103. Die Juden im Geisterschloß.

[90] Hirsch Levi von Schmieheim erzählte Folgendes:

Am 5ten Februar 1801 ging ich mit einem Bekannten, Namens Kafele, spät in der Nacht von Schutterthal[90] nach Hause. Als wir auf den Zimmerplatz unseres Ortes kamen, sahen wir dort ein stattliches Schloß stehen, dessen Fenster hell erleuchtet waren. Wir erinnerten uns gleich der oft gehörten Erzählung: daß alle dreihundert Jahre auf dem Platz ein Schloß sich zeige, worin viele Geister Zusammenkunft halten. Nicht ohne Furcht gingen wir näher, wurden aber, unweit des Gebäudes, von einem hochgewachsenen Mann im Harnisch angehalten und auf eine benachbarte Bank gewiesen. Kaum hatten wir uns darauf gesetzt, so schlug die Schloßuhr drei Viertel auf zwölf, und viele Frauen und Ritter, deren einer eine Fahne trug, zeigten sich auf dem Söller. Sie schienen jemand zu erwarten; aber während sie noch so da standen, schlug es zwölf, und sogleich hieß uns der lange Mann ihm folgen, was wir mit erschrockenem Herzen auch thaten. Er führte uns in das Schloß und in einen großen Saal, welcher von einer Menge Lichter erhellt und mit einem scharlachenen Bodenteppich belegt war. An seinem Ende befand sich ein prächtiger Thron und darüber ein Platz für Spielleute, deren mehrere mit rothbraunen Gesichtern und weißgrauen Bärten dort saßen. Auf Geheiß unseres Führers setzten wir bei der Thür uns nieder, zu der bald darauf ein König und eine Königin mit goldenen Kronen, die Frauen und die Ritter mit der Fahne, unter Pauken- und Trompeten-Schall, herein traten. Nachdem das Königspaar sich auf den Thron begeben, die übrigen aber rechts und links desselben sich aufgestellt hatten, ward alles stille, und der König hielt eine Rede in einer uns unverständlichen Sprache. Als sie zu Ende war, nahmen die Ritter Helme und Panzer, die Frauen die Schleier ab und legten sie bei Seite. Der König und die andern Männer hatten[91] rothbraune Gesichter mit weißgrauen Bärten, und das Antlitz aller Frauen war ebenfalls von jener Farbe. Nun ließen sich alle an den im Saal aufgestellten Tafeln nieder, und auch wir mußten, auf einen Wink des Königs, uns dahin, neben unsern Führer, setzen. Von der Dienerschaft wurden Speisen und Getränke der verschiedensten Art aufgetragen, welche uns besser schmeckten als alles, was wir noch in unserm Leben genossen hatten. Während des Essens herrschte die tiefste Stille; nach dessen Ende aber ließ das Tonspiel sich wieder hören, und die Ritter und Frauen begannen einen uns unbekannten Tanz. Mitten unter demselben ertönte die Schmieheimer Frühglocke, und im Augenblick hörte Tanz und Tonspiel auf; die Ritter und Frauen griffen nach ihren Helmen, Panzern und Schleiern, und unser Führer winkte uns, mit ihm fortzugehen. Als wir uns im Freien befanden, sagte er zu uns: »Gehet jetzt eures Weges; hütet euch aber, nach dem Schloß euch umzusehen! in dreihundert Jahren feiern wir hier wieder ein solches Fest.« Nicht lange waren wir von ihm weg, so hörten wir hinter uns krachen; ich schaute, trotz Kafeles Abmahnen, um, und sah das Schloß mit allem, was darin war, in die Erde versinken. Zur Strafe für diesen Vorwitz ward ich bald darauf, als ich allein war, von unsichtbarer Hand ergriffen und mitten in den Teich beim Waldeck gestellt. Lange schrie ich vergebens um Hülfe; endlich aber kamen zwei Männer herbei und zogen mich aus dem Wasser, worin ich bis an den Hals gesteckt war.

Quelle:
Bernhard Baader: Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 1, Karlsruhe 1851, S. 90-92.
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