147. Das Kruzifix auf dem Kirchhofe zu Baden.

[132] Ein Bildhauergesell in Straßburg, der die einzige Tochter seines Meisters liebte, schwängerte sie und verließ bald darauf die Stadt. Als das Mädchen es ihrem Vater entdeckt hatte, wurde sie von ihm nach Baden gebracht, wo sie, gleich nach ihrer Niederkunft, nebst dem Kinde starb und mit demselben in ein Grab kam. Später kehrte der Gesell nach Straßburg zurück, hielt bei dem Bildhauer um dessen Tochter an und fragte, wo sie sei. Da führte ihn dieser nach Baden auf ihr Grab, erstach ihn dort und überlieferte sich dann dem Gerichte. In der folgenden Nacht träumte ihm im Gefängniß: auf einem gewissen Platze des Staufenbergs liege ein großer Stein, woraus er ein Kruzifix verfertigen solle. Diesen Traum erzählte er und bat, ihn den Stein aufsuchen zu lassen, und seine Hinrichtung zu verschieben, bis er das Kreuz vollendet habe. Auf den Staufenberg geführt, fand er an der bezeichneten Stelle den Stein, welchen der Markgraf auf das neue Schloß bringen ließ, damit dort der Bildhauer das Kruzifix aushaue. Mit großem Eifer verrichtete dieser die Arbeit und that dabei so strenge Buße, daß er nichts als Wasser und Brod genoß. Nachdem das Kreuz aus dem einen Stein gefertigt war, wurde es für ein solches Meisterwerk erkannt, daß der Markgraf dem Bildhauer das Leben[132] schenkte. Aber in der nächsten Frühe wurde letzterer mit gefalteten Händen vor dem Kruzifixe todt gefunden. Man begrub ihn neben seine Tochter und den Gesellen, und richtete das Kreuz über den drei Gräbern auf, wo es noch heute steht und auf keinen andern Platz versetzt werden kann.

Alle sieben Jahre fällt am Charfreitag aus der steinernen Dornenkrone des Heilandes ein Dorn, der jedoch stets durch einen nachwachsenden ersetzt wird. Wer einen abgefallenen findet, stirbt nach drei Tagen, wird aber ein Kind der Seligkeit. Im Nonnenkloster zu Baden bewahrt man einen solchen Dorn in einer goldenen Einfassung auf.

Quelle:
Bernhard Baader: Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 1, Karlsruhe 1851, S. 132-133.
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