27. Die Sausenburg.

[17] Diese Burg, gewöhnlich das Sausenharder Schloß genannt, liegt auf einem waldigen Berge und ist nicht[17] mehr bewohnbar. Von ihr haben unterirdische Gänge nach Bürgeln und den Klöstern zu Sitzenkirch und in der Neuenbürg sich gezogen. Bei Nacht schweben in ihr blaue Lichter umher, und da, wo sie erlöschen, liegen Schätze vergraben. Auch eine weiße Jungfrau mit einem Bund Schlüssel spukt daselbst, welche schön singt und an dem Brünnlein unterhalb des Schlosses sich zu waschen und zu kämmen pflegt. Manchmal geht sie nach der Neuenbürg und von da nach Bürgeln. Bei dem Burggärtlein begegnete sie eines Tages einem Mann aus Sitzenkirch und sagte ihm, seine Haare seyen nicht gekämmt, er solle heimgehen und dieselben strehlen, was er auch eilig that.

Einem andern Mann, der Nachts zwischen elf und zwölf unterm Schloß vorbeifuhr, rief sie dreimal: »Komm herauf!« und da er ihr nicht folgte, jammerte sie: daß erst in hundert Jahren ein Kind geboren werde, welches wieder sie erlösen könne.

Als sie einst in der Frühe von einem Kanderner Jungen, welcher bei der Burg Vieh hütete, Brod begehrte, erhielt sie von ihm zur Antwort, er habe keines. Hätte er »Helf Dir Gott« zu ihr gesagt, so hätte er ihre Erlösung bewirkt.

Am Morgen des Charfreitags kam sie auf dem Schlosse zu einem Burschen aus Vogelbach und bot ihm eine große Schachtel dar, mit den Worten: »Nimm sie hin, dann machest Du mich und Dich glücklich!« Ohne die Schachtel zu nehmen, ergriff der Bursche die Flucht, worauf er die Jungfrau klagen hörte, daß sie nun noch lange, lange leiden müsse.

Ein anderes Mal sahen Vorübergehende, daß die weiße Jungfrau die Schachtel aus einem Burgfenster[18] heraushielt; aber als sie hingingen, verschwanden Jungfrau und Schachtel. Andern Vorbeigehenden sind von ihr kleinere Schachteln voll Geld zugeworfen worden. Buben, welche ihr den Weg verunreinigten, hat sie ihren Bund Schlüssel um die Köpfe geschlagen, und andere Knaben, die ihr Uebles nachredeten, haben von unsichtbaren Händen Ohrfeigen bekommen.

In einer Nacht gruben vier Männer auf einem Platze des Schlosses stillschweigend nach einer Kiste voll Geld und es gelang ihnen, sie in einiger Tiefe aufzufinden. Hierauf stiegen zwei hinab und banden an die Kiste ein Seil, woran die beiden andern dieselbe heraufzuziehen begannen. Plötzlich bemerkte der eine, daß über ihnen ein Mühlstein an einem Bindfaden hing, und ein Männlein, das auf dem Steine saß, mit einer Scheere nach dem Faden fuhr, um ihn zu durch schneiden. »Halt, der Mühlstein fällt herunter!« rief der Mann im Schrecken, und sogleich waren Kiste, Mühlstein und Männlein verschwunden.

An einer andern Stelle sah ein Knabe ein Häuflein glühender Kohlen, worum auch schwarze lagen. Von den letztern steckte er mehrere ein und fand sie zu Hause in Geld verwandelt.

Ebenso wurden Spreuer, die ein Vogelbacher Bube von einem Haufen in der Burg wegnahm in seiner Tasche zu Goldstücken.

Während ihre Ziegen unter dem Schlosse weideten, gingen einige Jungen auf dasselbe, wo sie eine Menge schöner, bunter Schneckenhäuslein umherliegen sahen. Als sie davon einsteckten, rief eine Stimme: »Jaget die Geisen aus dem Haber!« Sogleich liefen die Knaben zu den Ziegen, die aber ihren Weideplatz nicht verlassen hatten.[19] Auch war weit und breit Niemand, von dem der Ruf hätte herrühren können. Zu Hause fanden die Buben die Schneckenhäuslein in Münzen verwandelt, auf der Burg aber, wohin sie gleich wieder eilten, kein einziges mehr.

Vor neun Jahren kam am Engel zu Sitzenkirch ein Basler Herr mit seinen erwachsenen Kindern, einem Sohn und einer Tochter, angefahren und fragte unverweilt nach einem Knaben, der sie auf die Sausenburg führe. Mit demselben gingen sie dann hinauf, wobei sie selbst eine Schachtel trugen, die sie mitgebracht hatten. Oben angekommen, knieeten die Drei von Basel zum Gebet nieder und ließen nachher aus der Schachtel ein Eichhörnchen laufen. Hierauf begaben sie sich in den Engel zurück und fuhren, nachdem sie eine Flasche Wein getrunken, wieder hinweg. Diese Geschichte verursachte in der Gegend viel Gerede. Manche sagten, das Eichhörnchen sey die weiße Jungfrau gewesen, die der Basler in seiner Gewalt gehabt und wieder freigelassen habe; Andere dagegen erklärten dasselbe für einen Hausgeist, welcher in diese Gestalt beschworen und auf das Schloß gebannt worden sey.

Quelle:
Bernhard Baader: Neugesammelte Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 2, Karlsruhe 1859, S. 17-20.
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