222. Pfarrer Maier.

[214] Vom Jahr 1786 bis 1794 war zu Grünwettersbach Johann Ulrich Maier Pfarrer, der einen kleinen Körper aber einen großen Geist hatte. Als ein Dreizehnschüler verstand er die Zauberkunst vollkommen, über welche er viele Werke, namentlich das sechste und siebente Buch Moses besaß. Letere hatte er bei seinem Aufenthalt in der Maulbronner Klosterschule sich verschafft, indem er nachts in die Bücherei stieg und den von Doktor Faust hinterlassenen Abdruck, der an einer goldenen Kette hing, vollständig abschrieb. Menschen und Thiere bannen, sie krank oder gesund machen, Wetter bereiten, wahrsagen und Geister berufen war ihm ein Leichtes; doch gebrauchte er seine Kunst niemals zu bösen Zwecken. In der Christnacht pflegte er alle seine Pfarrkinder in Nebelgestalt an sich vorbeiziehen zu lassen, wobei diejenigen sich legten, welche im kommenden Jahre starben. Am meisten zu schaffen hatte er mit dem Geist eines Kapuziners, welcher in und bei der Kirche, sowie im Pfarrhaus, umging. (Der Gottesdienst zu Grünwettersbach wurde nämlich[214] früher, als es noch katholisch war, häufig von Kapuzinern versehen, und zwei derselben sind im Kirchthurm, da wo die beiden ausgehauenen Köpfe sich befinden, eingemauert.) Dieses Gespenst fürchtete zwar den Pfarrer und wartete ihm das Vieh; aber in mancher Nacht band es auch dasselbe im Stalle los und trieb es in den nahen Grasgarten oder in die Hecken des Waldes. Ueberdies neckte es das Gesinde auf vielfältige Weise, beohrfeigte zuweilen nachts den läutenden Kirchner oder den Nachtwächter, und lärmte öfters im Kirchthurm dergestalt, daß die Bewohner der benachbarten Häuser nicht schlafen konnten. Nachdem Maier den Geist wegen dieser Streiche mehrmals vergebens gezüchtigt hatte, beschloß er, ihn aus dem Orte zu verbannen. Zu diesem Zwecke ließ er sich zwischen elf und zwölf in der Christnacht vom Küster in die Kirche leuchten, wo er den ihm ausweichenden Kapuziner bis ganz oben in den Thurm verfolgte. »Was willst du?« sprach hier das Gespenst, welches nicht weiter konnte, »du bist selbst nicht rein und hast einmal deinem Vater einen Groschen gestohlen!« »Damit habe ich Papier gekauft und Gottes Wort darauf geschrieben!« gab der Pfarrer zur Antwort und brachte dadurch den Geist zum Schweigen, welchen er dann beschwur, aus dem Dorfe zu weichen. In Folge dessen fuhr derselbe, unter einem heftigen Knall, zum Thurm hinaus, und damit er ja nicht wieder komme, setzte Maier noch eine gewisse Inschrift über die Pfarrhausthüre.

Als der Todestag des letztern herangekommen war, welchen er, gleich jenem seiner Frau, vorhergesagt hatte, legte er sich in seinen fertigen Sarg und befahl dem Vikar und dem Schulmeister, seine Zauberbücher in der Waschküche zu verbrennen. Diese Männer wollten aber[215] solche seltene Werke behalten, weßhalb sie sie bei Seite schafften und dem Pfarrer meldeten, sie hätten seinen Befehl vollzogen. Auf dessen Antwort: er wisse wohl, was vorgegangen sei, und sie sollten ihm augenblicklich gehorchen, verbrannten sie die Bücher bis auf zwei, worüber Maier, der wieder alles wußte, ihnen sagte, daß sie ihre Unfolgsamkeit mit dem Leben bezahlen würden. Hierdurch geschreckt, überlieferten sie auch die beiden Bücher dem Feuer, welche, gleich den andern, äußerst schwer verbrannten. Nachdem dies geschehen war, verschied der Pfarrer, noch nicht 43 Jahre alt, zum großen Leidwesen seiner Gemeinde, und wurde an der Kirche, neben seiner Frau und seinen zwei Kindern, begraben.

Quelle:
Bernhard Baader: Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 1, Karlsruhe 1851, S. 214-216.
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