248. Heidenkeller.

[237] Eine halbe Stunde vom jetzigen Eisingen hat zur Heidenzeit ein Tempel gestanden, und darunter war ein Keller zur Aufbewahrung des Opferweins. Heutiges Tages ist vom Gebäude nichts mehr zu sehen; aber der Platz wird noch immer der Heidenkeller genannt. Als vor siebzig Jahren der Gänshirt, Namens Martin, dort bei seiner Heerde lag und eine Handvoll Moos[237] aus dem Boden rupfte, drang aus diesem ein Weingeruch ihm entgegen. Sogleich stieß er seinen Stock mit eiserner Spitze hinein, und als er sie beim Herausziehen mit Wein benetzt fand, steckte er ein Röhrlein in das Bodenloch und begann dadurch zu saugen. Da lief ihm der köstlichste uralte Wein in den Mund, von welchem er so lange einsog, bis er einen tüchtigen Rausch hatte. Täglich trank er sich nun auf diese Weise einen solchen, und wenn er gefragt wurde, woher er, bei seiner Armuth, den Wein nehme, erwiederte er stets: »Suchet, so werdet ihr finden!« Endlich schlichen einige Männer ihm nach und entdeckten, wie er sich den Wein verschaffe. Nachdem er sich entfernt hatte, machten sie eine Oeffnung in den Keller und schlüpften hinein, wo sie den Wein in einer faßförmigen Weinsteinkruste fanden, worein durch Martins Stock oben ein Loch gestoßen war. Er freut wollten sie ihren Fund mitnehmen, aber die Kruste zerbrach in ihren Händen, und aller Wein, welcher ganz schwarz war, lief aus. Der Gänshirt lebte, nach Verlust seines Labsals, nicht mehr lange.

Andere erzählen so:

Nachdem Martin häufig nachts betrunken heimgekommen war, schlichen ihm eines Abends etliche Leute nach, um zu sehen, woher er den Wein erhalte. Er ging zu dem großen Loche, klopfte mit einem Stäbchen, welches halb roth halb schwarz war, dreimal an die Felsenwand, darauf erschien ein Zwerg und führte ihn in den Keller, worin mehrere Fässer von Weinstein lagen. Aus diesen trank er so lange, bis er berauscht nach Hause taumelte. Hiermit jedoch nicht mehr zufrieden, nahm er bald darauf ein leeres Faß mit hinaus, um es voll heimzubringen. Kaum aber fing er an, es zu[238] füllen, so zersprangen alle die Weinsteinfässer, und er wurde nachher nie wieder gesehen. Dagegen zeigt sich seitdem im Heidenkeller jede Nacht ein Rabe.

Quelle:
Bernhard Baader: Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 1, Karlsruhe 1851, S. 237-239.
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