Einleitung.

[399] Ueber Volkssagen, ihre Wichtigkeit in Hinsicht auf historische Erörterungen, dann aber auch wieder zur Kenntniß des Charakters der Völker und Völkerstämme, der sich fest und bestimmt, oft tief bedeutend, in ihnen ausspricht, ist schon in der Einleitung zu den Volkssagen von Otmar (Bremen 1800.), S. 3-70. mit so vieler Umsicht gesprochen worden, daß ich etwas Vergebliches unternehmen würde, wenn ich von neuem etwas schon bewährt Ausgesprochenes wiederhohlen wollte.

Die Quellen, aus denen mir diese Sagen und Mährchen geworden, sind folgende:


1) mündliche Ueberlieferung. An einer solchen bin ich nur sehr arm. Wie überhaupt jetzt Sagen, Mährchen, Lieder immer mehr in dem flachen Lande nicht allein, sondern auch in den Gebirgen, wo sie sonst einen freundlichen Aufenthaltsort fanden, verschwinden, und es Mühe kostet, alte Männer und Frauen, die oft reich an denselben sind, zum Erzählen zu bringen, da sie fürchten, verspottet zu werden, so verschwinden besonders auch noch andere[399] Sagen, die an Orte, Ruinen u. dergl. geknüpft sind, da die Zeit die alten Mauern immer mehr abflacht, sie ihr schauerliches Ansehen verlieren und nicht von selbst dringend dazu einladen, daß ein jeder wünscht, nähere Kunde von ihnen zu haben, und am liebsten ein Mährchen hört. Auch die Kindermährchen nehmen immer mehr und mehr Abschied, die schwankende Pädagogik weiß nicht, ob sie dergleichen erzählen lassen darf, oder nicht, und die alten Kindermuhmen werden daher zu anderem, wohl weit schädlicherem, Geschwätz angehalten. Für die wenigen Kindermährchen, die ich habe, bin ich daher den freundlichen Mittheilern nicht wenig verbunden, und ich glaube gewiß, daß sie auch meine Leser mit Lust und Behagen aufnehmen und gern in jene Zeit zurückgehen werden, wo diese Erzählungen einen weit tiefern Eindruck machen, als oft selbst kaum die größten Epochen der Weltgeschichte den Erwachsenern hervorzubringen vermögen.

2) Reicher strömte mir die Quelle alter Chroniken, und es hat oft nicht geringe Mühe gekostet, aus dicken Folianten ein oder zwei Sagen und Mährchen herauszufinden. Sie erscheinen aber oft als die wichtigsten, da sie, von den alten Chronikenschreibern in die historische Darstellung mit verflochten sind, oder so von ihnen hingestellt[400] werden, daß man wohl sieht, sie glauben daran, wagen aber doch nicht recht, das entscheidende Urtheil darüber auszusprechen. Wann und wie Chroniken benutzt worden sind, wird immer genau in den nachfolgenden Anmerkungen angegeben.

3) Länder und Ortsbeschreibungen, historische Untersuchungen über einzelne Familien, Gegenden, Städte, Burgen u. dergl., so wie Reisebeschreibungen, Sammlungen anderer Personen zu beinahe gleichem Zwecke und solcher Bücher mehrere, waren die dritte Quelle, aus der ich schöpfte und die mir eine reichliche Ausbeute gewährte. Nicht fürchte ich, in den übeln Ruf eines Plagiarius zu fallen, indem ich auch viele neue und ganz neue Bücher benutzte. Alle diese Schriften berühren nur zufällig den Punkt, der mein Hauptzweck war, und indem ich wünschte, alles in einem Brennpunkte zu versammeln, mußte ich auch von dorther etwas entlehnen, was uns und unsrer jetzigen Zeit so nahe steht, ja mit uns selbst in einerlei Treiben befangen ist. Getreulich ist auch diese Quelle jederzeit bemerkt worden.

4) Volkslieder auf Sagen gegründet. Hier findet sich auch nur wenig; wo etwas aufzuspüren war, ist das Lied immer neben die Sage gestellt worden, um zu zeigen, wie theils beide in einander übergegangen[401] sind, theils sich wieder von einander entfernen und auf verschiedene Weise die Sage umfassen. Es gab auch andere, längere Gedichte, die man nicht Volkslieder nennen kann, welche der Aufnahme nicht unwerth erschienen, z.B. bei Nr. 16. 26. Von größern Liedern, in welchen Volkssagen bearbeitet worden sind, ward nur diesmal der merkwürdige Heinrich der Löwe aufgenommen, ein Gedicht, das noch einen wahrhaft alten, männlichen, tüchtigen Charakter trägt, dabei in vielen Stellen, wie nicht zu läugnen, etwas unbeholfen und holzschnittartig ist, aber in andern wieder so treu, mild und bieder, daß wohl ein jeder, der es aus einem richtigen Gesichtspunkt betrachtet, davon eingenommen werden muß. Eine andere poetisch bearbeitete, noch etwas längere Sage, wird in dem zweiten Bande erscheinen.

5) Legenden wurden, so viele auch vor mir lagen, nur wenig benutzt, theils da ihr Zuschnitt im Ganzen sehr einförmig ist, bei allen derselbe Grund unter leicht aufgetragenem Kolorit durchschimmert und so eine gewisse Eintönigkeit nicht zu vermeiden gewesen wäre, die man schon bei den aufgenommenen bemerken wird. Gerade aber so viel, als aufgenommen sind, schienen zur Rundung des Ganzen zu dienen.
[402]

Betrachtet man alle diese Quellen und übersieht das Resultat, was daraus gezogen ist, so findet man doch, daß die Masse des Gewonnenen der Masse des Bodens, aus der geschöpft werden konnte, nicht entspricht, aber der meiste Theil desselben ist unfruchtbar und in vielen Landen sind jene alten Schätze versunken, wie die Gold- und Silberkisten in den bezauberten Bergen, mit denen uns alle Mährchenerzähler überschütten. An vielen, sonst goldreichen Stellen, will die Wünschelruthe nicht mehr anschlagen. So lautet z.B. in der Vorrede zum Froschmäuseler eine Stelle also: »was auch der alten Deutschen Heidnischen Lehre gewesen, vernimmt man aus den wunderbarlichen Hausmährlein, von dem verachteten frommen Aschenbößel (Aschenbrödel) und seinen stolzen spöttischen Brüdern. Vom albernen und faulen Heinzen, vom eisernen Heinrich, vom alten Steidthardin und dergl.« Wo finden wir noch Kunde dieser Mähren? Aschenbrödel, denn diese ist doch wahrscheinlich gemeint, wenn gleich die Brüder auf eine andere Geschichte zu deuten scheinen, müssen wir nur in Französischen Mährchen suchen und von den anderen wissen wir gar nichts. So könnte ich noch eine Menge nachweisen, unter denen indessen viele sein mögen, die mir nur allein fehlen, anderen wohl bekannt sind.[403]

Wie nun manches Land viel, ein anderes wenig, ein drittes noch weniger und endlich gar nichts anbietet, so trete denn auch ich mit meiner Gabe hervor und erscheine bei weiten, großen und gewiß an Mährchen überreichen Ländern sehr armselig. Hätte ich meine Sagen unter einander geworfen und nicht die Länder von einander, mit gutem Vorbedachte, trennen wollen, so hätte ich diese Armuth verdecken und ganz stattlich mit der Summe derselben einherprunken können, aber dies war ganz gegen meinen Zweck. Möchten daher Männer in solchen vernachlässigten Gegenden, denen es um Aufhellung vaterländischer Alterthümer zu thun ist und die mich gerne in diese Jugendpfade begleitet haben, recht böse darüber werden und diese Vernachlässigung dadurch zu rächen suchen, daß sie mir recht viel Sagen ihrer Gegend mittheilen; mein und vieler Leser warmer Dank ist ihnen dafür gewiß. Nur bitte ich dabei, die Sage so rein und unverschönert zu erzählen, wie sie das Land und die Gegend giebt, da sie sonst hier nicht in diesen Kreis passend sein würden. Vorzüglich arm sind meine Sammlungen in Hinsicht auf die Oestreichischen Staaten, mit Ausnahme Böhmens, auf Tyrol, Baiern, Schwaben, die Schweiz, Franken, Gegenden, in denen allen gerade diese Quellen recht reichlich strömen müssen. Diese Gegenden sind daher[404] auch ganz von mir übergangen! denn für die Schweiz hatte ich z.B. nur zwei Mährchen: den Pilatussee und die Jungfrau zu Basel. Eine bedeutende Masse Sagen, als z.B. alle Rheinsagen, wurden zurückbehalten, da dieser erste Band die ihm bestimmte Stärke vor der Zeit erreichte und erwarten nun ihre Bekanntmachung in einem zweiten Theile.

Die Anmerkungen sollten eigentlich für sich selbst sprechen, um so mehr, da schon oben davon im kurzen die Rede gewesen ist, aber es bedarf wohl doch noch eines Wortes, besonders da es später hinzu kommt. So viel Mühe ich mir auch gegeben habe, die Anmerkungen nur auf das Nothwendigste zu beschränken, so traten doch so mancherlei Umstände ein, welche erforderten, daß sie doch mehr anschwollen, als erst der Wille war, indem nur wenige Blätter dafür ausgesetzt wurden. Mit aller Sorgfalt ist indessen alles üppig Wuchernde weggeschnitten worden, insofern es nicht geradezu auf das Mährchen und seine verschiedenen Verflechtungen und Verzweigungen Bezug hat. Hier traten aber an einzelnen Orten merkwürdige Verwandtschaftsverhältnisse ein, die es nothwendig zu machen schienen, daß selbst Sagen aufgenommen wurden, die an einem andern Orte weit würdiger stehen, als ich ihnen hier einen Platz geben konnte, ich meine die Harzmährchen aus dem Otmar. Die[405] Historien von versunkenen Schlössern, Ruinen mit alten Schätzen in ihrer Tiefe, diese ziehen sich durch alle Länder hindurch und wollte man alle dergleichen Sagen aufnehmen, so gäben sie allein schon ein eigenes Buch. Dagegen ist es wohl sehr merkwürdig, mehrere derselben aufzustellen, um zu zeigen, wie dieselbe Grundidee da ist, wie sie sich wiederhohlt und bisweilen, der Bemerkung werth, nach der Eigenthümlichkeit des Landes sich verändert.

Desto wichtiger ist es aber wohl, zu sehen, wie selbst ferne Länder sich in der Sagen- und Mährchenwelt mit einander zu verknüpfen bemüht sind, ein Streben, das zu enthüllen mir bei diesen Sagen nur ein paarmal hat gelingen wollen, dagegen bedeutender hervortreten wird, wenn es mir einmal erlaubt sein wird, eine Vergleichung der Altdeutschen Erzählungen mit den Englischen, Italiänischen, Französischen und vor allen den Orientalischen darzulegen, ein Reich, in welches schon ein paar meiner Sagen ganz fallen und anderer Seits sich demselben bedeutend nähern.

Die angehängte literarische Uebersicht der Deutschen Volkssagen ist sehr mager und dürftig und bittet besonders um Nachsicht, da mir, in meiner jetzigen Lage, gerade die Hülssmittel hierzu abgingen, doch wird sie nicht ganz nichtig erscheinen.

Quelle:
Johann Gustav Büsching: Volks-Sagen, Märchen und Legenden. Leipzig 1812, S. 399-406.
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