120. Der Thurmberg bei Durlach.

[87] (Zu Nr. 215 des Hauptwerkes).


Eines Tages kam auf diesem Berge zu zwei Männern eine weiß gekleidete Frau und gab jedem stillschweigend einen Blumenstrauß. Sie dankten ihr, und als sie darauf anfing zu weinen, fragten sie um die Ursache. »Hättet ihr mir nicht gedankt«, antwortete sie, »dann wäre ich jetzt erlöst, so aber bin ich es nicht!« Nach diesen Worten verschwand sie.

Ein reisender Handwerksbursch, welchen sein Weg über den Berg führte, legte sich daselbst ermüdet nieder und schlief ein. Durch ein Streichen über sein Gesicht ward er geweckt, und vor ihm stand die weiße Jungfrau und fragte ihn, ob er arm sey. Nachdem er es bejaht hatte, hielt sie ihm ihr Gebund Schlüssel hin, mit den Worten: »Wähle einen der Schlüssel, und wenn Du[87] den rechten erräthst, so ist Dir und mir geholfen!« Auf seine Bitte, ihm den rechten zu zeigen, erwiderte sie, daß sie selbst denselben nicht kenne. Er suchte nun einen Schlüssel aus, allein als sie ihn aus dem Gebund ziehen wollte, wählte er einen andern, darauf nahm sie diesen heraus und steckte ihn in das Schlüsselloch einer Thüre, die daselbst in den Berg führte, aber erst jetzt sichtbar wurde. Trotz aller Anstrengung konnte die Jungfrau die Thüre nicht aufschließen, worauf sie traurig sagte: »Es ist der rechte Schlüssel nicht!« und im Nu, nebst der Thüre, verschwunden war.

Der Burgbrunnen steht mit einem wasserreichen See in unterirdischer Verbindung, daher er immer gleich stark fließet. Bei ihm ging vormals ein Gang in den Berg, welcher mit einer eisernen Thüre verschlossen war. Auf derselben sah, Nachmittags um halb 4 Uhr, ein dort arbeitender Mann einen Vogel sitzen, der sich gutwillig von ihm fangen ließ. Er that ihn in sein Sacktuch, legte es nebenhin in's Gras und seine Jacke darauf. Nach einer halben Stunde sah er wieder nach dem Vogel; aber da war derselbe weg, obgleich Jacke und Sacktuch unverrückt gewesen. Nun erkannte der Mann, daß er es mit keinem wirklichen Vogel zu thun gehabt habe.

Drei andern Männern kam kurz vor dem Abendgelaute, als sie die Bergtreppchen hinunter gingen, ein Unbekannter mit einem Stock entgegen, welcher ihren Gruß nicht erwiderte und, da sie ihn genauer betrachteten, Geisfüße hatte.

Im Advent hat man schon, um Mitternacht, eine Geisterprozession vom Berg herunter in die katholische Kirche im Durlacher Schlosse gehen sehen.

Auf dem Heimweg von Söllingen hörte ein Durlacher[88] Metzger, bei einbrechender Nacht, auf dem Thurmberg Kegel schieben. Weil er dieses Spiel sehr liebte, band er das Kalb, welches er mitführte, an einen Baum und begab sich auf den Berg. Daselbst kegelten mehrere unbekannte Männer, allein sie hatten Niemand zum Aufsetzen. Unaufgefordert übernahm dies der Metzger; aber nach einiger Zeit ward ihm, bei dem steten Schweigen der Männer, so unheimlich, daß er davon lief. Da wurde ihm eine der Kugeln nachgeworfen, die hart an ihm vorbei rollte und am Berge liegen blieb. Ohne sie aufzuheben, eilte er zu dem Kalb und brachte es nach Hause. Bald jedoch wurmte es ihn, daß er die Kugel nicht mitgenommen habe, welche, als er sie in aller Frühe aufsuchte, noch am nämlichen Platze lag. Mit Freude entdeckte er, daß sie von Silber sey, und kaufte sich damit ein Stück Feld, das die Silbergrube benannt wurde.

Eines Abends sahen Buben bei dem Wächterhäuschen eine Menge gelber Blechlein aufgehäuft liegen. Einer von ihnen steckte ein Dutzend derselben ein, und als er sie daheim herauszog, waren es goldene Elfguldenstücke geworden.

Quelle:
Bernhard Baader: Neugesammelte Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 2, Karlsruhe 1859, S. 87-89.
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