28. Kraft des Wolfssegens.

[20] Als in den Waldungen der Sirnitz noch Wölfe hausten, pflegte ein Schafhirt, welcher dort seine Heerde weidete, täglich beim Austreiben unterm freien Himmel niederzuknieen und den Wolfssegen zu beten. In Folge dessen ließen die Wölfe nicht allein die Schafe unangefochten, sondern sie mischten sich sogar unter sie und thaten mit ihnen ganz freundlich. Wenn der Hirt sie fort haben wollte, so durfte er nur mit seiner Peitsche knallen: sie[20] liefen dann ungesäumt weg und kamen an demselben Tage nicht wieder. Für ihr gutes Verhalten mußte ihnen jedoch aus der Heerde ein Opfer überlassen werden. Dazu bestimmte der Schäfer eine junge Ziege, die er mit einer Schafglocke behängte und seiner Heerde zugesellte. Als sie hübsch groß und fett geworden, sah eines Tages ein Wolf, der neben ihr saß, bald sie mit gierigen, bald den Hirten mit bittenden Augen an. »So nimm sie denn!« dachte dieser bei sich, und im Augenblick faßte der Wolf die Ziege, erwürgte sie und, nachdem er dreimal mit ihr im Kreis herumgesprungen, warf er sie auf seinen Rücken und jagte dem Wald zu. Alle andern Wölfe rannten ihm nach, und als sie tief im Gehölz waren, theilten sie getreulich unter sich ihr Opfer.

Quelle:
Bernhard Baader: Neugesammelte Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 2, Karlsruhe 1859, S. 20-21.
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