78. Das Oldenburger Horn.

[380] Bei Graf Otto's von Oldenburg Zeiten (der 967 zur Regierung kam nach dem Tode seines Vaters Ulrich), hat sich eine wunderliche Geschichte oder Handel zugetragen. Denn weil er, als ein guter Jäger, der große Lust zu der Jagd gehabt, sich auf eine Zeit in die Jagd mit seinen Edelleuten und Dienern begeben, und am Bernefeuerholze gejagt, er, der Graf, auch selbst ein Reh gehetzet und demselben vom Bernefeuerholze bis an den Osenberg alleine nachgerannt, und mit einem weißen Pferde mitten auf dem Berge gehalten und sich nach seinen Winden umgesehen hat, spricht er bei ihm selbst, denn es eine große Hitze war: »Ach Gott! der nun einen kühlen Trunk hätte.«[380]

Sobald als der Graf das Wort gesprochen, thut sich der Osenberg auf und kommt aus der Kluft eine schöne Jungfrau wohl gezieret, mit schönen Kleidern angethan, auch schönen über die Achsel getheilten Haaren und einem Kränzlein darauf. Und hatte ein köstlich silbern Geschirr, so vergüldet war, in Gestalt eines Jägerhorns, wohl und gar künstlich gemacht, granulirt und schön zugerichtet, das auch mit mancherlei Waffen, die jetzt wenig bekannt sind und mit seltsamen, unbekannten Schriften und kunstreichen Bildern auf und nach Art der alten Antiquitäten zu sammen gesoldert und ausgeputzt und gar schön und künstlich gearbeitet, in der Hand gehabt, das dann gefüllt war und solches dem Grafen in die Hand gegeben und gebeten, daß der Graf daraus trinken wollte, sich damit zu erquicken.

Als nun solches vergüldelte silberne Horn der Graf von der Jungfrau auf und angenommen, es aufgethan und hineingesehen, da hat ihm der Trank, oder was darinnen gewesen, welches er geschüttelt, nicht gefallen und deshalb solch Trinken der Jungfrau verweigert. Worauf aber die Jungfrau gesprochen: »Mein lieber Herr, trinket nur auf meinen Glauben, denn es wird euch keinen Schaden geben, sondern zum Besten gereichen.« Mit fernerer Anzeige: wo der Graf daraus trinken[381] wollte, sollte es ihm, Graf Otto'n, und den Seinen, auch folgends dem ganzen Haus Oldenburg, wohlgehen und die ganze Landschaft zunehmen und ein Gedeihen haben. So aber der Graf ihr keinen Glauben zustellen, noch daraus trinken wollte, so sollte künftig, im nachfolgenden gräflich Oldenburgischen Geschlechte, keine Einigkeit bleiben. Als aber der Graf auf solche Rede keine Acht gegeben, sondern bei ihm selber, wie nicht unbillig, ein groß Bedenken gemacht, daraus zu trinken, hat er das silberne vergüldete Horn in der Hand behalten und hinter sich geschwenket und ausgegossen, davon etwas auf das weiße Pferd gespritzt und da es begossen und naß worden, sind ihm die Haare ausgegangen.

Da nun die Jungfrau solches gesehen, hat sie ihr Horn wieder begehrt, aber der Graf hat mit dem Horn, so er in der Hand hatte, vom Berge abgeeilt und als er wieder umgesehen, vermerket, daß die Jungfrau wieder in den Berg gegangen. Und weil darüber dem Grafen ein Schrecken ankommen, hat er sein Pferd zwischen die Sporen genommen und in schnellem Laufe nach seinen Dienern geeilet und denselbigen, was sich zugetragen, vermeldet. Auch hat er das silbern vergüldete Horn gezeiget, es mit nach Oldenburg genommen und ist dasselbe, weil er's so wunderbar bekommen, für[382] ein köstlich Kleinod von ihm und allen folgenden regierenden Herren des Hauses Oldenburg gehalten worden.

Quelle:
Johann Gustav Büsching: Volks-Sagen, Märchen und Legenden. Leipzig 1812, S. 380-383.
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