Noch weiter, daß für solche Zeit

Gott werd' gedankt in Ewigkeit.


Quelle:
Johann Gustav Büsching: Volks-Sagen, Märchen und Legenden. Leipzig 1812, S. 339-341.
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